L 11 KR 3069/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 16 KR 10144/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3069/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. Mai 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch darauf hat, dass ihr die Beklagte eine Operation zur Verkleinerung des Magenvolumens (Gastric-Banding-Operation; im Folgenden: Magenband) zu gewähren hat.

Die am 13. März 1963 geborene verheiratete Klägerin ist Mitglied der Beklagten. Sie ist gelernte Malerin/Lackiererin und absolvierte im Jahr 2006 eine Umschulung zur Mediendesignerin. Seit über 20 Jahren leidet die Klägerin an Übergewicht (Adipositas per magna) bei einer Körpergröße von 160 cm und einem Gewicht von zuletzt 98 kg (Body-Mass-Index [BMI] 37,5).

Unter Beifügung des Gutachtens des Ärztlichen Direktors des Klinikums S. (Klinik für Allgemein-, Visceral- und Unfallchirurgie) Prof. Dr. H. vom 24. Mai 2006 beantragte die Klägerin am 2. Juni 2006 bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Magenbandoperation. Prof. Dr. H. führte aus, die Klägerin sei kein "Sweet-eater". Hormonelle Ursachen des Übergewichts seien ausgeschlossen. Der Klägerin sei seit 20 Jahren übergewichtig und seit dieser Zeit habe sie mit verschiedensten internistisch-konservativen Therapiemaßnahmen erfolglos versucht, ihr extremes Übergewicht zu reduzieren. Ihr seien vielfach Gewichtsreduktionen möglich gewesen, im Langzeitverlauf habe sie aber das verlorene Gewicht sehr rasch wieder zugelegt. Sie habe unzählige häusliche Diäten mit Ernährungsumstellung und mit Teilnahme an Diät- und Ernährungsberatungskursen absolviert. Des Weiteren habe sie früher ein umfangreiches Sportprogramm über ein bis zwei Stunden täglich betrieben. Jetzt seien ihr diese Programme wegen eines Bandscheibenprolapses nicht mehr möglich, sie könne sich nur noch mit Hilfe zweier Gehstützen mühsam fortbewegen. Auch die Teilnahme am Optifast-Programm, das das gesamte integrative Gesamtkonzept mit Diät- und Ernährungsberatung, Psycho- und Verhaltenstherapie, Sportprogrammen sowie hausärztlicher Begleittherapie umfasse, sei erfolglos geblieben. Rein übergewichtsbedingt bestehe das Vollbild eines metabolischen Syndroms mit medikamentenpflichtiger Hypertonie, diabetischer Stoffwechsellage, Hyperinsulinismus, Hyperinsulinämie sowie Dyslipoproteinämie. Sonographisch sei eine Fettleber nachweisbar. Die Klägerin leide an Dyspnoe und Belastungsinsuffizienz sowie an ausgeprägten überlastungsbedingten orthopädischen Problemen mit Wirbelsäulen-, Rücken- und Kniegelenksbeschwerden. Es sei eine operative Therapie des Bandscheibenprolapses geplant. Sie lasse sich deswegen auch zur Grafikdesignerin umschulen, wobei sie zur Zeit arbeitsunfähig sei. Wegen ihres extremen Übergewichts beschreibe die Klägerin auch eine ausgeprägte psychosoziale Problematik sowie eine völlige Persönlichkeitsveränderung, wobei ihr die Selbstakzeptanz fehle und sie öffentliche Veranstaltungen meide. Auch die Hausärztin der Klägerin, Internistin E., habe die internistische-konservative Therapie für vollständig gescheitert erklärt und rate jetzt zu einem operativen Eingriff. Ohne Reduzierung des Übergewichts verkürze sich die Lebenserwartung der Klägerin. Nach den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Adipositas sowie des National Health-Instituts und der WHO bestehe bei Versagen einer langjährigen internistisch-konservativen Therapie die Indikation zu einem operativen Eingriff. Diese Voraussetzungen seien bei der Klägerin in vollem Umfange erfüllt. Die Beklagte erhob dazu die Stellungnahme des Dr. H. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 8. Juni 2006. Dieser führte aus, bei der Klägerin bestehe Adipositas per magna mit metabolischem Syndrom. Es lägen jedoch keine Esstagebücher und auch keine Gewichtsverlaufskurven vor, sodass die Motivation der Klägerin nicht eindeutig als positiv gewertet werden könne, da keine exakten Daten zu den letzten zwölf Monaten mit Gewichtsverlauf und umfangreichen multimodalen Gewichtsreduktionskonzepten dargelegt worden sei. Das Durchhalten der einjährigen konservativen Therapie sei ebenfalls nicht schlüssig belegt und die regelmäßige Teilnahme an den multidisziplinären Behandlungsangeboten werde nicht durch einen koordinierenden Arzt bescheinigt. Die im Befundbericht genannten Maßnahmen seien sehr allgemein gehalten. Nach der Adipositas-Leitlinie müsse jedoch eine multidisziplinäre konservative Behandlung nach definierten Qualitätskriterien stattgefunden haben. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall. Medizinisch könne daher die beantragte Operation nicht befürwortet werden. Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 14. Juni 2006 der Klägerin den Inhalt der Stellungnahme des MDK mitgeteilt hatte, nahm diese hierzu Stellung und legte das ärztliche Attest der Internistin E. vom 29. Juni 2006 vor. Danach bestehe ein BMI von 37,5 mit arterieller Hypertonie. Die Klägerin leide darüber hinaus ua auch an einer reaktiven Depression. Trotz mehrfacher - zunächst erfolgreicher - Versuche, sei es dauerhaft nicht gelungen, das Körpergewicht zu reduzieren. Über die vergangenen Jahre sei ein kontinuierlicher Anstieg des Körpergewichts zu verzeichnen gewesen. Zur Behandlung der Nebenerkrankungen sei eine Senkung des Körpergewichts dringend indiziert. Angesichts der Vorgeschichte mit nur kurzfristig erfolgreichen Versuchen das Körpergewicht zu reduzieren, werde die beantragte Operation empfohlen. Die Beklagte holte daraufhin die Stellungnahme des Dr. S. vom MDK vom 11. September 2006 ein. Dieser gab an, dass fraglos intensive Maßnahmen zur Gewichtsreduktion erforderlich seien, um weitere schwere Spätschäden zu vermeiden. Die internistisch-konservativen Behandlungsmöglichkeiten erschienen aber nicht ausgeschöpft. Wesentlich sei hier der Einsatz des sogenannten integrativen Gesamtbehandlungskonzeptes, dh die gleichzeitige und langanhaltende Durchführung von Ernährungsberatung, Bewegungstherapie und Verhaltenstherapie. Die Unterlagen belegten nicht, dass dieses Konzept bisher durchgeführt worden sei. Insbesondere fehle es an der konsequenten Verhaltenstherapie. Die Klägerin habe in der Vergangenheit immer wieder deutliche Gewichtsabnahmen erzielt. Da aber keine wesentliche Verhaltensmaßnahmen durchgeführt worden seien, sei es immer wieder zu einem Rückschlag gekommen. Bei fehlerhaften Verhalten könne aber auch postoperativ die "Nahrungssperre" umgangen werden, so dass es auch dann wieder zu einer Gewichtszunahme käme. Es müsse daher zunächst das integrative Gesamtbehandlungskonzept eingeleitet werden, wobei die Klägerin auch Ess-Tagebücher führen müsse. Mit Bescheid vom 2. Oktober 2006 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für die begehrte Operation ab. Der MDK habe festgestellt, dass die medizinischen Voraussetzungen für die begehrte Operation nicht erfüllt seien. Dem Bescheid war das Gutachten des Dr. H. beigefügt.

Hiergegen erhob die Klägerin am 11. Oktober 2006 Widerspruch, mit dem sie geltend machte, sie habe bereits seit dem Jahr 1982 erfolglos versucht, mittels konservativer Maßnahmen eine bleibende Gewichtsreduzierung zu erreichen. Nicht nur unterschiedliche Diäten, Ernährungsumstellungen und die Teilnahme an Diät- und Ernährungskursen seien vorgenommen worden, sondern auch die Maßnahmen, die der MDK vorgeschlagen habe. Auch habe sie eine Verhaltenstherapie durchgeführt. Sowohl im Optifast-Programm als auch bei den folgenden Versuchen mittels eines Personaltrainers mit Ernährungsbetreuung habe es eine psychologische Betreuung gegeben. Da sämtliche konservativen Methoden mithin ausgeschöpft seien, könne ihr nur noch eine Operation helfen, zumal sie wegen der starken Beeinträchtigungen im Wirbelsäulenbereich keine Bewegungstherapie zur Gewichtsreduzierung durchführen könne. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. November 2006 zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die ärztlich geleitete und dokumentierte Durchführung eines multimodalen Therapiekonzeptes sei nicht erkennbar. Die von der Klägerin probierten Ansätze seien relativ kurz und trotz messbarer Erfolge nicht konsequent fortgesetzt worden. Die Kostenübernahme für die begehrte Operation werde daher abgelehnt.

Hiergegen hat die Klägerin am 29. Dezember 2006 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und ausgeführt, sämtliche Methoden seien bei ihr fehlgeschlagen. Insbesondere hätten die Diäten immer wieder zu einem "Jo-Jo-Effekt" geführt. Sie habe in den Jahren 1994 und 1996 am Optifast-Programm teilgenommen. Die damals erzielte Gewichtsreduktion habe sie jedoch nicht halten können. Allerdings könne der damalige behandelnde Arzt Dr. K. - entsprechend seiner Auskunft gegenüber dem MDK vom 9. August 2006 - keine weiteren Unterlagen mehr vorlegen, da die Patientenakte nicht mehr vorhanden sei. Zur weiteren Begründung ihrer Klage hat sie das ärztliche Gutachten des Prof. Dr. H. vom 24. Mai 2006, das Attest der Internistin E. vom 29. Juni 2006, eine Aufstellung von Diät-Daten ab 1982, den Behandlungsplan der F.-Klinik Bad B. im Hinblick auf die stationäre Behandlung vom 23. Februar bis 16. März 2007, die handschriftliche Aufzeichnungen über ihr Essverhalten (Blatt 95 - 103 und Blatt 113 - 166 der SG-Akte) sowie das ärztliche Attest des Allgemeinarztes H. vom 10. April 2008 vorgelegt. Letzterer gab an, bei der Klägerin würden regelmäßig Gewichtskontrollen durchgeführt. Dabei sei festgestellt worden, dass ohne Einnahme von Reduktil eine ständige Gewichtszunahme bestehe. Aufgrund der anlagebedingten Adipositasneigung und des metabolischen Syndroms empfehle er zur dauerhaften Gewichtsreduktion eine chirurgische Intervention (Magenband).

Das SG hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen.

Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. M. hat mitgeteilt (Auskunft vom 23. März 2007), bei der Klägerin bestünden durch das Übergewicht hervorgerufene Begleiterkrankungen (Hypertonus und Diabetes). Nach seiner Information habe die Klägerin mehrere Diätversuche und eine Ernährungsberatung (zumindest in der Reha) durchgeführt, jedoch keine Psychotherapie. Sie habe Reduktil über mehrere Monate im Jahr 2005 ohne Erfolg eingenommen. Vom 27. Juni bis 28. Juli 2006 habe sie an einer Anschlussheilbehandlung nach einer Operation im Lendenwirbelsäulenbereich teilgenommen. Dr. M. hat diesbezüglich den Entlassungsbericht des Orthopäden Dr. S. vom 1. August 2006 sowie weitere Arztbriefe beigefügt. Prof. Dr. H. hat mitgeteilt (Auskunft vom 19. März 2007), bei der Klägerin bestehe bei einer Körpergröße von 1,60 m und bei einem Gewicht von 95 kg ein BMI von 37,5. Es liege damit ein 80 %iges Übergewicht vor. Zwischenzeitlich sei es der Klägerin gelungen, ihr Gewicht um 2 kg zu reduzieren. Am Magen selbst bestehe keinerlei Funktionsstörung. Eine stationäre Therapie im Jahr 1991 sei ebenso erfolglos geblieben wie die Durchführung des Optifast-Programms in den Jahren 1994 und 1996. Weitere Ernährungsberatungen, kommerzielle Diäten, medikamentöse Therapien und Sportprogramme seien erfolglos geblieben. Die hohe Motivation der Klägerin zur Gewichtsreduktion werde allein dadurch demonstriert, dass sie sehr viel Geld in gewichtsreduzierende Maßnahmen investiert habe. Die Klägerin befinde sich jetzt auch wieder in Diät- und Ernährungsberatung und unterziehe sich nochmals einer Verhaltenstherapie. Eine gastroplastische Operation sei bei der Klägerin eindeutig indiziert, da ein BMI von über 35 sowie Adipositas assoziierte Begleiterkrankungen vorlägen. Internistin E. hat ausgeführt (Auskunft vom 3. April 2007), der Blutdruck sei unter Therapie gut eingestellt. Seit dem 14. November 2005 seien ihr keine speziellen Diätprogramme bekannt. Neben krankengymnastischer Übungsbehandlung seien mit der Klägerin ein Bewegungstraining vereinbart worden, welches glaubhaft durchgeführt werde.

Mit Urteil vom 28. Mai 2009 hat das SG die Klage abgewiesen und unter Darlegung der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe die konservativen Behandlungsmöglichkeiten bisher nicht ausgeschöpft. Dies habe der MDK überzeugend dargelegt. Zwar habe die Klägerin nach Ernährungsberatung verschiedene Diäten absolviert und eine medikamentöse Therapie sowie eine Bewegungstherapie durchgeführt, jedoch fehle es an einer ärztlich koordinierten, geleiteten und dokumentierten Gesamttherapie mit Elementen der Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie. Ausweislich der Stellungnahme des Hausarztes Dr. M. sowie des Prof. Dr. H. habe eine solche Behandlung nicht stattgefunden. Vielmehr habe die Klägerin das Gewichtsreduktionsprogramm Optifast, welches die erforderliche Gesamtbehandlung darstellen könne, bereits vor 14 Jahren absolviert. Im Hinblick auf die im Juni 2006 beantragte operative Maßnahme bestehe daher ein zu großer zeitlicher Abstand, um belegen zu können, dass die konservativen Maßnahmen bereits ausgeschöpft seien. Schließlich verliere - unabhängig von der Tatsache, dass die diesbezüglichen Unterlagen mittlerweile vernichtet seien - die erfolglos durchgeführte Gesamttherapie mit zunehmendem Zeitabstand ihre Aussagekraft darüber, ob der begehrte chirurgische Eingriff wirklich die letzte Behandlungsmöglichkeit darstelle. Denn eine weit zurückliegende Gesamtbehandlung gebe keine Auskunft mehr über den gegenwärtigen körperlichen und psychischen Zustand sowie über die entsprechenden Behandlungsoptionen bzw die Erfolgsaussichten des erforderlichen Gesamtkonzepts. Auch aus dem nunmehr vorgelegten Esstagebüchern ergebe sich keine andere Beurteilung. Aus diesen sei nicht ansatzweise erkennbar, welches Ernährungskonzept hinter der durchgeführten Ernährung bestanden habe, ob diesem entsprochen worden sei und welche ärztlichen oder verhaltenstherapeutischen Interventionen bei Abweichungen erfolgt seien. Somit habe die Klägerin derzeit die konservativen Behandlungsmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft.

Gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 10. Juni 2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 6. Juli 2009 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Sie vertieft ihr bisheriges Vorbringen und rügt eine unzureichende Sachaufklärung dahingehend, dass sich das SG hätte gedrängt fühlen müssen, eine aktuelle Auskunft der jetzigen behandelnden Ärzte einzuholen. Das SG habe auch übersehen, dass sie seit nunmehr 20 Jahren entsprechende Maßnahmen zur Gewichtsreduzierung durchgeführt habe, die jedoch nicht erfolgreich gewesen seien. Auch genüge nach den Adipositas-Leitlinien das vorgelegte Esstagebuch. Das SG habe auch nicht hinreichend berücksichtigt, dass sie seit Monaten Medikamente erhalte, um eine Gewichtszunahme zu vermeiden. Voraussetzung für die Medikamentenabgabe sei jedoch, dass sämtliche Maßnahmen zur Gewichtsreduktion nicht ausreichend gewesen seien. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass bei ihr eine familiär bedingte adipöse Veranlagung zugrunde läge, weshalb auch die konservative Therapie keinen Erfolg habe. Hinzu komme, dass sie sich innerhalb der letzten zwei Jahre drei Bandscheiben-Operationen habe unterziehen müssen. Mittlerweile habe sie ihre Bewegungstherapie (täglich halbstündige Walking-Bewegungen sowie einmal in der Woche Schwimmen) auch wieder aufgenommen, nachdem sie sich ohne Krücken fortbewegen könne. Zur weiteren Begründung hat die Klägerin einen Ausschnitt aus der Abhandlung "Medizinische und ökonomische Beurteilung der bariatrischen Chirurgie (Adipositas-Chirurgie) gegenüber konservativen Strategien bei erwachsenen Patienten mit morbider Adipositas" vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. Mai 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 2. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. November 2006 zu verurteilen, im Wege der Sachleistung die Kosten für eine Gastric-Banding-Operation zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin H. als sachverständigen Zeugen. Dieser hat mitgeteilt (Auskunft vom 16. August 2009), er behandle die Klägerin seit Mai 1998 wegen eines metabolischen Syndroms mit den Symptomen Adipositas, Hyperandrogenämie und Diabetes. Vorübergehend sei eine Gewichtsreduktion unter Reduktil von ca 6 kg erreicht worden. Nach Ablehnung der Kasse hinsichtlich der Kostenübernahme von Reduktil stagniere das Gewicht bislang bei 98 kg, trotz adjuvanter Maßnahmen wie vermehrter Bewegung, diätischen Maßnahmen und Stoffwechselbehandlung. Die diabetologische Stoffwechsellage habe sich zuletzt verschlechtert, die Klägerin befinde sich inzwischen im insulinpflichtigen Bereich. Deswegen sei ein Termin bei einem Diabetologen vereinbart worden. Am Übergewicht habe sich in dem von ihm zu überschauenden Zeitraum von 11 Jahren trotz aller Maßnahmen von Seiten der Klägerin und auch im Hinblick auf die ärztlichen Interventionen nichts grundsätzliches geändert. Die Begleiterkrankungen hätten sich dagegen deutlich und bedrohlich verschlechtert, so dass jegliche erfolgversprechende Maßnahme, die das Gewicht rasch und nachhaltig vermindere, seines Erachtens zu unterstützen sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortragens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zurecht abgewiesen, da der angefochtene Bescheid vom 2. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. November 2006 (§ 95 SGG) rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung der begehrten stationären Magenbandoperation, weil sie vorrangige anderweitige Behandlungsmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft hat.

Nach § 27 Abs 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Satz 2 Nr 5 dieser Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung ua auch die Krankenhausbehandlung. Nach § 39 Abs 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB V unterliegt den sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V nur der Fall, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 93 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Bei der hier streitigen Magenoperation handelt es sich um eine "neue" Methode im Sinne des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V, denn sie ist nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten. Da es hier um eine stationäre Behandlung geht, besteht nach § 137c SGB V die Befugnis für ein Vertragskrankenhaus, Untersuchungs- und Behandlungsmethoden auf Kosten der Krankenkassen anzuwenden, bis der Gemeinsame Bundesausschuss eine negative Beurteilung abgegeben hat. Ein solches Negativvotum existiert für die Magenbandoperation nicht. Daher ist zu prüfen, ob die Magenbandoperation nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse für die Klägerin als Krankenhausbehandlung notwendig ist. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Der Magen der Klägerin als solcher ist gesund; er bedarf keiner Operation mittels Versorgung mit einem Magenband. Dies ergibt sich aus der Auskunft des Prof. Dr. H. vom 19. März 2007, wonach am Magen selbst keine Funktionsstörung besteht. Auch Dr. M. hat in seiner Auskunft vom 23. März 2007 keine Funktionsstörungen des Magens angegeben. Mithin sind hier die für eine mittelbare Krankenbehandlung maßgebenden Kriterien zu prüfen. Da das von der Klägerin mit der Operation erstrebte Behandlungsziel einer Gewichtsreduktion auf verschiedenen Wegen erreicht werden kann, kommt es darauf an, ob eine vollstationäre chirurgische Behandlung unter Berücksichtigung der Behandlungsalternativen (diätische Therapie, Bewegungstherapie, medikamentöse Therapie, Psychotherapie) notwendig und wirtschaftlich ist. Sodann ist zu untersuchen, ob nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Diskussion aus medizinischer Sicht die Voraussetzungen für eine chirurgische Intervention gegeben sind. Nach den vorliegenden Leitlinien der Fachgesellschaften (beispielsweise Leitlinie der deutschen Adipositas-Gesellschaft) kommt die Implantation eines Magenbandes als chirurgische Behandlung der extremen Adipositas nur als Ultima Ratio und nur bei Patienten in Betracht, die eine Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllen (BMI ) 40 oder 35 mit erheblichen Begleiterkrankungen; Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten; tolerables Operationsrisiko; ausreichende Motivation, keine manifeste psychiatrische Erkrankung; Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung; vgl. Bundessozialgericht [BSG] BSGE 90, 289 = SozR 4-2500 § 137c Nr 1; auch Urteil vom 18. Dezember 2008 - B 1 KR 2/08 R).

Die Klägerin leidet unstreitig an Übergewicht in krankhaftem Ausmaß. Die Krankheitswertigkeit der Adipositas per magna mit einem BMI von 37,5 belegen die übereinstimmenden Stellungnahmen (ärztliches Gutachten des Prof. Dr. H. vom 24. Mai 2006; ärztliches Attest der Internistin E. vom 29. Juni 2006; ärztliches Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin H. vom 10. April 2008), die sachverständigen Zeugenauskünfte (Auskünfte des Dr. M. vom 23. März 2007, des Prof. Dr. H. vom 19. März 2007, der Internistin E. vom 3. April 2007 und des Facharztes für Allgemeinmedizin H. vom 16. August 2009) und die Ausführungen des MDK (Gutachten des Dr. H. vom 8. Juni 2006 und Gutachten des Dr. S. vom 11. September 2006). Aufgrund der Adipositas per magna leidet die Klägerin mittlerweile auch an einem metabolischen Syndrom mit Hyperandrogenämie und Diabetes, wobei sich die Klägerin zwischenzeitlich im insulinpflichtigen Bereich befindet. Dies entnimmt der Senat der Auskunft des Facharztes für Allgemeinmedizin H. vom 16. August 2009. Darüber hinaus leidet sie an Bluthochdruck, der jedoch unter Therapie gut eingestellt ist, und an Wirbelsäulenbeschwerden. Dies entnimmt der Senat der Auskunft des Dr. M. vom 23. März 2007, der Auskunft der Internistin E. vom 3. April 2007 und dem Entlassungsbrief des Dr. S. vom 1. August 2006.

Zutreffend hat das SG aber entschieden, dass bei der Klägerin unabhängig von der bestehenden Adipositas per magna und den genannten Folgeerkrankungen nicht sämtliche alternativen konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Denn es fehlt weiterhin an einem ärztlich koordinierten und geleiteten Gesamttherapiekonzept, welches Diätmaßnahmen, eine Schulung des Ess- und Ernährungsverhaltens, eine Bewegungstherapie, ggfs pharmakologisch-ärztliche Behandlung und eine kombinierte psychotherapeutische Intervention umfasst und als Langzeitbehandlung auch konsequent und nachhaltig durchgeführt und dokumentiert worden ist. Eine derartige qualitativ anspruchsvolle Therapie hätte anhand bestimmter Qualitätskriterien erfolgen und über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten durchgeführt werden müssen. Dieses Erfordernis wird so ua auch von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin aufgestellt (vgl die Leitlinie "Prävention und Therapie der Adipositas", Version 2007 Nr 6.4.7 mit Tabelle Nr 5 [Qualitätskriterien für ambulante Adipositasprogramme]; siehe auch die "Evidenzbasierte Leitlinie chirurgische Therapie der extremen Adipositas" der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie der Adipositas e.V. und der Deutschen Adipositas Gesellschaft e.V. vom 1. Dezember 2006). Das SG hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass die bei der Klägerin nach ihren eigenen Angaben und nach den Angaben des Prof. Dr. H. in seinem Gutachten vom 24. Mai 2006 und seiner Auskunft vom 19. März 2007 durchgeführten Maßnahmen wie häusliche Diäten, medikamentöse Therapie, Teilnahme am Optifast-Programm in den Jahren 1994 und 1995, Teilnahme an Bewegungs- und Sportprogrammen sowie an Ernährungsschulungen keinen Hinweis darauf ergeben, dass bei ihr ein ärztlich koordiniertes und geleitetes Gesamttherapiekonzept über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten durchgeführt worden ist. Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen des SG vollumfänglich an und sieht deshalb von einer weiteren Begründung gemäß § 153 Abs 2 SGG ab.

Lediglich ergänzend - auch im Hinblick auf das Vorbringen in der Berufungsinstanz - wird auf Folgendes hingewiesen: Nach der bereits genannten Leitlinie der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (Nr 6.4.7) ist eine psychologische oder psychosomatische Therapie vor einer operativen Behandlung zwar nicht prinzipiell erforderlich. Bei Patienten mit Verdacht auf Depression, Psychose, Suchterkrankung oder Essstörung muss aber zwingend ein Psychiater oder Psychotherapeut hinzugezogen werden. Vorliegend hat jedoch bereits Prof. Dr. H. in seinem Gutachten vom 26. Mai 2006 darauf hingewiesen, dass die Klägerin an einer ausgeprägten psychosozialen Problematik leidet mit einer völligen Persönlichkeitsveränderung und einem Fehlen der Selbstakzeptanz, so dass sie auch öffentliche Veranstaltungen meidet. Auch Internistin E. hat in ihrem Attest vom 29. Juni 2006 angegeben, dass die Klägerin an einer reaktiven Depression leidet. Aus der Auskunft des Dr. M. vom 23. März 2007 folgt aber, dass die Klägerin bislang keine Psychotherapie in Anspruch genommen hat. Nachdem dies bislang nicht geschehen ist - die verhaltenstherapeutische Begleitung anlässlich der Durchführung der Optifast-Programme in den Jahren 1994 und 1996 liegt in zeitlicher Hinsicht viel zu lange zurück -, scheidet ein Sachleistungsanspruch der Klägerin im Hinblick auf die begehrte operative Behandlung aus.

Dass eine konsequente Verhaltenstherapie auch unabhängig vom Vorliegen psychischer Erkrankungen notwendig wäre, zeigt auch der Umstand, dass es der Klägerin in der Vergangenheit nach ihren eigenen Angaben immer wieder gelungen ist, das Gewicht - wenn auch nur kurzfristig - zu reduzieren. Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 11. September 2006 diesbezüglich nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass die wiederholte Gewichtszunahme nach vorheriger erfolgreicher Gewichtsabnahme damit zusammenhängt, dass keine wesentlichen Verhaltensmaßnahmen durchgeführt worden sind. Er hat in diesem Zusammenhang ebenfalls zutreffend darauf hingewiesen, dass bei fehlerhaftem Verhalten auch postoperativ die "Nahrungssperre" umgangen werden kann. Vor diesem Hintergrund hält auch der Senat die Durchführung einer konsequenten und längerfristigen Verhaltenstherapie für notwendig. Offensichtlich sieht auch Prof. Dr. H. eine diesbezügliche Notwendigkeit. Denn er hat in seiner Auskunft vom 19. März 2007 angegeben, dass sich die Klägerin nochmals einer Verhaltenstherapie unterziehen werde. Psychische Zusammenhänge zwischen Ernährungsgewohnheiten, Ernährungsverhalten und dem Übergewicht sind damit manifest.

Aus den dargelegten Gründen (Fehlen eines längerfristigen ärztlich koordinierten Gesamtkonzeptes mit Verhaltenstherapie) ergibt sich auch, dass es nicht darauf ankommt, dass die Klägerin zwischenzeitlich medikamentös mit Reduktil behandelt worden ist und sie auch Esstagebücher geführt hat. Denn diese selektiven Maßnahmen ersetzen nicht das geforderte ärztlich geleitete - und zu dokumentierende - Gesamttherapiekonzept.

Ein Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung, dass eine konkret lebensbedrohliche Erkrankung die grundrechtskonforme Auslegung des Leistungsanspruchs nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V erfordert, liegt im Fall der Klägerin nicht vor. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass sich ihr Übergewicht in absehbarer Zeit lebensbedrohend auswirken wird, zudem stehen ausreichend anderweitige anerkannte Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. So ist die Klägerin nach ihren eigenen Angaben im Berufungsverfahren auch wieder in der Lage, an einer Bewegungstherapie (täglicher halbstündige Walking-Bewegungen sowie einmal pro Woche Schwimmen) teilzunehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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