L 33 R 1259/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
33
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 13 RJ 1804/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 33 R 1259/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 05. Juli 2007 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Die 1948 geborene, also jetzt 62 Jahre alte Klägerin hat in der Zeit von 1964 bis 1967 in ihrem Herkunftsland Polen den Beruf der Friseurin erlernt und diesen dort seit 1967 ausgeübt. Nach ihren eigenen Angaben hat sie diese Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Von 1981 bis 1985 war sie arbeitslos. Von Februar 1985 bis August 1989 arbeitete sie als Friseurin bei der Staatsoper in B. Diese Tätigkeit gab sie nach ihren eigenen Angaben wegen Ausreise auf. Nach ihrer Ankunft in Deutschland im August 1989 war sie zunächst bis Januar 1993 arbeitslos. Anschließend arbeitete sie bei der Firma N, in Bals Reinigungskraft. Seit dem 30. April 1999 war sie arbeitsunfähig.

Am 26. Juli 2000 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Zahlung einer Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte zog den Rehabilitationsentlassungsbe-richt der B-Klinik bei, in der die Klägerin vom 15. Dezember 1999 bis 5. Januar 2000 eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme absolviert hatte. Die Ärzte dieser Klinik kamen zu dem Ergebnis, dass die Klägerin zwar nur noch zweistündig bis unterhalbschichtig als Reinigungskraft, jedoch noch vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein könne. Eine Tätigkeit als Friseurin komme nicht mehr in Betracht. Nachdem die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 28. September 2000 abgelehnt hatte, holte sie im Widerspruchsverfahren ein Gutachten von dem Orthopäden Dr. R ein, das vom 23. November 2000 datiert und in dem dieser zu der Einschätzung kam, dass die Klägerin noch leichte Tätigkeiten im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen vollschichtig verrichten könne. Eine Tätigkeit als Friseurin und Reinigungskraft komme nicht mehr in Betracht. Die gegen den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2000 erhobene Klage wurde von dem Sozialgericht Berlin mit Gerichtsbescheid vom 8. August 2001 abgewiesen mit der Begründung, die Klage sei nicht fristgerecht erhoben worden.

Am 8. April 2003 stellte die Klägerin einen Antrag auf Zahlung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Sie gab an, wegen stark schmerzhafter Beschwerden im Becken- und Wirbelsäulenbereich nicht mehr leistungsfähig zu sein.

In seinem im Auftrag der Beklagten erstellten Gutachten vom 2. Mai 2003 kam der Orthopäde Herr Dr. K zu dem Ergebnis, die Klägerin könne noch leichte Tätigkeiten im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen vollschichtig verrichten. Auffällig gewesen sei bei der Untersuchung die Diskrepanz der Befunde.

Mit Bescheid vom 16. Mai 2003 hat die Beklagte den Rentenantrag mit der Begründung abgelehnt, die Klägerin sei noch in der Lage, Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten.

Zur Begründung ihres am 20. Juni 2003 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruches bemängelte die Klägerin die Art der Begutachtung durch Herrn Dr. K, der sie während der medizinischen Untersuchung beleidigend behandelt habe.

Die Beklagte veranlasste ein Gutachten durch die Internistin Frau Dipl. Med. E. In ihrem Gutachten vom 24. September 2003 kam diese zu dem Ergebnis, dass die Klägerin als Reinigungskraft nicht mehr tätig sein könne, Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes jedoch noch sechs Stunden täglich verrichten könne. Es sei Toilettennähe erforderlich und es dürften keine besonderen Anforderungen an das Hörvermögen gestellt werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2003 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen.

Zur Begründung ihrer am 30. Oktober 2003 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, dass sie nicht mehr als Reinigungskraft tätig sein könne. Sie könne nicht lange stehen und sitzen und habe ständig Schmerzen in der Lendenwirbelsäule und der Brustwirbelsäule. Zumindest bestehe ein Anspruch wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Die Aufgabe der Tätigkeit als Friseurin sei aus gesundheitlichen Gründen erfolgt. Seit ihrer Einreise nach Berlin im August 1989 habe sie eine Arbeitsstelle in dem erlernten Beruf als Friseurin gesucht, allerdings erfolglos. Sie habe vorrangig eine Teilzeitbeschäftigung bis zu ca. 20 Stunden die Woche gesucht, da sie aus gesundheitlichen Gründen keine Vollzeitbeschäftigung mehr habe annehmen wollen. Ihre langwierigen Bemühungen um eine solche Stelle habe sie indes aufgeben müssen. Um nicht weiterhin arbeitslos oder
Sozialhilfeempfängerin zu sein, habe sie nach einer anderen Arbeitsmöglichkeit gesucht und dann im Januar 1993 bei der Reinigungsfirma N als Unterhaltsreinigerin in Teilzeitbeschäftigung angefangen, obwohl dies nicht ihrer beruflichen Qualifikation entsprochen habe. Trotz der körperlich wesentlich anstrengenderen Tätigkeit habe sie sich bemüht, so lange wie möglich zu arbeiten. Nach acht Jahren sei sie aus gesundheitlichen Gründen gezwungen gewesen, diese Arbeitstätigkeit aufzugeben.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte, und zwar der Chirurgen Herrn K und Herrn S vom 30. September 2004, der Fachärztin für Allgemeinmedizin Frau S vom 11. November 2004 und der Frauenärzte Herrn und Frau Dres. J vom 17. November 2004 angefordert und erhalten. Die Klägerin hat zudem einen Arztbrief der Fachärztin für Radiologie und Strahlenheilkunde Frau Dr. Kvom 23. März 2005 zu den Akten gereicht.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens von dem Dipl.- Med. Herrn K vom 18. Juni 2005. Dieser hat folgende Diagnosen gestellt: Generalisiertes Wirbelsäulensyndrom, chronische Lumboischialgie bei Bandscheibenprotrusion im Lumbalbereich und ISG-Reizungen, Wirbelsäulenfehlform mir rechtsbetonter Skoliose, Halswirbelsäulensyndrom bei Blockierung mit ausstrahlenden Schmerzen lumbal und cervical; Sprunggelenksarthrose rechts mit Spitzfußstellung; psychovegetatives Syndrom und ein Reizzustand des Magens. Nach seiner Einschätzung war die Klägerin noch in der Lage, leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen und Stehen auszuüben. Die Hälfte bis 2/3 der Haltungsarten sollte sich dabei auf sitzende Tätigkeiten beschränken. Der Wechsel der Haltungsarten von sitzender Tätigkeit zur gehenden oder stehenden Tätigkeit sollte spontan und jeder Zeit vornehmbar sein. Arbeiten mit einseitiger körperlicher Belastung und Zwangshaltungen sollten vermieden werden, ebenso Arbeiten im festgelegten Arbeitsrhyth-mus, wie z. B. Akkord und Fließband, bei denen eine Überlastungsgefahr, Zwangshaltungen und Verspannung bestünden. Auch Heben und Tragen von Lasten über fünf kg sollte vermieden werden. Die Klägerin sollte nicht in Nachtschicht und nicht auf Leitern und Gerüsten, auch nicht kurzzeitig und gelegentlich, arbeiten. Tätigkeiten, die eine besondere Belastung der Arme und Hände erforderten, seien nicht möglich. Die Beine und Füße seien nur minimal belastbar. Möglich seien hingegen teilweise oder überwiegende Tätigkeiten am Computer. Weiter sei eine Beeinträchtigung des Hörvermögens gegeben. Unter Berücksichtigung der genannten qua-litativen Einschränkungen sei die Klägerin in der Lage, Tätigkeiten acht Stunden täglich zu verrichten.

Nachdem die Klägerin unter anderem ein Attest des sie behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin Herrn S vom 18. November 2005 vorgelegt hatte, wonach dieser die Einleitung einer Berentung für erforderlich hielt und die Klägerin ihn als Gutachter gemäß § 109 SGG benannt hatte, ließ das Sozialgericht die Klägerin erneut (gemäß § 106 SGG) begutachten, und zwar durch den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. B. Dieser hat in seinem Gutachten vom 25. Oktober 2006 folgende Diagnosen gestellt: Fehlhaltung sowie degenerative Veränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule mit (vegetativ akzentuierten) Weichteilbeschwerden ohne höhergradige Funktionsstörung sowie ohne neurologische Defizite; wechselnde Arthralgien ohne Bewegungseinschränkung (bei Beinverkürzung mit leichter Spitzfußstellung rechts sowie retropatellarem Knorpelschaden des linken Kniegelenks); Depression mit Somatisierungsstö-rung; Hörminderung (bei Zustand nach HNO-OP 1/06). Herr Dr. B kam zu dem Ergebnis, dass ein manifestes, funktionell bedeutsames oder altersüberschreitendes Leiden am Bewegungsapparat überhaupt nicht vorliege. Für die subjektiv chronifizierten Schmerzen gebe es kein
entsprechendes Korrelat. Die Lumbalgien seien radiologisch nicht erklärbar. Im Vordergrund stünden seelische Krankheitsanteile, die aber nicht behandelt seien. Bei der Begutachtung sei sehr auffällig, dass die von der Klägerin geschilderten (und zeitweise vorgeführten) Schmerz-zustände bzw. Bewegungseinschränkungen sich nicht annähernd mit den strukturellen Befun-den plausibel korrelieren ließen, ebenso wenig mit den therapeutischen Bemühungen. Die Klägerin wirke aus seiner Sicht nicht höhergradig verstimmt, es liege keine typische Facies depressiva vor, nach einer Überwindung einer anfänglichen Verunsicherung habe sie sich streckenweise sehr lebhaft, teilweise lachend mit der Tochter unterhalten, dabei recht vital mit kräftiger Stimme und Gestik. Weder die geschilderte Minderbelastbarkeit, die hochgradige Erschöpfbarkeit noch die angeblich massiven Gleichgewichtsstörungen hätten sich auch nur annähernd dargestellt. Unter anderem sei auch das Treppensteigen zügig und sicher im regulären Wechselschritt erfolgt. Ein Nachlassen der Konzentration und Ausdauer im Verlauf der sehr ausgiebigen Begutachtung sei ebenfalls nicht zu beobachten gewesen. Manifeste kognitive Defizite seien für ihn nicht erkennbar gewesen, eben so wenig phobische und/oder psychotische Krankheitsanteile. Es liege damit offenkundig eine massive Somatisierungsstörung vor, multilokuläre Irritationen seien extensiv dargestellt worden, ohne dass der übermittelte Leidensdruck recht dem verbalisierten entspreche. Zu dem sei zu bedenken, dass es sich um ein komplett unbehandeltes Krankheitsbild handele, bislang seien nicht einmal antidepressive
Medikamente zur Anwendung gekommen, geschweige denn eine Gesprächsbehandlung, eine psychosomatische Rehabilitation oder ähnliches. Soweit sich das Gericht seiner allgemeinärztlichen Einschätzung dieser seelischen Krankheitsanteile anschließe, halte er ein neuropsychiatrisches Gutachten vorerst nicht für erforderlich. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte Tätigkeiten im Wechsel der Haltungsarten vollschichtig zu verrichten. Eine Beschränkung auf nur sitzende Arbeit sei nicht nachvollziehbar. Wegen der Neigung zu Muskelverspannungen seien keine häufigeren Zwangshaltungen zumutbar, ebensowenig Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten und kein Tragen von Lasten über 5 bis gelegentlich 10 kg. Die Möglichkeit zu gelegentlichem Haltungswechsel müsse gegeben sein, eine ständige/häufige Positionsänderung sei hingegen nicht erforderlich. Nachtschicht sei wegen der psychischen Alteration nicht ratsam. Die Belastbarkeit der Wirbelsäule sei allenfalls mittelgradig gemindert, gleiches gelte für die Belastbarkeit der Arme (Hände) und der Beine (Füße). Arbeiten mit Publikumsverkehr seien vor allem wegen der dann verstärkten Verständigungsschwierigkeiten nicht ratsam.

Die Klägerin war mit dem Gutachten von Herrn Dr. B nicht einverstanden. Sie fühlte sich nicht gut behandelt. Insbesondere habe der Gutachter das sehr schlechte Gehör der Klägerin nicht ernst genommen. Sie sei am rechten Ohr ertaubt und am linken Ohr werde ebenfalls eine Operation nötig sein. Das Sozialgericht hat daraufhin einen Befundbericht von dem die Klägerin behandelnden Arzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Herrn Dr. P, vom 13. März 2007 eingeholt. Dieser hat angegeben, dass bei der Klägerin eine hochgradige, an Taubheit grenzende kombinierte Schwerhörigkeit beidseits bestünde. Beigefügt war ein Bericht der C, , vom 20. Januar 2006 bezüglich einer stationären Behandlung vom 17. Januar bis zum 23. Januar 2006.

Mit Urteil vom 5. Juli 2007 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei noch in der Lage, Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Dies ergebe sich zur Überzeugung der Kammer insbesondere aus dem schriftlichen Gutachten der Sachverständigen Dipl. Med. K und Dr. B. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bestünde nicht, weil sich die Klägerin von dem Lehrberuf der Friseurin aus anderen als gesundheitlichen Gründen gelöst habe. Als letzte Tätigkeit sei diejenige als Reinigungskraft zu Grunde zu legen.

Gegen das den damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 11. Juli 2007 zugestellte Urteil hat diese am 13. August 2007, einem Montag, Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Bereits in Polen habe sie erhebliche Schwierigkeiten gehabt, ihren Beruf als Friseuse auszuüben. Da es aber in einer sozialistischen Gesellschaft keine Arbeitslosen gegeben habe, sei sie in Polen mehr oder weniger durchgeschleppt worden. Nach ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland hätte sie durchaus eine Beschäftigung finden können, sofern ihr Gesundheitszustand es zugelassen hätte. Sie habe sich auf Arbeitsu-che begeben, sei jedoch nicht angenommen worden, weil sie wahrheitsgemäß Auskunft über ihren Gesundheitszustand erteilt habe. Aufgrund dieses Umstandes sei sie der Sozialhilfe anheim gefallen. Diese Prozedur habe sie als sehr erniedrigend empfunden und sich wertlos gefühlt. In der depressiven Phase habe sie sich dazu entschlossen, im Jahre 1993 eine Teilzeitbeschäftigung bis maximal 20 Stunden pro Woche als Reinigungskraft anzunehmen. Dieser Umstand würde ihr nun seitens des Sozialgerichts Berlin zum Nachteil ausgelegt. Ihre
Arbeitswilligkeit trotz erheblicher Handicaps könne ihr nicht zum Nachteil gereichen. Sie sei bereits im Vorfeld der Antragstellung nicht unerheblich krank und nach diesseitiger Auffassung arbeitsunfähig gewesen. Von 1987 bis 1997 habe sie wiederholt an Magengeschwüren gelitten. 1995 sei eine Zyste der linken Brust entfernt worden. Seit 1997 habe sie zunehmend an Kreuzschmerzen gelitten. Das rechte Bein sei verkürzt und es sei eine Spitzfußstellung rechts festzustellen. Daraus resultiere ein Taubheitsgefühl sowohl im Rückenbereich als auch in beiden Armen. Weiter bestünden Bandscheibenprotrusionen sowie eine Nervenläsion der unteren Ex-tremitäten und ein chronisch neurogener Umbau in der Kennmuskulatur S1 rechts. Im Jahre 2000 seien noch klimakterische Beschwerden und Depressionen hinzugekommen. Schließlich habe sich noch eine Harninkontinenz eingestellt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin wird auf die Schriftsätze ihres Prozessbevollmächtigten verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. Juli 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, ab dem 1. April 2003 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Die Klägerin hat einen Operationsbericht der C vom 6. Dezember 2007 bezüglich einer Tympanoplastik III mit Implantation einer Titan TORP übersandt.

Der Senat hat von der AOK Berlin eine Liste mit den Arbeitsunfähigkeits-Zeiten der Klägerin in der Zeit von 1994 bis 2007 angefordert und erhalten. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 284 bis 286 der Gerichtsakten verwiesen. Weiter hat der Senat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte, und zwar des Facharztes für physikalische und rehabilitative Medizin, Herrn S vom 15. April 2008, des Frauenarztes Herrn Dr. J vom 25. Mai 2008, des Dr. H von der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik der C, vom 5. Juni 2008, des Facharztes für Allgemeinmedizin Herrn Dr. S vom 28. Juni 2008 und der Fachärztin für Allgemeinmedizin Frau B vom 8. Juli 2008 eingeholt. Bei Herrn S war die Klägerin nur einmal, und zwar am 13. Mai 2005, in Behandlung. Bei den Frauenärzten erfolgte eine Behandlung zweimal jährlich und bei Herrn Dr. S war die Klägerin zuletzt im Oktober 2007 vorstellig geworden. Frau Dr. B bescheinigte unregelmäßige Praxisbesuche.

Mit Bescheid vom 29. Juli 2008 hat die Beklagte der Klägerin Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 1. August 2008 bewilligt.

Die Klägerin hat u.a. eine von der Berufsgenossenschaft der Friseurinnen und Kosmetikerinnen in Polen ausgestellte Bescheinigung über ihren Gesundheitszustand vom 20. Juli 1982 vorgelegt.

Die Klägerin hat ihren polnischen Versicherungsausweis vorgelegt, aus dem u.a. hervorgeht, dass sie bis Dezember 1980 bei der Mehrzweig-Dienstleistungsgenossenschaft Nr. 11, Friseur- und kosmetische Betriebe in B tätig war und ab Februar 1985 bei der Staatsoper in B. Weiter hat sie verschiedene ärztliche bzw. medizinische Berichte und Bescheinigungen aus der Zeit von 1978 bis 1989 vorgelegt.

Der Senat hat die die Klägerin betreffenden Schwerbehindertenakten des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Berlin (Versorgungsamt) angefordert und daraus ein Gutachten von Herrn Dr. W für den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MdK) vom 7. Oktober 1999 sowie ein Ärztliches Gutachten von dem Arzt für Orthopädie Herrn Dr. V vom 14. Dezember 2000in Kopie zur Gerichtsakte genommen.

Der Senat hat von der Bundesagentur für Arbeit (BA), Agentur für Arbeit R, die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten angefordert und erhalten (Az. ). Diese Akten umfassen den Zeitraum seit Mai 1994. Auf Anforderung des für die Zeit seit 1989, also der Übersiedlung der Klägerin nach Deutschland angefallenen Aktenteils sowie sämtlicher BEWA-Vermerke hat die BA, Agentur für Arbeit M, am 29. September 2009 mitgeteilt, dass keine Leistungsunterlagen mehr vorhanden seien.

Auf Anforderung des Senats hat die BA, Agentur für Arbeit B , die vom dortigen Ärztlichen Dienst, und zwar von Herrn Dr. B am 8. März 2004 und von Herrn Dr. P am 9. November 2000 erstellten Gutachten übersandt. Beigefügt waren außerdem verschiedene ärztliche Atteste die Klägerin betreffend aus den Jahren 1998 und 1999.

Die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg hat auf Anfrage des Senats mitgeteilt, dass das über die Klägerin im Jahre 1991 vom dortigen Ärztlichen Dienst erstellte Gutachten nicht mehr vorliegt. Die Aufbewahrungsfrist betrage 10 Jahre. Die Klägerin hat mitgeteilt, dass auch ihr dieses Gutachten nicht mehr vorliegt.

Der Senat hat einen Befundbericht der die Klägerin behandelnden Ärztin Frau S angefordert. In diesem Befundbericht vom 25. Januar 2010 hat diese angegeben, die Klägerin erst seit Oktober 1999, statt, wie von der Klägerin mitgeteilt, auch im Zeitraum 1989 bis 1993 behandelt zu haben.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens von dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit Zusatzbezeichnung Spezielle Schmerztherapie und Sozialmedizin, Herrn Dr. H vom 3. November 2010. Das Gutachten wurde, nachdem die Klägerin mitgeteilt hatte, aufgrund eines desolaten psychischen Zustandes außer Stande zu sein, einen Untersuchungstermin bei Herrn Dr. H wahrzunehmen, nach Akten-lage erstellt. Wegen der Einzelheiten und des Ergebnisses des Gutachtens wird auf Bl. 594 bis 615 der Gerichtsakten verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der einge-reichten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen.

Die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten (Az. ) haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) der Klägerin ist zulässig. Sie ist ohne weitere Zulassung nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG statthaft, da sie wiederkehrende bzw. laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 05. Juli 2007 und der Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2003 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) und auch nicht wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI, da sie nicht erwerbsgemindert ist.

Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) vom 20. April 2007, BGBl. I S. 554, haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Nach Überzeugung des Senats sind diese Voraussetzungen bei der Klägerin nicht erfüllt. Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen und den Beweiserhebungen des Sozialgerichts Berlin und des erkennenden Senats ist die Klägerin noch in der Lage, leichte körperliche Arbeiten, zeitweise im Gehen, zeitweise im Stehen und überwiegend im Sitzen, wobei ein Wechsel der Haltungsarten wünschenswert ist, nicht in Zwangshaltungen, nicht auf Leitern und
Gerüsten, ohne Heben und Tragen von mittelschweren und schweren Lasten, nicht im Hocken und im Kriechen, nicht unter Zeitdruck wie bei Akkord- und Fließbandarbeiten, nicht in Nachtschicht und nicht mit Publikumsverkehr sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des von ihm bestellten Gutachters Herrn Dr. H, aber auch dem des vom Sozialgericht Berlin bestellten Sachverständigen Herrn Dr. B. Diese Gutachten sind schlüssig und nachvollziehbar und berücksichtigen die von der Klägerin vorgetragenen Leiden umfassend. Es bestehen zwar bei ihr Gesundheitsstörungen insbesondere auf orthopädischem und psychiatrischem Fachgebiet, diese sind jedoch nicht so stark ausgeprägt, als dass die Klägerin Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung der oben genannten qualitativen Einschränkungen nicht mehr verrichten könnte bzw. bis zum 31. Juli 2008, dem letzten Zeitpunkt vor Beginn ihrer Altersrente, hätte verrichten können. Letzteres ist deshalb beachtlich, weil für die Klägerin für die Zeit ab August 2008, für die sie Rente für schwerbe-hinderte Menschen bezogen hat, gemäß § 34 Abs. 4 SGB VI i.d.F. des RVO-Altersgrenzenanpassungsgesetzes ein Wechsel in eine Rente wegen Erwerbsminderung ausgeschlossen ist, d.h. der Eintritt eines Leistungsfalles der Erwerbsminderung nach diesem Zeitpunkt wäre unbeachtlich, da die Klägerin eine Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit ab 1. August 2008 nicht mehr beziehen kann. Nach dem Gutachten von Herrn Dr. H bestehen bei der Klägerin folgende Krankheiten: Chronische Lumboischialgie bei Arthrose der kleinen Wirbelgelenke und Bandscheibenvorwölbungen mit deutlichen funktionellen Einschränkungen; Retropatellararthrose im linken Kniegelenk mit Einschränkung der Gehfähigkeit; posttraumatische Funktionsstörung mit wahrscheinlich Sprunggelenksarthrose und eingeschränkter Funktion des Sprunggelenkes rechts; Adipositas sowie eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Zu ergänzen ist aus dem Gutachten von Herrn Dr. B die Diagnose einer Hörminderung. Trotz der ge-nannten Diagnosen hält der Sachverständige eine Arbeitstätigkeit der Klägerin in mindestens sechsstündigem Umfang für möglich. Der Senat folgt dem Gutachten von Herrn Dr. H in vollem Umfang, der im Übrigen nicht von dem in der ersten Instanz erstellten Gutachten von Herrn Dr. B abweicht.

Die Klägerin hat medizinisch begründete Einwendungen gegen das Gutachten von Herrn Dr. Hnicht vorgebracht, ebenso wenig wie gegen das Gutachten von Herrn Dr. B. Auch die von dem Senat eingeholten Befundberichte haben keine Hinweise darauf ergeben, dass das
Leistungsvermögen der Klägerin stärker herabgesetzt ist, als von Herrn Dr. H oder Herrn Dr. B angegeben. Bei dem Facharzt für physikalische und rehabilitative Medizin Herrn S war die Klägerin nur einmal, und zwar am 13. Mai 2005, in Behandlung. Bei dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S hat sie sich zuletzt in Oktober 2007 vorgestellt. Auch die Fachärztin für Allgemeinmedizin Frau B hat unregelmäßige Praxisbesuche angegeben. Weiter hat sie attes-tiert, dass die Klägerin sich in orthopädischer, gynäkologischer, augenärztlicher und Hals-Nasen-Ohren-ärztlicher Mitbehandlung befindet. Zumindest für die orthopädische Mitbehandlung ist dies nicht zutreffend. Die Klägerin hat weder im Fragebogen zur Person eine aktuelle orthopädische Behandlung angegeben, noch die ausdrückliche Anfrage des Senats, bei welchem Orthopäden sie sich aktuell in Behandlung befinde, beantwortet. Gleichzeitig hat sie je-doch den Schwerpunkt ihrer Beschwerden als auf orthopädischem Gebiet liegend angegeben. Auch befindet sich die Klägerin weiterhin nicht in neurologisch-psychiatrischer Behandlung, so dass kein Hinweis auf eine relevante, das Leistungsvermögen beeinflussende Verschlechte-rung auf diesem Gebiet vorliegt, da die behandelnde Ärztin Frau B in diesem Fall veranlasst gewesen wäre, eine Mitbehandlung durch einen Facharzt einzuleiten. Der Senat folgt daher auch diesbezüglich der Einschätzung von Herrn Dr. B, der zum Zeitpunkt seiner Begutachtung keine Veranlassung für die Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens sah, ob-wohl er eine massive Somatisierungsstörung für gegeben hielt. Er hat jedoch ausgeführt, dass die von der Klägerin geschilderten Schmerzzustände beziehungsweise Bewegungseinschränkungen sich nicht annähernd mit den strukturellen Befunden plausibel korrelieren ließen, ebenso wenig mit den therapeutischen Bemühungen. Die Klägerin wirkte nicht höhergradig verstimmt, wies keine typische Facies depressiva auf und war nach Überwindung einer anfänglichen Verunsicherung in der Untersuchungssituation streckenweise sehr lebhaft, lachte teilweise mit der Tochter und redete mit vital kräftiger Stimme und Gestik. Weder die geschilderte Minderbelastbarkeit noch die hochgradige Erschöpfbarkeit stellten sich auch nur annähernd dar.

Es liegt bei der Klägerin auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die die Benennung einer Verweisungstätigkeit erfordern würde. Ob der Klägerin eine Verweisungstätigkeit benannt werden muss, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nach den Umständen des Einzelfalles festzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 23. Mai 2006, Aktenzeichen B 13 RJ 38/05 R, juris Rn. 23 m.w.N.). Der jeweilige Begründungsaufwand hängt insbesondere von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leis-tungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss das Tatsachengericht seine Entscheidung zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung begründen (BSG, a.a.O.). Die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt, erfolgt zweckmäßigerweise in zwei Schritten (vgl. Urteil des BSG vom 11. März 1999, Az.: B 13 RJ 71/97 R = Neue Zeitschrift für Sozialrecht - NZS - 2000, 96 [97] ): Zuerst ist zu beurteilen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten körperliche Verrichtungen (wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw.) erlaubt, die bei ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen. Verbleiben insoweit Zweifel, folgt die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt.

Vorliegend sind Anhaltspunkte für eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen nicht ersichtlich. Die bei der Klägerin bestehenden, oben genannten qualitativen Einschränkungen entsprechen im Wesentlichen dem Leistungsbild einer leichten Tätigkeit und sind nicht so vielfältig, dass sie sämtliche in Betracht kommenden Tätigkeiten ausschließen, noch besteht eine besonders ungewöhnliche oder schwerwiegende Leistungseinschränkung (wie z.B. die Einarmigkeit oder die Nichtbenutzbarkeit der Hände). Die Klägerin kann die meisten der eben genannten körperlichen Verrichtungen mit dem bei ihr vorliegenden Leis-tungsbild noch auszuführen. Der Einschätzung des Sachverständigen Herrn Dipl. Med. K, der angegeben hat, dass die Klägerin überwiegend sitzen und jederzeit einen spontanen Haltungswechsel durchführen können müsse, folgt der Senat nicht. Herr Dr. B hat mit nachvollziehbarer und den Senat überzeugender Begründung ausgeführt, dass diese von Herrn Dipl. Med. K angegebenen qualitativen Einschränkungen nicht gegeben sind. Dr. B hat auf Grund seiner Unter-suchung mit Nachdruck bestätigt, dass ein manifestes, funktionell bedeutsames oder altersüber-schreitendes Leiden am Bewegungsapparat überhaupt nicht vorlag. Insbesondere gab es für die - subjektiv seit Jahrzehnten chronifizierten - Schmerzen am Achsenorgan kein entsprechendes strukturelles Korrelat. Die ausgeprägten Lumbalgien waren radiologisch nicht erklärbar, altersuntypische Verschleißzeichen ließen sich ebenso wenig nachweisen wie ein Bandscheibenleiden. Die elektromyographische Untersuchung von September 1999 ergab - bei damals schon identischen Beschwerden inklusive unklarer Sensibilitätsstörungen und Reflexauffälligkeiten des rechten Beines - explizit keinen Anhalt für eine periphere oder radikuläre Nervenläsion der unteren Extremitäten. In Übereinstimmung mit sämtlichen aktenkundigen Vorbefunden ließen sich auch bei der Untersuchung durch Herrn Dr. B weder an der Hals- noch an der Lendenwirbelsäule relevante Einbußen geschweige denn (plausible) sensomotorische Defizite nachweisen. Die Halswirbelsäule war annähernd normal beweglich, die Lendenwirbelsäule allenfalls um 1/3 gegenüber der Norm eingeschränkt. Bestätigen ließen sich lediglich muskuläre
Verspannungen in der Nackenregion sowie paralumbal mit Projektion in die Kreuzdarmbeinfugen. Eine Vielzahl von Funktionsproben wurden von der Klägerin komplett und hinreichend zügig durchgeführt. Dabei war zu berücksichtigen, dass nur eine recht zurückhaltende Therapie erfolgte, diese beschränkte sich lediglich auf eine mittelstarke Schmerzmedikation. Auch an den großen und kleinen Gelenken ließ sich kein gravierender Krankheitsbefund erheben. Glaubhaft waren Belastungsbeschwerden des linken Kniegelenks, zumal sich ein schmerzhaftes Krepitieren im Kniescheibengleitlager nachweisen ließ. Angesichts der völlig freien Beweglichkeit beider Kniegelenke und des ganz unauffälligen Treppenganges hatte Herr Dr. B auf die Anfer-tigung neuer Röntgenbilder verzichtet und sah sich bei seiner Einschätzung in Übereinstimmung mit den orthopädischen Vorgutachtern Dres. R und K. Auch der Sachverständige Dr. H hat sich der Einschätzung von Herrn Dr. B vollumfänglich angeschlossen indem er angegeben hat, zu dem Gutachten von Herrn Dr. B bestünde keine Abweichung.

Ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung besteht daher für die Klägerin nicht.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie zwar in der Lage sind, mehr als drei, aber nicht mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die übrigen Voraussetzungen für eine Rentenzahlung entsprechen denjenigen bei einer Rente wegen voller
Erwerbsminderung.

Die Klägerin ist nicht teilweise erwerbsgemindert, da sie, wie oben erläutert, noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann bzw. bis zum 31. Juli 2008 sein konnte.

Auch der weitere Hilfsantrag ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Be-rufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI. Diese Vorschrift lautet:

(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die

1. vor dem 2. Januar 1961 geboren und

2. berufsunfähig sind.

(2) Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Ausgangspunkt für die Beurteilung des Vorliegens von Berufsunfähigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der "bisherige Beruf" des Versicherten. Dies ist in der Regel die letzte nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Die letzte von der Klägerin nicht nur vorübergehend versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit ist diejenige einer Reinigungskraft. Diese Tätigkeit hat sie mehr als sechs Jahre, nämlich von Januar 1993 bis Juni 1999, verrichtet. Diese ist jedoch dann nicht ihr bisheriger Beruf im Rechtssinne, wenn sie zuvor eine nach dem vom BSG entwickelten Mehrstufenschema höherwertige Tätigkeit ausgeübt und keine sogenannte "Lösung" von diesem Beruf stattgefunden hat (vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 1984 - 11 RA 72/83 - BSGE 57, 291 = SozR 2200 § 1246 Nr. 126). Unstreitig hat die Klägerin den Ausbildungsbe-ruf einer Friseurin erlernt und in diesem Beruf bis August 1989, bis zu ihrer Ausreise aus Polen, versicherungspflichtig gearbeitet. Dieser Beruf, der eine Facharbeitertätigkeit darstellt und Berufsschutz mit der Folge einer Verweisungspflicht der Beklagten auslösen würde, kann
jedoch nicht als "letzter Beruf" der Klägerin zu Grunde gelegt werden, da sie sich von diesem Beruf im rentenrechtlichen Sinne "gelöst" hat. Unter welchen Voraussetzungen eine "Lösung" von einer höher qualifizierten Tätigkeit im Sinne des Mehrstufenschemas erfolgt, hat der 13. Senat des BSG in jüngerer Zeit in den Urteilen vom 20. Juli 2002 - B 13 RJ 13/02 R - und 21. Juni 2001 - B 13 RJ 45/00 R - (beide veröffentlicht in juris) zusammengefasst: "Eine berufliche Lösung ist immer dann zu bejahen, wenn der rentenrechtlich relevante Berufswechsel freiwillig erfolgt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 26. Mai 1965 - 4 RJ 183/62 - SozEntsch BSG 5 § 1246 (A) Nr. 18). Wurde die Arbeit dagegen gezwungenermaßen aufgegeben, ist zu unterscheiden: Waren dafür gesundheitliche Gründe verantwortlich, bleibt in der Regel der Berufsschutz erhalten, da sich insofern gerade das versicherte Risiko der gesetzlichen Rentenversicherung verwirklicht hat (vgl. Senatsurteil vom 9. Februar 1956 - 5 RKn 7/55 - BSGE 2, 182, 187; BSG vom 28. Mai 1963 - 12/3 RJ 44/61 - SozR Nr. 33 zu § 1246 RVO; BSG vom 12. Oktober 1993 - 13 RJ 71/92 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 38). Dabei müssen die gesundheitlichen Gründe nicht allein ursächlich gewesen sein; ausreichend ist, dass sie den Berufswechsel wesentlich mitverursacht haben (vgl. Senatsurteil vom 27. Juni 1974 - 5 RKn 38/73 - BSGE 38, 14 ff = SozR 2600 § 45 Nr 6). Lagen hingegen andere - insbesondere betriebliche - Gründe vor, ist eine Lösung vom "höherwertigen Beruf" jedenfalls dann anzunehmen, wenn sich der Versicherte sofort oder im Laufe der Zeit mit dem Wechsel endgültig abgefunden hat (vgl. Senatsurteil vom 9. November 1961 - 5 RKn 23/59 - BSGE 15, 212, 214 = SozR Nr 16 zu § 35 RKG aF; Senatsurteil vom 25. April 1978 - 5 RKn 9/77 - BSGE 46, 121, 123 = SozR 2600 § 45 Nr 22; Senatsurteil vom 30. Juli 1997 - 5 RJ 20/97 - veröffentlicht in juris). Das muss nicht freiwillig sein, sondern kann auch unter dem Druck der Verhältnisse geschehen (vgl. Senatsurteil vom 25. April 1978 - 5 RKn 9/77 - BSGE 46, 121 = SozR 2600 § 45 Nr 22 mwN). Nur wenn sich der Versicherte mit der dauerhaften Ausübung des geringerwertigen Berufs deshalb abfindet, weil er zur Wiederaufnahme der früheren höherwertigen Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen dauernd außer Stande ist, bleibt der Berufsschutz erhalten ( ) (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 1988 - 8/5a RKn 9/86 - SozR 2200 § 1246 Nr 158 S 513)". Durch die Rechtsprechung des BSG ist deshalb geklärt, dass eine auf gesundheitlichen Gründen beruhende Lösung vom höherwertigen Beruf für den Rentenanspruch wegen Berufsunfähigkeit grundsätzlich unschädlich ist und eine Ausnahme nur dann in Betracht kommt, wenn andere als gesundheitliche Gründe den Versicherten veranlassen, sich (resignierend) mit der dauerhaften Ausübung des neuen, minderqualifizierten Berufs abzufinden (vgl. Urteil des BSG vom 26. April 2005, Az. B 5 RJ 27/04 R, dokumentiert in juris, Rn. 18 ff = SGb 2005, 337). Vorliegend hat die Klägerin die Tätigkeit als Friseurin, die sie in Polen zuletzt ausgeübt hat, aus anderen als gesundheitlichen Gründen, nämlich wegen der Ausreise nach Deutschland, und damit freiwillig, aufgegeben. Unbeachtlich ist dabei zunächst, dass sie, wie sie angibt, bereits in Polen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in einem Friseursalon arbeitete, sondern an der Staatsoper. Sie hat selbst nicht bestritten, dass es sich dabei um eine Tätigkeit als Friseurin gehandelt hat. Zur Überzeugung des Senats hat die Klägerin in Deutschland nicht aus gesundheitlichen Gründen nicht in dem Friseurberuf gearbeitet, sondern weil sie eine entsprechende Tätigkeit nicht gefunden hat. Sie hat zwar gegenteiliges vorgetragen, die tatsächlichen Umstände sowie die Ermittlungsergebnisse tragen diese Einlassungen jedoch nicht. Der Senat stützt sich in erster Linie auf das Gutachten von Herrn Dr. H, der zur Frage des Vorliegens einer Berufsunfähigkeit bereits im Jahr 1989 auf Veranlassung des Senats explizit Stellung genommen hat. Er hat ausgeführt, dass die Klägerin im August 1989 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der Lage war, eine stehende Tätigkeit zu verrichten. Dies ent-nimmt er unter anderem der Tatsache, dass die Klägerin noch bis 1999 in der Lage war, eine überwiegend im Gehen und im Stehen auszuübende Tätigkeit, nämlich diejenige als Reini-gungskraft, auszuüben. Diese Tätigkeit wurde nach seiner Einschätzung auch nicht auf Kosten der Gesundheit verrichtet. Der Vortrag der Klägerin, dass sie eine Teilzeitstelle als Friseurin gesucht habe, diese aber nicht habe finden können und daher eine Teilzeitstelle als Reinigungskraft angenommen habe, ist nicht schlüssig. Vielmehr deutet alles daraufhin, dass sie eine Tätigkeit als Friseurin aus anderen als gesundheitlichen Gründen nicht gefunden hat, z.B. wegen Sprachschwierigkeiten. Die Klägerin spricht auch heute noch schlecht Deutsch. Es ist nicht erklärlich, warum jemand eine körperlich anstrengende Tätigkeit aufnimmt, weil er eine körperlich genauso oder sogar weniger belastende Tätigkeit angeblich aus gesundheitlichen Gründen nicht finden kann. Auch die vom Senat angeforderte Aufstellung der Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin stützt ihr Vorbringen nicht. Sie war danach im Jahre 1994 lediglich vier Tage arbeitsunfähig wegen einer Kniekehlenzyste, 1995 im Januar neun Tage wegen einer Handprellung und im Dezember
dieses Jahres zwölf Tage wegen eines ulcus ventriculi. Im Jahr 1997 war sie wegen Kreuzschmerzen zwölf Tage krankgeschrieben. Für das Jahr 1998 sind zwei Arbeitsunfähigkeiten dokumen-tiert, und zwar zwei Tage wegen Zahnschmerzen und ein Monat wegen eines Mammatumors. Dabei handelte es sich im Wesentlichen um akute Erkrankungen, lediglich die Arbeitsunfähigkeit im Jahre 1995 erfolgte wegen orthopädischer Beschwerden, die dann aber in der Folgezeit zunächst nicht mehr auftraten. Auch die beigezogenen Akten der Bundesagentur für Arbeit stützen den Vortrag der Klägerin nicht. Hieraus ergibt sich, dass noch im August 1994 anlässlich einer Neufestsetzung der Höhe der Arbeitslosenhilfe davon ausgegangen wurde, dass die Klägerin für eine Tätigkeit als Friseurin in Betracht komme. Daraus folgt, dass das (damalige) Arbeitsamt eine gesundheitliche Eignung der Klägerin für diesen Beruf annahm. Aus welchen Gründen die Klägerin eine ent-sprechende Tätigkeit nicht gefunden hat, lässt sich den Akten nicht entnehmen. Ob sie sich direkt nach ihrer Übersiedlung aus Polen beim Arbeitsamt um eine Stelle als Friseurin bemüht hat, lässt sich nicht mehr aufklären, da die Akten aus der Zeit vor 1994 nach Angaben der Agentur für Arbeit vom 24. November 2009 nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist nicht mehr vorliegen. Es spricht daher alles dafür, dass sich die Klägerin von Beruf der Friseurin aus anderen als gesundheitlichen Gründen gelöst hat, in erster Linie vermutlich wegen der Sprachprobleme, und sich mit dieser "Lösung", wenn auch gezwungenermaßen, abgefunden hat. Als ihr letzter Beruf ist damit derjenige der Reinigungskraft anzusehen. Damit liegt Berufsschutz nicht (mehr) vor und sie ist auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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