L 13 AS 5870/10 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 3111/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 5870/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 12. November 2010 aufgehoben.

Dem Kläger wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin H. Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung für das Klageverfahren S 14 AS 3111/10 bewilligt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Klägers hat Erfolg; sie ist zulässig und begründet.

Die Beschwerde ist statthaft (§ 172 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), frist- und formgerecht eingelegt (§ 173 SGG) und damit zulässig. Sie ist auch begründet; dem Kläger ist für das beim Sozialgericht Mannheim (SG) geführte Klageverfahren S 14 AS 3111/10 Prozesskostenhilfe (PKH) ohne Ratenzahlungsanordnung zu bewilligen. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Ist - wie in den Tatsacheninstanzen der Sozialgerichtsbarkeit - eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht vorgeschrieben, wird auf Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt beigeordnet, wenn diese Vertretung erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs. 2 ZPO). Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung des § 114 ZPO dem aus Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz abzuleitenden verfassungsrechtlichen Gebot entsprechen soll, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen. Daher dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden; hinreichende Erfolgsaussicht ist z. B. zu bejahen, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der die PKH begehrenden Partei ausgehen wird (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 29. September 2004 - 1 BvR 1281/04, Beschluss vom 14. April 2003 - 1 BvR 1998/02 und Beschluss vom 12. Januar 1993 - 2 BvR 1584/92 - alle veröffentlicht in Juris; Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17. Februar 1998 - B 13 RJ 83/97 - SozR 3-1500 § 62 Nr. 19, veröffentlicht auch in Juris; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 73a Rdnr. 7a m.w.N.) Wirft der Rechtsstreit hingegen eine Rechtsfrage auf, die in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt, aber klärungsbedürftig ist, liegt hinreichende Erfolgsaussicht ebenfalls vor; in diesem Fall muss PKH bewilligt werden (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 73a Rdnr. 7b unter Hinweis auf die Rspr. des BVerfG). Die Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH liegen vor; der Kläger ist nach seinen sich aus der Erklärung vom 30. August 2010 (nebst beigefügtem Bescheid der Beklagten vom 19. August 2010) ergebenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung auch nur zum Teil oder in Raten aufzubringen. Darüber hinaus kann auch eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage unter Beachtung obiger Maßstäbe nicht verneint werden. Gegenstand der in der Hauptsache geführten kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage ist der Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Juli 2010, mit dem der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. April 2010 bis 31. August 2010 (endgültig) bewilligt hat. Dieser Bescheid ist nur noch insoweit angefochten, als der Kläger Leistungen bereits für den Monat März 2010 (in Höhe von 589,89 EUR) sowie für den Monat April (um 420,00 EUR) höhere Leistungen begehrt. Ob der Kläger mit diesem Begehren zumindest teilweise erfolgreich sein wird, hält der Senat - anders als das SG - für offen.

Der Ansicht des SG, die vom Kläger als Anlagen K 3 und K 4 vorgelegten Darlehensverträge vom 28. Februar 2010 und vom 9. April 2010 hielten den Anforderungen der Rechtsprechung an die Berücksichtigungsfähigkeit solcher Verträge nicht stand, vermag sich der Senat - jedenfalls unter Zugrundelegung des bislang bekannten Sachverhalts - nicht anzuschließen. Das BSG hat in dem vom SG zitierten Urteil vom 17. Juni 2010 (B 14 AS 46/09 R - veröffentlicht in Juris = SozR 4-4200 § 11 Nr. 30) hierzu Folgendes ausgeführt:

"Entscheidend für die Abgrenzung ist damit allein, ob ein Darlehensvertrag entsprechend § 488 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zivilrechtlich wirksam abgeschlossen worden ist. Die Aufklärung der Umstände und ihre abschließende Würdigung obliegen dabei dem Tatsachengericht ... Um der Gefahr eines Missbrauchs von Steuermitteln entgegenzuwirken, ist es allerdings geboten, an den Nachweis des Abschlusses und der Ernstlichkeit eines Darlehensvertrages unter Verwandten strenge Anforderungen zu stellen. Dies setzt voraus, dass sich die Darlehensgewährung auch anhand der tatsächlichen Durchführung klar und eindeutig von einer verschleierten Schenkung oder einer verdeckten, auch freiwilligen Unterhaltsgewährung abgrenzen lässt. Weil und soweit der für den Hilfebedürftigen günstige Umstand, dass ein nachgewiesener Zufluss gleichwohl als Einkommen nicht zu berücksichtigen ist, seine Sphäre betrifft, obliegen ihm bei der Aufklärung der erforderlichen Tatsachen Mitwirkungspflichten; die Nichterweislichkeit der Tatsachen geht zu seinen Lasten. Bei der vorzunehmenden Prüfung, ob überhaupt ein wirksamer Darlehensvertrag geschlossen worden ist, können einzelne Kriterien des sog Fremdvergleichs (vgl. dazu im Einzelnen nur BFHE 165, 53) herangezogen und bei der abschließenden, umfassenden Würdigung aller relevanten Umstände des Einzelfalles mit eingestellt werden (vgl. schon BSGE 96, 238 = SozR 4-4220 § 6 Nr. 4 für eine behauptete Abtretung und BSG Urteil vom 24.5.2006 - B 11a AL 49/05 R für eine verdeckte Treuhandabrede). Dies scheidet bei der Beurteilung von Hilfebedürftigkeit nach §§ 9, 11 SGB II - anders als bei der Prüfung berücksichtigungsfähiger Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II aus Mietverhältnissen unter Verwandten (dazu BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 15 RdNr. 27 und Urteil des Senats vom 7.5.2009 - B 14 AS 31/07 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, juris RdNr. 20) - nicht schon aufgrund struktureller Unterschiede zum Steuerrecht aus, denn auch im Steuerrecht geht es bei der Beurteilung von Darlehensverträgen unter Familienangehörigen im Kern um die Abgrenzung zu Schenkung bzw. verdeckter Unterhaltsgewährung.

Die Wahrung von im Geschäftsverkehr üblichen Modalitäten (wie der Vereinbarung der in § 488 Abs. 1 BGB genannten weiteren Vertragspflichten) kann damit als ein Indiz dafür gewertet werden, dass ein Darlehensvertrag tatsächlich geschlossen worden ist. Demgegenüber spricht es etwa gegen die Glaubhaftigkeit einer solchen Behauptung, wenn der Inhalt der Abrede (insbesondere die Darlehenshöhe sowie die Rückzahlungsmodalitäten) und der Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht substanziiert dargelegt werden oder ein plausibler Grund für den Abschluss des Darlehensvertrages nicht genannt werden kann. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist aber nicht erforderlich, dass sowohl die Gestaltung (z. B. Schriftform, Zinsabrede oder Gestellung von Sicherheiten) als auch die Durchführung des Vereinbarten in jedem Punkte dem zwischen Fremden - insbesondere mit einem Kreditinstitut - Üblichen zu entsprechen hat. Ein solches gesondertes, neben die zivilrechtlichen Anforderungen tretendes Erfordernis (als weitere Tatbestandsvoraussetzung) ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus oder in Verbindung mit allgemeinen Grundsätzen. Vielmehr würden die mit dem strengen Fremdvergleich verbundenen Beschränkungen für die Vertragsgestaltung bei Darlehensgewährung, der im Übrigen auch in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nur auf bestimmte Fallgruppen angewendet wird, weder den tatsächlichen Verhältnissen noch der grundsätzlich gebotenen Respektierung familiärer Vertrauensbeziehungen gerecht (vgl. auch BVerwGE 132, 10 RdNr. 26 zur Wertbestimmung von Vermögen nach § 28 Abs. 1 und 3 Bundesausbildungsförderungsgesetz)."

Gemessen an diesen Grundsätzen dürften die vom Kläger vorgelegten Darlehensverträge, wenn deren Inhalt dem tatsächlich Vereinbarten entspricht, sogar den strengen Anforderungen des sog. Fremdvergleichs genügen. Dies allein - insoweit ist dem SG zuzustimmen - genügt für die Berücksichtigungsfähigkeit der vorgelegten Verträge allerdings noch nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass die schriftlichen Verträge das tatsächlich Vereinbarte wiedergeben und auch anhand der tatsächlichen Durchführung eine Schenkung oder verdeckte Unterhaltsgewährung klar und eindeutig ausgeschlossen werden kann. Diese Fragen können jedoch aufgrund des bislang bekannten Sachverhalts nicht abschließend beurteilt werden. Dem SG mag zuzustimmen sein, dass der Zeitpunkt der Vorlage der schriftlichen Darlehnsverträge (erst im Klageverfahren), ebenso wie das Fehlen von Belegen über Rückzahlungen, zumindest als Indizien gegen die Ernsthaftigkeit der vorgetragenen Darlehensvereinbarung gewertet werden können. Die Annahme, die Verträge seien im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) vom Kläger und seinen Eltern erst nachträglich erstellt und rückdatiert worden, erscheint - nach Aktenlage - hingegen eher spekulativ. Jedenfalls geht das SG fehl in der Annahme, die aufgezeigten Zweifel gingen unmittelbar zu Lasten des Klägers, weil die fraglichen Umstände dessen Sphäre beträfen. Das SG verkennt, dass eine Beweislastregel erst zum Tragen kommen kann, wenn sich der streitige Sachverhalt auch unter Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten nicht weiter aufklären lässt. Eine solche Fallgestaltung liegt hier ersichtlich (noch) nicht vor. Dafür, dass die Darlehensverträge tatsächlich - wie schriftlich niedergelegt - geschlossen worden sind, hat der Kläger bereits in der Klageschrift vom 30. August 2010 Beweis durch Vernehmung seiner Mutter Roswitha Schüssler und seines Vaters Werner Schüssler als Zeugen angeboten. Zumindest diese Beweise wird das SG zunächst zu erheben haben, bevor eine abschließende Beurteilung der Frage, ob der Vortrag des Klägers zutreffend ist - sei es auch nur im Sinne eines "non liquet" - möglich ist. Anhaltspunkte dafür, dass ein (für den Kläger) günstiges Ergebnis der Beweisaufnahme unwahrscheinlich bzw. die Erfolgschance nur eine entfernte ist (vgl. dazu nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 73a Rdnr. 7a mit Hinweisen auf die Rspr. des BSG), vermag der Senat nicht zu erkennen. Dementsprechend folgt hier bereits aus dem Erfordernis einer Beweiserhebung die hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne der Vorschriften über die PKH.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Diese Entscheidung ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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