S 13 AL 3975/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 AL 3975/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Voraussetzungen einer Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Alt. 2 SGB III sind nicht erfüllt, wenn einem Berufskraftfahrer gekündigt wird, weil ihm nach einer privaten Trunkenheitsfahrt die Fahrerlaubnis entzogen worden ist. Es fehlt an einem arbeitsvertragswidrigen Verhalten. Lediglich ein personenbedingter Kündigungsgrund liegt vor.
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 25.08.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.09.2009 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld ohne Sperrzeit ab dem 21.07.2009 zu zahlen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine zwölfwöchige Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe.

Er war seit dem 18.09.2000 als Busfahrer beschäftigt. Nach Ziffer 1.8 seines Arbeitsvertrags war Voraussetzung für diese Tätigkeit der Besitz der Fahrerlaubnis der Führerscheinklasse D/DE. Bei späterer Änderung dieser Voraussetzung (z. B. Entzug der Fahrerlaubnis) sei die Firma unverzüglich zu informieren. Sie sei zur (ggf. auch fristlosen) Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt.

Nach einer Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,95 Promille in der Nacht vom 10. auf den 11.07.2009 wurde dem Kläger die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. In der Verwaltungsakte findet sich die Mehrfertigung eines Strafbefehls des Amtsgerichts K., mit dem der Kläger wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen verurteilt wurde. Ferner wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen, der Führerschein eingezogen und eine Sperre nach § 69a StGB von zehn Monaten bestimmt. Nach dem arbeitsgerichtlichen Urteil (s. sogleich) reduzierte das Amtsgericht K. mit Urteil vom 30.09.2009 die Sperrfrist auf acht Monate.

Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos mit Schreiben vom 20.07.2009. Mit weiterem Schreiben vom 23.07.2009 kündigte er es hilfsweise ordentlich zum 31.10.2009. In beiden Schreiben wurde darauf hingewiesen, dass der Betriebsrat zu der Maßnahme gehört worden sei. Die Kündigungsschutzklage des Klägers wurde vom Arbeitsgericht K. mit Urteil vom 22.12.2009 als unbegründet abgewiesen (5 Ca 257/09). Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien sei durch die außerordentliche, fristlose Kündigung vom 20.07.2009 aufgelöst worden.

Der Kläger meldete sich am 22.07.2009 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.

Mit Bescheid vom 25.08.2009 stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit für die Dauer von zwölf Wochen fest. Der Kläger habe seine Beschäftigung wegen der Entziehung seiner Fahrerlaubnis verloren. Es sei davon auszugehen gewesen, dass der Arbeitgeber ein solches Verhalten nicht dulde, so dass der Verlust des Arbeitsplatzes leicht abzusehen gewesen sei. Die Sperrzeit mindere den Anspruch auf Arbeitslosengeld um 90 Tage, ein Viertel der Anspruchsdauer.

Mit weiterem Bescheid vom selben Tag bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld vom 22.07.2009 bis 11.07.2010. Bis zum 12.10.2009 wurde ein Leistungsbetrag von 0 EUR täglich bewilligt, danach von 38,73 EUR. Zur Begründung heißt es u.a., dass das Bemessungsentgelt 76,73 EUR betrage und wegen einer zwölfwöchigen Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe der Anspruch vom 21.07. bis 12.10.2009 um 90 Tage gemindert werde.

Der Kläger legte Widerspruch ein. Ihm sei der Führerschein für zehn Monate entzogen worden, weil er während einer Privatfahrt mit Alkohol gefahren sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 07.09.2009 als unbegründet zurück. Das Beschäftigungsverhältnis sei wegen vertragswidrigen Verhaltens des Klägers gelöst worden. Dieses sei in der privaten Trunkenheitsfahrt zu sehen, die zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt habe. Der Kläger habe damit rechnen müssen, dass der Arbeitgeber das Beschäftigungsverhältnis fristlos beenden würde. Die Pflicht eines Berufskraftfahrers, seinen Dienst unbeeinflusst von Alkohol auszuüben, begründe eine arbeitsvertragliche Pflicht zur Abstinenz auch während der Freizeit. Außerdem sei der Besitz der Fahrerlaubnis Geschäftsgrundlage für die Erfüllung des Arbeitsvertrages, der Arbeitnehmer habe sich auch in der Freizeit so zu verhalten, dass diese Grundlage nicht entzogen werde. Entscheidend für den Eintritt einer Sperrzeit sei nicht der Entzug der Fahrerlaubnis, sondern das zu dieser Maßnahme führende Verhalten des Klägers. Selbst wenn das private Fehlverhalten nicht zum Entzug der Fahrerlaubnis führe, könnte dies Anlass für eine verhaltensbedingte Kündigung sein. Die Arbeitslosigkeit sei daher zumindest grob fahrlässig herbeigeführt worden. Ein wichtiger Grund sei nicht erkennbar, ein Sachverhalt, der eine Verkürzung der Sperrzeit zulasse, liege nicht vor. Persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse dürften nicht berücksichtigt werden.

Der Kläger hat am 09.09.2009 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zur Begründung trägt er vor, er habe die Arbeitslosigkeit nicht vorsätzlich und auch nicht grob fahrlässig herbeigeführt. Er werde für sein Fehlverhalten im privaten Bereich bestraft. Eine weitere Bestrafung durch die Verhängung einer Sperrzeit von zwölf Wochen würde eine besondere Härte bedeuten.

Der Kläger beantragt sachdienlich,

die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 25.08.2009 in Gestalt des Wider-spruchsbescheids vom 07.09.2009 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld ohne Sperrzeit ab dem 21.07.2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsbescheid.

Das Gericht hat die Akte zum arbeitsgerichtlichen Verfahren beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird darauf sowie auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, da er in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 110 Abs. 1 Satz 2, § 126 SGG).

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. dazu wegen der Einheit des Sperrzeit- und des Bewilligungsbescheids das Urteil des Bay. LSG vom 23.07.2009, L 8 AL 340/06) zulässig und begründet.

Der Kläger hat gemäß §§ 117 ff. SGB III einen Anspruch auf die Bewilligung von Arbeitslosengeld ohne Leistungsminderung. Die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen sind erfüllt, wegen der Leistungshöhe wird zunächst auf den Bewilligungsbescheid vom 25.08.2009 verwiesen (§ 136 Abs. 3 SGG). Zwischen den Beteiligten ist allein streitig, ob die Voraussetzungen für eine Sperrzeit nach § 144 SGB III vorlagen. Nach Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit, wenn sich der Arbeitnehmer versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. In Betracht kommt allein eine Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Alt. 2 SGB III. Voraussetzung ist, dass der Arbeitslose durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat.

Der Kläger hat sich jedoch nicht arbeitsvertragswidrig verhalten (so i.E. auch Valgolio in: Hauck/Noftz, SGB III, Stand Lfg. 3/07, § 144 Rn. 67 ff. sowie Winkler in: Gagel, SGB III, Stand 36. EL, § 144 Rn. 70 jeweils m.w.N. auch aus der Rechtsprechung; aA BSG, Urteil vom 06.03.2003, B 11 AL 69/02 R, BSGE 91, 18; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.1998; L 12 AL 3260/97). Eine rein private Trunkenheitsfahrt, die zwar zum Verlust der Fahrerlaubnis führt, aber nicht dazu, wegen fortwirkender Alkoholisierung die Arbeitsleistung nicht ordnungsgemäß erbringen zu können, stellt keine Verletzung des Arbeitsvertrags dar. Dieser enthält entgegen der Auffassung der Beklagten kein Gebot, sich auch in der Freizeit abstinent zu verhalten. Insbesondere kommt es nicht in Betracht, eine sich derart weitreichend auf die private Lebensgestaltung auswirkende Pflicht ohne ausdrückliche Vereinbarung als bloße ungeschriebene Nebenpflicht anzunehmen (vgl. allgemein Preis in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 10. Auflage 2010, § 611 BGB Rn. 730 ff.; aA BSG, aaO). Dass der Kläger während seiner Arbeitszeit noch unter dem Einfluss von Restalkohol gestanden hat, hat die Beklagte jedoch nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Vielmehr hat der Arbeitgeber bei den Betriebsratsanhörungen gemäß § 102 BetrVG am 15.07.2009 als Begründung für die beabsichtigte außerordentliche, fristlose bzw. ordentliche und fristgerechte Kündigung allein angegeben, dass dem Kläger in der Nacht vom 10. zum 11.07.2009 der Führerschein wegen Alkoholkonsums entzogen worden sei.

Eine Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe kommt im Übrigen nur dann in Betracht, wenn das Verhalten des Klägers eine verhaltensbedingte Kündigung veranlasst und gerechtfertigt hätte (BSG, aaO). Zwar hält die Kammer die außerordentliche, fristlose Kündigung des Klägers für rechtmäßig und schließt sich insoweit nach eigener Prüfung der Entscheidung des Arbeitsgerichts an. Der wichtige Grund nach § 626 Abs. 1 BGB liegt aber allein in der Entziehung der Fahrerlaubnis, die zur Folge hatte, dass der Kläger seine Arbeitspflicht jedenfalls vorübergehend nicht mehr erfüllen konnte, ohne dass eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen freien Arbeitsplatz möglich war. Es handelte sich insoweit um keine verhaltens-, sondern eine personenbedingte Kündigung (ebenso Berkowsky in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 3. Auflage 2009, § 114 Rn. 133).

In der Güteverhandlung vorm Arbeitsgericht am 24.09.2009 wies der Kammervorsitzende darauf hin, dass eine Trunkenheitsfahrt im Privatbereich sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf das Arbeitsverhältnis als personenbedingter Kündigungsgrund auswirken könne. Auch die Kammer versteht die Rechtsprechung des BAG auf diese Weise und schließt sich der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht an (ausdrücklich ablehnend auch SG Stuttgart, Urteil vom 18.07.2007, S 20 AL 7291/05, sowie SG Kassel, Urteil vom 07.12.2007, S 3 AL 2245/04). Im Urteil des BAG vom 04.06.1997 (2 AZR 526/96) heißt es, dass zwar ein nicht auf Alkoholabhängigkeit beruhender Alkoholmissbrauch im Betrieb an sich geeignet sei, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen, dass es aber "schon sehr fraglich" erscheine, ob diese Rechtsprechung ohne weiteres auf einen Alkoholmissbrauch im privaten Bereich übertragen werden könne, wenn dies in den dienstlichen Bereich hineinwirke. Die vom BAG nicht beanstandete Anmerkung der Vorinstanz, personen- und verhaltensbedingte Gründe gingen ineinander über, war für das Landesarbeitsgericht allein insoweit von Bedeutung, ob gleichwohl eine Abmahnung erforderlich war, bezog sich aber nicht (mehr) auf den Kündigungsgrund. Für das BAG kam es darauf auch nicht an, da es in ausdrücklicher Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung entschied, das Abmahnungserfordernis sei zu prüfen, "bei jeder Kündigung, die wegen eines steuerbaren Verhaltens des Arbeitnehmers oder aus einem Grund in seiner Person ausgesprochen wurde, den er durch sein steuerbares Verhalten beseitigen, wenn also eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden konnte". Schließlich konnte das BSG noch nicht das Urteil des BAG vom 05.06.2008 (2 AZR 984/06) berücksichtigen, in dem der Verlust einer Fahrerlaubnis bei einem Kraftfahrer mit der Folge eines gesetzlichen Beschäftigungsverbots allein als möglicher personenbe-dingter Grund zur Kündigung bezeichnet wurde.

Der insoweit allein feststellbare – und vom Arbeitgeber allein geltend gemachte – personenbedingte Kündigungsgrund ist aber auch nach Auffassung des BSG sperrzeitneutral. Die Beklagte war daher antragsgemäß zu verurteilen, dem Kläger Arbeitslosengeld zu zahlen, ohne die Leistung wegen einer Sperrzeit ab dem 21.07.2009 zu kürzen. Auf die Frage, ob eine besondere Härte im Sinne von § 144 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 lit. b) SGB III vorlag (dafür Niesel in: Ders., SGB III, 4. Aufl. 2007, § 144 Rn. 48 und 54), kam es nicht an. Mit der Sperrzeit entfällt auch die Minderung der Anspruchsdauer nach § 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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