L 4 KR 854/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 1 KR 2711/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 854/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 14. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Versorgung mit einem Laptop als Hilfsmittel für den Schulunterricht.

Die am 2000 geborene Klägerin besucht seit September 2007 die Grundschule. Sie ist bei der Beklagten familienversichert. Seit früher Kindheit leidet sie an spinaler Muskelatrophie. Kinderarzt Dr. A. stellte am 27. Februar 2008 eine Verordnung über ein Laptop aus. Dies wurde mit Schreiben der Lehrerin B. vom 14. Februar 2008 damit unterstützt, wegen der fortschreitenden Schädigung der motorischen Nervenzellen würden die Schreibleistung und die Kraftreserven für den Aufdruck beim Schreiben immer mehr nachlassen, während bekanntlich die Leistungsanforderungen in der Schule überproportional anstiegen. Es handle sich mithin um einen unabdingbaren Nachteilsausgleich für Behinderte.

Unter Vorlage dieser Schriftstücke beantragte der Vater der Klägerin am 29. Februar 2008 bei der Beklagten die Versorgung mit einem Laptop. Ärztin Dr. G.-B. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) in Pforzheim erstattete das sozialmedizinische Gutachten vom 11. März 2008. Auch in Kenntnis der gesundheitlichen Lage der Klägerin handle es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und nicht um ein Hilfsmittel. Durch Bescheid vom 18. März 2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Laptop habe keine Hilfsmittelqualitäten.

Die Eltern der Klägerin erhoben Widerspruch. Lehrerin B. habe die Begründung für das Erfordernis eines Laptop schlüssig und unwidersprochen dargelegt. Das Hilfsmittel diene der Erfüllung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens. Die Schulfähigkeit eines behinderten Schülers müsse sichergestellt sein. Ärztin d. V. vom MDK T. erstattete das sozialmedizinische Gutachten vom 14. April 2008. Auch wenn glaubhaft sei, dass das begehrte Gerät bei zunehmender Kraftminderung die fehlende Kraft beim Schreiben ausgleiche, handle es sich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), insbesondere Urteil vom 30. Januar 2001 - B 3 KR 10/00 R - (SozR 3-2500 § 33 Nr. 40), um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 08. September 2008. Es handle sich um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, der üblicherweise von einer großen Zahl von Personen regelmäßig genutzt werde. Nach der Rechtsprechung komme es auf die Verbreitung eines Geräts, das im Grundsatz von allen Menschen unabhängig von ihrem Alter genutzt werden könne, nicht an. Eine behinderungsausgleichende Zusatzeinrichtung sei nicht gefordert.

Bereits am 29. Juli 2008 wurde für die Klägerin zum Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben, zunächst als Untätigkeitsklage. Diese wurde nach Erlass des Widerspruchsbescheids vom 08. September 2008 als Anfechtungs- und Leistungsklage weitergeführt. Die Klägerin trug vor, die Kraftreserven beim Schreiben würden zunehmend nachlassen. Die Wahrscheinlichkeit für den Besuch einer weiterführenden Schule sei als hoch einzuschätzen. Sie dürfe nicht in ihrer schulischen Entwicklung benachteiligt werden, sondern es müssten alle geeigneten und erforderlichen Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden. Dies werde durch den begehrten Laptop gesichert. Den Voraussetzungen entspreche das Modell von Samsung Q 45-Aura T 5550 Tisla zum Preis von EUR 799,00. Unter den gegebenen Umständen könne nicht von einem allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens gesprochen werden. Ein Laptop sei von seiner Konzeption her nicht vorwiegend für den Gebrauch durch Kinder im Grundschulalter gedacht. Demgemäß sei zur Sicherstellung der Schulfähigkeit eines behinderten Schülers die Versorgung Aufgabe der gesetzlichen Krankenkasse. Die Rechtsprechung habe ausdrücklich nur betont, dass die Ausstattung mit Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens dann nicht zur notwendigen Versorgung zähle, wenn es sich um eine über die elementare Schulausbildung hinausgehende Ausbildung zur Ausübung qualifizierter Berufe handle. Hier aber gehe es um die elementare Schulausbildung. Derzeit könne sie, die Klägerin, nur einen völlig ungeeigneten, veralteten und schweren Laptop ihrer Mutter verwenden. Vergleichbar etwa mit einer Orthese müsse das begehrte Hilfsmittel genau passen, da es sonst seinen Zweck verfehle.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Auf die Begründung des Widerspruchsbescheids sei zu verweisen. Keine allgemeinen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens seien Geräte, die speziell für die Bedürfnisse behinderter Menschen entwickelt und hergestellt worden seien und von diesem Personenkreis auch ausschließlich oder ganz überwiegend benutzt würden. Der hier begehrte Laptop sei nicht überwiegend für Behinderte und Kranke konzipiert. Auf Fragen des Behinderungsausgleichs komme es nicht an.

Durch Urteil vom 14. Oktober 2009 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung legte es dar, es handle sich um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Das hier im Streit stehende Gerät verfüge über keine besondere Ausstattung in Bezug auf behinderte Nutzer. Maßgeblich sei die Konzeption und der Anwendungsbereich des Geräts, das hier keinerlei Zusatzausstattung für Kranke oder Behinderte aufweise.

Gegen das am 12. Februar 2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19. Februar 2010 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie verbleibt dabei, bei der Auslegung dessen, was Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens seien, dürfe das Lebensalter nicht wesentlich außer Acht gelassen werden. Es dürfe nicht darauf ankommen, dass der Hersteller das Gerät nicht speziell für junge Muskelschwache konzipiert habe. Der ansonsten völlig unübliche Gebrauch eines solchen Geräts in diesem Lebensalter müsse den Anspruch begründen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 14. Oktober 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 18. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08. September 2008 zu verurteilen, ein Laptop Samsung Model Q 45-Aura T 5550 Tisla zur Verfügung zu stellen, hilfsweise sie mit einem gleichwertigen und gleichgeeigneten Modell eines anderen Herstellers zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf ihr bisheriges Vorbringen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über welche der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig; der für den begehrten Laptop genannte Rechnungsbetrag von EUR 799,00 überschreitet den Beschwerdewert von EUR 750,00 (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung kann jedoch in der Sache keinen Erfolg haben. Es besteht kein Anspruch auf Versorgung mit dem begehrten Gerät im Sinne eines Hilfsmittels der gesetzlichen Krankenversicherung.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V u.a. die Versorgung mit Hilfsmitteln. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG -) vom 26. März 2007 (BGBl. I S. 378) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 (Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis) ausgeschlossen sind. Ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens liegt dann vor, wenn er nicht speziell zur Behandlung oder für die Verwendung kranker oder behinderter Personen hergestellt und verbreitet wird (vgl. z.B. BSG SozR 4-2500 § 33 Nrn. 12 und 13; SozR 3-3300 § 40 Nr. 7, ständige Rechtsprechung).

Der von der Klägerin begehrte Laptop ist in diesem Sinne ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Denn es handelt sich um einen handelsüblichen Laptop. Das Gerät dient, ähnlich wie herkömmliche Schreibmaschinen, vorrangig der Erleichterung von Schreibarbeiten. Der an Muskelatrophie erkrankten Klägerin würde hierdurch ein günstiger Einsatz ihrer geschwächten Finger und Hände ermöglicht. Wenn auch wie von der Klägerin geltend gemacht ein dem Lebensalter und den aktuellen Einsatzmöglichkeiten der Finger und Hände angepasstes Modell auszusuchen wäre, handelt es sich in keiner Weise um ein speziell behindertengerecht konzipiertes Gerät, auch ist keinerlei behinderungsbedingte Zusatzausstattung erforderlich (vgl. hierzu eingehend BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 22; SozR 4-2500 § 33 Nr. 6).

Der Einstufung des begehrten Geräts in Normalausstattung als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens steht nicht der Umstand entgegen, dass die Klägerin erst im Grundschulalter ist und Kinder dieses Alters möglicherweise ein solches Gerät nur in Einzelfällen besitzen. Die Einordnung als allgemeiner Gebrauchsgegenstand hängt nur davon ab, ob ein Gerät nach seiner Konzeption den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern oder eine Behinderung ausgleichen soll oder, wenn das nicht der Fall ist, ob das Gerät den Bedürfnissen erkrankter oder behinderter Menschen jedenfalls besonders entgegenkommt und von diesem Personenkreis deshalb vermehrt genutzt wird, ohne schon eine verbreitete Verwendung in der allgemeinen Bevölkerung gefunden zu haben (vgl. BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 16 - Lese-Sprechgerät -, BSGE 77, 209 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 19 -Telefaxgerät -, BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 20 - Luftreinigungsgerät). Auf die Verbreitung eines Geräts, das im Grundsatz von allen Menschen, die damit umzugehen verstehen, unabhängig von ihrem Alter genutzt werden kann, in einer bestimmten Altersgruppe, kommt es dabei nicht an. Durch die Benutzung als allgemeiner Gebrauchsgegenstand verliert es seine spezifische medizinische Ausrichtung und damit die Hilfsmitteleigenschaft (vgl. nochmals BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 22). Dem steht nicht etwa die Entscheidung des BSG zu Einmalwindeln für Erwachsene (BSGE 66, 245 = SozR 3-2500 § 33 Nr. 1) entgegen, weil die üblicherweise für Säuglinge und Kleinkinder produzierten bei Erwachsenen in dieser Form nicht verwendet werden können. Im Fall des begehrten Laptop scheitert eine solche Ausnahmeregelung daran, dass gleichaltrige Kinder ein solches Gerät lediglich aus finanziellen oder auch pädagogischen Erwägungen noch nicht benutzen.

Zuletzt kann es auch nicht darauf ankommen, dass die Klägerin der Schulpflicht unterliegt und sie deshalb ein zur Sicherung der Schulfähigkeit dienendes Hilfsmittel begehrt. Auch insoweit kommt eine Leistungspflicht nur bei speziell behinderungsgerechter Ausstattung oder Zusatzausstattung in Betracht (vgl. nochmals BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 22; SozR 4-2500 § 33 Nr. 6).

Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin aufgrund anderer Vorschriften des Sozialgesetzbuchs Anspruch auf die begehrte Versorgung mit dem begehrten Laptop hat, gibt es nicht. Zu denken wäre allenfalls an Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 5 Nr. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX -). Zuständig für die Gewährung dieser Leistungen sind unabhängig davon, ob die Beklagte dies hätte prüfen müssen, weil sie den Antrag nicht weitergeleitet hat (§ 14 SGB IX) - nach § 6 Nrn. 3, 5, 6 und 7 SGB IX nur die Rehabilitationsträger der gesetzlichen Unfallversicherung, der Kriegsopferversorgung und Kriegsopferfürsorge, der öffentlichen Jugendhilfe und der Sozialhilfe. Dass die Klägerin die Voraussetzungen für Leistungen aus diesen Bereichen der sozialen Sicherung erfüllt, ist nicht ersichtlich und auch nicht von ihr behauptet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision bestand angesichts der referierten gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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