Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 4158/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1880/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 11.03.2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der am 1961 in K. geborene Kläger reiste 1994 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nachfolgend arbeitete er bis September 1999 als Maschinenarbeiter. Seither ist er arbeitsunfähig bzw. arbeitslos. In den Jahren 2005 bis 2008 übte er eine geringfügige, versicherungsfreie Beschäftigung aus. Seine letzte Pflichtbeitragszeit endete im November 2005. Wegen des Inhalts seines rentenrechtlichen Versicherungsverlaufs vom Dezember 2009 wird auf Blatt 110 bis 113 der Akte des Sozialgerichts (SG) Bezug genommen. Die für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung notwendigen besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind - so die Wartezeitaufstellung der Beklagten vom Juni 2010 (Bl. 13/14 LSG-Akte) - nach aktuellem Stand nur noch für einen Leistungsfall bis spätestens Dezember 2007 erfüllt.
Mit Urteil vom 14.09.2004 wies das SG Ulm (S 1 RJ 1574/01) die auf einem Rentenantrag vom September 2000 beruhende Klage auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab. Der Kläger könne trotz eines chronischen rechtsseitigen Halbseitenschmerzsyndroms ohne somatisches Korrelat, eines degenerativen Lendenwirbelsäulensyndroms mit Spondylarthrosen und einer Dysthymia unter Berücksichtigung seines deutlichen Rentenwunsches mit Aggravationstendenzen vollschichtig arbeiten. Der Entscheidung lagen unter anderem Gutachten des Orthopäden Dr. H. und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. T. sowie der Entlassungsbericht der während der im Mai/Juni 2004 in der Sch. Bad B. durchgeführten stationären Rehabilitationsmaßnahme zugrunde. Im Laufe des hiergegen vom Kläger anhängig gemachten Berufungsverfahrens (L 3 R 4695/04) nahm der Kläger im Frühjahr 2006 die Klage zurück.
Im November 2007 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rehabilitationsmaßnahme. Diesen Antrag lehnte die Beklagte noch im selben Monat ab. In diesem Zusammenhang fand am 18.12.2007 ein Gespräch zwischen dem Kläger und einem Mitarbeiter der Beklagten statt. Eigentlich wollte der Kläger einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente stellen. Nachdem der Berater der Beklagten jedoch dem Versichertenkonto entnahm, dass eine Rehabilitationsmaßnahme im Jahr 2006 nach wenigen Tagen aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen wurde und von augenscheinlichen aktuellen Problemen des Klägers mit dem Laufen ausging, sah er einen Vorrang der Rehabilitationsmaßnahme vor einer Erwerbsminderungsrente. Der Kläger und der Berater kamen daher überein, dass der Kläger gegen den Reha-Ablehnungsbescheid Widerspruch einlegte und dieser Widerspruch im Falle der Ablehnung als Rentenantrag gelten sollte.
Die bislang abgelehnte Rehabilitationsmaßnahme wurde nachfolgend bewilligt und im April/Mai 2008 wieder in der Sch. Bad B. (Abteilung Psychosomatik/Psychotherapie) durchgeführt. Im Entlassungsbericht diagnostizierte Dr. Müller eine Schmerzfehlverarbeitung, eine mittelgradige rechtsseitige Lumboischialgie und eine Adipositas. Der Kläger habe massive Aggravationstendenzen gezeigt. Unter Herausnahme dieser Tendenzen sei er unter zumutbarer Willensanstrengung in der Lage, Tätigkeiten als Maschinenbediener und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Zwangshaltungen der Wirbelsäule und der unteren Extremitäten, häufiges Bücken und Arbeiten in der Hocke oder im Knien mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.
Am 18.06.2008 ging bei der Beklagten ein "nochmaliger" formloser Rentenantrag ein. Der Formantrag wurde im Juli 2008 nachgereicht. Darin gab der Kläger an, ca. seit dem Jahr 1999 keine Arbeiten mehr verrichten zu können. Mit Bescheid vom 21.07.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.10.2008 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien im Jahr 2008 nicht mehr erfüllt. Es liege auch keine Erwerbsminderung vor. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit komme nicht in Betracht, da der Kläger nach dem 01.01.1961 geboren sei.
Deswegen hat der Kläger beim SG am 26.11.2008 Klage erhoben. Das SG hat insgesamt sieben behandelnde Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. hat für seinen Behandlungszeitraum von Februar 2003 bis März 2009 mit sechs Patientenkontakten von einer Zunahme des Chronifizierungsgrades der somatoformen Schmerzstörung und der Entwicklung einer leichten Unterschenkelatrophie rechts berichtet. Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Sch. hat mitgeteilt, subjektiv halte sich der Kläger nicht für in der Lage, sechs Stunden täglich zu arbeiten, objektiv sei dies schwer zu beurteilen. Der Facharzt für Anästhesiologie L. hat über die im Januar 2009 aufgenommene Behandlung des Klägers berichtet. Er hat den Kläger wegen einer multilokulären, therapierefraktären Schmerzproblematik nicht in der Lage gesehen, eine leichte Tätigkeit sechs Stunden täglich zu verrichten. Der kommissarische Leiter der Orthopädie in der Klinik am Dr. N. hat angegeben, den Kläger nur einmal im Juni 2007 gesehen zu haben. Der Internist (Lungen-/Bronchialheilkunde) Dr. Sch. , der Orthopäde Dr. E. und der Augenarzt Dr. N. haben keine Bedenken gegen eine sechsstündige leichte Tätigkeit des Klägers geäußert. Die Beklagte hat ergänzende Stellungnahmen ihres Sozialmedizinischen Dienstes - Obermedizinalrat F. - vorgelegt.
Mit Urteil vom 11.03.2010 hat das SG unter Mitwirkung eines noch unvereidigten ehrenamtlichen Richters die Klage abgewiesen. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien beim Kläger bereits seit dem 01.12.2007 und damit zum Zeitpunkt seines Rentenantrags vom 04.07.2008 nicht mehr erfüllt. Eine Umdeutung des Rehabilitationsantrags käme nicht in Betracht, da die Maßnahme nicht erfolglos gewesen sei.
Gegen das ihm am 26.03.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.04.2010 Berufung eingelegt. Er rügt die nicht ordnungsgemäße Besetzung der erkennenden Kammer des SG. Im Übrigen macht er geltend, der Rehabilitationsantrag vom November 2007 sei in einen Rentenantrag umzudeuten, falls schon damals Erwerbsminderung vorgelegen hätte. Zum Nachweis hierfür wünscht er die Einholung eines Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Zwar sei angesichts der letztmalig im Dezember 2007 gegebenen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der aktuelle Gesundheitszustand des Klägers nicht mehr entscheidungserheblich. Der potentielle Sachverständige könne jedoch gegebenenfalls vom aktuellen Zustand auf den damaligen Zustand rückschließen. Verbleibende Restzweifel gingen wegen Beweisvereitelung zu Lasten der Beklagten. Diese habe im Dezember 2007 den Kläger nicht ordnungsgemäß beraten, so dass auch ein Herstellungsanspruch bestehe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 11.03.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21.07.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2008 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren,
hilfsweise ein Gutachten nach § 109 SGG bei Dr. Kölsch einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
II.
Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 SGG zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Zwar war das SG wegen der Mitwirkung eines noch unvereidigten ehrenamtlichen Richters an der Entscheidung nicht ordnungsgemäß besetzt (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar 9. Aufl. Rdnr. 4). Der Senat sieht jedoch keinen Anlass, die Sache gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG an das SG zurückzuverweisen. Der Senat entscheidet vielmehr in der Sache.
Die geltend gemachten Ansprüche richten sich nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2; sog Drei-Fünftel-Belegung bzw. besondere versicherungsrechtliche Voraussetzungen) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Nach diesen Maßstäben steht dem Kläger eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nicht zu. Er hat zwar, wie sich aus dem Versicherungsverlauf vom 17.12.2009 ergibt, die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI). Jedoch wären die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 SGB VI - wie sich ebenfalls aus dem Versicherungsverlauf vom 17.12.2009 und der Wartezeitaufstellung der Beklagten vom 10.06.2010 ergibt - nur für einen Versicherungsfall im Dezember 2007 erfüllt. Der Senat kann sich nicht davon überzeugen, dass eine Erwerbsminderung spätestens im Dezember 2007 eintrat. Die anspruchsbegründenden Tatsachen müssen aber erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Ist ein solcher Nachweis nicht möglich, geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
Der Senat geht davon aus, dass der Kläger im Dezember 2007 noch in der Lage war, leichte Tätigkeiten ohne Zwangshaltungen der Wirbelsäule und der unteren Extremitäten, ohne häufiges Bücken und ohne Arbeiten in der Hocke oder im Knien mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Er stützt sich dabei insbesondere auf den Entlassungsbericht der Sch. Bad B. vom Mai 2008. Danach liegen beim Kläger zwar eine krankhafte Schmerzfehlverarbeitung und eine mittelgradige rechtsseitige Lumboischialgie sowie eine Adipositas vor. Diese Gesundheitsstörungen sind jedoch nicht so gravierend, dass eine Tätigkeit im eben beschriebenen Umfang ausgeschlossen wäre, auch wenn dies der Kläger anders darzustellen versucht. Denn von Seiten der Ärzte der Sch. Bad B. wurden erhebliche Aggravationstendenzen festgestellt, von deren Vorliegen auch der Senat überzeugt ist. Beispielsweise demonstrierte der Kläger auf dem Weg aus der Wartezone in das Untersuchungszimmer sowie anfänglich nach Aufforderung bei der körperlichen Untersuchung zwei unterschiedliche, jeweils deutlich auffallende, schleppende hinkende Gangbilder. Bei Ablenkung im Gespräch und längerer Gehdauer ließ sich jedoch ein flüssiges Gangbild ohne spezifische Auffälligkeiten beobachten. Eine zunächst spontan demonstrierte Körperhaltung mit Rundrücken und Überhang des Oberkörpers nach links korrigierte der Kläger nach mehrfacher Aufforderung selbständig problemlos in eine vernünftige Haltung. Die Motivationslage des Patienten wurde auch in der durchgeführten Belastungserprobung als problematisch beschrieben. Während der Kläger in subjektiven Beobachtungssituationen deutliche Schmerzäußerungen, schmerzverzerrte Körperhaltungen und ähnliches zeigte, wurde er mehrmals von unterschiedlichen Personen in subjektiv unbeobachteten Situationen deutlich gelockerter angetroffen.
Die Darstellungen im Entlassungsbericht stellen eine erneute Bestätigung der Ausführungen des SG Ulm im Urteil vom 14.09.2004 dar. Zwar ging das SG damals von abweichenden Diagnosen - beispielsweise Dysthymia statt Schmerzfehlverarbeitung - aus. Die Beschwerdekomplexe sind jedoch im Wesentlichen identisch. Vor allem stellte das SG schon damals deutliche Aggravationstendenzen des Klägers fest. Für den Senat ist aber nicht ersichtlich, dass sich bis Dezember 2007 am Gesundheitszustand und am Leistungsvermögen etwas Wesentliches änderte. Der Entlassungsbericht der im Jahr 2008 durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme belegt das Gegenteil.
Gegen eine Änderung sprechen zudem die eigenen Angaben des Klägers bei der Rentenantragstellung im Jahr 2008. Ausdrücklich machte er eine Leistungsunfähigkeit seit dem Jahr 1999 geltend. Daraus kann gerade nicht auf eine maßgebliche Änderung seines Gesundheitszustands in den Jahren 2006 oder 2007 geschlossen werden.
Auch aus den vom SG eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen ergeben sich jedenfalls für die Zeit bis Dezember 2007 keine Anhaltspunkte für eine maßgebliche Änderung des Gesundheitszustands seit der Klagerücknahme im Frühjahr 2006. Dr. S. hat in der Zeit von März 2006 bis März 2009 trotz der Entwicklung einer leichten Unterschenkelatrophie und einer Zunahme des Chronifizierungsgrades der somatoformen Schmerzstörung keine wesentliche Befundänderung gesehen. Im Übrigen hat er den Kläger selbst im Jahr 2009 noch für in der Lage erachtet, leichte körperliche Arbeiten sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Damit hat er die Einschätzung im Entlassungsbericht der Sch. Bad B. aus dem Jahr 2008 bestätigt.
Soweit der Kläger im Juni 2009 auf eine zunehmende Verschlechterung seines Zustandes, insbesondere im Hinblick auf Schmerzen und Bewegungseinschränkungen am rechten Arm, der Schulter und dem Hals sowie täglichen Kopfschmerzen mit Auswirkungen auf die Augen hingewiesen hat, ist festzuhalten, dass bereits das SG im Urteil vom September 2004 von einem chronischen rechtsseitigen Halbseitenschmerzsyndrom ausging und der befragte Augenarzt Dr. N. im augenärztlichen Bereich im Juni 2009 keine rentenrechtlich relevante Gesundheitsstörung gesehen hat.
Ob der Anästhesiologe L. im Rahmen seiner sachverständigen Zeugenaussage zu Recht von einer zeitlichen Einschränkungen des Leistungsvermögens des Klägers auf unter sechs Stunden täglich ausgegangen ist, kann an sich dahingestellt bleiben. Denn er behandelte den Kläger erstmals im Januar 2009 und kann somit keine Aussage zum hier allein maßgeblichen Beschwerdebild im Dezember 2007 machen. Zudem ist, worauf Obermedizinalrat F. überzeugend hingewiesen hat, davon auszugehen, dass der Anästhesiologe L. die vom Kläger geschilderten Beschwerden nicht weiter hinterfragt und damit im Unterschied zu den eingehenden Darstellungen im Entlassungsbericht der Sch. Bad B. vom Mai 2008 nicht zwischen subjektiven Beschwerden und objektiven Befunden bzw. zwischen Befunden in gezielten Untersuchungssituationen und Beobachtungen außerhalb solcher Situationen unterschieden hat. Dazu hätte aber angesichts der Vorbefunde Veranlassung bestanden, umso mehr als der Anästhesiologe das Gangbild des Klägers selbst als "demonstrativ" schmerzgeplagt beschrieben hat. Hierzu hat Obermedizinalrat F. schlüssig erläutert, dass sich die im anästhesiologisch-schmerztherapeutischen Bereich erfolgende Konzentration der Betrachtungen auf subjektive Beschwerden von Betroffenen für eine sozialmedizinische Beurteilung für Belange der gesetzlichen Rentenversicherung als äußerst unsicher erweist. Angesichts der bereits dargestellten Aggravationstendenzen des Klägers vermag die Einschätzung des Anästhesiologen L. daher insgesamt letztlich nicht zu überzeugen.
Da mithin im Dezember 2007 kein rentenrelevant eingeschränktes Leistungsvermögen vorlag, ist unerheblich, ob im Rahmen des Beratungsgesprächs in diesem Monat dem Kläger angesichts der "auslaufenden" versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zur Rentenantragsstellung hätte geraten werden müssen. Selbst wenn dies unterstellt würde, käme eine Rentengewährung mangels Vorliegens der materiellen Anspruchsvoraussetzung einer Erwerbsminderung nicht in Betracht. Bei einem im Dezember 2007 mithin nicht eingetretenen Leistungsfall würde auch eine nachträgliche Interpretation des Rehabilitationsantrags vom November 2007 als Rentenantrag, für die - wie das SG unter Hinweis auf § 116 SGB VI zutreffend ausgeführt hat - im Übrigen keine Veranlassung bestand, zu keinem günstigeren Ergebnis führen. Für einen wie auch immer gearteten Herstellungsanspruch sowie für die vom Kläger gewünschte Beweislastumkehr wegen einer angeblichen Beweisvereitelung bestehen ohnehin keine Ansatzpunkte.
Der hilfsweise gestellte Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG ist abzulehnen. Angesichts der nachgewiesenen Aggravation des Klägers könnte ein jetzt tätig werdender Gutachter aus den von ihm zu erhebenden aktuellen Befunden nicht auf die Situation im November 2007 zurückschließen. Denn dazu müsste er sich wesentlich auf tragfähige Befunde aus der damaligen Zeit stützen können. Solche tragfähigen Befunde sind jedoch wegen der Aggravationstendenzen des Klägers nicht vorhanden, so dass keine Anknüpfungspunkte bestehen, an denen eine Begutachtung ansetzen könnte. Der aktuelle Gesundheitszustand des Klägers ist - was von ihm selbst eingeräumt wird - nicht streitentscheidend.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der am 1961 in K. geborene Kläger reiste 1994 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nachfolgend arbeitete er bis September 1999 als Maschinenarbeiter. Seither ist er arbeitsunfähig bzw. arbeitslos. In den Jahren 2005 bis 2008 übte er eine geringfügige, versicherungsfreie Beschäftigung aus. Seine letzte Pflichtbeitragszeit endete im November 2005. Wegen des Inhalts seines rentenrechtlichen Versicherungsverlaufs vom Dezember 2009 wird auf Blatt 110 bis 113 der Akte des Sozialgerichts (SG) Bezug genommen. Die für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung notwendigen besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind - so die Wartezeitaufstellung der Beklagten vom Juni 2010 (Bl. 13/14 LSG-Akte) - nach aktuellem Stand nur noch für einen Leistungsfall bis spätestens Dezember 2007 erfüllt.
Mit Urteil vom 14.09.2004 wies das SG Ulm (S 1 RJ 1574/01) die auf einem Rentenantrag vom September 2000 beruhende Klage auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab. Der Kläger könne trotz eines chronischen rechtsseitigen Halbseitenschmerzsyndroms ohne somatisches Korrelat, eines degenerativen Lendenwirbelsäulensyndroms mit Spondylarthrosen und einer Dysthymia unter Berücksichtigung seines deutlichen Rentenwunsches mit Aggravationstendenzen vollschichtig arbeiten. Der Entscheidung lagen unter anderem Gutachten des Orthopäden Dr. H. und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. T. sowie der Entlassungsbericht der während der im Mai/Juni 2004 in der Sch. Bad B. durchgeführten stationären Rehabilitationsmaßnahme zugrunde. Im Laufe des hiergegen vom Kläger anhängig gemachten Berufungsverfahrens (L 3 R 4695/04) nahm der Kläger im Frühjahr 2006 die Klage zurück.
Im November 2007 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rehabilitationsmaßnahme. Diesen Antrag lehnte die Beklagte noch im selben Monat ab. In diesem Zusammenhang fand am 18.12.2007 ein Gespräch zwischen dem Kläger und einem Mitarbeiter der Beklagten statt. Eigentlich wollte der Kläger einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente stellen. Nachdem der Berater der Beklagten jedoch dem Versichertenkonto entnahm, dass eine Rehabilitationsmaßnahme im Jahr 2006 nach wenigen Tagen aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen wurde und von augenscheinlichen aktuellen Problemen des Klägers mit dem Laufen ausging, sah er einen Vorrang der Rehabilitationsmaßnahme vor einer Erwerbsminderungsrente. Der Kläger und der Berater kamen daher überein, dass der Kläger gegen den Reha-Ablehnungsbescheid Widerspruch einlegte und dieser Widerspruch im Falle der Ablehnung als Rentenantrag gelten sollte.
Die bislang abgelehnte Rehabilitationsmaßnahme wurde nachfolgend bewilligt und im April/Mai 2008 wieder in der Sch. Bad B. (Abteilung Psychosomatik/Psychotherapie) durchgeführt. Im Entlassungsbericht diagnostizierte Dr. Müller eine Schmerzfehlverarbeitung, eine mittelgradige rechtsseitige Lumboischialgie und eine Adipositas. Der Kläger habe massive Aggravationstendenzen gezeigt. Unter Herausnahme dieser Tendenzen sei er unter zumutbarer Willensanstrengung in der Lage, Tätigkeiten als Maschinenbediener und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Zwangshaltungen der Wirbelsäule und der unteren Extremitäten, häufiges Bücken und Arbeiten in der Hocke oder im Knien mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.
Am 18.06.2008 ging bei der Beklagten ein "nochmaliger" formloser Rentenantrag ein. Der Formantrag wurde im Juli 2008 nachgereicht. Darin gab der Kläger an, ca. seit dem Jahr 1999 keine Arbeiten mehr verrichten zu können. Mit Bescheid vom 21.07.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.10.2008 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien im Jahr 2008 nicht mehr erfüllt. Es liege auch keine Erwerbsminderung vor. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit komme nicht in Betracht, da der Kläger nach dem 01.01.1961 geboren sei.
Deswegen hat der Kläger beim SG am 26.11.2008 Klage erhoben. Das SG hat insgesamt sieben behandelnde Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. hat für seinen Behandlungszeitraum von Februar 2003 bis März 2009 mit sechs Patientenkontakten von einer Zunahme des Chronifizierungsgrades der somatoformen Schmerzstörung und der Entwicklung einer leichten Unterschenkelatrophie rechts berichtet. Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Sch. hat mitgeteilt, subjektiv halte sich der Kläger nicht für in der Lage, sechs Stunden täglich zu arbeiten, objektiv sei dies schwer zu beurteilen. Der Facharzt für Anästhesiologie L. hat über die im Januar 2009 aufgenommene Behandlung des Klägers berichtet. Er hat den Kläger wegen einer multilokulären, therapierefraktären Schmerzproblematik nicht in der Lage gesehen, eine leichte Tätigkeit sechs Stunden täglich zu verrichten. Der kommissarische Leiter der Orthopädie in der Klinik am Dr. N. hat angegeben, den Kläger nur einmal im Juni 2007 gesehen zu haben. Der Internist (Lungen-/Bronchialheilkunde) Dr. Sch. , der Orthopäde Dr. E. und der Augenarzt Dr. N. haben keine Bedenken gegen eine sechsstündige leichte Tätigkeit des Klägers geäußert. Die Beklagte hat ergänzende Stellungnahmen ihres Sozialmedizinischen Dienstes - Obermedizinalrat F. - vorgelegt.
Mit Urteil vom 11.03.2010 hat das SG unter Mitwirkung eines noch unvereidigten ehrenamtlichen Richters die Klage abgewiesen. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien beim Kläger bereits seit dem 01.12.2007 und damit zum Zeitpunkt seines Rentenantrags vom 04.07.2008 nicht mehr erfüllt. Eine Umdeutung des Rehabilitationsantrags käme nicht in Betracht, da die Maßnahme nicht erfolglos gewesen sei.
Gegen das ihm am 26.03.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.04.2010 Berufung eingelegt. Er rügt die nicht ordnungsgemäße Besetzung der erkennenden Kammer des SG. Im Übrigen macht er geltend, der Rehabilitationsantrag vom November 2007 sei in einen Rentenantrag umzudeuten, falls schon damals Erwerbsminderung vorgelegen hätte. Zum Nachweis hierfür wünscht er die Einholung eines Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Zwar sei angesichts der letztmalig im Dezember 2007 gegebenen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der aktuelle Gesundheitszustand des Klägers nicht mehr entscheidungserheblich. Der potentielle Sachverständige könne jedoch gegebenenfalls vom aktuellen Zustand auf den damaligen Zustand rückschließen. Verbleibende Restzweifel gingen wegen Beweisvereitelung zu Lasten der Beklagten. Diese habe im Dezember 2007 den Kläger nicht ordnungsgemäß beraten, so dass auch ein Herstellungsanspruch bestehe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 11.03.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21.07.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2008 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren,
hilfsweise ein Gutachten nach § 109 SGG bei Dr. Kölsch einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
II.
Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 SGG zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Zwar war das SG wegen der Mitwirkung eines noch unvereidigten ehrenamtlichen Richters an der Entscheidung nicht ordnungsgemäß besetzt (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar 9. Aufl. Rdnr. 4). Der Senat sieht jedoch keinen Anlass, die Sache gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG an das SG zurückzuverweisen. Der Senat entscheidet vielmehr in der Sache.
Die geltend gemachten Ansprüche richten sich nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2; sog Drei-Fünftel-Belegung bzw. besondere versicherungsrechtliche Voraussetzungen) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Nach diesen Maßstäben steht dem Kläger eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nicht zu. Er hat zwar, wie sich aus dem Versicherungsverlauf vom 17.12.2009 ergibt, die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI). Jedoch wären die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 SGB VI - wie sich ebenfalls aus dem Versicherungsverlauf vom 17.12.2009 und der Wartezeitaufstellung der Beklagten vom 10.06.2010 ergibt - nur für einen Versicherungsfall im Dezember 2007 erfüllt. Der Senat kann sich nicht davon überzeugen, dass eine Erwerbsminderung spätestens im Dezember 2007 eintrat. Die anspruchsbegründenden Tatsachen müssen aber erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Ist ein solcher Nachweis nicht möglich, geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
Der Senat geht davon aus, dass der Kläger im Dezember 2007 noch in der Lage war, leichte Tätigkeiten ohne Zwangshaltungen der Wirbelsäule und der unteren Extremitäten, ohne häufiges Bücken und ohne Arbeiten in der Hocke oder im Knien mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Er stützt sich dabei insbesondere auf den Entlassungsbericht der Sch. Bad B. vom Mai 2008. Danach liegen beim Kläger zwar eine krankhafte Schmerzfehlverarbeitung und eine mittelgradige rechtsseitige Lumboischialgie sowie eine Adipositas vor. Diese Gesundheitsstörungen sind jedoch nicht so gravierend, dass eine Tätigkeit im eben beschriebenen Umfang ausgeschlossen wäre, auch wenn dies der Kläger anders darzustellen versucht. Denn von Seiten der Ärzte der Sch. Bad B. wurden erhebliche Aggravationstendenzen festgestellt, von deren Vorliegen auch der Senat überzeugt ist. Beispielsweise demonstrierte der Kläger auf dem Weg aus der Wartezone in das Untersuchungszimmer sowie anfänglich nach Aufforderung bei der körperlichen Untersuchung zwei unterschiedliche, jeweils deutlich auffallende, schleppende hinkende Gangbilder. Bei Ablenkung im Gespräch und längerer Gehdauer ließ sich jedoch ein flüssiges Gangbild ohne spezifische Auffälligkeiten beobachten. Eine zunächst spontan demonstrierte Körperhaltung mit Rundrücken und Überhang des Oberkörpers nach links korrigierte der Kläger nach mehrfacher Aufforderung selbständig problemlos in eine vernünftige Haltung. Die Motivationslage des Patienten wurde auch in der durchgeführten Belastungserprobung als problematisch beschrieben. Während der Kläger in subjektiven Beobachtungssituationen deutliche Schmerzäußerungen, schmerzverzerrte Körperhaltungen und ähnliches zeigte, wurde er mehrmals von unterschiedlichen Personen in subjektiv unbeobachteten Situationen deutlich gelockerter angetroffen.
Die Darstellungen im Entlassungsbericht stellen eine erneute Bestätigung der Ausführungen des SG Ulm im Urteil vom 14.09.2004 dar. Zwar ging das SG damals von abweichenden Diagnosen - beispielsweise Dysthymia statt Schmerzfehlverarbeitung - aus. Die Beschwerdekomplexe sind jedoch im Wesentlichen identisch. Vor allem stellte das SG schon damals deutliche Aggravationstendenzen des Klägers fest. Für den Senat ist aber nicht ersichtlich, dass sich bis Dezember 2007 am Gesundheitszustand und am Leistungsvermögen etwas Wesentliches änderte. Der Entlassungsbericht der im Jahr 2008 durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme belegt das Gegenteil.
Gegen eine Änderung sprechen zudem die eigenen Angaben des Klägers bei der Rentenantragstellung im Jahr 2008. Ausdrücklich machte er eine Leistungsunfähigkeit seit dem Jahr 1999 geltend. Daraus kann gerade nicht auf eine maßgebliche Änderung seines Gesundheitszustands in den Jahren 2006 oder 2007 geschlossen werden.
Auch aus den vom SG eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen ergeben sich jedenfalls für die Zeit bis Dezember 2007 keine Anhaltspunkte für eine maßgebliche Änderung des Gesundheitszustands seit der Klagerücknahme im Frühjahr 2006. Dr. S. hat in der Zeit von März 2006 bis März 2009 trotz der Entwicklung einer leichten Unterschenkelatrophie und einer Zunahme des Chronifizierungsgrades der somatoformen Schmerzstörung keine wesentliche Befundänderung gesehen. Im Übrigen hat er den Kläger selbst im Jahr 2009 noch für in der Lage erachtet, leichte körperliche Arbeiten sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Damit hat er die Einschätzung im Entlassungsbericht der Sch. Bad B. aus dem Jahr 2008 bestätigt.
Soweit der Kläger im Juni 2009 auf eine zunehmende Verschlechterung seines Zustandes, insbesondere im Hinblick auf Schmerzen und Bewegungseinschränkungen am rechten Arm, der Schulter und dem Hals sowie täglichen Kopfschmerzen mit Auswirkungen auf die Augen hingewiesen hat, ist festzuhalten, dass bereits das SG im Urteil vom September 2004 von einem chronischen rechtsseitigen Halbseitenschmerzsyndrom ausging und der befragte Augenarzt Dr. N. im augenärztlichen Bereich im Juni 2009 keine rentenrechtlich relevante Gesundheitsstörung gesehen hat.
Ob der Anästhesiologe L. im Rahmen seiner sachverständigen Zeugenaussage zu Recht von einer zeitlichen Einschränkungen des Leistungsvermögens des Klägers auf unter sechs Stunden täglich ausgegangen ist, kann an sich dahingestellt bleiben. Denn er behandelte den Kläger erstmals im Januar 2009 und kann somit keine Aussage zum hier allein maßgeblichen Beschwerdebild im Dezember 2007 machen. Zudem ist, worauf Obermedizinalrat F. überzeugend hingewiesen hat, davon auszugehen, dass der Anästhesiologe L. die vom Kläger geschilderten Beschwerden nicht weiter hinterfragt und damit im Unterschied zu den eingehenden Darstellungen im Entlassungsbericht der Sch. Bad B. vom Mai 2008 nicht zwischen subjektiven Beschwerden und objektiven Befunden bzw. zwischen Befunden in gezielten Untersuchungssituationen und Beobachtungen außerhalb solcher Situationen unterschieden hat. Dazu hätte aber angesichts der Vorbefunde Veranlassung bestanden, umso mehr als der Anästhesiologe das Gangbild des Klägers selbst als "demonstrativ" schmerzgeplagt beschrieben hat. Hierzu hat Obermedizinalrat F. schlüssig erläutert, dass sich die im anästhesiologisch-schmerztherapeutischen Bereich erfolgende Konzentration der Betrachtungen auf subjektive Beschwerden von Betroffenen für eine sozialmedizinische Beurteilung für Belange der gesetzlichen Rentenversicherung als äußerst unsicher erweist. Angesichts der bereits dargestellten Aggravationstendenzen des Klägers vermag die Einschätzung des Anästhesiologen L. daher insgesamt letztlich nicht zu überzeugen.
Da mithin im Dezember 2007 kein rentenrelevant eingeschränktes Leistungsvermögen vorlag, ist unerheblich, ob im Rahmen des Beratungsgesprächs in diesem Monat dem Kläger angesichts der "auslaufenden" versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zur Rentenantragsstellung hätte geraten werden müssen. Selbst wenn dies unterstellt würde, käme eine Rentengewährung mangels Vorliegens der materiellen Anspruchsvoraussetzung einer Erwerbsminderung nicht in Betracht. Bei einem im Dezember 2007 mithin nicht eingetretenen Leistungsfall würde auch eine nachträgliche Interpretation des Rehabilitationsantrags vom November 2007 als Rentenantrag, für die - wie das SG unter Hinweis auf § 116 SGB VI zutreffend ausgeführt hat - im Übrigen keine Veranlassung bestand, zu keinem günstigeren Ergebnis führen. Für einen wie auch immer gearteten Herstellungsanspruch sowie für die vom Kläger gewünschte Beweislastumkehr wegen einer angeblichen Beweisvereitelung bestehen ohnehin keine Ansatzpunkte.
Der hilfsweise gestellte Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG ist abzulehnen. Angesichts der nachgewiesenen Aggravation des Klägers könnte ein jetzt tätig werdender Gutachter aus den von ihm zu erhebenden aktuellen Befunden nicht auf die Situation im November 2007 zurückschließen. Denn dazu müsste er sich wesentlich auf tragfähige Befunde aus der damaligen Zeit stützen können. Solche tragfähigen Befunde sind jedoch wegen der Aggravationstendenzen des Klägers nicht vorhanden, so dass keine Anknüpfungspunkte bestehen, an denen eine Begutachtung ansetzen könnte. Der aktuelle Gesundheitszustand des Klägers ist - was von ihm selbst eingeräumt wird - nicht streitentscheidend.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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