S 12 KA 27/08

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 27/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 3/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Vertragsärztliche Honorarnachzahlungen sind nicht zu verzinsen.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 24.767,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Verzinsung einer Honorargutschrift in Höhe von 77.397,30 EUR aufgrund einer Überprüfung der bestandkräftig gewordenen Honorarbescheide der Quartale III/97 bis IV/99 ab 08.03.2000.

Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis. Frau AC und Herr Dr. AA sind als Fachärzte für Allgemeinmedizin und Herr Dr. AB als hausärztlich tätiger Internist zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. In den Quartalen III/97 bis IV/99 war die Gemeinschaftspraxis hinsichtlich der Honorierung der Honorar (unter)-gruppe 4.8 (hausärztlich tätige Internisten) zugeordnet.

Eine Klage gegen die Honorarbescheide für die Quartale III/97 bis IV/99 endete vor dem Hessischen Landessozialgericht in der mündlichen Verhandlung am 28.06.2006 zum Aktenzeichen L 4 KA 15/05 nach Hinweis des Vorsitzenden, dass der Senat die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in die versäumten Widerspruchsfristen nicht als gegeben ansehe und daher der Berufung der Klägerin keine Aussicht auf Erfolg beigemessen werden könne, gleichwohl aber noch Anträge auf Überprüfung der Honorarbescheide bei der Beklagten anhängig seien, zu folgendem Vergleich:

Die Beklagte verpflichtet sich, die Honorarbescheide für die Quartale III/97 bis IV/99, insbesondere im Hinblick auf die Eingruppierung der klägerischen Arztpraxis, auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen und gemäß § 44 Abs. 2 SGB X ggf. von ihrem Ermessen Gebrauch zu machen.

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 06.08.2007 daraufhin einen Gutschriftsbetrag in Höhe von 77.397,30 EUR netto fest.

Hiergegen legte die Klägerin am 07.09.2007 insoweit Widerspruch ein, da der Gutschriftsbetrag nicht verzinst worden sei.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2007 den Widerspruch als unbegründet zurück. Darin führte sie aus, ein Anspruch auf Verzinsung bestehe nicht. Das Bundessozialgericht habe Zinsansprüche in ständiger Rechtsprechung nur anerkannt, soweit sie in den Sozialversicherungsgesetzen ausdrücklich zugebilligt worden sei. Geschehe dies nicht, bestehe auch kein Recht auf Verzugszinsen. Die als Anspruchsgrundlage evtl. in Betracht kommende Norm des § 44 SGB I sei jedoch nicht einschlägig. Danach würden nur Geldleistungen verzinst werden, die Sozialleistungen seien. Honorare der Vertragsärzte erfüllten diese Voraussetzungen nicht.

Hiergegen hat die Klägerin am 17.01.2006 die Klage erhoben. Sie trägt zur Begründung ihrer Klage vor, die Rechtsprechung habe bislang die Auffassung vertreten, Honoraransprüche von Vertragsärzten bzw. Nachzahlungen von Honoraransprüchen nach Änderung von Honorarbescheiden sei nicht zu verzinsen. Diese Auffassung entspreche jedoch nicht der aktuellen rechtlichen und tatsächlichen Situation. Das Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung vom 23.03.2006 – B 3 KR 6/05 R - entscheiden, dass die Vergütungsforderung einer Rehabilitationsklinik gegen eine Krankenkasse auch bei Fehlen vertraglicher Vereinbarungen dem Anspruch auf Prozesszinsen unterliege. Die Erwägungen des Gerichts seien auch in ihrem Fall zu berücksichtigen. Im Vertragsarztrecht würden die gleichen Kostenregelungen wie nach der Verwaltungsgerichtsordnung und der Zivilprozessordnung gelten. Auch der Hinweis auf die wachsende Bedeutung der Wirtschaftlichkeit und der Leistungserbringung der gesetzlichen Krankenversicherung gelte verstärkt für Arztpraxen. Die Führung einer Arztpraxis sei ohne Beachtung kaufmännischer Grundsätze nicht mehr möglich. Auch vor diesem Hintergrund sei nicht nachvollziehbar, dass die Honoraransprüche von Vertragsärzten, die sich systembedingt nun einmal gegen die Kassenärztliche Vereinigung richteten, keiner Verzinsung unterlägen und damit anders zu behandeln sein sollten, als die Honoraransprüche sonstiger Freiberufler. Das bedeute konkret, dass die Beklagte Verzugszinsen zahlen müsse, wenn sie Honoraransprüche der Vertragsärzte verspätet bewillige.

Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Bescheids der Beklagten vom 06.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2007 die Beklagte zu verurteilen, den Gutschriftsbetrag in Höhe von 77.397,30 EUR mit mindestens 4 % seit 08.03.2000 zu verzinsen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, eine Verzinsungspflicht bedürfe einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage. Selbst bei der Verzinsung von Forderungen aus öffentlich-rechtlichen Verträgen sei zu differenzieren, ob diese aus Verträgen, die ein Austauschverhältnis begründeten, herrührten. Die jeweilige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bejahe nur bei Leistungsbeschaffungsverträgen von Krankenkassen generell einen Verzinsungsanspruch in entsprechender Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften. Demgegenüber habe das Bundessozialgericht in einem Verfahren zwischen einer Kassenärztlichen Vereinigung und Krankenkasse über die Zahlung von Gesamtvergütungsanteilen einen auf die entsprechende Anwendung von BGB Vorschriften gestützten Anspruch auf Verzinsung verneint. Das Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung vom 28.09.2005 – B 6 KA 72/07 R – dem Rechtsverhältnis Krankenkasse - Kassenärztlichen Vereinigung einen Anspruch auf Prozesszinsen anerkannt und dabei ausdrücklich klargestellt, dass dies nur die Zahlung fälliger Gesamtvergütungen betreffe. § 61 Abs. 2 SGB X komme von vornherein nicht zur Anwendung. Soweit eine Änderung der Rechtsprechung vorliege, könne dies nicht für zurückliegende Zeiträume gelten. Maßgeblicher Verzinsungszeitraum könne im Übrigen bestenfalls der Bescheid vom 06.08.2007 sein. Mit diesem Bescheid sei erstmals ein Zahlungsanspruch überhaupt anerkannt worden. Im Übrigen verweise sie auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der Beratungen gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei Vertretern der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten ohne mündliche Verhandlung entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 SGG).

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 06.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2007 ist rechtmäßig und war daher nicht abzuändern. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verzinsung des Gutschriftenbetrags in Höhe von 77.397,30 EUR mit mindestens 4 % seit 08.03.2000.

Der Bescheid der Beklagten vom 06.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2007 ist rechtmäßig.

Eine Rechtsgrundlage für einen Verzinsungsanspruch der Honorarnachzahlung ist nicht ersichtlich.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, von der abzuweichen die Kammer keine Veranlassung sieht, sind vertragsärztliche Honorarforderungen im Falle des Obsiegens weder nach § 44 SGB I noch nach anderen Vorschriften zu verzinsen (vgl. Urt. v. 20.12.1983 – 6 RKa 19/82 - BSGE 56, 116, 117, 118 = SozR 1200 § 44 Nr.10; BSG, Urt. v. 09.05.1985 - 6 RKa 2/84 - USK 85185; BSG, Urt. v. 13.11.1996 - 6 RKa 78/95 - USK 96160). Die Verzinsungsvorschriften des BGB sind auf öffentlich-rechtliche Verträge des Sozialrechts nicht entsprechend anwendbar (vgl. BSG, Urt. v. 28.09.2005 - B 6 KA 71/04 R - SozR 4-2500 § 83 Nr. 2 = BSGE 95, 141 = GesR 2006, 168 = MedR 2006, 226 = NZS 2006, 385 = Breith 2006, 542 = USK 2005-127, zitiert nach juris Rdnr. 32 m. w. N.).

Eine Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Verzugszinsen kann auch nicht aus § 288 BGB i. V. m. § 69 Satz 3 SGB V (in der durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22. Dezember 1999 - BGBl I 2626 - eingeführten, ab 1. Januar 2000 geltenden Fassung) abgeleitet werden. Nach der letztgenannten Vorschrift gelten für die Rechtsbeziehung zwischen den Krankenkassen und ihren Verbänden zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten und sonstigen Leistungserbringern im Übrigen die Vorschriften des BGB entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 SGB V und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach dem 4. Kapitel des SGB V vereinbar sind. Dies hat das Bundessozialgericht ausdrücklich für das Verhältnis zwischen den Gesamtvertragsparteien klargestellt (vgl. BSG, Urt. v. 28.09.2005 - B 6 KA 71/04 R – aaO., Rdnr. 33). Die vom Bundessozialgericht entwickelten systematischen Gründe gelten auch für das Verhältnis zwischen einem Vertragsarzt und einer Kassenärztlichen Vereinigung. Die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts betrifft Bereicherungsansprüche bei rechtsgrundlos gewährten Leistungen, die an Stelle von vertraglichen Vergütungsansprüchen treten, und kann auf das Vertragsarztrecht nicht übertragen werden (vgl. BSG, Urt. v. 28.09.2005 - B 6 KA 71/04 R – aaO., Rdnr. 36).

Hinzu kommt, dass eine Verzinsung die Bestimmtheit und Fälligkeit des Betrages voraussetzt. Von daher wäre eine Verzinsung auch frühestens mit Festsetzung des Betrages durch die Beklagte im Bescheid vom 06.08.2007 in Betracht gekommen.

Nach allem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG).

Zur Streitwerthöhe hat die Kammer bereits im Beschluss über die vorläufige Festsetzung Ausführungen gemacht. Der Streitwert war nach Abschluss des Verfahrens in gleicher Höhe festzusetzen, da sich neue Gesichtspunkte nicht ergeben haben. Der jetzt festgesetzte Wert ist daher gleich hoch wie der vorläufig festgesetzte Wert.
Rechtskraft
Aus
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