Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 8 U 118/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 U 25/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 10. Dezember 2003 und der Bescheid der Beklag-ten vom 17. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbeschei-des vom 30. November 2001 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE um 20 v. H. zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Berufung wird im Übrigen zurückgewiesen. Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Instanzen trägt die Beklagte 2/3 Prozent. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit ist die Beurteilung der Erkrankung der Bandscheiben der Lendenwirbelsäule (LWS) des Klägers als Berufskrankheit (BK) der Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverord-nung (BKV) und deren Entschädigung mit einer Rente.
Der 1947 geborene Kläger hatte während seines Berufslebens schwere Lasten zu tragen und Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung zu verrichten.
Nach einer Lehrzeit zum Maurer war er als Maurer/Akkordmaurer bis 23. März 2000 tätig. Ab 24. März 2000 war er arbeitsunfähig. Am 24. März 2000 lautete die Diagnose "Kreuzschmerz, Lumboischialgie". Seit September 2001 bezieht er Berufsunfähigkeitsrente.
Auf die Anzeige der AOK Berlin im September 2000 ermittelte die Beklagte zu den Voraus-setzungen der BK. Arztbriefe und Befundberichte gelangten zu den Akten: von Dr. R vom 11. Mai 2000 mit Befund zu einer Röntgenaufnahme der LWS vom 09. Mai 2000, ein Arztbrief vom Röntgeninstitut Braun vom 26. Mai 2000, ein Befundberichte von Dr. S und von Dr. K Zu den Akten gelangte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V., nach einer Untersuchung vom 31. August 2000 sowie ein ärztlicher Reha-Entlassungsbericht zu der Zeit vom 27. Februar 2001 bis 20. März 2001 anlässlich der stationären Behandlung des Klägers in der P Klinik B.
Mit Bescheid vom 17. Oktober 2001 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung wegen einer BK nach Nr. 2108 und etwaige prophylaktische Leistungen gemäß § 3 BKV ab. Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung würden nach § 26 Sozialgesetzbuch VII (SGB VII) nach Eintritt einer BK gewährt. Die Voraussetzungen für eine BK 2108 der Anlage zur BKV seien nicht gegeben.
Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers, der auf die Schädigung der "kompletten LWS" hinwies, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. November 2001 zurück.
Dagegen erhob der Kläger Klage mit dem am 24. Dezember 2001 beim Sozialgericht (SG) Neuruppin eingegangenen Schriftsatz: Seit seinem 16. Lebensjahr arbeite er auf dem Bau. Kör-perliche Schwerstarbeit gehöre seit seiner Lehre zum Berufsbild wie dem Tragen von 50 kg Zementsäcken, Tuppen mit Mörtel von 60-70 kg auf dem Rücken. Allein in 1999 habe er bei der Firma O 8 Wochen ununterbrochen täglich 8 Stunden allein mit dem Kangohammer Stemmarbeiten unter einer nur 1 m hohen Rampe ausführen müssen. Als Akkordmaurer sei er außerdem verpflichtet gewesen, seine Arbeitsmaterialien wie Steine oder Mörtel zu seinem Arbeitsplatz zu bringen, das heiße beim Akkordmauern auch über etliche Etagen habe er auf seinem Rücken die Materialien nach oben über die Gerüstleitern schleppen müssen.
Das SG holte ein Gutachten ein, das Dr. L im November 2002 erstattete aufgrund ambulanter Untersuchung des Klägers am 10. Oktober 2002. Nach seiner Beurteilung litt der Kläger zur Zeit seiner Untersuchung an einem schweren chronischen lumbalen pseudoradikulären Schmerzsyndrom. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bewertete er mit 20 v. H. ab März 2000. Als wesentliche Teilursache sei die hohe biomechanische Belastung der LWS durch die berufliche Einwirkung in der Tätigkeit als (Teil-)Ursache im Ursachengefüge unter Berücksichtigung der Adipositas nicht wegzudenken. Dr. L ergänzte das Gutachten im Juni 2003. Zu den Akten gelangten Arztbriefe aus der C vom 10. September 2002, und von Dr. S aus dem Monat April 2002.
Die Beklagte überreichte im Juli 2003 ein Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. W- Die Beklagte trug vor, dass sich nach dessen Ansicht eine primär vorliegende bandscheibenbeding-te Erkrankung der LWS und das Vorliegen so genannter belastungsadaptiver Reaktionen nicht feststellen ließen.
Das SG holte ein Gutachten nach Aktenlage ein von Dipl.-Ing. E, das im August 2003 einging. Er ermittelte 29,2 MNh als Gesamtbelastung.
Mit dem am 10. Dezember 2003 verkündeten Urteil hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 17. Oktober 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, wegen der LWS-Erkrankung als Folge der BK 2108 Verletztenteilrente für eine MdE von 30 Prozent ab 24. März 2000 zu gewähren. Das Gericht bezog sich auf die Beurtei-lungen von Dr. L und Dipl.-Ing. E. Der Kläger habe angegeben, chronische und starke Schmerzen im Bereich der LWS zu haben, die ziehend seien und in das linke Bein ausstrahlten. Die Kammer sah hierin schwere funktionelle Auswirkungen im LWS-Bereich und bewertete diese mit einer MdE von 30 Prozent.
Gegen das der Beklagten am 02. Februar 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 17. Febru-ar 2004 beim Landessozialgericht (LSG) für das Land Brandenburg eingegangene Berufung der Beklagten. Sie nahm Bezug auf ihre Einwände gegen das Gutachten von Dipl.-Ing. E und gegen das Gutachten von Dr. L. Die Feststellung der MdE sei nicht nachvollziehbar. Das Ge-richt weiche insoweit ohne nähere Begründung vom Gutachten Dr. L um 10 v. H. ab.
Der Kläger hat vorgetragen, er erachte die Berufung inhaltlich nicht für nachvollziehbar. Im Einzelnen trug er zu den von ihm ausgeübten Arbeiten vor.
Im Berufungsverfahren wurden die ehemaligen Arbeitgeber des Klägers um Auskunft ersucht, soweit der Aufenthalt ermittelt werden konnte.
Der Kläger übermittelte ein Gutachten des Arztes für Radiologie Prof. Dr. F vom 11. April 2004.
Im Berufungsverfahren wurde ein Gutachten eingeholt, das der Arzt für Chirurgie Dr. S im Juli 2005 aufgrund ambulanter Untersuchung des Klägers vom 23. Juni 2005 zu den Akten reichte. Er führte aus, durch bildgebende Untersuchungen sei bei dem Kläger seit dem Frühjahr 2000 eine Verschleißumformung der gesamten Lendenwirbelsäule nachgewiesen. Bei dem Kläger seien sämtliche Bandscheibensegmente der Lendenwirbelsäule ab dem zweiten Lendenwirbel-körper betroffen. Eine belastungskonforme Verteilung liegt nicht vor. Insoweit ist eine durch innere Faktoren ausgelöste Erkrankung der Lendenwirbelsäule wahrscheinlich.
Im Oktober 2005 zeigten die jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers die Vertretung an und beantragten die Einholung eines Gutachtens durch Prof. Dr. B. Insbesondere wurde vorge-tragen, Dr. S unterlege seiner Kausalitätsprüfung eine Anforderung, die dem Stand der sozial-medizinischen Erkenntnisse nicht entspreche.
Mit Beweisanordnung vom 06. Januar 2006 wurde gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Prof. Dr. B zum Sachverständigen bestellt. Am 01. Februar 2007 ging beim LSG das von ihm erstattete Gutachten ein, das er aufgrund ambulanter Untersuchung des Klägers vom 22. Au-gust 2006 erstattete. Er übermittelte das Zusatzgutachten des Arztes für Diagnostische Radio-logie Dr. R vom 22. September 2009. Prof. Dr. Dr. B bejahte den Zusammenhang zwischen der beruflichen Belastung des Klägers und einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS in Form eines Bandscheibenvorfalls L 4/L 5 und einer Chondrose mit fortgeschrittener Band-scheibenverschmälerung im selben Segment im Sinne einer BK 2108. Es lägen chronisch-rezidivierende LWS-Beschwerden in Form eines lokalen Lumbalsyndroms sowie Funktions-störungen in Form einer verminderten Bewegungsunfähigkeit der LWS vor. Das lokale Lum-balsyndrom sei dem degenerativ veränderten Segment L 4/L 5 zuzuordnen. Bei dem Kläger liege nach der Einstufung durch die Konsensus-Arbeitsgruppe des Hauptverbandes der gewerb-lichen Berufsgenossenschaften zur Begutachtung der Berufskrankheit 2108 (nachfolgend Kon-sensempfehlungen genannt) die Fallkonstellation B 3 vor. Er machte Ausführungen zu einer Begleitspondylose. Aufgrund der Richtwerte der Konsensempfehlungen beurteilte er die MdE mit 20 v. H.
Die Beklagte nahm im Oktober 2007 unter Bezugnahme auf die beratungsärztliche Stellung-nahme des Facharztes für Arbeitsmedizin Dr. P, der beim Arbeitsmedizinischen Dienst der Beklagten tätig ist, zum Gutachten Stellung. Dieser gelangte zu der Beurteilung, eine band-scheibenbedingte Erkrankung im Sinne der Konsensempfehlungen liege beim Kläger nicht vor. Die radiologischen Kriterien hinsichtlich eines lumbalen Wurzelsyndroms seien erfüllt, nicht hingegen die neurologischen. Das lokale Lumbalsyndrom Typ 1 nach den Konsensempfehlun-gen sei durch das Fehlen jeglicher sensibler oder motorischer Defizitsymptomatik gekenn-zeichnet. Das Pseudoradikulär-Syndrom sei nicht dermatomgebunden. Da der Kläger eine sen-sible Defizitsymptomatik angebe, müsse das vorliegende Krankheitsbild als lumbales Wurzel-syndrom eingeordnet werden, für das allerdings die neurologischen Kriterien nicht erfüllt sei-en. Es folgten Ausführungen zum Thema einer Begleitspondylose.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers rügte, das von der Beklagten eingereichte Gutachten unterliege einem Verwertungsverbot. Die Beklagte habe die Stellungnahme unter Verstoß ge-gen § 200 SGB VII eingeholt. Die Beklagte meinte, die beratungsärztliche Stellungnahme sei als qualifiziertes Parteivorbringen zu werten. Sie habe nicht gegen § 200 Abs. 2 SGB VII ver-stoßen. Die Vorschrift räume dem Berufungsbeklagten keinesfalls das Recht ein, den Bera-tungsarzt auszuwählen, der für die Berufungsklägerin Stellung nehmen solle. Dr. P sei dem Organisationsbereich der BG Bau zuzuordnen.
Im November 2008 übersandte die Beklagte eine erneute Beurteilung ihrer Abteilung Präventi-on mit einer Neuberechnung der Gesamtbelastungsdosis für die Zeit vom 01.01.1966 bis 03.01.2001, die eine Gesamtdosis von 49,2 MNh ergab unter Berücksichtigung des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. Oktober 2007-B 2 U 4/06 R.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragte im November 2008, Prof. Dr. Dr. B- zu den medizinischen Einwänden der Beklagten zu hören. Prof. Dr. Dr. B nahm am 30. Juni 2009 dazu Stellung. Hinsichtlich der radiologischen Beurteilung verwies er darauf, dass Dr. P ledig-lich Facharzt für Arbeitsmedizin und nach der Musterweiterbildungsordnung der Bundesärzte-kammer nicht berechtigt sei, Computertomografie- und Magnetresonanztomografiebilder der Wirbelsäule anzufertigen und zu befunden. Dies sei einem Facharzt für Radiologie vorbehal-ten. Er verwies darauf, dass im Ergebnis seiner körperlichen Untersuchung die Kriterien eines lokalen Lumbalsyndroms erfüllt seien.
Im Juli 2009 teilte die Beklagte mit, sie gestehe ein, dass fehlende belastungsadaptive Verände-rungen nicht für die Ablehnung einer BK 2108 BKV sprächen. Dies ergäbe sich nicht nur aus dem Urteil des BSG vom 27. Juni 2006, sondern vielmehr auch aus den Konsensempfehlun-gen, wonach bei fehlenden belastungadaptiven Reaktionen die Konstellation B1 bzw. B 2 in Betracht komme. Sie habe sich erneut an Dr. P gewandt, um die Konstellationen zu prüfen.
Die Beklagte übersandte im August 2009 eine weitere Stellungnahme von Dr. P. Dieser ver-wies darauf, er habe seine Diagnosen mit dem Gutachten von Dr. R verglichen und habe fest-gestellt, dass er zu demselben Ergebnis gekommen sei wie Dr. R, weil dieses Gutachten von ganz hervorragender Qualität sei. Deshalb habe er es als Grundlage für seine beratungsärztliche Stellungnahme herangezogen. Der Vorwurf der Kompetenzüberschreitung sei folglich unange-bracht.
Gerichtliche Fragen aus dem Richterbrief vom 28. Dezember 2009 beantwortete Prof. Dr. Dr. B- im Februar 2010. Die beschriebenen Kriterien für ein lokales Lumbalsyndrom hätten sich bei seiner Untersuchung im Jahr 2006 bestätigt. Insgesamt sprächen die Befunde für die Diag-nose eines lokalen Lumbalsyndroms zum Zeitpunkt der Unterlassung der gefährdenden Tätig-keit im April 2000. Alle vorliegenden Unterlagen sprächen dafür, dass der Kläger kein lumba-les Wurzelsyndrom, sondern ein lokales Lumbalsyndrom aufgewiesen habe. Nach dem Befund des Neurologen und Psychiaters Dr. S vom 21.April 2006 habe ein neurologisch regelrechter Befund vorgelegen. Nach der Beschwerdeschilderung durch Dr. S habe durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein sensibles lumbales Wurzelsyndrom zum Zeitpunkt der Diagnose des Bandscheibenvorfalls L4/L 5 mit Kompression der linken Nervenwurzel im Mai 2000 be-standen. Der Nachweis einer Dermatom bezogenen Sensibilitätsstörung sei jedoch unterblieben und habe bei der Untersuchung im Jahr 2006 nicht bestätigt werden können.
Die Beklagte übersandte im März 2010 eine weitere Stellungnahme von Dr. P Dieser meinte, dass in dem Fall, dass der Patient über Kreuzschmerzen klage, die in die Beine ausstrahlten und klar einem Segment zugeordnet werden könnten, Typ II vorläge.
Auf weitere Beweisanordnung des Gerichts im Februar 2010 erstattete Prof. Dr. Dr. B im Au-gust 2010 ein Gutachten zu den Beweisfragen im Hinblick auf die Zusatzkriterien der Fall-konstellation B 2. Zur Beantwortung der Frage nach einer besonders intensiven Belastung, ha-be er eine Neuberechnung der Gesamtdosis nach dem MDD durchgeführt, wozu er als Ko-Autor des MDD-Verfahrens in der Lage sei. Er gelangte zu der Beurteilung, dass bei dem Klä-ger eine besonders intensive Belastung mit Erreichen des Richtwerts für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums der Fallkonstellation B 2 vorliege und legte dies dar.
Die Beklagte übermittelte eine Stellungnahme ihrer Abteilung Prävention vom 13. Dezember 2010, wonach das 3. Zusatzkriterium der Fallkonstellation B 2 durch besondere Belastungs-spitzen (Druckkräfte am L 5/S 1 mehr als 6 kN) vorliege. Prof. Dr. Dr. B- nahm am 20. Januar 2011 ergänzend Stellung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der vorliegenden Gerichts- und Verwaltungsak-ten, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige und im Übrigen statthafte Berufung ist im Wesentlichen unbegründet. Die ange-fochtenen Bescheide sind nicht rechtmäßig. Der Kläger hat einen Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung für die Folgen einer Bk nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV nach einer MdE um 20 v. H.
Die Klage ist abzuweisen, soweit der Kläger eine höhere MdE beansprucht. Insoweit ist die Berufung erfolgreich.
Die erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig. Die Beklagte hat unter Bezug-nahme auf § 26 Sozialgesetzbuch VII (SGB VII) Leistungen nach dieser Vorschrift und damit auch eine Rente abgelehnt.
Die Klage ist auch begründet, soweit sie auf einen Rentenanspruch nach einer MdE um 20 v. H. gerichtet ist.
Anspruch auf Rente haben im Fall des Fehlens eines Tatbestandes für eine Stützrente gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungs-falls (Arbeitsunfall oder Berufskrankheit) über die 26. Woche um wenigstens 20 v. H. gemin-dert ist.
Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist infolge einer BK über die 26. Woche um 20 v. H. gemindert.
BKen sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge eines Versicherungsschutzes nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird er-mächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII).
In der BKV ist die BK 2108 als "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheiten ursächlich waren oder sein können.
Die Tatbestandsvoraussetzungen einer BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV sind sämtlich erfüllt.
Nach dem Tatbestand der BK 2108 muss der Versicherte auf Grund einer versicherten Tätig-keit langjährig schwer gehoben und getragen bzw. in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet haben. Durch die spezifischen der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden besonderen Einwir-kungen muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS entstanden sein und noch be-stehen. Zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen muss ein sachlicher Zusammenhang und zwischen diesen Einwirkungen und der Erkrankung muss ein (wesentlicher) Ursachenzusammenhang bestehen. Der Versicherte muss darüber hinaus ge-zwungen gewesen sein, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben. Als Folge dieses Zwangs muss die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein. Fehlt eine dieser Voraus-setzungen, liegt eine BK 2108 nicht vor (BSG, Urteil vom 30.10.2007 – B 2 U 4/06R – Rdnr. 16 f.).
Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und Erkrankungen im Berufskrank-heitenrecht gilt, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesent-lichen Bedingung, die der Senat in den Entscheidungen vom 09. Mai 2006 (- B 2 U 1/05 R, B 2 U 26/04 R – mwN) zusammengefasst dargestellt hat. Die Theorie der wesentlichen Bedin-gung hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der Ursache eines Erfolges jedes Ereignis ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der Bedingungstheo-rie werden im Sozialrecht als rechtserheblich aber nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. "We-sentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache sind insbesondere die versicherte Ursache bzw. das Ereignis als solches, also Art und Ausmaß der Einwirkung, konkurrierende Ursachen unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens und Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach den Einwirkungen, Befunde und Diagnosen der erstbehandelnden Ärzte sowie die gesamte Krankengeschichte. Trotz dieser Ausrichtung von individuellen Versicherten sind der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs im Einzelfall der aktuelle wissenschaftliche Er-kenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen Ereignissen und Gesundheitsschä-den zugrunde zu legen. Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang nach der Theorie der wesentlichen Bedingung positiv festgestellt werden muss und hierfür hin-reichende Wahrscheinlichkeit genügt, nicht jedoch die bloße Möglichkeit. Zur Anerkennung einer BK muss ein doppelter ursächlicher Zusammenhang bejaht werden. Die gesundheitsge-fährdende schädigende Einwirkung muss ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzufüh-ren sein und diese Einwirkung muss die als BK zur Anerkennung gestellte Krankheit verur-sacht haben.
Bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände müssen die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Über-zeugung außer Betracht bleiben können (BSG in SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a. F.). Der ursäch-liche Zusammenhang ist jedoch nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht ausschließen oder nur möglich ist (BSGE 60, 58, 59).
Das BSG hat ausgeführt, dass sich letztlich angesichts der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen, der Dauer der zu berücksichtigenden Zeiträume und des Fehlens eines eindeutig abgrenzbaren Krankheitsbildes, das für Belastungen durch Heben und Tragen oder Arbeit in Rumpfbeugehaltung typisch sei, entscheidend nur die Frage nach einer wesentlichen Mitverursachung der LWS-Erkrankung durch die versicherten Einwirkungen stelle. Aus diesen Gründen sei auch der § 9 Abs. 3 SGB VII, unabhängig von seinem Inkraft-treten erst am 01. Januar 1997, bei der BK Nr. 2108 nach heutigem wissenschaftlichen Er-kenntnisstand nicht anwendbar (Urteil vom 18. November 1997 – 2 RU 48/96 – SGb 1999, 39, B 2 U 13/05 R, zitiert nach juris).
Von diesen rechtlichen Voraussetzungen ausgehend ist nach dem Gesamtergebnis des Verfah-rens (§ 128 Abs. 1 SGG) nachgewiesen, dass sämtliche Voraussetzungen der BK Nr. 2108 er-füllt sind.
Die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankungen, für die eine Rente beansprucht wird, sind zweifelsfrei nachgewiesen. Eine absolute Sicherheit ist bei der Feststellung des Sachverhalts nicht zu erzielen. Erforderlich ist aber eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorge-nannter Tatbestandsmerkmale zweifelt (BSGE 6, 144; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage, Anm. 5 zu § 118 m. w.N.) Es muss ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit vorlie-gen, dass alle Umstände des Einzelfalls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 45, 285, 287; 61, 127, 128).
Der Kläger war als Versicherter nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB VII beruflichen Einwirkun-gen durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten und Arbeit in extremer Rumpfbeu-gehaltung hinreichend ausgesetzt. Die Einwirkungen waren mit Wahrscheinlichkeit wesentli-che (Mit-)Ursache für die bandscheibenbedingte Erkrankung des Klägers, so dass er infolge seiner den Versicherungsschutz nach § 2 SGB VII begründeten Tätigkeit eine bandscheibenbe-dingte Erkrankung seiner LWS erlitten hat und dadurch gezwungen war, diese Tätigkeit auf-zugeben.
Die nach dem Mainz-Dortmunder Dosismodell (MDD) ermittelte Gesamtbelastungsdosis über-schreitet erheblich den Richtwert von 12,5 x 106 Nh. Dies gilt sowohl für die vom TAD ermit-telte und mit Stellungnahme vom 22. Oktober 2008 mitgeteilte Gesamtbelastungsdosis in Höhe von 49,2 MNh als auch die von Prof. Dr. Dr. B berechnete Dosis in Höhe von 88,69 x 106 Nh. Beide Werte sind nach den Vorgaben des BSG im Urteil vom 30. Oktober 2007 B2 U 4/06 R berechnet. Der Wert von 12,5 x 106 Nh wird nach der Rechtsprechung des Bundessozialge-richts für ausreichend erachtet, da die Richtwerte des MDD nach dieser Rechtsprechung für die Gesamtbelastungsdosis zu halbieren sind (BSG Urteil vom 30. Oktober 2007, B 2 U 4/06 R). Das BSG hat daher in seinen Entscheidungen vom 30. November 2008 - B 2 U 14/07 R und B 2 U 14/07 R - Modifizierungen zur Anwendung des MDD für notwendig erachtet. Danach ist die dem MDD zu Grunde liegende Mindestdruckkraft pro Arbeitsvorgang bei Männern nun-mehr mit dem Wert 2.700 N pro Arbeitsvorgang anzusetzen. Auf eine Mindesttagesdosis soll nach dem Ergebnis der Deutschen Wirbelsäulenstudie verzichtet werden. Alle Hebe- und Tra-gebelastungen, die die aufgezeigte Mindestbelastung von 2.700 N bei Männern erreichen, sind entsprechend dem quadratischen Ansatz (Kraft mal Kraft mal Zeit) zu berechnen und aufzuad-dieren. Der untere Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der LWS ausgeschlossen ist und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Er-mittlungen verzichtet werden kann, ist auf die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientie-rungswertes für die Gesamtbelastungsdosis von 25 x 10 6 Nh, also auf 12,5 x 10 6 Nh, herabzu-setzen.
Nach diesen Vorgaben bieten die Berechnungen keinen Anlass für Beanstandungen.
Auch ist bei dem Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS zweifelsfrei fest-stellbar.
Der Senat orientiert sich bei der Frage, ob eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS nachgewiesen ist, an den "Medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Be-rufskrankheiten der Lendenwirbelsäule", die Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbe-gutachtung der auf Anregung der vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaft eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe (veröffentlicht in Trauma und Berufskrankheit, Heft 3 und 4/2500, Springer Medizinverlag, Seite 211 ff. – nachfolgend Konsensempfehlungen genannt).
Die Konsensempfehlungen entsprechen dem aktuellen wissenschaftlichen medizinischen Er-kenntnisstand, wie Prof. Dr. Dr. B- in seiner aktuellen Stellungnahme bestätigt hat. Als aktuel-ler wissenschaftlicher medizinischen Erkenntnisstand, sind die durch Forschung und prakti-sche Erfahrungen gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt wurden, über die von verein-zelten, nicht ins Gewicht fallende Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht (Urteil des BSG vom 27. Juni 2006 – B 2 U 13/05 R).
Nach den Konsensempfehlungen ist der bildgebende Nachweis eines altersuntypischen Band-scheibenschadens (Höhenminderung und/oder Vorfall) unabdingbare aber nicht hinreichende Voraussetzung für den Nachweis eines Bandscheibenschadens. Hinzukommen muss eine kor-relierende klinische Symptomatik (Seite 215 der Konsensempfehlungen).
Das Schadensbild der BK 2108 und 2110 entspricht den Volkskrankheiten durch chronisch-degnerative Veränderungen der Bandscheiben. Es gibt kein hiervon eindeutig abgrenzbares belastungstypisches Krankheitsbild, sondern nur ein belastungskonformes WS-Schadensbild der Berufskrankheit. Das belastungskonforme Schadensbild wird beschrieben durch den Ver-gleich der Veränderungen zwischen Beschäftigten mit hoher Wirbelsäulenbelastung und der Normalbevölkerung hinsichtlich der Kriterien
- Lebensalter beim Auftreten der Schädigung - Ausprägung in einem bestimmten Alter (Seite 212 der Konsensempfeh-lungen).
Der bildgebende Nachweis eines altersuntypischen Bandscheibenschadens ist mit einer Hö-henminderung (Chondrose) und eines altersüberschreitenden Vorfalls (Prolaps) erbracht. Eine korrelierende klinische Symptomatik ist ebenfalls zweifelsfrei nachgewiesen. Damit liegen radiologische und klinische Voraussetzungen vor, die das Krankheitsbild eines lokalen Lum-balsyndroms (Typ 1) der Konsensempfehlungen begründen.
Bei einem lokalen Lumbalsyndrom sollen folgende Kriterien erfüllt sein (Seite 216 der Kon-sensempfehlungen):
- Radiologie: altersuntypische Höhenminderung einer oder mehrerer Bandscheiben - Symptom. Schmerz durch Bewegung - Klinik: Segmentbefund mit provozierbarem Schmerz - funktionell: Entfaltungsstörung der Lendenwirbelsäule - Muskulatur. erhöhter Tonus - ggf. pseudoradikuläre Schmerzausstrahlung.
Letzteres ist nur ein " Kann-Kriterium", wie Prof. Dr. Dr. B es nennt.
Zweifelsfrei liegen bei dem Kläger altersuntypische Bandscheibenschäden in Form einer Chondrose und/oder Prolaps in Form des Bandscheibenvorfalls L 4/L 5 und einer Chondrose mit altersuntypischer Bandscheibenverschmälerung im Segment L 4/L 5 vor.
In den Segmenten L 2/L3, L 3/L 4 und L 5/S 1 findet sich zwar auch eine Chondrose, diese ist jedoch lediglich leichtgradig (Grad I) und daher nicht altersuntypisch im Sinne der Konsens-empfehlungen, so dass sie zur Begründung einer bandscheibenbedingten Erkrankung nicht heranzuziehen sind. Der zweifelsfreie Nachweis erfolgte zuletzt anlässlich der Begutachtungen durch Prof. Dr. Dr. B und Dr. R. Die Beurteilungen entsprechen den Konsensempfehlungen, die in der Übersicht 1 auf Seite 214 die Einordnung der gemessenen Höhenminderungen in die Alters(un)typik ermöglicht und in Übersicht 3 die Beurteilung des Prolaps als altersuntypisch nachvollziehen lässt.
Die Konsensempfehlungen beurteilen einen Prolaps Grad II als altersuntypisch unter der Be-schreibung: Bandscheibe wölbt sich größer gleich 5 mm über die Verbindungslinie der dorsa-len Begrenzung der WK-Hinterkante vor (S. 215 KE). Eine Höhenminderung Grad I größer 1/5 -1/3 im Alter unter 50 Jahren wird als altersuntypisch beurteilt ebenso die Höhenminderung
Grad II größer 1/3 – 1/2, Grad III: Höhenminderung größer 1/2, Grad IV: Ankylosierende Chondrose.
Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. Dr. B fanden sich auch die zum Typ 1 genannten klini-schen Symptome eines lokalen Lumbalsyndroms mit Bewegungsschmerzen, provozierbaren Schmerzen bei Druck im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule, deutlichen Entfaltungsstö-rungen der Lendenwirbelsäule (Schober’scher Index 10/13) und erhöhtem Muskeltonus im Bereich der unteren LWS.
In Anbetracht der insoweit zweifelsfrei durch objektive Befunde nachgewiesenen Korrelation zwischen Radiologie und Klinik überzeugt die Beurteilung von Prof. Dr. Dr. B den Senat, der ein lokales Lumbalsyndrom für nachgewiesen erachtet. Soweit die Beklagte dagegen Einwen-dungen erhebt, vermögen diese keine Zweifel an dieser Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. B zu begründen.
Die Beklagte stellt die Beurteilung in Frage unter Bezugnahme auf die beratungsärztliche Stel-lungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin Dr. P. Dieser gelangte zu der Beurteilung, eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der Konsensempfehlungen liege beim Kläger nicht vor. Die radiologischen Kriterien hinsichtlich eines lumbalen Wurzelsyndroms seien er-füllt, nicht hingegen die neurologischen. Das lokale Lumbalsyndrom Typ 1 nach den Konsens-empfehlungen sei durch das Fehlen jeglicher sensibler oder motorischer Defizitsymptomatik gekennzeichnet. Das Pseudoradikulär-Syndrom sei nicht dermatomgebunden. Da der Kläger eine sensible Defizitsymptomatik angebe, müsse das vorliegende Krankheitsbild als lumbales Wurzelsyndrom eingeordnet werden, für das allerdings die neurologischen Kriterien nicht er-füllt seien. Da der Kläger eine sensible Defizitsymptomatik in Form einer Hypalgesie im Be-reich der Großzehe links biete, müsse hier eine Zuordnung zum Wurzelsyndrom Typ II erfol-gen. Der Senat würdigt diese Beurteilung im Rahmen des Vorbringens der Beklagten. Allerdings vermag sie nicht zu überzeugen.
Auf der medizinischen Ebene stimmt Prof. Dr. Dr. B Dr. P soweit zu, als er ausgeführt hat, dass bei der Beschwerdeschilderung durch Dr. S durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein sensibles lumbales Wurzelsyndrom zum Zeitpunkt der Diagnose des Bandscheibenvorfalls L 4/L5 mit Kompression der linken Nervenwurzel 05/2000 bestanden habe. Der Nachweis ei-ner Dermatom-bezogenen Sensibilitätsstörung durch eine fachärztliche Untersuchung sei un-terblieben zum damaligen Zeitpunkt und habe bei den späteren gutachterlichen Untersuchun-gen, insbesondere die neurologische Untersuchung durch Dr. S 04/2006, nicht bestätigt werden können. Im Einzelnen führte er aus:
"Nach der Konsens-Empfehlung ist bei bereits länger zurückliegender Aufgabe der belastenden Tätigkeit der Befund zum Zeitpunkt der Auf-gabe der belastenden Tätigkeit wegweisend (Bolm-Audorff et al. 2005a, Ziffer 1.2, Satz 2). Da der Kläger die belastende Tätigkeit 04/2000 unterlassen hat, ist maßgeblich für die Diagnose zum Zeit-punkt der Unterlassung der Befund des Hausarztes vom 24.03.2000 (Blatt 21 der BG-Akte), der keinerlei Hinweise für neurologische Funk-tionsstörungen enthält. Auch Herr Dr. K fand diese bei der ersten Un-tersuchung am 25.08.2000 nicht (Blatt 19 der Gerichtsakte). Somit sprechen alle vorliegenden Unterlagen dafür, dass der Kläger zum Zeitpunkt der unterlassenen Tätigkeit ein lokales Lumbalsyndrom ent-sprechend der klinischen Kriterien der Konsens-Empfehlung aufwies und kein lumbales Wurzelsyndrom (siehe Ziffer 1.3 der Konsens-Empfehlung). Nach der Konsens-Empfehlung soll bei Hinweisen auf eine radikuläre Symptomatik eine fachneurologische Zusatzbegutach-tung veranlasst werden (Bolm-Audorff et al. 2005a, S. 216, mittlere Spalte, Abs. 6, siehe Rückseite von Blatt 369 der Gerichtsakte).
Bei der Untersuchung durch Dr. S, niedergelassener Neurologe und Psychiater in Berlin, am 21.04.2006 zeigten sich schwache und annä-hernd seitengleiche Muskeleigenreflexe im Bereich der unteren Extre-mität, keine Paresen, keine Pyramidenbahnzeichen und eine leichte Hypalgesie im Bereich der Großzehe links. Bei der neurographischen Untersuchung des Nervus peronaeus zeigte sich ein regelrechter Be-fund ohne Hinweise für eine Neuropathie. In der Elektromyografie be-stand kein Nachweis einer manifesten akuten oder chronischen neuro-genen Schädigung im Bereich der Spinalnerven L3-S1. Insgesamt be-stand nach diesem neurologischen Befund ein neurographisch regel-rechter Befund ohne Hinweis auf Neuropathie und ohne Nachweis ei-ner akuten oder chronisch-neurogenen Schädigung in der Elektromy-ografie (Blatt 365-366 der Gerichtsakte).
Auch bei den gutachterlichen Untersuchungen durch Dr. L am 10.10.2002, Dr. S am 23.06.2005 und bei mir selbst am 22.08.2006 gab der Kläger ischialgieforme LWS-Beschwerden mit Ausstrahlung in das linke Bein und zumindest zeitweiligem dortigen Taubheitsgefühl an, ohne dass sich in diesen Untersuchungen ein lumbales Wurzelsyndrom mit neurologischen Zeichen der Reizung bzw. Schädigung einer oder mehrerer Nervenwurzeln im Sinne der Konsens-Empfehlung nachwei-sen ließ. Ich mache das Gericht darauf aufmerksam, dass bei der Be-schwerdeschilderung durch Dr. S durchaus eine gewisse Wahrschein-lichkeit für ein sensibles lumbales Wurzelsyndrom zum Zeitpunkt der Diagnose des Bandscheibenvorfalls L4/L5 mit Kompression der linken Nervenwurzel 05/2000 bestand. Der Nachweis einer Dermatom-bezogenen Sensibilitätsstörung durch eine fachärztliche Untersuchung unterblieb jedoch zum damaligen Zeitpunkt und konnte bei den späte-ren gutachterlichen Untersuchungen, insbesonderre die neurologische Untersuchung durch Dr. S 04/2006, nicht bestätigt werden."
Nachvollziehbar und überzeugend ist die Konsequenz, die Prof. Dr. Dr. B zieht:
Da im Berufskrankheitenrecht eine Erkrankung jedoch gesichert sein müsse und nicht dafür nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit sprechen dürfte, sei aus seiner Sicht ein lumbales Wurzel-syndrom bei dem Kläger zum Zeitpunkt der Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit 04/2000 nicht gesichert (Stellungnahme vom 03. Februar 2010, ähnlich Stellungnahme vom 20. Januar 2011).
Damit sind Zweifel am Vorliegen eines lokalen Lumbalsyndroms nicht begründet. Die Beurtei-lung von Dr. P ist ohne morphologisches Substrat.
Die bei der Untersuchung durch Prof. Dr. Dr. B festgestellte bandscheibenbedingte Erkrankung ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nach den vorgenannten Maßstäben auf die berufliche Tätigkeit als wesentliche (Mit-)Ursache zurückzuführen. Andere Ursachen von überragender Bedeutung sind nicht feststellbar. Bereits bei Aufgabe seiner beruflichen Tätigkeit im März 2000 lag ein altersuntypischer Prolaps (CT vom 24. Mai 2000) bei L 4/L5 und eine altersunty-pische Chondrose L 4/L 5 vor, wie Prof. Dr. Dr. B unter Hinweis auf das für die Aufnahme aus Mai 2000 diagnostizierte Vakuumphänomen insoweit unwidersprochen von Dr. P ausgeführt hat.
Soweit im Jahr 2002 eine Progredienz der Chondrose L 4/L 5 zu einer Höhenminderung )1/3-12 erfolgt ist und im Röntgenbild vom 15. August 2006 mit weiterer Zunahme hin zu einer drittgradigen Chondrose zu erkennen ist, rechtfertigt sich dies mit der medizinischen Erkennt-nis, dass die Bandscheiben durch das vorgefallene Bandscheibengewebe (altersuntypischer Prolaps bei L4/L5 (CT 24.05.2000)) an Volumen verliert (Stellungnahme von Prof. Dr. Dr. B- vom 03. Februar 2010). Danach ist es gewöhnlich, dass die Zunahme einer Chondrose oder der erstmalige Nachweis nach vorhergegangenem Bandscheibenvorfall im selben Segment nicht erfolgt, weil durch das vorgefallene Bandscheibengewebe die Bandscheibe an Volumen ver-liert. Weil der Bandscheibenvorfall L4/L5 bei dem Kläger erstmals in der Computertomografie der Lendenwirbelsäule vom 24.05.2000 diagnostiziert wurde, ist es nichts Ungewöhnliches, dass sich später die Chondrose mit Bandscheibenverschmälerung in diesem Segment ver-schlimmere (Der Sachverständige verweist auf Debrunner 2005, S. 882).
Der insoweit für die Progredienz ursächliche Prolaps erfüllte nach der Beurteilung von Dr. R schon im Mai 2000 die Anforderungen der Konsensempfehlungen an einen altersuntypischen Bandscheibenschaden in Form eines Vorfalls (Prolaps). Gemäß dem CT vom 24. Mai 2000 entsprechend der Auswertung durch Dr. R bestand im Segment L 4/5 eine höhengeminderte Bandscheibe und ca. 5 mm messender Auswalzung sowie eine ca. 4 mm messende, das Seg-mentniveau nach cranial überschreibender Bandscheibenvorwölbung und eine ca. 5 mm mes-sende Spondylose.
Der Befund aus dem Monat Mai 2000 lässt den Schluss zu, dass er bereits im März 2000 zwei-felsfrei vorgelegen hat. Auch wenn der Befund zum Prolaps erst im Mai 2000 und nicht schon im März 2000 erhoben wurde, steht es für den Monat März 2000 zweifelsfrei fest, wie Prof. Dr. Dr. B überzeugend begründet hat.
Des Weiteren belegen die aktenkundigen Befunde, dass zeitnah zur Aufgabe der beruflichen Tätigkeit beim Kläger die vorgenannten klinischen Symptome des lokalen Lumbalsyndroms bereits vorlagen:
Schmerz durch Bewegung und eine Entfaltungswirkung sind für den 24. März 2000 nachge-wiesen durch den Befund von Dr. S. Sein Befund lautet:
Schmerzhafte Bewegungseinschränkung der LWS bei BS-Prolaps
- FBA: 40 cm - Schober: 10/14 cm - Vor- und Rückwärtsneig.: 60°/0°/10° - Seitneig.: li. 10°/re. 25° - Rotation: li. 10°/re. 15° mit Schmerzangaben LWS
Auch dem Befundbericht des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin vom 31.08.2000 ist eine Schmerzverstärkung beim Laufen sowie gebeugter Körperhaltung zu ent-nehmen.
Auch dem Befundbericht von Dr. S über die Behandlung seit dem 24.03.2000 ist zu entneh-men, dass bei Herrn S. während der Arbeit in gebeugter Haltung sowie bei Stemmarbeiten mit Kompressorhammer ständig starke Schmerzen auftraten.
Der für die Muskulatur von den Konsensempfehlungen geforderte erhöhte Tonus liegt ausweis-lich des Gutachtens von Dr. S am 31. August 2000 vor. Er führte aus, dass bei der sozialmedi-zinischen Begutachtung vom 31. August 2000 als Befund eine hochgradige Bewegungsein-schränkung der Lendenwirbelsäule – Finger-Boden-Abstand 40 Zentimeter – mit muskulärem Hartspann links angegeben wurde. Dies entspricht dem Befund, den Dr. G am 31. August 2000 erhoben hat: "Druck- oder Klopfschmerz der paravertebralen Muskulatur und der Dornfortsät-ze mittlere und untere LWS" (siehe auch Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. Auflage zum Hartspann).
Insoweit ist unzutreffend die Auffassung von Prof. Dr. Dr. B-, ein muskulärer Hartspann sei erst im Jahr 2001 in der P-Klinik dokumentiert worden.
Der von den Konsens-Empfehlungen geforderte Segmentbefund mit provozierbarem Schmerz wurde am 25. August 2000 dokumentiert. Prof. Dr. Dr. B- schreibt in seiner Stellungnahme vom 03. Februar 2010:
"Erstmals ist in dem Bericht über die Untersuchung von Herrn S. am 25.08.2000 durch Dr. K dokumentiert, dass bei diesem eine ausgepräg-te Druckdolenz über den Dornfortsätzen L4/L5 beidseits besteht (Blatt 19 der Gerichtsakte). Dies ist als Segmentbefund mit provozierbarem Schmerz in dem Segment mit Bandscheibenvorfall im Sinne der Kon-sens-Empfehlung zu interpretieren."
Die bandscheibenbedingte Erkrankung des Klägers i. S. der Konsensempfehlungen ist entspre-chend der Einordnung in die Konstellation B 2 auf die schädigenden Einwirkungen bei versi-cherter Tätigkeit als wesentliche (Mit-)Ursache mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zurück-zuführen.
Die Konstellation B 2 besagt:
- Wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren erkennbar: nein - Begleitspondylose: nein.
Zusätzlich mindestens eins der folgenden Kriterien erfüllt:
- Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben – bei monosegmenater/m Chondrose/Vorfall in L 5/S 1 oder L4/L 5 "black disc" im Magnetresonanztomogramm in mindes-tens 2 angrenzenden Segmenten (Hinweis: ggf. Magnetreso-nanztomogramm der Lendenwirbelsäule im Rahmen der Begut-achtung veranlassen)
- Besonders intensive Belastung; Anhaltpunkt: Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren.
- Besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspit-zen; Anhaltspunkt: Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 ½ kN; Männer ab 6 kN).
Beurteilung: Zusammenhang wahrscheinlich.
Im Fall des Klägers fehlt eine Begleitspondylose.
Als solche ist definiert eine Spondylose
a) in /im von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en) sowie b) in /im von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en) die nachgewiesenermaßen vor dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne einer Chondrose oder eines Vorfalls aufgetreten ist.
Die Frage, ob Begleitspondylosen erforderlich sind, ist in der Wissenschaft umstritten (Anmer-kungen zu den nicht im Konsens beurteilten Fallkonstellationen, Anhänge 1 und 2 der Kon-sensempfehlungen). Allerdings ist der Streit im vorliegenden Verfahren aufgrund der weiteren Kriterien der B 2 unerheblich.
Im Fall des Klägers ist das 3. Zusatzkriterium der Konstellation B 2 feststellbar: Besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen. Mit Stellungnahmen vom 13. Dezember 2010 und 18. Januar 2011 hat die Abteilung Prävention der Beklagten das Vorliegen dieser Voraussetzung dargelegt. In diesem Fall wird unter der Konstellation B 2 der Konsensempfeh-lungen der Zusammenhang für wahrscheinlich erachtet.
Für den Kausalzusammenhang sprechen zusätzlich weitere Umstände. Dr. P hat in seiner Stel-lungnahme vom 01. Oktober 2007 (Seite 13) festgestellt, dass sich "eine plausible zeitliche Korrelation" zwischen der beruflichen Belastung und klinischer Symptomatik finde. Prof. Dr. Dr. B- hat als zusätzlichen Umstand ausgeführt, dass nach den Konsensempfehlungen eine Betonung der Bandscheibenschäden an der unteren LWS eher für einen Ursachenzusammen-hang mit der beruflichen Belastung spreche (Konsensempfehlungen, S. 216, rechte Spalte, Ab-satz 4). Dieses Kriterium sei im vorliegenden Erkrankungsfall erfüllt, weil das bei dem Kläger hauptsächlich betroffene Segment L 4/L 5 im unteren Bereich der Lendenwirbelsäule liegt.
Indizien, die gegen einen Zusammenhang sprechen könnten:
- die gleichmäßige Ausbreitung von Schmerzen über weite Bereiche des Rückens mehrere Segmente vom bildgebend dargestellten Bandscheibenschaden entfernt - die Schilderung von Schmerzen, die sich zugleich über die Gelenke ausbreiten (Seite 216 der Konsensempfehlungen)
sind nicht feststellbar. Prof. Dr. Dr. B- hat dies in Übereinstimmung mit der Aktenlage auf Nachfrage des Gerichts überzeugend dargelegt (Stellungnahme vom 03. Februar 2010, S. 10). Auch sind konkurrierende Erkrankungen wie z. B. Skoliose nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht feststellbar. Einem Übergewicht als Mitursache ist eine überragende Bedeu-tung ebenfalls nach dem Gesamtergebnis der Begutachtungen nicht beizumessen.
Die bandscheibenbedingte Erkrankung hat auch zu chronisch rezidivierende LWS-Beschwerden in der Form des lokalen Lumbalsyndroms mit Funktionsstörungen wie vermin-derter Bewegungsfähigkeit der LWS geführt. Die Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit war aus diesem Grund am 24. März 2000 zur Verhütung einer Verschlimmerung der bandschei-benbedingten Erkrankung der LWS erforderlich.
Das Gutachten von Dr. S steht der Beurteilung der Erkrankung als BK nicht entgegen. Er ori-entierte sich nicht an den Konsensempfehlungen und entspricht hinsichtlich der Beurteilung der Erkrankung als BK damit nicht dem aktuellen Stand. Dies gilt auch für die Stellungnahme von Dr. W-.
Die Höhe der MdE ist mit 20 v. H. angemessen bewertet.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesam-ten Gebiet des Erwerbslebens, § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII. Die Bemessung des Grades der MdE wird vom BSG als Tatsachenfeststellung gewertet, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Über-zeugung trifft (BSG Urteil vom 02. Mai 2001 - B 2 U 24/00 R - SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S 36 m.w.N.). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem unfallversicherungsrechtlichen und unfallversicherungsmedizinischen Schrifttum herausgear-beiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerech-te Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG a.a.O.; BSG Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1).
Nach diesen Maßstäben, die der Senat zugrunde legt, ist die MdE nicht mit über 20 v. H. zu bewerten. Der Senat legt auch insoweit die Konsensempfehlungen zugrunde. Sie sehen vor:
MdE [%] 10 20 30-40 &8805;50 % Diagnose
Lokales LWS-Syn- drom oder lumbales Wurzelkompressions- syndrom mit leichten (auch anamnestischen) belastungsabhängigen Beschwerden und leichten Funktionseinschränkungen, auch nach – ggf. operier-tem – Prolaps Lokales LWS-Syndrom oder lumba-les Wurzelkompres-sionssyndrom mit mittelgradigen belas-tungsabhängigen Beschwerden; Lum-boischialgie mit belstungsabhängigen Beschwerden, deut- liche Funktionsein- schränkungen; mittelgradige Funkti-onseinschrän- kungen u. Beschwer-den nach Operation Lumbales Wurzel- kompressionssyndrom mit starken belastungsab-hängigen Beschwerden und motorischen Störun-gen funktionell wichtiger Muskeln; starke Funkti-onseinschränkungen und Beschwerden nach Operation Lumbales Wurzel-kompressions-syndrom mit schwers-ten motorischen Störungen; persistie-rendes, gravierendes Kaudasyndrom; schwerste Funktionseinschrän- kungen und Be-schwerden nach Operation
Einschrän-kungen hinsichtlich Möglicher Belastungen Häufiges Arbeiten in gebückter Haltung, häu- figes Handhaben schwerer Lasten, hohe Schwin-gungsbelastung im Sitzen Dauerhafte Zwangs- haltung im Sitzen oder im Stehen. Mehr als gelegentliches Ar- beiten in gebückter Haltung bzw. Hand-haben schwerer Lasten
Gelegentliches Arbeiten in gebückter Haltung, ge- legentliches Handhaben schwerer Lasten Erhebliche Ein-schränkung für alle links genannten Tätigkeiten
Die festgestellten Funktionsstörungen rechtfertigen danach eine MdE von 20 v. H. und keine höhere.
Der Kläger hat bei seinem lokalen LWS-Syndrom mittelgradige belastungsabhängige Be-schwerden, deutliche bis mittelgradige Funktionseinschränkungen seit Aufgabe der Tätigkeit. Er hat Einschränkungen hinsichtlich möglicher Belastungen. Prof. Dr. Dr. B hat ausgeführt, dem Kläger seien aufgrund der bandscheibenbedingten Erkrankung infolge einer verminderten Bewegungsfähigkeit der Lendenwirbelsäule Arbeiten versperrt, an denen es zu dauerhafter Zwangshaltung im Sitzen oder im Stehen, zu mehr als gelegentlichem Heben in gebückter Hal-tung bzw. zur Handhabung schwerer Lasten kommt. Die Einschätzung begründete er nachvoll-ziehbar mit den erhobenen Befunden:
Dies entspricht Befunden aus der Zeit ab Aufgabe der beruflichen Tätigkeit im Gutach ten von Dr. Ganlässlich der Untersuchung vom 24. August 2000 und denen von Dr. S vom 24. März 2000, in dem ärztlichen Entlassungsbericht aus der Klinik anlässlich des stationären Aufenthalts vom 27. Februar 2001 bis 20. März 2001 und den Befunden aus den Gutachten von Dr. Lund Dr. S. Soweit das SG die MdE mit 30 v. H. bewertet hat, ist dies nicht nachvollziehbar. Es hat zur Begründung herangezogen, dass der Kläger Angaben gemacht habe, in denen die Kammer schwere funktionelle Auswirkungen im LWS-Bereich sehe. Der Kläger habe angegeben, chro-nische und starke Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule zu haben, die ziehend seien und in das linke Bein ausstrahlten.
Diese Beurteilung steht weder mit den MdE-Kriterien überein, die das SG als Orientierung genannt hat noch entspricht sie den Konsensempfehlungen. Sie widerspricht auch der Beurtei-lung von Dr. L, der die MdE mit 20 v. H. beurteilt hat.
Die schriftlichen Äußerungen von Dr. P sind nicht aus der Akte zu entfernen, sie unterliegen keinem Verwertungsverbot, das einen solchen Anspruch begründen könnte. Ein Verstoß gegen § 200 Abs. 2 SGB VII ist nicht erfolgt. Das Gutachten fällt nicht unter den Anwendungsbe-reich dieser Vorschrift. Zwar gilt § 200 SGB Abs. 2 VII auch für die von den Unfallversiche-rungsträgern im Laufe eines Gerichtsverfahrens eingeholte Gutachten. Allerdings stellt sich die Stellungnahme von Dr. P insoweit nicht als Gutachten in dem Sinne dar. Er arbeitet im Organi-sationsbereich der Beklagten in deren Arbeitsmedizinischen Dienst und ist kein externer Gut-achter und hat auch kein Gutachten im o. g. Sinne abgegeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Tatbestand:
Im Streit ist die Beurteilung der Erkrankung der Bandscheiben der Lendenwirbelsäule (LWS) des Klägers als Berufskrankheit (BK) der Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverord-nung (BKV) und deren Entschädigung mit einer Rente.
Der 1947 geborene Kläger hatte während seines Berufslebens schwere Lasten zu tragen und Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung zu verrichten.
Nach einer Lehrzeit zum Maurer war er als Maurer/Akkordmaurer bis 23. März 2000 tätig. Ab 24. März 2000 war er arbeitsunfähig. Am 24. März 2000 lautete die Diagnose "Kreuzschmerz, Lumboischialgie". Seit September 2001 bezieht er Berufsunfähigkeitsrente.
Auf die Anzeige der AOK Berlin im September 2000 ermittelte die Beklagte zu den Voraus-setzungen der BK. Arztbriefe und Befundberichte gelangten zu den Akten: von Dr. R vom 11. Mai 2000 mit Befund zu einer Röntgenaufnahme der LWS vom 09. Mai 2000, ein Arztbrief vom Röntgeninstitut Braun vom 26. Mai 2000, ein Befundberichte von Dr. S und von Dr. K Zu den Akten gelangte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V., nach einer Untersuchung vom 31. August 2000 sowie ein ärztlicher Reha-Entlassungsbericht zu der Zeit vom 27. Februar 2001 bis 20. März 2001 anlässlich der stationären Behandlung des Klägers in der P Klinik B.
Mit Bescheid vom 17. Oktober 2001 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung wegen einer BK nach Nr. 2108 und etwaige prophylaktische Leistungen gemäß § 3 BKV ab. Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung würden nach § 26 Sozialgesetzbuch VII (SGB VII) nach Eintritt einer BK gewährt. Die Voraussetzungen für eine BK 2108 der Anlage zur BKV seien nicht gegeben.
Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers, der auf die Schädigung der "kompletten LWS" hinwies, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. November 2001 zurück.
Dagegen erhob der Kläger Klage mit dem am 24. Dezember 2001 beim Sozialgericht (SG) Neuruppin eingegangenen Schriftsatz: Seit seinem 16. Lebensjahr arbeite er auf dem Bau. Kör-perliche Schwerstarbeit gehöre seit seiner Lehre zum Berufsbild wie dem Tragen von 50 kg Zementsäcken, Tuppen mit Mörtel von 60-70 kg auf dem Rücken. Allein in 1999 habe er bei der Firma O 8 Wochen ununterbrochen täglich 8 Stunden allein mit dem Kangohammer Stemmarbeiten unter einer nur 1 m hohen Rampe ausführen müssen. Als Akkordmaurer sei er außerdem verpflichtet gewesen, seine Arbeitsmaterialien wie Steine oder Mörtel zu seinem Arbeitsplatz zu bringen, das heiße beim Akkordmauern auch über etliche Etagen habe er auf seinem Rücken die Materialien nach oben über die Gerüstleitern schleppen müssen.
Das SG holte ein Gutachten ein, das Dr. L im November 2002 erstattete aufgrund ambulanter Untersuchung des Klägers am 10. Oktober 2002. Nach seiner Beurteilung litt der Kläger zur Zeit seiner Untersuchung an einem schweren chronischen lumbalen pseudoradikulären Schmerzsyndrom. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bewertete er mit 20 v. H. ab März 2000. Als wesentliche Teilursache sei die hohe biomechanische Belastung der LWS durch die berufliche Einwirkung in der Tätigkeit als (Teil-)Ursache im Ursachengefüge unter Berücksichtigung der Adipositas nicht wegzudenken. Dr. L ergänzte das Gutachten im Juni 2003. Zu den Akten gelangten Arztbriefe aus der C vom 10. September 2002, und von Dr. S aus dem Monat April 2002.
Die Beklagte überreichte im Juli 2003 ein Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. W- Die Beklagte trug vor, dass sich nach dessen Ansicht eine primär vorliegende bandscheibenbeding-te Erkrankung der LWS und das Vorliegen so genannter belastungsadaptiver Reaktionen nicht feststellen ließen.
Das SG holte ein Gutachten nach Aktenlage ein von Dipl.-Ing. E, das im August 2003 einging. Er ermittelte 29,2 MNh als Gesamtbelastung.
Mit dem am 10. Dezember 2003 verkündeten Urteil hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 17. Oktober 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, wegen der LWS-Erkrankung als Folge der BK 2108 Verletztenteilrente für eine MdE von 30 Prozent ab 24. März 2000 zu gewähren. Das Gericht bezog sich auf die Beurtei-lungen von Dr. L und Dipl.-Ing. E. Der Kläger habe angegeben, chronische und starke Schmerzen im Bereich der LWS zu haben, die ziehend seien und in das linke Bein ausstrahlten. Die Kammer sah hierin schwere funktionelle Auswirkungen im LWS-Bereich und bewertete diese mit einer MdE von 30 Prozent.
Gegen das der Beklagten am 02. Februar 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 17. Febru-ar 2004 beim Landessozialgericht (LSG) für das Land Brandenburg eingegangene Berufung der Beklagten. Sie nahm Bezug auf ihre Einwände gegen das Gutachten von Dipl.-Ing. E und gegen das Gutachten von Dr. L. Die Feststellung der MdE sei nicht nachvollziehbar. Das Ge-richt weiche insoweit ohne nähere Begründung vom Gutachten Dr. L um 10 v. H. ab.
Der Kläger hat vorgetragen, er erachte die Berufung inhaltlich nicht für nachvollziehbar. Im Einzelnen trug er zu den von ihm ausgeübten Arbeiten vor.
Im Berufungsverfahren wurden die ehemaligen Arbeitgeber des Klägers um Auskunft ersucht, soweit der Aufenthalt ermittelt werden konnte.
Der Kläger übermittelte ein Gutachten des Arztes für Radiologie Prof. Dr. F vom 11. April 2004.
Im Berufungsverfahren wurde ein Gutachten eingeholt, das der Arzt für Chirurgie Dr. S im Juli 2005 aufgrund ambulanter Untersuchung des Klägers vom 23. Juni 2005 zu den Akten reichte. Er führte aus, durch bildgebende Untersuchungen sei bei dem Kläger seit dem Frühjahr 2000 eine Verschleißumformung der gesamten Lendenwirbelsäule nachgewiesen. Bei dem Kläger seien sämtliche Bandscheibensegmente der Lendenwirbelsäule ab dem zweiten Lendenwirbel-körper betroffen. Eine belastungskonforme Verteilung liegt nicht vor. Insoweit ist eine durch innere Faktoren ausgelöste Erkrankung der Lendenwirbelsäule wahrscheinlich.
Im Oktober 2005 zeigten die jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers die Vertretung an und beantragten die Einholung eines Gutachtens durch Prof. Dr. B. Insbesondere wurde vorge-tragen, Dr. S unterlege seiner Kausalitätsprüfung eine Anforderung, die dem Stand der sozial-medizinischen Erkenntnisse nicht entspreche.
Mit Beweisanordnung vom 06. Januar 2006 wurde gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Prof. Dr. B zum Sachverständigen bestellt. Am 01. Februar 2007 ging beim LSG das von ihm erstattete Gutachten ein, das er aufgrund ambulanter Untersuchung des Klägers vom 22. Au-gust 2006 erstattete. Er übermittelte das Zusatzgutachten des Arztes für Diagnostische Radio-logie Dr. R vom 22. September 2009. Prof. Dr. Dr. B bejahte den Zusammenhang zwischen der beruflichen Belastung des Klägers und einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS in Form eines Bandscheibenvorfalls L 4/L 5 und einer Chondrose mit fortgeschrittener Band-scheibenverschmälerung im selben Segment im Sinne einer BK 2108. Es lägen chronisch-rezidivierende LWS-Beschwerden in Form eines lokalen Lumbalsyndroms sowie Funktions-störungen in Form einer verminderten Bewegungsunfähigkeit der LWS vor. Das lokale Lum-balsyndrom sei dem degenerativ veränderten Segment L 4/L 5 zuzuordnen. Bei dem Kläger liege nach der Einstufung durch die Konsensus-Arbeitsgruppe des Hauptverbandes der gewerb-lichen Berufsgenossenschaften zur Begutachtung der Berufskrankheit 2108 (nachfolgend Kon-sensempfehlungen genannt) die Fallkonstellation B 3 vor. Er machte Ausführungen zu einer Begleitspondylose. Aufgrund der Richtwerte der Konsensempfehlungen beurteilte er die MdE mit 20 v. H.
Die Beklagte nahm im Oktober 2007 unter Bezugnahme auf die beratungsärztliche Stellung-nahme des Facharztes für Arbeitsmedizin Dr. P, der beim Arbeitsmedizinischen Dienst der Beklagten tätig ist, zum Gutachten Stellung. Dieser gelangte zu der Beurteilung, eine band-scheibenbedingte Erkrankung im Sinne der Konsensempfehlungen liege beim Kläger nicht vor. Die radiologischen Kriterien hinsichtlich eines lumbalen Wurzelsyndroms seien erfüllt, nicht hingegen die neurologischen. Das lokale Lumbalsyndrom Typ 1 nach den Konsensempfehlun-gen sei durch das Fehlen jeglicher sensibler oder motorischer Defizitsymptomatik gekenn-zeichnet. Das Pseudoradikulär-Syndrom sei nicht dermatomgebunden. Da der Kläger eine sen-sible Defizitsymptomatik angebe, müsse das vorliegende Krankheitsbild als lumbales Wurzel-syndrom eingeordnet werden, für das allerdings die neurologischen Kriterien nicht erfüllt sei-en. Es folgten Ausführungen zum Thema einer Begleitspondylose.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers rügte, das von der Beklagten eingereichte Gutachten unterliege einem Verwertungsverbot. Die Beklagte habe die Stellungnahme unter Verstoß ge-gen § 200 SGB VII eingeholt. Die Beklagte meinte, die beratungsärztliche Stellungnahme sei als qualifiziertes Parteivorbringen zu werten. Sie habe nicht gegen § 200 Abs. 2 SGB VII ver-stoßen. Die Vorschrift räume dem Berufungsbeklagten keinesfalls das Recht ein, den Bera-tungsarzt auszuwählen, der für die Berufungsklägerin Stellung nehmen solle. Dr. P sei dem Organisationsbereich der BG Bau zuzuordnen.
Im November 2008 übersandte die Beklagte eine erneute Beurteilung ihrer Abteilung Präventi-on mit einer Neuberechnung der Gesamtbelastungsdosis für die Zeit vom 01.01.1966 bis 03.01.2001, die eine Gesamtdosis von 49,2 MNh ergab unter Berücksichtigung des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. Oktober 2007-B 2 U 4/06 R.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragte im November 2008, Prof. Dr. Dr. B- zu den medizinischen Einwänden der Beklagten zu hören. Prof. Dr. Dr. B nahm am 30. Juni 2009 dazu Stellung. Hinsichtlich der radiologischen Beurteilung verwies er darauf, dass Dr. P ledig-lich Facharzt für Arbeitsmedizin und nach der Musterweiterbildungsordnung der Bundesärzte-kammer nicht berechtigt sei, Computertomografie- und Magnetresonanztomografiebilder der Wirbelsäule anzufertigen und zu befunden. Dies sei einem Facharzt für Radiologie vorbehal-ten. Er verwies darauf, dass im Ergebnis seiner körperlichen Untersuchung die Kriterien eines lokalen Lumbalsyndroms erfüllt seien.
Im Juli 2009 teilte die Beklagte mit, sie gestehe ein, dass fehlende belastungsadaptive Verände-rungen nicht für die Ablehnung einer BK 2108 BKV sprächen. Dies ergäbe sich nicht nur aus dem Urteil des BSG vom 27. Juni 2006, sondern vielmehr auch aus den Konsensempfehlun-gen, wonach bei fehlenden belastungadaptiven Reaktionen die Konstellation B1 bzw. B 2 in Betracht komme. Sie habe sich erneut an Dr. P gewandt, um die Konstellationen zu prüfen.
Die Beklagte übersandte im August 2009 eine weitere Stellungnahme von Dr. P. Dieser ver-wies darauf, er habe seine Diagnosen mit dem Gutachten von Dr. R verglichen und habe fest-gestellt, dass er zu demselben Ergebnis gekommen sei wie Dr. R, weil dieses Gutachten von ganz hervorragender Qualität sei. Deshalb habe er es als Grundlage für seine beratungsärztliche Stellungnahme herangezogen. Der Vorwurf der Kompetenzüberschreitung sei folglich unange-bracht.
Gerichtliche Fragen aus dem Richterbrief vom 28. Dezember 2009 beantwortete Prof. Dr. Dr. B- im Februar 2010. Die beschriebenen Kriterien für ein lokales Lumbalsyndrom hätten sich bei seiner Untersuchung im Jahr 2006 bestätigt. Insgesamt sprächen die Befunde für die Diag-nose eines lokalen Lumbalsyndroms zum Zeitpunkt der Unterlassung der gefährdenden Tätig-keit im April 2000. Alle vorliegenden Unterlagen sprächen dafür, dass der Kläger kein lumba-les Wurzelsyndrom, sondern ein lokales Lumbalsyndrom aufgewiesen habe. Nach dem Befund des Neurologen und Psychiaters Dr. S vom 21.April 2006 habe ein neurologisch regelrechter Befund vorgelegen. Nach der Beschwerdeschilderung durch Dr. S habe durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein sensibles lumbales Wurzelsyndrom zum Zeitpunkt der Diagnose des Bandscheibenvorfalls L4/L 5 mit Kompression der linken Nervenwurzel im Mai 2000 be-standen. Der Nachweis einer Dermatom bezogenen Sensibilitätsstörung sei jedoch unterblieben und habe bei der Untersuchung im Jahr 2006 nicht bestätigt werden können.
Die Beklagte übersandte im März 2010 eine weitere Stellungnahme von Dr. P Dieser meinte, dass in dem Fall, dass der Patient über Kreuzschmerzen klage, die in die Beine ausstrahlten und klar einem Segment zugeordnet werden könnten, Typ II vorläge.
Auf weitere Beweisanordnung des Gerichts im Februar 2010 erstattete Prof. Dr. Dr. B im Au-gust 2010 ein Gutachten zu den Beweisfragen im Hinblick auf die Zusatzkriterien der Fall-konstellation B 2. Zur Beantwortung der Frage nach einer besonders intensiven Belastung, ha-be er eine Neuberechnung der Gesamtdosis nach dem MDD durchgeführt, wozu er als Ko-Autor des MDD-Verfahrens in der Lage sei. Er gelangte zu der Beurteilung, dass bei dem Klä-ger eine besonders intensive Belastung mit Erreichen des Richtwerts für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren im Sinne des zweiten Zusatzkriteriums der Fallkonstellation B 2 vorliege und legte dies dar.
Die Beklagte übermittelte eine Stellungnahme ihrer Abteilung Prävention vom 13. Dezember 2010, wonach das 3. Zusatzkriterium der Fallkonstellation B 2 durch besondere Belastungs-spitzen (Druckkräfte am L 5/S 1 mehr als 6 kN) vorliege. Prof. Dr. Dr. B- nahm am 20. Januar 2011 ergänzend Stellung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der vorliegenden Gerichts- und Verwaltungsak-ten, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige und im Übrigen statthafte Berufung ist im Wesentlichen unbegründet. Die ange-fochtenen Bescheide sind nicht rechtmäßig. Der Kläger hat einen Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung für die Folgen einer Bk nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV nach einer MdE um 20 v. H.
Die Klage ist abzuweisen, soweit der Kläger eine höhere MdE beansprucht. Insoweit ist die Berufung erfolgreich.
Die erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig. Die Beklagte hat unter Bezug-nahme auf § 26 Sozialgesetzbuch VII (SGB VII) Leistungen nach dieser Vorschrift und damit auch eine Rente abgelehnt.
Die Klage ist auch begründet, soweit sie auf einen Rentenanspruch nach einer MdE um 20 v. H. gerichtet ist.
Anspruch auf Rente haben im Fall des Fehlens eines Tatbestandes für eine Stützrente gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungs-falls (Arbeitsunfall oder Berufskrankheit) über die 26. Woche um wenigstens 20 v. H. gemin-dert ist.
Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist infolge einer BK über die 26. Woche um 20 v. H. gemindert.
BKen sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge eines Versicherungsschutzes nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird er-mächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII).
In der BKV ist die BK 2108 als "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheiten ursächlich waren oder sein können.
Die Tatbestandsvoraussetzungen einer BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV sind sämtlich erfüllt.
Nach dem Tatbestand der BK 2108 muss der Versicherte auf Grund einer versicherten Tätig-keit langjährig schwer gehoben und getragen bzw. in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet haben. Durch die spezifischen der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden besonderen Einwir-kungen muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS entstanden sein und noch be-stehen. Zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen muss ein sachlicher Zusammenhang und zwischen diesen Einwirkungen und der Erkrankung muss ein (wesentlicher) Ursachenzusammenhang bestehen. Der Versicherte muss darüber hinaus ge-zwungen gewesen sein, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben. Als Folge dieses Zwangs muss die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein. Fehlt eine dieser Voraus-setzungen, liegt eine BK 2108 nicht vor (BSG, Urteil vom 30.10.2007 – B 2 U 4/06R – Rdnr. 16 f.).
Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und Erkrankungen im Berufskrank-heitenrecht gilt, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesent-lichen Bedingung, die der Senat in den Entscheidungen vom 09. Mai 2006 (- B 2 U 1/05 R, B 2 U 26/04 R – mwN) zusammengefasst dargestellt hat. Die Theorie der wesentlichen Bedin-gung hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der Ursache eines Erfolges jedes Ereignis ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der Bedingungstheo-rie werden im Sozialrecht als rechtserheblich aber nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. "We-sentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache sind insbesondere die versicherte Ursache bzw. das Ereignis als solches, also Art und Ausmaß der Einwirkung, konkurrierende Ursachen unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens und Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach den Einwirkungen, Befunde und Diagnosen der erstbehandelnden Ärzte sowie die gesamte Krankengeschichte. Trotz dieser Ausrichtung von individuellen Versicherten sind der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs im Einzelfall der aktuelle wissenschaftliche Er-kenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen Ereignissen und Gesundheitsschä-den zugrunde zu legen. Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang nach der Theorie der wesentlichen Bedingung positiv festgestellt werden muss und hierfür hin-reichende Wahrscheinlichkeit genügt, nicht jedoch die bloße Möglichkeit. Zur Anerkennung einer BK muss ein doppelter ursächlicher Zusammenhang bejaht werden. Die gesundheitsge-fährdende schädigende Einwirkung muss ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzufüh-ren sein und diese Einwirkung muss die als BK zur Anerkennung gestellte Krankheit verur-sacht haben.
Bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände müssen die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Über-zeugung außer Betracht bleiben können (BSG in SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a. F.). Der ursäch-liche Zusammenhang ist jedoch nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht ausschließen oder nur möglich ist (BSGE 60, 58, 59).
Das BSG hat ausgeführt, dass sich letztlich angesichts der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen, der Dauer der zu berücksichtigenden Zeiträume und des Fehlens eines eindeutig abgrenzbaren Krankheitsbildes, das für Belastungen durch Heben und Tragen oder Arbeit in Rumpfbeugehaltung typisch sei, entscheidend nur die Frage nach einer wesentlichen Mitverursachung der LWS-Erkrankung durch die versicherten Einwirkungen stelle. Aus diesen Gründen sei auch der § 9 Abs. 3 SGB VII, unabhängig von seinem Inkraft-treten erst am 01. Januar 1997, bei der BK Nr. 2108 nach heutigem wissenschaftlichen Er-kenntnisstand nicht anwendbar (Urteil vom 18. November 1997 – 2 RU 48/96 – SGb 1999, 39, B 2 U 13/05 R, zitiert nach juris).
Von diesen rechtlichen Voraussetzungen ausgehend ist nach dem Gesamtergebnis des Verfah-rens (§ 128 Abs. 1 SGG) nachgewiesen, dass sämtliche Voraussetzungen der BK Nr. 2108 er-füllt sind.
Die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankungen, für die eine Rente beansprucht wird, sind zweifelsfrei nachgewiesen. Eine absolute Sicherheit ist bei der Feststellung des Sachverhalts nicht zu erzielen. Erforderlich ist aber eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorge-nannter Tatbestandsmerkmale zweifelt (BSGE 6, 144; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage, Anm. 5 zu § 118 m. w.N.) Es muss ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit vorlie-gen, dass alle Umstände des Einzelfalls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 45, 285, 287; 61, 127, 128).
Der Kläger war als Versicherter nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB VII beruflichen Einwirkun-gen durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten und Arbeit in extremer Rumpfbeu-gehaltung hinreichend ausgesetzt. Die Einwirkungen waren mit Wahrscheinlichkeit wesentli-che (Mit-)Ursache für die bandscheibenbedingte Erkrankung des Klägers, so dass er infolge seiner den Versicherungsschutz nach § 2 SGB VII begründeten Tätigkeit eine bandscheibenbe-dingte Erkrankung seiner LWS erlitten hat und dadurch gezwungen war, diese Tätigkeit auf-zugeben.
Die nach dem Mainz-Dortmunder Dosismodell (MDD) ermittelte Gesamtbelastungsdosis über-schreitet erheblich den Richtwert von 12,5 x 106 Nh. Dies gilt sowohl für die vom TAD ermit-telte und mit Stellungnahme vom 22. Oktober 2008 mitgeteilte Gesamtbelastungsdosis in Höhe von 49,2 MNh als auch die von Prof. Dr. Dr. B berechnete Dosis in Höhe von 88,69 x 106 Nh. Beide Werte sind nach den Vorgaben des BSG im Urteil vom 30. Oktober 2007 B2 U 4/06 R berechnet. Der Wert von 12,5 x 106 Nh wird nach der Rechtsprechung des Bundessozialge-richts für ausreichend erachtet, da die Richtwerte des MDD nach dieser Rechtsprechung für die Gesamtbelastungsdosis zu halbieren sind (BSG Urteil vom 30. Oktober 2007, B 2 U 4/06 R). Das BSG hat daher in seinen Entscheidungen vom 30. November 2008 - B 2 U 14/07 R und B 2 U 14/07 R - Modifizierungen zur Anwendung des MDD für notwendig erachtet. Danach ist die dem MDD zu Grunde liegende Mindestdruckkraft pro Arbeitsvorgang bei Männern nun-mehr mit dem Wert 2.700 N pro Arbeitsvorgang anzusetzen. Auf eine Mindesttagesdosis soll nach dem Ergebnis der Deutschen Wirbelsäulenstudie verzichtet werden. Alle Hebe- und Tra-gebelastungen, die die aufgezeigte Mindestbelastung von 2.700 N bei Männern erreichen, sind entsprechend dem quadratischen Ansatz (Kraft mal Kraft mal Zeit) zu berechnen und aufzuad-dieren. Der untere Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der LWS ausgeschlossen ist und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Er-mittlungen verzichtet werden kann, ist auf die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientie-rungswertes für die Gesamtbelastungsdosis von 25 x 10 6 Nh, also auf 12,5 x 10 6 Nh, herabzu-setzen.
Nach diesen Vorgaben bieten die Berechnungen keinen Anlass für Beanstandungen.
Auch ist bei dem Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS zweifelsfrei fest-stellbar.
Der Senat orientiert sich bei der Frage, ob eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS nachgewiesen ist, an den "Medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Be-rufskrankheiten der Lendenwirbelsäule", die Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbe-gutachtung der auf Anregung der vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaft eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe (veröffentlicht in Trauma und Berufskrankheit, Heft 3 und 4/2500, Springer Medizinverlag, Seite 211 ff. – nachfolgend Konsensempfehlungen genannt).
Die Konsensempfehlungen entsprechen dem aktuellen wissenschaftlichen medizinischen Er-kenntnisstand, wie Prof. Dr. Dr. B- in seiner aktuellen Stellungnahme bestätigt hat. Als aktuel-ler wissenschaftlicher medizinischen Erkenntnisstand, sind die durch Forschung und prakti-sche Erfahrungen gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt wurden, über die von verein-zelten, nicht ins Gewicht fallende Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht (Urteil des BSG vom 27. Juni 2006 – B 2 U 13/05 R).
Nach den Konsensempfehlungen ist der bildgebende Nachweis eines altersuntypischen Band-scheibenschadens (Höhenminderung und/oder Vorfall) unabdingbare aber nicht hinreichende Voraussetzung für den Nachweis eines Bandscheibenschadens. Hinzukommen muss eine kor-relierende klinische Symptomatik (Seite 215 der Konsensempfehlungen).
Das Schadensbild der BK 2108 und 2110 entspricht den Volkskrankheiten durch chronisch-degnerative Veränderungen der Bandscheiben. Es gibt kein hiervon eindeutig abgrenzbares belastungstypisches Krankheitsbild, sondern nur ein belastungskonformes WS-Schadensbild der Berufskrankheit. Das belastungskonforme Schadensbild wird beschrieben durch den Ver-gleich der Veränderungen zwischen Beschäftigten mit hoher Wirbelsäulenbelastung und der Normalbevölkerung hinsichtlich der Kriterien
- Lebensalter beim Auftreten der Schädigung - Ausprägung in einem bestimmten Alter (Seite 212 der Konsensempfeh-lungen).
Der bildgebende Nachweis eines altersuntypischen Bandscheibenschadens ist mit einer Hö-henminderung (Chondrose) und eines altersüberschreitenden Vorfalls (Prolaps) erbracht. Eine korrelierende klinische Symptomatik ist ebenfalls zweifelsfrei nachgewiesen. Damit liegen radiologische und klinische Voraussetzungen vor, die das Krankheitsbild eines lokalen Lum-balsyndroms (Typ 1) der Konsensempfehlungen begründen.
Bei einem lokalen Lumbalsyndrom sollen folgende Kriterien erfüllt sein (Seite 216 der Kon-sensempfehlungen):
- Radiologie: altersuntypische Höhenminderung einer oder mehrerer Bandscheiben - Symptom. Schmerz durch Bewegung - Klinik: Segmentbefund mit provozierbarem Schmerz - funktionell: Entfaltungsstörung der Lendenwirbelsäule - Muskulatur. erhöhter Tonus - ggf. pseudoradikuläre Schmerzausstrahlung.
Letzteres ist nur ein " Kann-Kriterium", wie Prof. Dr. Dr. B es nennt.
Zweifelsfrei liegen bei dem Kläger altersuntypische Bandscheibenschäden in Form einer Chondrose und/oder Prolaps in Form des Bandscheibenvorfalls L 4/L 5 und einer Chondrose mit altersuntypischer Bandscheibenverschmälerung im Segment L 4/L 5 vor.
In den Segmenten L 2/L3, L 3/L 4 und L 5/S 1 findet sich zwar auch eine Chondrose, diese ist jedoch lediglich leichtgradig (Grad I) und daher nicht altersuntypisch im Sinne der Konsens-empfehlungen, so dass sie zur Begründung einer bandscheibenbedingten Erkrankung nicht heranzuziehen sind. Der zweifelsfreie Nachweis erfolgte zuletzt anlässlich der Begutachtungen durch Prof. Dr. Dr. B und Dr. R. Die Beurteilungen entsprechen den Konsensempfehlungen, die in der Übersicht 1 auf Seite 214 die Einordnung der gemessenen Höhenminderungen in die Alters(un)typik ermöglicht und in Übersicht 3 die Beurteilung des Prolaps als altersuntypisch nachvollziehen lässt.
Die Konsensempfehlungen beurteilen einen Prolaps Grad II als altersuntypisch unter der Be-schreibung: Bandscheibe wölbt sich größer gleich 5 mm über die Verbindungslinie der dorsa-len Begrenzung der WK-Hinterkante vor (S. 215 KE). Eine Höhenminderung Grad I größer 1/5 -1/3 im Alter unter 50 Jahren wird als altersuntypisch beurteilt ebenso die Höhenminderung
Grad II größer 1/3 – 1/2, Grad III: Höhenminderung größer 1/2, Grad IV: Ankylosierende Chondrose.
Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. Dr. B fanden sich auch die zum Typ 1 genannten klini-schen Symptome eines lokalen Lumbalsyndroms mit Bewegungsschmerzen, provozierbaren Schmerzen bei Druck im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule, deutlichen Entfaltungsstö-rungen der Lendenwirbelsäule (Schober’scher Index 10/13) und erhöhtem Muskeltonus im Bereich der unteren LWS.
In Anbetracht der insoweit zweifelsfrei durch objektive Befunde nachgewiesenen Korrelation zwischen Radiologie und Klinik überzeugt die Beurteilung von Prof. Dr. Dr. B den Senat, der ein lokales Lumbalsyndrom für nachgewiesen erachtet. Soweit die Beklagte dagegen Einwen-dungen erhebt, vermögen diese keine Zweifel an dieser Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. B zu begründen.
Die Beklagte stellt die Beurteilung in Frage unter Bezugnahme auf die beratungsärztliche Stel-lungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin Dr. P. Dieser gelangte zu der Beurteilung, eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der Konsensempfehlungen liege beim Kläger nicht vor. Die radiologischen Kriterien hinsichtlich eines lumbalen Wurzelsyndroms seien er-füllt, nicht hingegen die neurologischen. Das lokale Lumbalsyndrom Typ 1 nach den Konsens-empfehlungen sei durch das Fehlen jeglicher sensibler oder motorischer Defizitsymptomatik gekennzeichnet. Das Pseudoradikulär-Syndrom sei nicht dermatomgebunden. Da der Kläger eine sensible Defizitsymptomatik angebe, müsse das vorliegende Krankheitsbild als lumbales Wurzelsyndrom eingeordnet werden, für das allerdings die neurologischen Kriterien nicht er-füllt seien. Da der Kläger eine sensible Defizitsymptomatik in Form einer Hypalgesie im Be-reich der Großzehe links biete, müsse hier eine Zuordnung zum Wurzelsyndrom Typ II erfol-gen. Der Senat würdigt diese Beurteilung im Rahmen des Vorbringens der Beklagten. Allerdings vermag sie nicht zu überzeugen.
Auf der medizinischen Ebene stimmt Prof. Dr. Dr. B Dr. P soweit zu, als er ausgeführt hat, dass bei der Beschwerdeschilderung durch Dr. S durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein sensibles lumbales Wurzelsyndrom zum Zeitpunkt der Diagnose des Bandscheibenvorfalls L 4/L5 mit Kompression der linken Nervenwurzel 05/2000 bestanden habe. Der Nachweis ei-ner Dermatom-bezogenen Sensibilitätsstörung durch eine fachärztliche Untersuchung sei un-terblieben zum damaligen Zeitpunkt und habe bei den späteren gutachterlichen Untersuchun-gen, insbesondere die neurologische Untersuchung durch Dr. S 04/2006, nicht bestätigt werden können. Im Einzelnen führte er aus:
"Nach der Konsens-Empfehlung ist bei bereits länger zurückliegender Aufgabe der belastenden Tätigkeit der Befund zum Zeitpunkt der Auf-gabe der belastenden Tätigkeit wegweisend (Bolm-Audorff et al. 2005a, Ziffer 1.2, Satz 2). Da der Kläger die belastende Tätigkeit 04/2000 unterlassen hat, ist maßgeblich für die Diagnose zum Zeit-punkt der Unterlassung der Befund des Hausarztes vom 24.03.2000 (Blatt 21 der BG-Akte), der keinerlei Hinweise für neurologische Funk-tionsstörungen enthält. Auch Herr Dr. K fand diese bei der ersten Un-tersuchung am 25.08.2000 nicht (Blatt 19 der Gerichtsakte). Somit sprechen alle vorliegenden Unterlagen dafür, dass der Kläger zum Zeitpunkt der unterlassenen Tätigkeit ein lokales Lumbalsyndrom ent-sprechend der klinischen Kriterien der Konsens-Empfehlung aufwies und kein lumbales Wurzelsyndrom (siehe Ziffer 1.3 der Konsens-Empfehlung). Nach der Konsens-Empfehlung soll bei Hinweisen auf eine radikuläre Symptomatik eine fachneurologische Zusatzbegutach-tung veranlasst werden (Bolm-Audorff et al. 2005a, S. 216, mittlere Spalte, Abs. 6, siehe Rückseite von Blatt 369 der Gerichtsakte).
Bei der Untersuchung durch Dr. S, niedergelassener Neurologe und Psychiater in Berlin, am 21.04.2006 zeigten sich schwache und annä-hernd seitengleiche Muskeleigenreflexe im Bereich der unteren Extre-mität, keine Paresen, keine Pyramidenbahnzeichen und eine leichte Hypalgesie im Bereich der Großzehe links. Bei der neurographischen Untersuchung des Nervus peronaeus zeigte sich ein regelrechter Be-fund ohne Hinweise für eine Neuropathie. In der Elektromyografie be-stand kein Nachweis einer manifesten akuten oder chronischen neuro-genen Schädigung im Bereich der Spinalnerven L3-S1. Insgesamt be-stand nach diesem neurologischen Befund ein neurographisch regel-rechter Befund ohne Hinweis auf Neuropathie und ohne Nachweis ei-ner akuten oder chronisch-neurogenen Schädigung in der Elektromy-ografie (Blatt 365-366 der Gerichtsakte).
Auch bei den gutachterlichen Untersuchungen durch Dr. L am 10.10.2002, Dr. S am 23.06.2005 und bei mir selbst am 22.08.2006 gab der Kläger ischialgieforme LWS-Beschwerden mit Ausstrahlung in das linke Bein und zumindest zeitweiligem dortigen Taubheitsgefühl an, ohne dass sich in diesen Untersuchungen ein lumbales Wurzelsyndrom mit neurologischen Zeichen der Reizung bzw. Schädigung einer oder mehrerer Nervenwurzeln im Sinne der Konsens-Empfehlung nachwei-sen ließ. Ich mache das Gericht darauf aufmerksam, dass bei der Be-schwerdeschilderung durch Dr. S durchaus eine gewisse Wahrschein-lichkeit für ein sensibles lumbales Wurzelsyndrom zum Zeitpunkt der Diagnose des Bandscheibenvorfalls L4/L5 mit Kompression der linken Nervenwurzel 05/2000 bestand. Der Nachweis einer Dermatom-bezogenen Sensibilitätsstörung durch eine fachärztliche Untersuchung unterblieb jedoch zum damaligen Zeitpunkt und konnte bei den späte-ren gutachterlichen Untersuchungen, insbesonderre die neurologische Untersuchung durch Dr. S 04/2006, nicht bestätigt werden."
Nachvollziehbar und überzeugend ist die Konsequenz, die Prof. Dr. Dr. B zieht:
Da im Berufskrankheitenrecht eine Erkrankung jedoch gesichert sein müsse und nicht dafür nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit sprechen dürfte, sei aus seiner Sicht ein lumbales Wurzel-syndrom bei dem Kläger zum Zeitpunkt der Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit 04/2000 nicht gesichert (Stellungnahme vom 03. Februar 2010, ähnlich Stellungnahme vom 20. Januar 2011).
Damit sind Zweifel am Vorliegen eines lokalen Lumbalsyndroms nicht begründet. Die Beurtei-lung von Dr. P ist ohne morphologisches Substrat.
Die bei der Untersuchung durch Prof. Dr. Dr. B festgestellte bandscheibenbedingte Erkrankung ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nach den vorgenannten Maßstäben auf die berufliche Tätigkeit als wesentliche (Mit-)Ursache zurückzuführen. Andere Ursachen von überragender Bedeutung sind nicht feststellbar. Bereits bei Aufgabe seiner beruflichen Tätigkeit im März 2000 lag ein altersuntypischer Prolaps (CT vom 24. Mai 2000) bei L 4/L5 und eine altersunty-pische Chondrose L 4/L 5 vor, wie Prof. Dr. Dr. B unter Hinweis auf das für die Aufnahme aus Mai 2000 diagnostizierte Vakuumphänomen insoweit unwidersprochen von Dr. P ausgeführt hat.
Soweit im Jahr 2002 eine Progredienz der Chondrose L 4/L 5 zu einer Höhenminderung )1/3-12 erfolgt ist und im Röntgenbild vom 15. August 2006 mit weiterer Zunahme hin zu einer drittgradigen Chondrose zu erkennen ist, rechtfertigt sich dies mit der medizinischen Erkennt-nis, dass die Bandscheiben durch das vorgefallene Bandscheibengewebe (altersuntypischer Prolaps bei L4/L5 (CT 24.05.2000)) an Volumen verliert (Stellungnahme von Prof. Dr. Dr. B- vom 03. Februar 2010). Danach ist es gewöhnlich, dass die Zunahme einer Chondrose oder der erstmalige Nachweis nach vorhergegangenem Bandscheibenvorfall im selben Segment nicht erfolgt, weil durch das vorgefallene Bandscheibengewebe die Bandscheibe an Volumen ver-liert. Weil der Bandscheibenvorfall L4/L5 bei dem Kläger erstmals in der Computertomografie der Lendenwirbelsäule vom 24.05.2000 diagnostiziert wurde, ist es nichts Ungewöhnliches, dass sich später die Chondrose mit Bandscheibenverschmälerung in diesem Segment ver-schlimmere (Der Sachverständige verweist auf Debrunner 2005, S. 882).
Der insoweit für die Progredienz ursächliche Prolaps erfüllte nach der Beurteilung von Dr. R schon im Mai 2000 die Anforderungen der Konsensempfehlungen an einen altersuntypischen Bandscheibenschaden in Form eines Vorfalls (Prolaps). Gemäß dem CT vom 24. Mai 2000 entsprechend der Auswertung durch Dr. R bestand im Segment L 4/5 eine höhengeminderte Bandscheibe und ca. 5 mm messender Auswalzung sowie eine ca. 4 mm messende, das Seg-mentniveau nach cranial überschreibender Bandscheibenvorwölbung und eine ca. 5 mm mes-sende Spondylose.
Der Befund aus dem Monat Mai 2000 lässt den Schluss zu, dass er bereits im März 2000 zwei-felsfrei vorgelegen hat. Auch wenn der Befund zum Prolaps erst im Mai 2000 und nicht schon im März 2000 erhoben wurde, steht es für den Monat März 2000 zweifelsfrei fest, wie Prof. Dr. Dr. B überzeugend begründet hat.
Des Weiteren belegen die aktenkundigen Befunde, dass zeitnah zur Aufgabe der beruflichen Tätigkeit beim Kläger die vorgenannten klinischen Symptome des lokalen Lumbalsyndroms bereits vorlagen:
Schmerz durch Bewegung und eine Entfaltungswirkung sind für den 24. März 2000 nachge-wiesen durch den Befund von Dr. S. Sein Befund lautet:
Schmerzhafte Bewegungseinschränkung der LWS bei BS-Prolaps
- FBA: 40 cm - Schober: 10/14 cm - Vor- und Rückwärtsneig.: 60°/0°/10° - Seitneig.: li. 10°/re. 25° - Rotation: li. 10°/re. 15° mit Schmerzangaben LWS
Auch dem Befundbericht des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin vom 31.08.2000 ist eine Schmerzverstärkung beim Laufen sowie gebeugter Körperhaltung zu ent-nehmen.
Auch dem Befundbericht von Dr. S über die Behandlung seit dem 24.03.2000 ist zu entneh-men, dass bei Herrn S. während der Arbeit in gebeugter Haltung sowie bei Stemmarbeiten mit Kompressorhammer ständig starke Schmerzen auftraten.
Der für die Muskulatur von den Konsensempfehlungen geforderte erhöhte Tonus liegt ausweis-lich des Gutachtens von Dr. S am 31. August 2000 vor. Er führte aus, dass bei der sozialmedi-zinischen Begutachtung vom 31. August 2000 als Befund eine hochgradige Bewegungsein-schränkung der Lendenwirbelsäule – Finger-Boden-Abstand 40 Zentimeter – mit muskulärem Hartspann links angegeben wurde. Dies entspricht dem Befund, den Dr. G am 31. August 2000 erhoben hat: "Druck- oder Klopfschmerz der paravertebralen Muskulatur und der Dornfortsät-ze mittlere und untere LWS" (siehe auch Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. Auflage zum Hartspann).
Insoweit ist unzutreffend die Auffassung von Prof. Dr. Dr. B-, ein muskulärer Hartspann sei erst im Jahr 2001 in der P-Klinik dokumentiert worden.
Der von den Konsens-Empfehlungen geforderte Segmentbefund mit provozierbarem Schmerz wurde am 25. August 2000 dokumentiert. Prof. Dr. Dr. B- schreibt in seiner Stellungnahme vom 03. Februar 2010:
"Erstmals ist in dem Bericht über die Untersuchung von Herrn S. am 25.08.2000 durch Dr. K dokumentiert, dass bei diesem eine ausgepräg-te Druckdolenz über den Dornfortsätzen L4/L5 beidseits besteht (Blatt 19 der Gerichtsakte). Dies ist als Segmentbefund mit provozierbarem Schmerz in dem Segment mit Bandscheibenvorfall im Sinne der Kon-sens-Empfehlung zu interpretieren."
Die bandscheibenbedingte Erkrankung des Klägers i. S. der Konsensempfehlungen ist entspre-chend der Einordnung in die Konstellation B 2 auf die schädigenden Einwirkungen bei versi-cherter Tätigkeit als wesentliche (Mit-)Ursache mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zurück-zuführen.
Die Konstellation B 2 besagt:
- Wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren erkennbar: nein - Begleitspondylose: nein.
Zusätzlich mindestens eins der folgenden Kriterien erfüllt:
- Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben – bei monosegmenater/m Chondrose/Vorfall in L 5/S 1 oder L4/L 5 "black disc" im Magnetresonanztomogramm in mindes-tens 2 angrenzenden Segmenten (Hinweis: ggf. Magnetreso-nanztomogramm der Lendenwirbelsäule im Rahmen der Begut-achtung veranlassen)
- Besonders intensive Belastung; Anhaltpunkt: Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren.
- Besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspit-zen; Anhaltspunkt: Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 ½ kN; Männer ab 6 kN).
Beurteilung: Zusammenhang wahrscheinlich.
Im Fall des Klägers fehlt eine Begleitspondylose.
Als solche ist definiert eine Spondylose
a) in /im von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en) sowie b) in /im von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en) die nachgewiesenermaßen vor dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne einer Chondrose oder eines Vorfalls aufgetreten ist.
Die Frage, ob Begleitspondylosen erforderlich sind, ist in der Wissenschaft umstritten (Anmer-kungen zu den nicht im Konsens beurteilten Fallkonstellationen, Anhänge 1 und 2 der Kon-sensempfehlungen). Allerdings ist der Streit im vorliegenden Verfahren aufgrund der weiteren Kriterien der B 2 unerheblich.
Im Fall des Klägers ist das 3. Zusatzkriterium der Konstellation B 2 feststellbar: Besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen. Mit Stellungnahmen vom 13. Dezember 2010 und 18. Januar 2011 hat die Abteilung Prävention der Beklagten das Vorliegen dieser Voraussetzung dargelegt. In diesem Fall wird unter der Konstellation B 2 der Konsensempfeh-lungen der Zusammenhang für wahrscheinlich erachtet.
Für den Kausalzusammenhang sprechen zusätzlich weitere Umstände. Dr. P hat in seiner Stel-lungnahme vom 01. Oktober 2007 (Seite 13) festgestellt, dass sich "eine plausible zeitliche Korrelation" zwischen der beruflichen Belastung und klinischer Symptomatik finde. Prof. Dr. Dr. B- hat als zusätzlichen Umstand ausgeführt, dass nach den Konsensempfehlungen eine Betonung der Bandscheibenschäden an der unteren LWS eher für einen Ursachenzusammen-hang mit der beruflichen Belastung spreche (Konsensempfehlungen, S. 216, rechte Spalte, Ab-satz 4). Dieses Kriterium sei im vorliegenden Erkrankungsfall erfüllt, weil das bei dem Kläger hauptsächlich betroffene Segment L 4/L 5 im unteren Bereich der Lendenwirbelsäule liegt.
Indizien, die gegen einen Zusammenhang sprechen könnten:
- die gleichmäßige Ausbreitung von Schmerzen über weite Bereiche des Rückens mehrere Segmente vom bildgebend dargestellten Bandscheibenschaden entfernt - die Schilderung von Schmerzen, die sich zugleich über die Gelenke ausbreiten (Seite 216 der Konsensempfehlungen)
sind nicht feststellbar. Prof. Dr. Dr. B- hat dies in Übereinstimmung mit der Aktenlage auf Nachfrage des Gerichts überzeugend dargelegt (Stellungnahme vom 03. Februar 2010, S. 10). Auch sind konkurrierende Erkrankungen wie z. B. Skoliose nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht feststellbar. Einem Übergewicht als Mitursache ist eine überragende Bedeu-tung ebenfalls nach dem Gesamtergebnis der Begutachtungen nicht beizumessen.
Die bandscheibenbedingte Erkrankung hat auch zu chronisch rezidivierende LWS-Beschwerden in der Form des lokalen Lumbalsyndroms mit Funktionsstörungen wie vermin-derter Bewegungsfähigkeit der LWS geführt. Die Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit war aus diesem Grund am 24. März 2000 zur Verhütung einer Verschlimmerung der bandschei-benbedingten Erkrankung der LWS erforderlich.
Das Gutachten von Dr. S steht der Beurteilung der Erkrankung als BK nicht entgegen. Er ori-entierte sich nicht an den Konsensempfehlungen und entspricht hinsichtlich der Beurteilung der Erkrankung als BK damit nicht dem aktuellen Stand. Dies gilt auch für die Stellungnahme von Dr. W-.
Die Höhe der MdE ist mit 20 v. H. angemessen bewertet.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesam-ten Gebiet des Erwerbslebens, § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII. Die Bemessung des Grades der MdE wird vom BSG als Tatsachenfeststellung gewertet, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Über-zeugung trifft (BSG Urteil vom 02. Mai 2001 - B 2 U 24/00 R - SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S 36 m.w.N.). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem unfallversicherungsrechtlichen und unfallversicherungsmedizinischen Schrifttum herausgear-beiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerech-te Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG a.a.O.; BSG Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1).
Nach diesen Maßstäben, die der Senat zugrunde legt, ist die MdE nicht mit über 20 v. H. zu bewerten. Der Senat legt auch insoweit die Konsensempfehlungen zugrunde. Sie sehen vor:
MdE [%] 10 20 30-40 &8805;50 % Diagnose
Lokales LWS-Syn- drom oder lumbales Wurzelkompressions- syndrom mit leichten (auch anamnestischen) belastungsabhängigen Beschwerden und leichten Funktionseinschränkungen, auch nach – ggf. operier-tem – Prolaps Lokales LWS-Syndrom oder lumba-les Wurzelkompres-sionssyndrom mit mittelgradigen belas-tungsabhängigen Beschwerden; Lum-boischialgie mit belstungsabhängigen Beschwerden, deut- liche Funktionsein- schränkungen; mittelgradige Funkti-onseinschrän- kungen u. Beschwer-den nach Operation Lumbales Wurzel- kompressionssyndrom mit starken belastungsab-hängigen Beschwerden und motorischen Störun-gen funktionell wichtiger Muskeln; starke Funkti-onseinschränkungen und Beschwerden nach Operation Lumbales Wurzel-kompressions-syndrom mit schwers-ten motorischen Störungen; persistie-rendes, gravierendes Kaudasyndrom; schwerste Funktionseinschrän- kungen und Be-schwerden nach Operation
Einschrän-kungen hinsichtlich Möglicher Belastungen Häufiges Arbeiten in gebückter Haltung, häu- figes Handhaben schwerer Lasten, hohe Schwin-gungsbelastung im Sitzen Dauerhafte Zwangs- haltung im Sitzen oder im Stehen. Mehr als gelegentliches Ar- beiten in gebückter Haltung bzw. Hand-haben schwerer Lasten
Gelegentliches Arbeiten in gebückter Haltung, ge- legentliches Handhaben schwerer Lasten Erhebliche Ein-schränkung für alle links genannten Tätigkeiten
Die festgestellten Funktionsstörungen rechtfertigen danach eine MdE von 20 v. H. und keine höhere.
Der Kläger hat bei seinem lokalen LWS-Syndrom mittelgradige belastungsabhängige Be-schwerden, deutliche bis mittelgradige Funktionseinschränkungen seit Aufgabe der Tätigkeit. Er hat Einschränkungen hinsichtlich möglicher Belastungen. Prof. Dr. Dr. B hat ausgeführt, dem Kläger seien aufgrund der bandscheibenbedingten Erkrankung infolge einer verminderten Bewegungsfähigkeit der Lendenwirbelsäule Arbeiten versperrt, an denen es zu dauerhafter Zwangshaltung im Sitzen oder im Stehen, zu mehr als gelegentlichem Heben in gebückter Hal-tung bzw. zur Handhabung schwerer Lasten kommt. Die Einschätzung begründete er nachvoll-ziehbar mit den erhobenen Befunden:
Dies entspricht Befunden aus der Zeit ab Aufgabe der beruflichen Tätigkeit im Gutach ten von Dr. Ganlässlich der Untersuchung vom 24. August 2000 und denen von Dr. S vom 24. März 2000, in dem ärztlichen Entlassungsbericht aus der Klinik anlässlich des stationären Aufenthalts vom 27. Februar 2001 bis 20. März 2001 und den Befunden aus den Gutachten von Dr. Lund Dr. S. Soweit das SG die MdE mit 30 v. H. bewertet hat, ist dies nicht nachvollziehbar. Es hat zur Begründung herangezogen, dass der Kläger Angaben gemacht habe, in denen die Kammer schwere funktionelle Auswirkungen im LWS-Bereich sehe. Der Kläger habe angegeben, chro-nische und starke Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule zu haben, die ziehend seien und in das linke Bein ausstrahlten.
Diese Beurteilung steht weder mit den MdE-Kriterien überein, die das SG als Orientierung genannt hat noch entspricht sie den Konsensempfehlungen. Sie widerspricht auch der Beurtei-lung von Dr. L, der die MdE mit 20 v. H. beurteilt hat.
Die schriftlichen Äußerungen von Dr. P sind nicht aus der Akte zu entfernen, sie unterliegen keinem Verwertungsverbot, das einen solchen Anspruch begründen könnte. Ein Verstoß gegen § 200 Abs. 2 SGB VII ist nicht erfolgt. Das Gutachten fällt nicht unter den Anwendungsbe-reich dieser Vorschrift. Zwar gilt § 200 SGB Abs. 2 VII auch für die von den Unfallversiche-rungsträgern im Laufe eines Gerichtsverfahrens eingeholte Gutachten. Allerdings stellt sich die Stellungnahme von Dr. P insoweit nicht als Gutachten in dem Sinne dar. Er arbeitet im Organi-sationsbereich der Beklagten in deren Arbeitsmedizinischen Dienst und ist kein externer Gut-achter und hat auch kein Gutachten im o. g. Sinne abgegeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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