L 13 R 1751/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 225/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 1751/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12. März 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1954 geborene Klägerin beantragte am 27. November 2003 anlässlich einer Vorsprache bei der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in K. die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte diesen Antrag zunächst wegen Fehlens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ab (Bescheid vom 6. Januar 2005). In den letzten fünf Jahren vor Eintritt der verminderten Erwerbsfähigkeit müssten mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorliegen. In dem hier maßgeblichen Zeitraum vom 27. November 1998 bis 26. November 2003 sei kein Monat mit Pflichtbeiträgen belegt; Verlängerungstatbestände lägen nicht vor. Diesen Bescheid nahm die Beklagte nach Anerkennung der Zeit vom 16. August 1998 bis 27. November 2003 als Anrechnungszeit (Bescheid vom 16. Februar 2005) mit Bescheid vom 17. Februar 2005 wieder zurück. Mit Bescheid vom 30. Mai 2005 versagte sie aber gleichwohl die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung nach § 66 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) und führte zur Begründung aus, die Klägerin habe trotz mehrfacher Erinnerungen den Vordruck R 210 (Anlage zum Rentenantrag) nicht vollständig ausgefüllt zurückgesandt.

Am 27. Dezember 2005 ging bei der Beklagten das Schreiben des Jobcenters Stadt K. vom 22. Dezember 2005, dem der ausgefüllte und von der Klägerin am 19. Dezember 2005 unterzeichnete Vordruck R 210 beigefügt war, ein. Die Klägerin gab in diesem Vordruck an, in den Jahren 1969 bis 1972 den Beruf der Köchin erlernt und die Prüfung bestanden zu haben. Anschließend habe sie bis 1998 als Köchin und von 1998 bis 2002 als Hilfsköchin im Rahmen einer 620 DM-Beschäftigung gearbeitet. In den Jahren 1980 bis 1981 sei sie erfolgreich zur Stenotypistin umgeschult worden. Sie halte sich seit 1998 wegen eines Knie-, Sprunggelenks- und Wirbelsäulenleidens für erwerbsgemindert. Die Beklagte ließ die Klägerin daraufhin von dem Facharzt für Orthopädie Dr. M. begutachten. Dieser führte in seinem Gutachten vom 21. Februar 2006 aus, die Klägerin leide an einer Gonarthrose beidseits, an einer beginnenden Sprunggelenksarthrose beidseits und an einem LWS-Syndrom bei beginnenden degenerativen Veränderungen. Die Klägerin sei gleichwohl noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne ständiges Tragen von sehr schweren Lasten sechs Stunden arbeitstäglich und länger auszuüben. Tätigkeiten, die ausschließlich im Stehen oder Gehen verrichtet werden, seien nicht mehr zumutbar; deshalb könne die Klägerin ihren früheren Beruf als Köchin nicht mehr ausüben. Nachdem die Klägerin gegenüber der Beklagten erklärt hatte, Lehrbrief und Schulzeugnisse seien bei Umzügen verloren gegangen, lehnte die Beklagte den Rentenantrag (vom 27. Dezember 2005) mit Bescheid vom 3. April 2006 ab. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin könne ihr zumutbare Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens sechs Stunden täglich ausführen. Sie sei deshalb weder teilweise noch voll erwerbsgemindert.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 20. April 2006 Widerspruch und trug sinngemäß vor, sie leide nicht nur an orthopädischen Erkrankungen. Nach Beiziehung von Befundunterlagen behandelnder Ärzte veranlasste die Beklagte eine Begutachtung durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. N ... Dieser vertrat in seinem Gutachten vom 19. Oktober 2006 die Auffassung, auch aus psychiatrischer Sicht sei die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt über mindestens sechs Stunden und länger belastbar. Dr. N. diagnostizierte - neben den Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet - eine Agoraphobie mit Paniksyndrom und eine diabetische Polyneuropathie. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Mit der am 16. Juli 2008 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Das SG hat den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. zum Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Gutachtens über die Klägerin beauftragt. In seinem Gutachten vom 18. Mai 2007 hat dieser dargelegt, die Klägerin leide unter einer leichten sensiblen, vermutlich diabetischen Polyneuropathie der Beine, unter einer agoraphobischen Störung und unter passageren leichteren depressiven Verstimmungszuständen. Daneben bestünden chronische Kreuzschmerzen aufgrund degenerativer Lendenwirbelsäulenveränderungen ohne radikuläre Ausfallerscheinungen. Die Klägerin könne einfache, intellektuell wenig anspruchsvolle leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkungen täglich noch sechs Stunden und länger verrichten. Während Dr. B. zunächst die Auffassung vertreten hatte, die Klägerin sei nicht in der Lage, während der Hauptverkehrszeiten überfüllte Straßenbahnen oder Busse zu benutzen, führte er in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19. November 2007 aus, eine generelle Wegeunfähigkeit auf Dauer liege mit Sicherheit nicht vor. Die agoraphobische Störung sei medikamentös und verhaltenstherapeutisch gut behandelbar. Eine derartige Behandlung habe im Fall der Klägerin allerdings (noch) nicht stattgefunden. Mit Urteil vom 12. März 2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur vollen Überzeugung der Kammer stehe fest, dass die Klägerin nicht erwerbsgemindert sei. Ihr berufliches Leistungsvermögen sei zwar qualitativ eingeschränkt; sie könne leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten aber noch sechs Stunden und länger arbeitstäglich verrichten. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei nicht eingeschränkt; sie sei in der Lage eine Arbeitsstätte - auch während der Hauptverkehrszeiten - mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Der Klägerin stehe letztlich auch keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu. Sie habe den Beruf der Köchin ohne formalen Ausbildungsabschluss ausgeübt. Als ungelernte Arbeitnehmerin genieße die Klägerin keinen qualifizierten Berufsschutz.

Gegen dieses ihr gemäß Zustellungsurkunde am 15. März 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11. April 2008 schriftlich beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Entgegen den Feststellungen des SG liege in ihrem Fall die erforderliche Wegefähigkeit nicht vor. Außerdem habe das SG außer Betracht gelassen, dass sie über eine Berufsausbildung verfüge. Sie habe den Beruf der Köchin im Rahmen eines Besuchs der Hotelfachschule in den Jahren 1969 bis 1972 erlernt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12. März 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 3. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Dezember 2006 zu verurteilen, ihr ab 1. Dezember 2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält ihren Bescheid für rechtmäßig und das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat den Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin M. mit der Erstattung eines Gutachtens über die Klägerin beauftragt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 1. März 2009 den Vorgutachten von Dr. N. und Dr. B. sowohl in diagnostischer als auch in sozialmedizinischer Hinsicht zugestimmt. Auch er halte die Klägerin für fähig, eine leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und länger an fünf Tagen in der Woche auszuüben. Seines Erachtens bestünden auch keine Beschränkungen des Arbeitsweges hinsichtlich der Zeitdauer, der Länge oder der Art des Verkehrsmittels. Wegen des Inhalts des Sachverständigengutachtens vom 1. März 2009 im Einzelnen wird auf Bl. 36 bis 73 der Berufungsakten des Senats verwiesen.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird im Übrigen auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, die Klageakte des SG (S 4 R 225/07) und die Berufungsakte des Senats (L 13 R 1751/08) Bezug genommen.

II.

Der Senat konnte über die Berufung durch Beschluss der Berufsrichter und ohne mündliche Verhandlung entscheiden (vgl. § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]), denn er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Anhörung der Beteiligten hat keine Gesichtspunkte ergeben, die Anlass geben könnten, von dieser Verfahrensform abzuweichen.

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die gemäß §§ 143, 144 Abs.1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch unbegründet, das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. Bundessozialgericht [BSG] SozR 3-2600 § 44 Nr. 7) ist der den Rentenantrag der Klägerin ablehnende Bescheid vom 3. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Dezember 2006. Dieser ist von der Klägerin allerdings nur insoweit angefochten worden, als die Gewährung einer Rente für die Zeit ab 1. Dezember 2005 abgelehnt worden ist. Der Senat kann deshalb offen lassen, ob der Eingang der Anlage zum Rentenantrag am 27. Dezember 2005 - wie von der Beklagten offenbar angenommen - als neuer Rentenantrag zu werten ist, oder angesichts der Nachholung der Mitwirkung für die anschließende Zeit unter Zugrundelegung des ursprünglichen Antrags vom 27. November 2003 über einen Rentenanspruch der Klägerin zu entscheiden war. Jedenfalls hat die Beklagte zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint; der Bescheid vom 3. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Dezember 2006 erweist sich deshalb als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in subjektiven Rechten.

Durch das am 1. Januar 2001 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827 ff.) hat der Gesetzgeber das Recht der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit grundlegend neu geordnet. Kernstück der auch im vorliegenden Fall anwendbaren Neuregelung ist die Abschaffung der bisherigen Berufsunfähigkeitsrente für nach dem 1. Januar 1961 geborene Versicherte und die Einführung einer zweistufigen Erwerbsminderungsrente mit einer vollen Erwerbsminderungsrente bei einem Restleistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von unter drei Stunden und einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei einem Restleistungsvermögen von drei bis sechs Stunden.

Gemäß § 43 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (Satz 1 Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Satz 1 Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Satz 1 Nr. 3). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben - bei im übrigen identischen Tatbestandsvoraussetzungen - Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben darüber hinaus Versicherte, die - wie die Klägerin - vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind, bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie die sonstigen Voraussetzungen erfüllen. Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist (§ 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 240 Abs. 2 Sätze 2 und 4 SGB VI).

Die Klägerin ist noch in der Lage, zumindest leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Sie ist damit weder erwerbsgemindert, noch berufsunfähig und hat deshalb keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung. Dass bei der Klägerin weder eine quantitative Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens auf ein unter sechsstündiges Maß noch eine die Erwerbsfähigkeit ausschließende Einschränkung der Wegefähigkeit gegeben ist, hat das SG in nicht zu beanstandender Würdigung der umfassend erhobenen Beweise zutreffend aus den im Wege des Urkundsbeweises verwertbaren Gutachten von Dr. M. und Dr. N. sowie dem Sachverständigengutachten von Dr. B. geschlussfolgert. Der Senat schließt sich deshalb zunächst den Entscheidungsgründen des mit der Berufung angefochtenen Urteils vom 12. März 2008, insbesondere der dort vorgenommene Beweiswürdigung an, macht sich diese aufgrund eigener Überzeugungsbildung vollinhaltlich zu eigen und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Vorbringen der Klägerin zur Begründung der Berufung und die im Verlauf des Berufungsverfahrens durchgeführte Beweisaufnahme rechtfertigen keine abweichende Beurteilung. Nachdem das Schwergewicht der das berufliche Leistungsvermögen einschränkenden Erkrankungen -neben den bereits im Verwaltungsverfahren von dem Facharzt für Orthopädie Dr. M. umfassend gewürdigten orthopädischen Leiden - auf neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet liegt, hat der Senat auf nervenärztlichem Fachgebiet ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt. Auch der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin M. hat in seinem Gutachten vom 1. März 2009 jedoch nur qualitative Einschränkungen des Leistungsvermögens bestätigen können. Auch nach seiner auf eine umfassende Befunderhebung gestützten und im Ergebnis überzeugenden Beurteilung kann die Klägerin ohne unmittelbare Gefährdung ihrer Gesundheit leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und länger an fünf Tagen in der Woche ausüben. Der Sachverständige hat weiter - auch insoweit für den Senat überzeugend - dargelegt, dass die Klägerin in der Lage ist, zweimal am Tag während der Hauptverkehrszeiten öffentliche Verkehrsmittel zu benutzten. Dass die bei der Klägerin vorliegende Agoraphobie nicht als so schwerwiegend beurteilt werden kann, dass sie eine Einschränkung der Wegefähigkeit im Hinblick auf die Art des Verkehrsmittels begründen könnte, hat Nervenarzt M. schlüssig damit begründet, dass diesbezüglich noch nicht einmal ein Behandlungsversuch unternommen worden ist. Außerdem sei dieses Krankheitsbild bei der Klägerin in den 90er Jahren erheblich stärker ausgeprägt gewesen, habe seinerzeit aber gleichwohl einer Berufstätigkeit nicht im Wege gestanden. Nachdem die Klägerin zudem gegen das Gutachten von Nervenarzt M. keine Einwände erhoben hat, besteht für den Senat kein Anlass, an der Richtigkeit der sozialmedizinischen Beurteilung des Sachverständigen zu zweifeln. Da eine relevante Änderung des Gesundheitszustands der Klägerin nach der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme weder nach Aktenlage ersichtlich, noch von der Klägerin vorgetragen worden ist, waren weitere Ermittlungen zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts nicht angezeigt.

Auch der Ausnahmefall einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung (vgl. hierzu etwa BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 117; auch Großer Senat BSGE 80, 24, 33 ff.) ist nicht gegeben. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 110). Einschränkungen, die eine solche Annahme rechtfertigen könnten, liegen bei der Klägerin nicht vor. In qualitativer Hinsicht muss diese, wie Nervenarzt M. in seinem Gutachten vom 1. März 2009 zusammenfassend ausgeführt hat, wegen der bestehenden Polyneuropathie Tätigkeiten auf nicht rutschfestem Untergrund, Arbeiten, die sehr hohe Anforderungen an die Gang- und Standsicherheit stellen, und Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten vermeiden. Die orthopädischen Erkrankungen bedingen weitere Einschränkungen, insbesondere für mittelschwere und schwere Arbeiten. Wegen der seelischen Störung muss die Klägerin darüber hinaus Stressbelastung, Nachtschicht- und Akkordarbeiten sowie Arbeiten unter hohem Zeitdruck vermeiden. Diese Einschränkungen können zwar das Spektrum der für die Klägerin in Betracht kommenden Tätigkeiten einschränken, sie begründen aber keine Zweifel an der normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit für leichtere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Letztlich liegen auch die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit im Sinne des § 240 Abs. 1 SGB VI nicht vor; der Kläger ist nicht berufsunfähig. Ausgangspunkt der Prüfung ist auch hier entsprechend der zu § 43 SGB VI in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung entwickelten Rechtsprechung des BSG der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 107 und 169). Dabei ist unter dem bisherigen Beruf in der Regel die letzte nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit jedenfalls dann zu verstehen, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten war (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 130; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr. 17). Eine (höherwertige) Beschäftigung oder Tätigkeit ist jedoch dann nicht mehr maßgebend, wenn sich der Versicherte von dieser gelöst und eine andere (geringwertigere) Tätigkeit aufgenommen hat (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 240 SGB VI, Rdnr. 21 m.w.N.). Eine solche Lösung vom früheren Beruf liegt jedoch nur dann vor, wenn der neue Beruf versicherungsrechtlich relevant ist, wenn er also die Voraussetzungen erfüllt, die unabhängig von der früheren Berufsentwicklung zum Erwerb eines versicherungsrechtlich geschützten Berufs führen. Das ist dann der Fall, wenn der Beruf mit dem Ziel aufgenommen und ausgeübt wird, ihn weiterhin bis zum Eintritt der gesundheitlichen Unfähigkeit oder bis zur Erreichung der Altersgrenze - also auf Dauer - auszuüben (BSG, Urteil vom 4. November 1998 - B 13 RJ 95/97 - veröffentlicht in Juris). Deshalb ist die nur vorübergehende Aufnahme einer anderen Tätigkeit unschädlich; sie führt nicht zum Erwerb eines neuen Dauerberufs und damit nicht zum Verlust des alten Berufs (BSG SozR 2200 § 1264 Nr. 158 m.w.N.) Weitere Voraussetzung für eine im Sinne des Rentenrechts relevante Lösung vom bisherigen Beruf ist die Freiwilligkeit des Berufswechsel. Deshalb liegt eine Lösung grundsätzlich nicht vor, wenn die Berufsaufgabe aus gesundheitlichen Gründen erfolgt. In diesem Fall bleibt der Berufsschutz erhalten, da sich insofern gerade das versicherte Risiko der gesetzlichen Rentenversicherung verwirklicht hat (vgl. BSGE 2, 182 187). Dabei ist nicht erforderlich, dass die gesundheitlichen Gründe allein ursächlich waren; ausreichend ist, dass die gesundheitlichen Umstände den Berufswechsel wesentlich mitverursacht haben (BSG SozR 2600 § 45 Nr. 6).

Kann der Versicherte diesen "bisherigen Beruf" aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten, ist zu ermitteln, ob es zumindest eine Tätigkeit gibt, die ihm sozial zumutbar ist und die er gesundheitlich wie fachlich noch bewältigen kann. Das Bundessozialgericht hat zur Feststellung des qualitativen Wertes des bisherigen Berufes und damit zur Bestimmung zumutbarer Verweisungstätigkeiten (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 55; Niesel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 240 SGB VI Rdnr. 24 ff. m.w.N.) ein Mehrstufenschema entwickelt, das die Arbeiterberufe in Gruppen untergliedert. Diese werden durch die Leitberufe eines Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion (und diesem gleichgestellten besonders hoch qualifizierten Facharbeiters), eines Facharbeiters, der einen anerkannten Ausbildungsberuf mit einer anerkannten Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren, regelmäßig drei Jahren ausübt, eines angelernten Arbeiters, der einen Ausbildungsberuf mit einer vorgeschriebenen Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren ausübt, und eines ungelernten Arbeiters charakterisiert. Dabei wird die Gruppe der angelernten Arbeiter nochmals in die Untergruppen der "oberen Angelernten" (Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf bis zu 24 Monaten) und "unteren Angelernten" (Ausbildungs- oder Anlernzeit von mindestens drei bis zu zwölf Monaten) unterteilt. Kriterien für eine Einstufung in dieses Schema sind dabei die Ausbildung, die tarifliche Einstufung, die Dauer der Berufsausbildung, die Höhe der Entlohnung und insbesondere die qualitativen Anforderungen des Berufs. Eine Verweisung ist grundsätzlich nur auf eine Tätigkeit der jeweils niedrigeren Gruppe möglich. Ferner ist erforderlich, dass der Versicherte die für die Verweisungstätigkeit notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb einer bis zu drei Monaten dauernden Einarbeitung und Einweisung erwerben kann (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 23).

Ausgehend von diesem Schema hat das SG die Klägerin zu Recht allenfalls der Gruppe der unteren Angelernten mit einer Ausbildungs- oder Anlernzeit von höchstens zwölf Monaten zugeordnet. Auch der Senat vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass die Klägerin einen höher qualifizierten Beruf erlernt bzw. zuletzt ausgeübt hat. Die Klägerin hat zwar behauptet, in den Jahren 1969 bis 1972 eine Ausbildung zur Köchin an einer Hotelfachschule absolviert und erfolgreich abgeschlossen zu haben; Nachweise hierfür konnte sie aber nicht vorlegen. Außerdem begründen insbesondere die Angaben, die die Klägerin gegenüber dem vom SG beauftragten Sachverständigen Dr. B. zu ihrem beruflichen Werdegang gemacht hat, ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit ihres Vortrags im Renten- und Berufungsverfahren zu Art und Dauer ihrer Ausbildungen. Die Klägerin hat bei der Untersuchung durch Dr. B. angegeben, sie habe die Hauptschule nach neun Jahren abgeschlossen. Dies dürfte frühestens im Alter von 15 Jahren, bei der am 25. April 1954 geborenen Klägerin also im Sommer 1969 der Fall gewesen sein. Sie habe nach dem Schulbesuch ein Jahr im Lokal ihres Stiefvaters gearbeitet, dann die Hotelfachschule in F. besucht und anschließend nochmals für ein Jahr im elterlichen Betrieb mitgearbeitet. 1973 (im Alter von 19 Jahren) habe sie dann geheiratet um von zuhause ausziehen zu können. Unter Zugrundelegung dieser Angaben ist das Absolvieren einer dreijährigen Ausbildung (nach dem klägerischen Vortrag von 1969 bis 1972) schon zeitlich nicht möglich. Dagegen spricht ferner, dass in der Kontoübersicht der Beklagten Ausbildungs-Anrechnungszeiten - wegen Nichtvorliegens einer Ausbildung - nicht vermerkt sind und die Klägerin erst ab Januar 1971 Pflichtbeitragszeiten wegen einer abhängigen Beschäftigung in der (damaligen) Arbeiterrentenversicherung absolviert hat. Damit steht im Ergebnis fest, dass die Klägerin jedenfalls eine Ausbildung, die ihr den Berufsschutz einer "oberen" Angelernten oder einer Facharbeiterin vermittelt hätte, nicht durchlaufen und auch eine entsprechend qualifizierte Tätigkeit nicht ausgeübt hat. Sie kann dementsprechend auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden, ohne dass es der Benennung einer konkreten Tätigkeit bedarf. Da sie jedenfalls noch im Stande ist, leichte körperliche Arbeiten sechs Stunden täglich auszuüben, kann der Senat offen lassen, ob gesundheitsbedingte Einschränkungen des beruflichen Leistungsvermögens einer Wiederaufnahme der zuletzt verrichteten Tätigkeit entgegenstehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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