L 13 VE 66/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 42 V 44/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VE 66/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. April 2009 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt eine Witwenrente nach § 38 Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Die im Jahre 1920 geborene Klägerin ist Witwe des im Jahre 1921 geborenen und 2000 verstorbenen Beschädigten. Aufgrund Bescheides des Versorgungsamtes 1 Berlin vom 15. September 1994 bezog der Beschädigte nach einer MdE von insgesamt 70 eine Rente aufgrund folgender rechtsverbindlich festgestellter Schädigungsfolgen:

1. Verlust des linken Oberschenkels an der Grenze vom mittleren zum unteren Drittel nach Minensplitterverletzung, Amputationsnarbe.

2. Narbe am linken Unterarm, geringe Sensibilitätsstörungen, Muskelschwund am linken Oberschenkel.

3. Überlastungsschaden des erhaltenen rechten Fußes als Folge von Versorgungsleiden 1inks.

In den letzten Jahren vor seinem Tod war dem Beschädigten zur Bekämpfung eines Herz-Kreislauf-Leidens die Einnahme des Medikaments ASS 100 ärztlich verordnet; die Einnahme bezog sich auf die Dosis von 100 mg täglich. Ferner nahm der Beschädigte weitere ASS- Medikamente ein, ohne dass hierfür ärztliche Verordnungen vorlagen. So konsumierte er häufig Tabletten der Wirkstärke 500 mg zur Bekämpfung der Schmerzen, die unter anderem Folgen der anerkannten Schädigungsfolgen waren. In der Nacht des 14. März 2000 verstarb der Beschädigte im Krankenhaus S an einem zentralen Herz-Kreislauf-Versagen nach Auftreten einer ausgedehnten cerebralen Blutung in der rechten Hirnhälfte.

Im April 2000 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Gewährung einer Witwenrente nach dem Beschädigten. Sie machte dabei geltend, der Tod des Beschädigten sei mittelbare Schädigungsfolge, weil der Beschädigte zur Bekämpfung der Schmerzen größere Mengen des Medikaments ASS 500 insbesondere auch in den Tagen vor seinem Tod eingenommen habe und die Hirnblutung hierdurch hervorgerufen worden sei.

Mit Bescheid vom 9. August 2000 und Widerspruchsbescheid vom 20. März 2001 lehnte der Beklagte den Antrag nach Durchführung medizinischer Ermittlungen mit der Begründung ab, ursächlich für den Tod des Beschädigten seien degenerative Veränderungen der intracerebralen Blutgefäße u. a. auf der Basis des bekannten schädigungsunabhängigen Bluthochdruckes gewesen.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin hat die Klägerin ihr Ziel weiter verfolgt. Das Gericht hat zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts unter anderem einen Befundbericht des behandelnden Arztes für Allgemeinmedizin Dr. B eingeholt, der in einer diesem Befundbericht beigefügten Stellungnahme vom 4. April 2001 ausgeführt hat, der Beschädigte habe außerhalb des ärztlichen Sprechzimmers unter keinem behandlungsbedürftigem Bluthochdruck gelitten. Er habe zuvor höhere Dosen des Medikaments ASS 500 zur Bekämpfung seiner Phantomschmerzen eingenommen und es müsse davon ausgegangen werden, dass das tödliche Ausmaß der Blutung mit hoher Wahrscheinlichkeit wesentlich durch die Wirkung des Medikaments zustande gekommen sei.

Aufgrund richterlicher Beweisanordnung hat am 23. Juli 2007 der Arzt für Innere Medizin Dr. S ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt und hierzu ebenfalls aufgrund richterlicher Beweisanordnung am 23. Juni 2008 ergänzend Stellung genommen. Darin hat er unter anderem ausgeführt, die zur Behandlung der Phantomschmerzen benutzten Medikamente seien nicht Auslöser der Hirnblutung gewesen. Das Medikament ASS in der Dosierung von 100 mg pro Tag habe wahrscheinlich das Leben des Beschädigten sogar um mehrere Jahre verlängert. Demgegenüber hat sich die Klägerin auf eine von ihr vorgelegte medizinische Stellungnahme des Dipl.-Chemikers S gestützt, in der dieser ausführt, es sei sehr plausibel, dass die Einnahme größerer Dosen des freiverkäuflichen Schmerzmittels ASS zur Behandlung der Phantomschmerzen mitverantwortlich für die Gehirnblutung bzw. ihr starkes Ausmaß mit letztendlich tödlichem Verlauf gewesen sei.

Mit Urteil vom 29. April 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Die Voraussetzungen des § 38 BVG seien nicht erfüllt. Der Beschädigte sei nicht an einem festgestellten Versorgungsleiden verstorben. Das Todesleiden stelle aber auch keine mittelbare Schädigungsfolge dar. Die vorhandenen medizinischen Unterlagen, insbesondere auch das Gutachten und die Stellungnahme des Dr. S, bestätigten, dass die Hirnblutung des Beschädigten schädigungsunabhängig hervorgerufen worden sei.

Gegen dieses ihr am 17. Juni 2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am Montag, den 20. Juli 2009 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt und hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumens der Berufungsfrist beantragt. Sie macht geltend, die Hirnblutung sei wesentlich durch die häufige Einnahme des Medikaments ASS 500 mit verursacht worden, und dies stelle eine mittelbare Schädigungsfolge dar.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. April 2009 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 9. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2001 zu verurteilen, ihr ab dem 1. April 2000 Witwenrente nach dem verstorbenen Beschädigten zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten, welche im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie ist zwar verspätet eingelegt worden, denn die Berufung gegen das der Klägerin am 17. Juni 2009 zugestellte Urteil des Sozialgerichts hätte spätestens am Freitag, dem 17. Juni 2009 eingelegt werden müssen, ging stattdessen erst am Montag, dem 20. Juli 2009 beim Landessozialgericht ein. Indessen war der Klägerin auf ihren Antrag gemäß § 67 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, denn sie hat glaubhaft gemacht, dass das Versäumen der Frist auf dem Versehen einer ansonsten zuverlässigen, gut ausgebildeten und hinreichend überwachten Büroangestellten beruhte.

Indessen hat die Berufung in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, denn die Voraussetzungen des § 38 BVG für die Gewährung einer Witwenrente nach dem Beschädigten sind nicht erfüllt. Das Leiden, an welchem der Beschädigte verstarb (Todesleiden), nämlich die cerebrale Blutung, war weder als Schädigungsfolge festgestellt noch ist sie als mittelbare Schädigungsfolge anzuerkennen. Der Senat weist insoweit die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG diesbezüglich von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Auch das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren vermag nicht zu einer anderen Entscheidung zu führen. So hat zur Überzeugung des Senats die Klägerin keine Argumente vorbringen können, die die von dem Sozialgericht vorgenommene Beweiswürdigung im Ergebnis haben erschüttern können. Aber auch ansonsten ergeben sich für den Senat keine Hinweise darauf, dass die Kausalbeziehung zwischen den Schädigungen einerseits und dem cerebralen Blutungsleiden andererseits hinreichend wahrscheinlich ist. Soweit die Klägerin hier geltend macht, die verstärkte Einnahme des Medikaments ASS 500 durch den Beschädigten, insbesondere in den Tagen und Wochen vor seinem Tod, habe eine Ursache gesetzt, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Hinzuweisen ist hierbei bereits darauf, dass das Medikament ASS 500 dem Beschädigten nicht ärztlich verordnet worden war und schon aus diesem Grunde Zweifel bestehen, ob eine Kausalbeziehung zwischen den kriegsbedingten Schädigungen einerseits und möglichen Auswirkungen der Medikamenteneinnahme andererseits im Rechtssinne bejaht werden kann. Der Senat hat deswegen Zweifel, weil eine freie, ärztlich weder angeleitete noch überwachte Selbstmedikation kaum noch der kriegsbedingten Schädigung zurechenbar sein dürfte.

Dies kann jedoch letztlich offen bleiben, denn es fehlen auch weitere Voraussetzungen für einen möglichen Kausalzusammenhang. So steht insbesondere nicht fest, in welchem Umfang, in welcher Dauer und letztlich in welcher genauen Dosierung der Beschädigte das Medikament ASS konsumiert hat. Vor diesem Hintergrund verbietet sich für den Senat auch eine weitere Sachaufklärung, weil schon die tatsächliche Grundlage, auf der aufbauend gegebenenfalls ein Sachverständiger die konkreten Auswirkungen des Medikaments ASS 500 feststellen könnte, nicht bekannt sind. Ein Sachverständigengutachten könnte hier allenfalls hypothetische Erkenntnisse liefern, jedoch nicht eine konkrete Kausalbeziehung aufzeigen. So hat auch der von der Klägerin in Bezug genommene Dipl.-Chemiker S keine konkrete Kausalbeziehung bestätigt sondern nur ausgeführt, "dass die Einnahme größerer Dosen des freiverkäuflichen Schmerzmittels Acetylsalicylsäure zur Behandlung der Phantomschmerzen mitverantwortlich für die Gehirnblutung bzw. ihr starkes Ausmaß mit letztendlichem, tödlichem Verlauf" gewesen sei. Dies belegt, dass auch dieser Chemiker nicht über eine hinreichend sicherere Tatsachengrundlage verfügte, auf der aufbauend er eine konkrete Kausalbeziehung hätte begründen können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht ersichtlich sind.
Rechtskraft
Aus
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