Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 25 AY 2/07
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AY 8/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Leistungsbezug nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für vergangene Zeiträume
Die nachträgliche bzw. rückwirkende Gewährung von Analogleistungen nach § 2 AsylbLG kommt nur bei
fortbestendem, aktuellem Bedarf in Betracht (sog. Aktualitätsgrundsatz).
Die nachträgliche bzw. rückwirkende Gewährung von Analogleistungen nach § 2 AsylbLG kommt nur bei
fortbestendem, aktuellem Bedarf in Betracht (sog. Aktualitätsgrundsatz).
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 28. September 2009 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger und Berufungskläger (im Folgenden: Kläger) für die Zeit von 01.06.2005 bis 31.01.2009 sog. Analogleistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu gewähren sind.
Der am.1971 in T. geborene Kläger reiste vermutlich im Mai 2002 in die Bundesrepublik Deutschland ein und meldete sich am 30.05.2002 als Asylsuchender. Nach der asylverfahrensrechtlichen Zuweisung in eine Gemeinschaftsunterkunft in M. gewährte der damalige Landkreis M. dem Kläger ab 01.03.2003 mit Bescheid vom 29.01.2003 laufend Leistungen nach § 3 AsylbLG.
Am 14.12.2004 wurde dem Kläger von der Botschaft der Islamischen Republik in Berlin ein Reisepass ausgestellt, der zunächst bei der Ausländerbehörde verwahrt wurde. Auf seine Bitte, ihm diesen auszuhändigen, weil er nach Nordamerika weiterwandern wolle, wurde ihm der Pass ausgehändigt. Trotz mehrfacher Aufforderungen gab er ihn nicht wieder ab. Später gab er an, der Pass sei abhanden gekommen.
Seinen Antrag, ihm Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren, lehnte das damalige Landratsamt Mittweida mit Bescheid vom 19.06.2006 und bestätigendem Widerspruchsbescheid der Zentralen Ausländerbehörde beim damaligen Regierungspräsidium Chemnitz (jetzt: Landesdirektion Chemnitz; im Folgenden: ZAB) vom 12.12.2006 ab. Der Widerspruchsbescheid sei am 15.12.2006 zugegangen.
Hiergegen hat der Kläger am 15.01.2007 Klage beim Sozialgericht Chemnitz erhoben.
In Ausführung des Urteils des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 19.05.2008 im Verfahren des Klägers A 5 K 1748/02 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 30.10.2008 festgestellt, dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 60 AufenthG hinsichtlich der Islamischen Republik Iran vorliegen. Am 01.12.2008 ist ihm ein bis 30.11.2011 gültiger Reiseausweis für Flüchtlinge ausgestellt und am 08.01.2009 eine bis 30.11.2011 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG vom Beklagten und Berufungsbeklagten (im Folgenden: Beklagten) erteilt worden. Am 03.03.2009 ist der Kläger nach D. umgezogen und bezieht jetzt Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat das Klageverfahren für die vergangenen Zeiträume fortgeführt und vorgetragen, ein Anspruch würde sich lediglich für die Zukunft erledigen, da dem Kläger mit Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nunmehr eine Beschäftigung möglich sei bzw. er Leistungen nach dem SGB II erlangen könnte. Durch das Beziehen von gekürzten Leistungen sei ihm Einkommen entgangen. Es bestehe ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse, da bei Feststellung der Rechtmäßigkeit der Klage ein Ersatzanspruch zu erheben sei. Dem ist der Beklagte entgegen getreten; er meint der Kläger habe sich rechtsmissbräuchlich verhalten, indem er sich weigerte, der Behörde seinen Reisepass auszuhändigen und hat sich insoweit auf die angegriffenen Bescheide bezogen.
Nach vorheriger Anhörung hat das Sozialgericht Chemnitz die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28.09.2009 abgewiesen, wie ein Anspruch des Klägers für die Vergangenheit jedenfalls mangels fortbestehenden Bedarfs nicht (mehr) gegeben sei. Es sei wieder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass insoweit noch ein Bedarf bestehe. Nach der neueren Rechtsprechung habe das Bundessozialgericht insoweit die frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt, wonach nicht mehr bestehende Bedarfe nicht mehr zu decken seien (sog. Aktualitätsgrundsatz).
Gegen den am 01.10.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Prozessbevollmächtigten des Klägers am Montag, den 02.11.2009, Berufung eingelegt und sein bisheriges Vorbringen wiederholt, wobei er sich insbesondere auf die Umstände des Passverlustes durch den Kläger bezog. Der nicht erfüllte Bedarf führe zu einer erheblichen Senkung des Lebensstandards, der bis heute nicht aufgefüllt worden sei. Die zum SGB II ergangene Rechtsprechung des BSG spreche ebenfalls für einen Anspruch des Klägers auf Nachzahlung. Der Aktualitätsgrundsatz sei nicht geeignet, gerechte Entscheidungen herbeizuführen. Es müsse mindestens ein Schadensersatzanspruch für entgangene Lebensqualität in diesem Zeitraum bestehen.
Auf Aufforderung des Senats, der Kläger möge seine nicht entfallenen und nicht erfüllten Bedarfe darlegen und erforderlichenfalls belegen, hat der Prozessbevollmächtigte erneut darauf verwiesen, dass die Rechtsprechung zum Aktualitätsgrundsatz keine Anwendung finden könne, da es beim Kläger nicht um rückwirkende Bedarfe ginge. Schon aufgrund seiner Depressionen habe er ständig und bis heute einen erhöhten Bedarf, den er durch die fehlenden Geldmittel nicht habe decken können. Ihm sei keine Beteiligung am kulturellen und geistigen Leben möglich gewesen, weil es ihm hierfür immer an Geld gefehlt habe. Er habe sich Geld geliehen, das er in Zukunft noch zurückzahlen müsse. Nach Verbescheidung des tatsächlich zustehenden Anspruchs unter Anwendung des jeweils aktuellen Sozialhilfesatzes sei die Differenz zu den bisher gewährten Asylbewerberleistungen zur Auszahlung zu bringen. Der Kläger sei am 04.02.2009 nach D. verzogen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 28.09.2009 aufzuheben und dem Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 19.06.2006 im Gestalt des Widerspruchsbescheides der Zentralen Ausländerbehörde Chemnitz vom 12.12.2006 zu verpflichten, dem Kläger vom 01.06.2005 bis 31.01.2009 Asylbewerberleistungen in Höhe der jeweils gültigen Sätze gemäß § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz alte Fassung i.V.m. dem SGB XII und der Anrechnung der gewährten Leistungen zu gewähren und ihm dies zu bescheiden
und die Revision zuzulassen.
Der Beklagte hält den Gerichtsbescheid für richtig und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiterem Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Leistungsakte des Beklagten und die beigezogenen Akten der Stadt D. verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Gemäß § 155 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet die Berichterstatterin als Einzelrichterin, da die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
Die Berufung ist statthaft, weil um laufende Leistungen für mehr als ein Jahr gestritten wird, und auch im Übrigen zulässig (§§ 144 Abs. 1 Satz 2, 151 SGG).
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Nachzahlung von sog. Analogleistungen nach § 2 AsylbLG für die Zeit von 01.06.2005 bis 31.01.2009, so dass er durch den Bescheid des Beklagten vom 19.06.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2006 nicht in seinen Rechten verletzt wird (§ 54 SGG). Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung und aus eigener Überzeugung den zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im Gerichtsbescheid vom 28.09.2009 an und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist lediglich Folgendes auszuführen: Offen bleiben kann, ob der Kläger bereits deswegen keinen Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG ab 01.06.2005 haben kann, weil diese Vorschrift seit 28.08.2007 eine Vorbezugszeit von Leistungen nach § 3 AsylbLG von 48 statt – wie zuvor – 36 Monaten vorsieht, so dass er frühestens ab (30.05.2002 + 48 Monate = 30.05.2006) 01.06.2006 die sog. Analogleistungen beanspruchen könnte.
Denn dem Kläger können für die Vergangenheit höhere Leistungen allenfalls dann zugesprochen werden, wenn tatsächlich ein nachholbarer, jetzt noch aktueller Bedarf besteht. Da der Kläger trotz Aufforderung keinen konkreten fortbestehenden Bedarf geltend geschweige denn glaubhaft gemacht oder gar nachgewiesen hat, konnte die Berufung keinen Erfolg haben.
Der Senat bezieht sich zur Begründung seiner Rechtsauffassung auf die jüngste Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach ggf. Bedarfe, die durch das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch hätten gedeckt werden müssen, mittlerweile entfallen sein könnten (so z.B. BSG, Urteil vom 17.06.2008 – B 8 AY 5/07 R, RdNr. 16, zitiert nach Juris) und dass darauf zu achten sei, dass nicht mehr bestehende Bedarfe nicht mehr zu decken sind – so genannter Aktualitätsgrundsatz (so BSG, Urteil vom 17.06.2008 – B 8 AY 13/07 R, RdNr. 16; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.01.2010 – L 23 AY 1/07, RdNr. 34). Entfallen ist sicherlich der damals bestehende Bedarf an Unterkunft, den der Beklagte durch Unterbringung des Klägers in der Gemeinschaftsunterkunft gedeckt hat. Soweit der Prozessbevollmächtigte vorträgt, aufgrund seiner Depressionen habe der Kläger laufend einen nicht erfüllten Bedarf gehabt, ist kein konkreter Bedarf (Medikamente? Psychotherapie?) dargetan, geschweige denn belegt und auch nicht dargetan, worin ein deswegen heute noch bestehender Bedarf gesehen werden könnte. Hinsichtlich der nicht ermöglichten Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Leben ist ebenfalls weder dargelegt, was wegen der lediglich gewährten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG versäumt wurde, noch inwieweit in diesem Bereich heute noch ein Bedarf besteht.
Dass Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 AsylbLG insoweit ggf. anders behandelt werden als Leistungsbezieher nach anderen Gesetzes der Sozialverwaltung (insbesondere Leistungsempfänger nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – SGB II) steht der Anwendung des Aktualitätsgrundsatzes nicht entgegen. Denn der gemäß § 1 Abs. 1 AsylbLG in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einbezogene Personenkreis unterscheidet sich von den Leistungsbeziehern anderer Leistungsgesetze dadurch, dass ihr Aufenthalt im Bundesgebiet jederzeit ein Ende finden kann, weil sie über keinen gesicherten Aufenthaltsstatus verfügen. So verfügen z.B. Asylbewerber nur solange über eine Aufenthaltsgestattung, bis über ihr Asylbegehren entschieden ist; dann erhalten sie entweder eine Aufenthaltserlaubnis (§ 25 Abs. 1 und Abs. 2 Aufenthaltsgesetz) und scheiden deswegen aus dem Kreis der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 AsylbLG aus, oder sie müssen das Bundesgebiet (freiwillig oder im Wege der Abschiebung) verlassen. Gemeinsam ist allen Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 AsylbLG, dass sie über Aufenthaltstitel verfügen, die ihrer Natur nach nicht auf eine Verfestigung des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland angelegt sind, eine Integration also weder beabsichtigt noch erwünscht ist. Der Gesetzgeber hat sich dementsprechend entschieden, ein eigenständiges und abschließendes Regelungssystem zu schaffen, das für die Berechtigten solcher Leistungen vorrangig zu gelten hat (vgl. BSG, Urteil vom 21.12.2009 – B 14 As 66/08 R- RdNr. 17 a.E.). Lediglich der Umstand, dass nach einem mehr als vier Jahre andauernden tatsächlichen Aufenthalt allein aufgrund des Zeitablaufs eine gewisse Integration stattgefunden hat, rechtfertigt eine Angleichung hinsichtlich der Leistungsrechte, wenn die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst wurde (§ 2 AsylbLG).
Dieser entscheidende Unterschied ist auch bei der nachträglichen Leistungsgewährung zu berücksichtigen: eine nachträgliche Gewährung möglicherweise zu Unrecht verwehrter Leistungen nach dem AsylbLG ist weder geboten noch erforderlich, wenn die Bedarfe, für die diese Leistungen in der Vergangenheit hätten gewährt werden müssen, nicht mehr bestehen, weil nach wie vor der Aufenthalts im Bundesgebiet, dem diese Leistungen dienen, jederzeit enden kann. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 17.05.2010 – L 20 AY 10/10, RdNr. 90; Revision hierzu beim BSG anhängig unter B 8 AY 1/10), dass im Bereich der Analogleistungen als Sozialhilfeleistungen bei pauschal gedeckten Bedarfen im Falle rechtswidrig zu niedrig gewährter Leistungen regelmäßig von einem noch fortdauernden Bedarf auszugehen wäre. Zum einen handelt es sich bei den Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG gerade nicht um Sozialhilfeleistungen sondern immer noch um Asylbewerberleistungen im Rahmen dieses eigenständigen Regelungssystems. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Regelleistungen nach dem SGB XII im Unterschied zur Vorgängerregelung des Bundessozialhilfegesetzes, welches einen geringeren Regelsatz und ergänzende Leistungen für einmalige Bedarfe enthielt, einen erheblichen Ansparanteil enthalten, um einmalige Bedarfe – z. B. Ersatzbeschaffungen – zu decken. Angesichts der stets im Raum stehenden Beendigung des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland, kann bei den nach § 1 Abs. 1 AsylbLG Berechtigten jedenfalls dieser Ansparanteil entfallen, weil Ersatzbeschaffungen angesichts der begrenzten Aufenthaltsdauer in der Regel nicht anfallen (vgl. Beschluss des Senats vom 04.01.2011 – L 7 SO 28/10 B ER – nicht veröffentlicht).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Da in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen zur Reichweite des Aktualitätsgrundsatzes bei den Leistungen nach § 2 AsylbLG bestehen, lässt der Senat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu, um diese grundsätzlich bedeutsame Frage ohne dass es hier auf die nachträgliche Gewährung von Leistungen aufgrund eines Überprüfungsantrages ankäme – einer bundeseinheitlichen Klärung zugänglich zu machen. Dem steht nicht entgegen, dass der Senat gemäß § 155 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 SGG durch die Berichterstatterin als Einzelrichter entscheidet, weil hierfür nur das Einverständnis der Beteiligten erforderlich ist. Ob die Streitsache rechtlich und tatsächlich einfach bzw. geklärt ist, ist für die Besetzung in dieser Konstellation unerheblich.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger und Berufungskläger (im Folgenden: Kläger) für die Zeit von 01.06.2005 bis 31.01.2009 sog. Analogleistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu gewähren sind.
Der am.1971 in T. geborene Kläger reiste vermutlich im Mai 2002 in die Bundesrepublik Deutschland ein und meldete sich am 30.05.2002 als Asylsuchender. Nach der asylverfahrensrechtlichen Zuweisung in eine Gemeinschaftsunterkunft in M. gewährte der damalige Landkreis M. dem Kläger ab 01.03.2003 mit Bescheid vom 29.01.2003 laufend Leistungen nach § 3 AsylbLG.
Am 14.12.2004 wurde dem Kläger von der Botschaft der Islamischen Republik in Berlin ein Reisepass ausgestellt, der zunächst bei der Ausländerbehörde verwahrt wurde. Auf seine Bitte, ihm diesen auszuhändigen, weil er nach Nordamerika weiterwandern wolle, wurde ihm der Pass ausgehändigt. Trotz mehrfacher Aufforderungen gab er ihn nicht wieder ab. Später gab er an, der Pass sei abhanden gekommen.
Seinen Antrag, ihm Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren, lehnte das damalige Landratsamt Mittweida mit Bescheid vom 19.06.2006 und bestätigendem Widerspruchsbescheid der Zentralen Ausländerbehörde beim damaligen Regierungspräsidium Chemnitz (jetzt: Landesdirektion Chemnitz; im Folgenden: ZAB) vom 12.12.2006 ab. Der Widerspruchsbescheid sei am 15.12.2006 zugegangen.
Hiergegen hat der Kläger am 15.01.2007 Klage beim Sozialgericht Chemnitz erhoben.
In Ausführung des Urteils des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 19.05.2008 im Verfahren des Klägers A 5 K 1748/02 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 30.10.2008 festgestellt, dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 60 AufenthG hinsichtlich der Islamischen Republik Iran vorliegen. Am 01.12.2008 ist ihm ein bis 30.11.2011 gültiger Reiseausweis für Flüchtlinge ausgestellt und am 08.01.2009 eine bis 30.11.2011 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG vom Beklagten und Berufungsbeklagten (im Folgenden: Beklagten) erteilt worden. Am 03.03.2009 ist der Kläger nach D. umgezogen und bezieht jetzt Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat das Klageverfahren für die vergangenen Zeiträume fortgeführt und vorgetragen, ein Anspruch würde sich lediglich für die Zukunft erledigen, da dem Kläger mit Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nunmehr eine Beschäftigung möglich sei bzw. er Leistungen nach dem SGB II erlangen könnte. Durch das Beziehen von gekürzten Leistungen sei ihm Einkommen entgangen. Es bestehe ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse, da bei Feststellung der Rechtmäßigkeit der Klage ein Ersatzanspruch zu erheben sei. Dem ist der Beklagte entgegen getreten; er meint der Kläger habe sich rechtsmissbräuchlich verhalten, indem er sich weigerte, der Behörde seinen Reisepass auszuhändigen und hat sich insoweit auf die angegriffenen Bescheide bezogen.
Nach vorheriger Anhörung hat das Sozialgericht Chemnitz die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28.09.2009 abgewiesen, wie ein Anspruch des Klägers für die Vergangenheit jedenfalls mangels fortbestehenden Bedarfs nicht (mehr) gegeben sei. Es sei wieder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass insoweit noch ein Bedarf bestehe. Nach der neueren Rechtsprechung habe das Bundessozialgericht insoweit die frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt, wonach nicht mehr bestehende Bedarfe nicht mehr zu decken seien (sog. Aktualitätsgrundsatz).
Gegen den am 01.10.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Prozessbevollmächtigten des Klägers am Montag, den 02.11.2009, Berufung eingelegt und sein bisheriges Vorbringen wiederholt, wobei er sich insbesondere auf die Umstände des Passverlustes durch den Kläger bezog. Der nicht erfüllte Bedarf führe zu einer erheblichen Senkung des Lebensstandards, der bis heute nicht aufgefüllt worden sei. Die zum SGB II ergangene Rechtsprechung des BSG spreche ebenfalls für einen Anspruch des Klägers auf Nachzahlung. Der Aktualitätsgrundsatz sei nicht geeignet, gerechte Entscheidungen herbeizuführen. Es müsse mindestens ein Schadensersatzanspruch für entgangene Lebensqualität in diesem Zeitraum bestehen.
Auf Aufforderung des Senats, der Kläger möge seine nicht entfallenen und nicht erfüllten Bedarfe darlegen und erforderlichenfalls belegen, hat der Prozessbevollmächtigte erneut darauf verwiesen, dass die Rechtsprechung zum Aktualitätsgrundsatz keine Anwendung finden könne, da es beim Kläger nicht um rückwirkende Bedarfe ginge. Schon aufgrund seiner Depressionen habe er ständig und bis heute einen erhöhten Bedarf, den er durch die fehlenden Geldmittel nicht habe decken können. Ihm sei keine Beteiligung am kulturellen und geistigen Leben möglich gewesen, weil es ihm hierfür immer an Geld gefehlt habe. Er habe sich Geld geliehen, das er in Zukunft noch zurückzahlen müsse. Nach Verbescheidung des tatsächlich zustehenden Anspruchs unter Anwendung des jeweils aktuellen Sozialhilfesatzes sei die Differenz zu den bisher gewährten Asylbewerberleistungen zur Auszahlung zu bringen. Der Kläger sei am 04.02.2009 nach D. verzogen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 28.09.2009 aufzuheben und dem Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 19.06.2006 im Gestalt des Widerspruchsbescheides der Zentralen Ausländerbehörde Chemnitz vom 12.12.2006 zu verpflichten, dem Kläger vom 01.06.2005 bis 31.01.2009 Asylbewerberleistungen in Höhe der jeweils gültigen Sätze gemäß § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz alte Fassung i.V.m. dem SGB XII und der Anrechnung der gewährten Leistungen zu gewähren und ihm dies zu bescheiden
und die Revision zuzulassen.
Der Beklagte hält den Gerichtsbescheid für richtig und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiterem Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Leistungsakte des Beklagten und die beigezogenen Akten der Stadt D. verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Gemäß § 155 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet die Berichterstatterin als Einzelrichterin, da die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
Die Berufung ist statthaft, weil um laufende Leistungen für mehr als ein Jahr gestritten wird, und auch im Übrigen zulässig (§§ 144 Abs. 1 Satz 2, 151 SGG).
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Nachzahlung von sog. Analogleistungen nach § 2 AsylbLG für die Zeit von 01.06.2005 bis 31.01.2009, so dass er durch den Bescheid des Beklagten vom 19.06.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2006 nicht in seinen Rechten verletzt wird (§ 54 SGG). Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung und aus eigener Überzeugung den zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im Gerichtsbescheid vom 28.09.2009 an und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist lediglich Folgendes auszuführen: Offen bleiben kann, ob der Kläger bereits deswegen keinen Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG ab 01.06.2005 haben kann, weil diese Vorschrift seit 28.08.2007 eine Vorbezugszeit von Leistungen nach § 3 AsylbLG von 48 statt – wie zuvor – 36 Monaten vorsieht, so dass er frühestens ab (30.05.2002 + 48 Monate = 30.05.2006) 01.06.2006 die sog. Analogleistungen beanspruchen könnte.
Denn dem Kläger können für die Vergangenheit höhere Leistungen allenfalls dann zugesprochen werden, wenn tatsächlich ein nachholbarer, jetzt noch aktueller Bedarf besteht. Da der Kläger trotz Aufforderung keinen konkreten fortbestehenden Bedarf geltend geschweige denn glaubhaft gemacht oder gar nachgewiesen hat, konnte die Berufung keinen Erfolg haben.
Der Senat bezieht sich zur Begründung seiner Rechtsauffassung auf die jüngste Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach ggf. Bedarfe, die durch das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch hätten gedeckt werden müssen, mittlerweile entfallen sein könnten (so z.B. BSG, Urteil vom 17.06.2008 – B 8 AY 5/07 R, RdNr. 16, zitiert nach Juris) und dass darauf zu achten sei, dass nicht mehr bestehende Bedarfe nicht mehr zu decken sind – so genannter Aktualitätsgrundsatz (so BSG, Urteil vom 17.06.2008 – B 8 AY 13/07 R, RdNr. 16; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.01.2010 – L 23 AY 1/07, RdNr. 34). Entfallen ist sicherlich der damals bestehende Bedarf an Unterkunft, den der Beklagte durch Unterbringung des Klägers in der Gemeinschaftsunterkunft gedeckt hat. Soweit der Prozessbevollmächtigte vorträgt, aufgrund seiner Depressionen habe der Kläger laufend einen nicht erfüllten Bedarf gehabt, ist kein konkreter Bedarf (Medikamente? Psychotherapie?) dargetan, geschweige denn belegt und auch nicht dargetan, worin ein deswegen heute noch bestehender Bedarf gesehen werden könnte. Hinsichtlich der nicht ermöglichten Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Leben ist ebenfalls weder dargelegt, was wegen der lediglich gewährten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG versäumt wurde, noch inwieweit in diesem Bereich heute noch ein Bedarf besteht.
Dass Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 AsylbLG insoweit ggf. anders behandelt werden als Leistungsbezieher nach anderen Gesetzes der Sozialverwaltung (insbesondere Leistungsempfänger nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – SGB II) steht der Anwendung des Aktualitätsgrundsatzes nicht entgegen. Denn der gemäß § 1 Abs. 1 AsylbLG in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einbezogene Personenkreis unterscheidet sich von den Leistungsbeziehern anderer Leistungsgesetze dadurch, dass ihr Aufenthalt im Bundesgebiet jederzeit ein Ende finden kann, weil sie über keinen gesicherten Aufenthaltsstatus verfügen. So verfügen z.B. Asylbewerber nur solange über eine Aufenthaltsgestattung, bis über ihr Asylbegehren entschieden ist; dann erhalten sie entweder eine Aufenthaltserlaubnis (§ 25 Abs. 1 und Abs. 2 Aufenthaltsgesetz) und scheiden deswegen aus dem Kreis der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 AsylbLG aus, oder sie müssen das Bundesgebiet (freiwillig oder im Wege der Abschiebung) verlassen. Gemeinsam ist allen Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 AsylbLG, dass sie über Aufenthaltstitel verfügen, die ihrer Natur nach nicht auf eine Verfestigung des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland angelegt sind, eine Integration also weder beabsichtigt noch erwünscht ist. Der Gesetzgeber hat sich dementsprechend entschieden, ein eigenständiges und abschließendes Regelungssystem zu schaffen, das für die Berechtigten solcher Leistungen vorrangig zu gelten hat (vgl. BSG, Urteil vom 21.12.2009 – B 14 As 66/08 R- RdNr. 17 a.E.). Lediglich der Umstand, dass nach einem mehr als vier Jahre andauernden tatsächlichen Aufenthalt allein aufgrund des Zeitablaufs eine gewisse Integration stattgefunden hat, rechtfertigt eine Angleichung hinsichtlich der Leistungsrechte, wenn die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst wurde (§ 2 AsylbLG).
Dieser entscheidende Unterschied ist auch bei der nachträglichen Leistungsgewährung zu berücksichtigen: eine nachträgliche Gewährung möglicherweise zu Unrecht verwehrter Leistungen nach dem AsylbLG ist weder geboten noch erforderlich, wenn die Bedarfe, für die diese Leistungen in der Vergangenheit hätten gewährt werden müssen, nicht mehr bestehen, weil nach wie vor der Aufenthalts im Bundesgebiet, dem diese Leistungen dienen, jederzeit enden kann. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 17.05.2010 – L 20 AY 10/10, RdNr. 90; Revision hierzu beim BSG anhängig unter B 8 AY 1/10), dass im Bereich der Analogleistungen als Sozialhilfeleistungen bei pauschal gedeckten Bedarfen im Falle rechtswidrig zu niedrig gewährter Leistungen regelmäßig von einem noch fortdauernden Bedarf auszugehen wäre. Zum einen handelt es sich bei den Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG gerade nicht um Sozialhilfeleistungen sondern immer noch um Asylbewerberleistungen im Rahmen dieses eigenständigen Regelungssystems. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Regelleistungen nach dem SGB XII im Unterschied zur Vorgängerregelung des Bundessozialhilfegesetzes, welches einen geringeren Regelsatz und ergänzende Leistungen für einmalige Bedarfe enthielt, einen erheblichen Ansparanteil enthalten, um einmalige Bedarfe – z. B. Ersatzbeschaffungen – zu decken. Angesichts der stets im Raum stehenden Beendigung des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland, kann bei den nach § 1 Abs. 1 AsylbLG Berechtigten jedenfalls dieser Ansparanteil entfallen, weil Ersatzbeschaffungen angesichts der begrenzten Aufenthaltsdauer in der Regel nicht anfallen (vgl. Beschluss des Senats vom 04.01.2011 – L 7 SO 28/10 B ER – nicht veröffentlicht).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Da in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen zur Reichweite des Aktualitätsgrundsatzes bei den Leistungen nach § 2 AsylbLG bestehen, lässt der Senat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu, um diese grundsätzlich bedeutsame Frage ohne dass es hier auf die nachträgliche Gewährung von Leistungen aufgrund eines Überprüfungsantrages ankäme – einer bundeseinheitlichen Klärung zugänglich zu machen. Dem steht nicht entgegen, dass der Senat gemäß § 155 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 SGG durch die Berichterstatterin als Einzelrichter entscheidet, weil hierfür nur das Einverständnis der Beteiligten erforderlich ist. Ob die Streitsache rechtlich und tatsächlich einfach bzw. geklärt ist, ist für die Besetzung in dieser Konstellation unerheblich.
Rechtskraft
Aus
Login
FSS
Saved