Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 3380/06 Berlin
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 347/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 08. Juli 2008 abgeändert. Es wird festgestellt, dass die Beigeladene zu 3) in ihrer Tätigkeit für den Beigeladenen zu 4) seit dem 01. Januar 2001 der Rentenversicherungspflicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI unterliegt. Die Berufung der Beigeladenen zu 3) wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Beklagte hat die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zu tragen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen haben. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit steht, ob die Beigeladene zu 3) (nachfolgend nur noch "die Beigeladene") in ihrer Tätigkeit bei ihrem Ehemann, dem Beigeladenen zu 4) (nachfolgend nur noch "der Beigeladene"), seit dem 01. Januar 2001 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt.
Die 1948 geborene Beigeladene und ihr Ehemann sind 2000 verheiratet. Sie leben im Güterstand der Zugewinnsgemeinschaft.
Die Beigeladene ist gelernte Großhandelskauffrau. Sie ist seit dem 01. Januar 2001 Mitglied der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin.
Der Beigeladene und seine Ehefrau schlossen am 29. Juni 1990 einen Arbeitsvertrag ab dem 01. Juli 1990, aufgrund dessen die Beigeladene als kaufmännische Angestellte und Abteilungsleiterin für den Verkauf vollbeschäftigt auf unbestimmte Zeit eingestellt werde.
Die Beigeladene gewährte ihrem Ehemann insgesamt drei Darlehen, über 80 000,00 DM (Darlehensvertrag vom 01. Januar 1993 zur Begleichung betrieblicher Aufwendungen [Ablösungsdarlehen Volksbank]) zu einem Zinssatz von 8 % jährlich, über 35 000,00 DM (Darlehensvertrag vom 01. Juli 1999 zur Begleichung betrieblicher Aufwendungen [Kauf eines Firmenwagens]), Zinssatz ebenfalls 8 %, sowie über 15 000,00 DM (Darlehensvertrag vom 06. März 2001 zur Begleichung betrieblicher Aufwendungen), ebenfalls 8 % Jahreszinsen.
Er ist Inhaber der "T Brillenmode Kontaktlinsenpraxis" in K, staatlich geprüfter Augenoptiker und Augenoptikermeister. Gegenstand des Betriebes ist die Anpassung, der Verkauf und die Reparatur von Brillen sowie die Anpassung und der Verkauf von Kontaktlinsen. Der Beigeladene konzentriert sich auf diese praktischen Tätigkeiten. Seiner Ehefrau obliegen nach ihren eigenen Angaben die Abwicklung aller kaufmännischen Arbeiten, die Vorbereitung der Firmenbilanz für den Steuerberater, die Erstellung der Finanzplanung und die Abwicklung aller Bürovorgänge. Daneben berät sie Kunden in der Auswahl von Brillen und Kontaktlinsen, soweit dazu nicht die besonderen Kenntnisse eines Augenoptikers erforderlich sind. Sie arbeitet im Betrieb und zu den Kundenöffnungszeiten. Mit Schreiben vom 25. Juli 2005 stellte die Beigeladene beim Rechtsvorgänger der Beklagten einen Antrag auf sozialversicherungsrechtliche Beurteilung. Sie sei von jeher weisungsfrei tätig. Sie denke und handele unternehmerisch. Auf ihr Drängen hin sei 1990 die Kontaktlinsenpraxis gegründet worden. Auf ihre Initiative hin sei damals der Verkaufladen umgebaut worden.
Sie und ihr Ehemann füllten unter dem 25. Juli 2005 einen "Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Angehörigen" aus und gaben u. a. an, dass die Beigeladene in dem Betrieb eingegliedert sei (unter Streichung der Formulierung "wie eine fremde Arbeitskraft"). Ohne sie müsste eine andere Arbeitskraft eingestellt werden. Der Betrieb werde als Einzelunternehmen geführt. Das Arbeitsentgelt entspreche nicht dem tariflichen bzw. ortsüblichen. Die finanzielle Situation habe oftmals nur ein Familiengehalt zugelassen.
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 02. Dezember 2005 fest, dass die Beigeladene seit dem 01. Juni 2001 nicht versicherungspflichtig zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung sei. Der Bescheid war an die Beigeladene gerichtet und enthielt die Rechtsbehelfsbelehrung, dass innerhalb eines Monats nach Zustellung Widerspruch erhoben werden könne.
Die Beklagte übersandte der Klägerin eine Abschrift dieses Bescheides (erst) am 01. März 2006. Diese bat mit Schreiben vom 15. März 2006 um Mitteilung, ob eine Abstimmung mit dem zuständigen Rentenversicherungsträger stattgefunden habe. Eine Kopie übersandte sie an die Beigeladene. Mit Schreiben vom 15. April 2006 antwortete die Beklagte, dass eine Abstimmung nicht stattgefunden habe. Nach Prüfung der Unterlagen teilte die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 02. November 2006 mit, deren Auffassung nicht zu teilen.
Sie hat am 02. Dezember 2006 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben.
Die Beigeladene hat im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht, die Klage sei infolge Verfristung und Verwirkung sowie mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Sie sei auch unbegründet. Sie trage ein Unternehmerrisiko, auch werde ihr eine Vergütung nur in der Höhe überwiesen, die sie für den Betrieb verantworten könne. Dies seien derzeit (Juli 2008) monatlich 566,13 EUR. Der Entgeltrückstand belaufe sich auf derzeit 14 000,00 EUR. Ferner habe sie erst kürzlich aus eigenen Mitteln einen Firmenwagen selbständig angeschafft.
Mit Urteil vom 08. Juli 2008 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 02. Dezember 2005 aufgehoben, soweit dort die Beklagte entschieden hatte, dass die Beigeladene seit dem 01. Januar 2001 in ihrer Tätigkeit für den Beigeladenen nicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) versicherungspflichtig ist. Es hat den Feststellungsantrag der Klägerin, dass die Versicherte I T der Rentenversicherungspflicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ab 01. Januar 2000 unterliege, abgewiesen. Die Anfechtungsklage sei zulässig. Es habe keines Vorverfahrens gemäß § 78 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bedurft, weil die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Versicherungsträger klage. Die Monatsfrist des § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG habe nicht gemäß § 66 Abs. 1 SGG zu laufen begonnen, weil die Klägerin nicht über den ihr zustehenden Rechtsbehelf belehrt worden sei. Die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG sei eingehalten. Das Klagerecht sei auch nicht verwirkt. Ein Verwirkungsverhalten, welche zusätzlich zum Zeitablauf hinzutreten müsse, sei nicht ersichtlich. Weder die Beklagte noch die Beigeladene hätten angesichts des Schreibens der Klägerin vom 15. März 2006 darauf vertrauen können, dass sie von ihrem Recht zur Anfechtung keinen Gebrauch machen würde. Die Klägerin sei auch durch den Bescheid beschwert und deshalb klagebefugt nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG. Die Anfechtungsklage sei auch begründet. Es überwögen die Merkmale, welche für eine nichtselbständige Tätigkeit nach § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) sprächen. Eine bloße familienhafte Mithilfe scheide aus. Der Tätigkeit liege ein in schriftlicher Form geschlossener Arbeitsvertrag zugrunde, der für die Tätigkeit ein angemessenes Entgelt vorsehe. Dieses werde als Betriebsausgabe verbucht. Von ihm würde Lohnsteuer entrichtet werden. Dass die Beigeladene ein unmittelbares eigenes Interesse am Wohlergehen des Betriebs ihres Ehemannes habe und sie diesem mehrere Darlehen gewährt habe und schließlich auf die Geltendmachung von Lohnansprüchen verzichte und ihre Tätigkeiten weitgehend eigenverantwortlich erledige, seien zwar Indizien für das Gegenteil. Diese fielen jedoch nicht ins Gewicht. Sie rechtfertigten nämlich weder die Annahme, dass die Beigeladene ein Unternehmerrisiko trage noch, dass sie keine fremdbestimmten Dienste leiste. Insbesondere habe sie nicht Anteile am Betrieb des Ehemannes erworben. Zwischen beiden bestehe mangels Gesellschaftsvertrag keine Gesellschaft nach § 705 Bürgerliches Gesetzbuch. Betriebsinhaber sei ausschließlich der Ehemann, wie dies auch für ein zulassungspflichtiges Handwerk erforderlich sei. Der Feststellungsklage fehle es hingegen am notwendigen Feststellungsinteresse im Sinne des § 55 Abs. 1 SGG.
Gegen dieses Urteil richten sich die Berufungen der Klägerin und der Beigeladenen.
Letztere ist der Auffassung, die Klage sei bereits unzulässig. Eine isolierte Feststellung der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung sei nicht möglich. Eine diesbezügliche Feststellung verstoße gegen § 28 h Abs. 2 SGB IV.
Ferner könne sich die Klägerin nicht auf die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG berufen. Es handele sich insoweit nur um eine Schutzvorschrift zugunsten des Bürgers. Sie könne sich jedenfalls aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben nicht auf die Jahresfrist berufen, weil die gemeinsame Verlautbarung zur Behandlung von Beitragsbescheiden durch die am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten Versicherungsträger vom 25. März 2001 ein Unterlassen einer Rechtsbehelfsbelehrung vereinbart habe. Der Bescheid der Beklagten habe eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten. Dass sie gleich klagen habe müssen, sei ihr bekannt gewesen. Nach Nr. 5 der genannten Vereinbarung hätte die Klägerin überdies auf die Anfechtung verzichten müssen. Der Bescheid der Beklagten sei auch in der Sache richtig. Alle Indizien für eine abhängige Beschäftigung seien schwach. So habe die Beigeladene gerade keinen Entgeltanspruch. Ihr Unternehmerrisiko zeige sich in der Darlehensgabe in Höhe von insgesamt 130 000,00 DM und im ständigen Verzicht auf Entgelt und Zinsen. Der Kauf eines Firmenwagens aus eigener Tasche dürfte für einen Angestellten ein Novum sein. Schließlich hätten die Eheleute seit zehn bis 15 Jahren keinen Urlaub mehr gemacht.
Die Klägerin hat schriftlich beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 08. Juli 2008 festzustellen, dass die Versicherte I T ab dem 01. Januar 2001 der Rentenversicherungspflicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IV unterliegt, ferner
die Berufung der Beigeladenen zu 3) zurückzuweisen.
Die Beigeladene zu 3) beantragt sinngemäß,
unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 08. Juli 2008 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Beklagte und die anderen Beigeladenen stellen keinen Antrag.
Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Es konnte im schriftlichen Verfahren durch den Berichterstatter entschieden werden. Alle Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, §§ 155 Abs. 3 und 4, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Berufung der Beigeladenen hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die Anfechtungsklage zu Recht als zulässig angesehen und für begründet gehalten. Auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Urteil wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen. Es bedurfte insbesondere vor Klageerhebung keines Vorverfahrens. Für die Klägerin als Versicherungsträger gilt die Ausnahmevorschrift des § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGG.
Die Klägerin ist klagebefugt, § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG. Sie macht geltend, durch den Bescheid der Beklagten in eigenen Rechten verletzt zu sein. Ist der Verwaltungsakt wie hier gegenüber einem Dritten ergangen, ist eine Rechtsverletzung möglich, sofern zumindest mittelbar eigene rechtliche Interessen der Klägerin betroffen sind. Eine solche rechtliche Beschwer der Klägerin ist hier gegeben. Die Feststellungen der Beklagten zur Versicherungsfreiheit haben Auswirkung auf deren Beitragsansprüche.
Die Klage ist auch fristgemäß erhoben. Die Monatsfrist des § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG beginnt gemäß § 66 Abs. 1 SGG nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den –richtigen- Rechtsbehelf schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ein Widerspruch ist –entgegen dem Vorabringen der Beigeladenen zu 3)- nur zulässig, wenn die Durchführung des Widerspruchsverfahrens notwendig der Klage voranzugehen hat, § 78 Abs. 1 SGG. Ansonsten muss gerade nach § 87 Abs. 1 S. 1 SGG bereits binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes der Klageweg beschritten werden. Die Klägerin ist Beteiligte gemäß § 66 Abs. 1 SGG, auch wenn sie als mittelbare Bundesverwaltung keiner Rechtsmittelbelehrung bedarf. Beteiligte sind nämlich nach § 69 SGG (alle) Kläger.
Hier allerdings hat statt dieser Monatsfrist gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG eine Jahresfrist seit der Eröffnung gegolten. Die Klägerin hat das Klagerecht auch nicht verwirkt. Auf die Ausführungen des SG wird verwiesen.
Die Klage ist auch begründet. Der hinsichtlich der Feststellung der Rentenversicherungsfreiheit angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25. November 2005 ist rechtswidrig, er verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Beigeladene zu 3) war ab 01. Juni 2003 auch zur Überzeugung des Senats abhängig beschäftigt und damit nach § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Rentenversicherung der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht, § 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96 - SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, sowie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG Urteile vom 08. August 1990 -11 RAr 77/89- SozR 3-2400 § 7 Nr. 4 Seite 14 und vom 08. Dezember 1994 -11 RAr 49/94- SozR 3-4100 § 168 Nr. 18 Seite 45); so insgesamt weitgehend wörtlich BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 -B 12 KR 30/04 R- juris).
Weist eine Tätigkeit Merkmale auf, die sowohl auf Abhängigkeit als auch auf Selbständigkeit hinweisen, so ist entscheidend, welche Merkmale überwiegen (BSG Urteil vom 23. Juni 1994 -12 RK 72/92- NJW 1994, 2974, 2975) und der Arbeitsleistung das Gepräge geben (BSG Beschluss vom 23. Februar 1995 -12 BK 98/94- juris). Auch die Grenze zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis mit Entgeltzahlung und einer nichtversicherungspflichtigen Mitarbeit aufgrund einer familienhaften Zusammengehörigkeit ist unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu ziehen. Es ist eine Würdigung der Gesamtumstände erforderlich, ob ein Beschäftigungsverhältnis zwischen den Angehörigen ernsthaft und eindeutig gewollt, entsprechend vereinbart und in der Wirklichkeit auch vollzogen wurde (BSG Urteil vom 17. Dezember 2002 -B 7 AL 34/02 R- USK 2002-42 S. 238f). Auch hier gilt, dass nicht die Vereinbarungen der Beteiligten, sondern die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben (BSG SozR 2200 § 1227 Nrn. 4 und 8). Nach der Rechtssprechung des BSG, der der Senat folgt, ist bei Fremdgeschäftsführern einer GmbH regelmäßig eine abhängige Beschäftigung anzunehmen und nur in begrenzten Einzelfällen hiervon abzusehen. Ein solcher Ausnahmefall kann bei Familienunternehmen vorliegen, wenn die familiäre Verbundenheit der beteiligten Familienmitglieder zwischen ihnen ein Gefühl erhöhter Verantwortung schafft, die zum Beispiel dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Höhe der Bezüge von der Ertragslage des Unternehmens abhängig gemacht wird oder wenn es aufgrund der familienhaften Rücksichtnahme an der Ausübung eines Direktionsrechts völlig mangelt. Hiervon ist insbesondere bei demjenigen auszugehen, der - obwohl nicht maßgeblich am Unternehmenskapital beteiligt - aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte des Unternehmens nach eigenem Gutdünken führt (vgl. BSG Urteil vom 08. Dezember 1987 -7 Rar 25/86- BB 1989,72; Urteil vom 14. Dezember 1999 -B 2 U 48/98 R- USK 9975).
Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist das SG zutreffend von einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV ausgegangen. Auf dessen Darlegungen wird nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.
Es hat insbesondere richtig angenommen, dass zwischen den Beteiligten ein gelebtes Arbeitsverhältnis besteht und die Beigeladene nicht aufgrund eines Gesellschaftsvertrages im Unternehmen ihres Ehemannes arbeitet. Zu Recht hat das SG auch die Darlehensgewährungen nicht als so gewichtiges Unternehmerrisiko angesehen, dass insgesamt von selbständiger Tätigkeit ausgegangen werden kann. Ganz allgemein ist die Gewährung von Darlehen bzw. Sicherheiten unter Familienangehörigen mit der Gewährung eines Darlehens oder einer Sicherheit durch einen fremden Arbeitnehmer, der nicht Angehöriger des Unternehmensinhabers ist, nicht gleichsetzbar. Familienmitglieder haben in der Regel ein gesteigertes Interesse am wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens, ohne dass hieraus ein wesentliches Unternehmerrisiko folgt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Februar 2010 -L 11 KR 2460/09- juris). Da Firmenwagen von Einzelunternehmern regelmäßig auch privat genutzt werden, relativiert sich die Darlehensgabe für die Anschaffung eines solchen noch zusätzlich.
Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass der Verzicht auf Gehalt und zustehenden Urlaub bzw. Urlaubsabgeltung auch bei Arbeitnehmern gerade bei Verbundenheit mit dem Unternehmen nicht selten vorkommen. Diese Umstände fallen auch deshalb nicht entscheidend ins Gewicht.
Die Berufung der Klägerin hat Erfolg.
Das Feststellungsbegehren stellt sich als zulässige Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG dar (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. bereits Urteil des Senats vom 13. März 2009 - L 1 KR 555/07 -). § 55 SGG bestimmt im Gegensatz zu § 43 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung und § 41 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung nicht ausdrücklich, dass eine Feststellung nicht begehrt werden kann, soweit der Kläger seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder dies hätte können. Soweit der so genannte Subsidiaritätsgrundsatz ungeachtet dessen auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, handelt es sich um eine Ausprägung des allgemeinen Feststellungs- bzw. Rechtsschutzbedürfnisses. An einem solchen fehlt es, wenn es eine effektivere Klagemöglichkeit gibt oder das Feststellungsurteil den Rechtsstreit noch nicht abschließend erledigen könnte (vgl. BSG, Urteil vom 5. Oktober 2006 - B 10 LW 4/05 R - mit weiteren Nachweisen). Hier führt die Anfechtungsklage nur zur Aufhebung der eine Versicherungspflicht verneinenden Bescheide der Beklagten und nicht umgekehrt zur Feststellung der Rentenversicherungspflicht. Die Beklagte könnte sich der Klägerin gegenüber rein formal auf den Standpunkt stellen, dass zwar der die Beigeladenen aus deren Sicht begünstigender Bescheid der Beklagten als Einzugsstelle aufgehoben worden sei, die dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Erwägungen jedoch falsch und unverbindlich seien. Eine Verpflichtungsklage auf Erlass entsprechender Bescheide gegen die Einzugsstellen wäre weiter kein einfacherer Weg als die Feststellungsklage (ebenso BSG, Urteil vom 1. September 2005 - B 3 KR 3/04 R -).
Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 55 SGG an der begehrten Feststellung. Sie ist in eigenen Rechten nur betroffen, soweit es die Rentenversicherungspflicht betrifft. Die gerichtliche Feststellung ist kein Bescheid der Einzugsstelle im Sinne des § 28 h SGB IV. Im Übrigen lässt sich dem § 28 h Abs. 2 SGB IV nicht entnehmen, dass die Versicherungspflicht für alle Versicherungsarten gleichförmig getroffen sein muss. Die jeweilige Voraussetzung abhängiger Beschäftigung als Anknüpfungspunkt für Sozialversicherungspflicht ist nur eine Tatbestandsvoraussetzung der Versicherungspflicht in einer konkreten Sozialversicherung. Je nach Einkommen und sonstigen Voraussetzungen (z. B. Studenteneigenschaft) kann die Versicherungspflicht unterschiedlich ausfallen.
Zur Begründetheit des Feststellungsbegehrens kann auf oben verwiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt für die Berufungsinstanz aus § 193 SGG. § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG ist in diesem Rechtszug nicht einschlägig, weil die Beigeladene als Berufungsklägerin als Versicherte zum Personenkreis des § 183 Satz 1 SGG gehört. Die Entscheidung entspricht dem Ergebnis in der Sache. Die Kostenentscheidung für das erstinstanzliche Verfahren beruht auf § 197 a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Die grundsätzlichen Kriterien sind von der Rechtsprechung geklärt.
Tatbestand:
Im Streit steht, ob die Beigeladene zu 3) (nachfolgend nur noch "die Beigeladene") in ihrer Tätigkeit bei ihrem Ehemann, dem Beigeladenen zu 4) (nachfolgend nur noch "der Beigeladene"), seit dem 01. Januar 2001 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt.
Die 1948 geborene Beigeladene und ihr Ehemann sind 2000 verheiratet. Sie leben im Güterstand der Zugewinnsgemeinschaft.
Die Beigeladene ist gelernte Großhandelskauffrau. Sie ist seit dem 01. Januar 2001 Mitglied der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin.
Der Beigeladene und seine Ehefrau schlossen am 29. Juni 1990 einen Arbeitsvertrag ab dem 01. Juli 1990, aufgrund dessen die Beigeladene als kaufmännische Angestellte und Abteilungsleiterin für den Verkauf vollbeschäftigt auf unbestimmte Zeit eingestellt werde.
Die Beigeladene gewährte ihrem Ehemann insgesamt drei Darlehen, über 80 000,00 DM (Darlehensvertrag vom 01. Januar 1993 zur Begleichung betrieblicher Aufwendungen [Ablösungsdarlehen Volksbank]) zu einem Zinssatz von 8 % jährlich, über 35 000,00 DM (Darlehensvertrag vom 01. Juli 1999 zur Begleichung betrieblicher Aufwendungen [Kauf eines Firmenwagens]), Zinssatz ebenfalls 8 %, sowie über 15 000,00 DM (Darlehensvertrag vom 06. März 2001 zur Begleichung betrieblicher Aufwendungen), ebenfalls 8 % Jahreszinsen.
Er ist Inhaber der "T Brillenmode Kontaktlinsenpraxis" in K, staatlich geprüfter Augenoptiker und Augenoptikermeister. Gegenstand des Betriebes ist die Anpassung, der Verkauf und die Reparatur von Brillen sowie die Anpassung und der Verkauf von Kontaktlinsen. Der Beigeladene konzentriert sich auf diese praktischen Tätigkeiten. Seiner Ehefrau obliegen nach ihren eigenen Angaben die Abwicklung aller kaufmännischen Arbeiten, die Vorbereitung der Firmenbilanz für den Steuerberater, die Erstellung der Finanzplanung und die Abwicklung aller Bürovorgänge. Daneben berät sie Kunden in der Auswahl von Brillen und Kontaktlinsen, soweit dazu nicht die besonderen Kenntnisse eines Augenoptikers erforderlich sind. Sie arbeitet im Betrieb und zu den Kundenöffnungszeiten. Mit Schreiben vom 25. Juli 2005 stellte die Beigeladene beim Rechtsvorgänger der Beklagten einen Antrag auf sozialversicherungsrechtliche Beurteilung. Sie sei von jeher weisungsfrei tätig. Sie denke und handele unternehmerisch. Auf ihr Drängen hin sei 1990 die Kontaktlinsenpraxis gegründet worden. Auf ihre Initiative hin sei damals der Verkaufladen umgebaut worden.
Sie und ihr Ehemann füllten unter dem 25. Juli 2005 einen "Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Angehörigen" aus und gaben u. a. an, dass die Beigeladene in dem Betrieb eingegliedert sei (unter Streichung der Formulierung "wie eine fremde Arbeitskraft"). Ohne sie müsste eine andere Arbeitskraft eingestellt werden. Der Betrieb werde als Einzelunternehmen geführt. Das Arbeitsentgelt entspreche nicht dem tariflichen bzw. ortsüblichen. Die finanzielle Situation habe oftmals nur ein Familiengehalt zugelassen.
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 02. Dezember 2005 fest, dass die Beigeladene seit dem 01. Juni 2001 nicht versicherungspflichtig zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung sei. Der Bescheid war an die Beigeladene gerichtet und enthielt die Rechtsbehelfsbelehrung, dass innerhalb eines Monats nach Zustellung Widerspruch erhoben werden könne.
Die Beklagte übersandte der Klägerin eine Abschrift dieses Bescheides (erst) am 01. März 2006. Diese bat mit Schreiben vom 15. März 2006 um Mitteilung, ob eine Abstimmung mit dem zuständigen Rentenversicherungsträger stattgefunden habe. Eine Kopie übersandte sie an die Beigeladene. Mit Schreiben vom 15. April 2006 antwortete die Beklagte, dass eine Abstimmung nicht stattgefunden habe. Nach Prüfung der Unterlagen teilte die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 02. November 2006 mit, deren Auffassung nicht zu teilen.
Sie hat am 02. Dezember 2006 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben.
Die Beigeladene hat im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht, die Klage sei infolge Verfristung und Verwirkung sowie mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Sie sei auch unbegründet. Sie trage ein Unternehmerrisiko, auch werde ihr eine Vergütung nur in der Höhe überwiesen, die sie für den Betrieb verantworten könne. Dies seien derzeit (Juli 2008) monatlich 566,13 EUR. Der Entgeltrückstand belaufe sich auf derzeit 14 000,00 EUR. Ferner habe sie erst kürzlich aus eigenen Mitteln einen Firmenwagen selbständig angeschafft.
Mit Urteil vom 08. Juli 2008 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 02. Dezember 2005 aufgehoben, soweit dort die Beklagte entschieden hatte, dass die Beigeladene seit dem 01. Januar 2001 in ihrer Tätigkeit für den Beigeladenen nicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) versicherungspflichtig ist. Es hat den Feststellungsantrag der Klägerin, dass die Versicherte I T der Rentenversicherungspflicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ab 01. Januar 2000 unterliege, abgewiesen. Die Anfechtungsklage sei zulässig. Es habe keines Vorverfahrens gemäß § 78 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bedurft, weil die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Versicherungsträger klage. Die Monatsfrist des § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG habe nicht gemäß § 66 Abs. 1 SGG zu laufen begonnen, weil die Klägerin nicht über den ihr zustehenden Rechtsbehelf belehrt worden sei. Die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG sei eingehalten. Das Klagerecht sei auch nicht verwirkt. Ein Verwirkungsverhalten, welche zusätzlich zum Zeitablauf hinzutreten müsse, sei nicht ersichtlich. Weder die Beklagte noch die Beigeladene hätten angesichts des Schreibens der Klägerin vom 15. März 2006 darauf vertrauen können, dass sie von ihrem Recht zur Anfechtung keinen Gebrauch machen würde. Die Klägerin sei auch durch den Bescheid beschwert und deshalb klagebefugt nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG. Die Anfechtungsklage sei auch begründet. Es überwögen die Merkmale, welche für eine nichtselbständige Tätigkeit nach § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) sprächen. Eine bloße familienhafte Mithilfe scheide aus. Der Tätigkeit liege ein in schriftlicher Form geschlossener Arbeitsvertrag zugrunde, der für die Tätigkeit ein angemessenes Entgelt vorsehe. Dieses werde als Betriebsausgabe verbucht. Von ihm würde Lohnsteuer entrichtet werden. Dass die Beigeladene ein unmittelbares eigenes Interesse am Wohlergehen des Betriebs ihres Ehemannes habe und sie diesem mehrere Darlehen gewährt habe und schließlich auf die Geltendmachung von Lohnansprüchen verzichte und ihre Tätigkeiten weitgehend eigenverantwortlich erledige, seien zwar Indizien für das Gegenteil. Diese fielen jedoch nicht ins Gewicht. Sie rechtfertigten nämlich weder die Annahme, dass die Beigeladene ein Unternehmerrisiko trage noch, dass sie keine fremdbestimmten Dienste leiste. Insbesondere habe sie nicht Anteile am Betrieb des Ehemannes erworben. Zwischen beiden bestehe mangels Gesellschaftsvertrag keine Gesellschaft nach § 705 Bürgerliches Gesetzbuch. Betriebsinhaber sei ausschließlich der Ehemann, wie dies auch für ein zulassungspflichtiges Handwerk erforderlich sei. Der Feststellungsklage fehle es hingegen am notwendigen Feststellungsinteresse im Sinne des § 55 Abs. 1 SGG.
Gegen dieses Urteil richten sich die Berufungen der Klägerin und der Beigeladenen.
Letztere ist der Auffassung, die Klage sei bereits unzulässig. Eine isolierte Feststellung der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung sei nicht möglich. Eine diesbezügliche Feststellung verstoße gegen § 28 h Abs. 2 SGB IV.
Ferner könne sich die Klägerin nicht auf die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG berufen. Es handele sich insoweit nur um eine Schutzvorschrift zugunsten des Bürgers. Sie könne sich jedenfalls aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben nicht auf die Jahresfrist berufen, weil die gemeinsame Verlautbarung zur Behandlung von Beitragsbescheiden durch die am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten Versicherungsträger vom 25. März 2001 ein Unterlassen einer Rechtsbehelfsbelehrung vereinbart habe. Der Bescheid der Beklagten habe eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten. Dass sie gleich klagen habe müssen, sei ihr bekannt gewesen. Nach Nr. 5 der genannten Vereinbarung hätte die Klägerin überdies auf die Anfechtung verzichten müssen. Der Bescheid der Beklagten sei auch in der Sache richtig. Alle Indizien für eine abhängige Beschäftigung seien schwach. So habe die Beigeladene gerade keinen Entgeltanspruch. Ihr Unternehmerrisiko zeige sich in der Darlehensgabe in Höhe von insgesamt 130 000,00 DM und im ständigen Verzicht auf Entgelt und Zinsen. Der Kauf eines Firmenwagens aus eigener Tasche dürfte für einen Angestellten ein Novum sein. Schließlich hätten die Eheleute seit zehn bis 15 Jahren keinen Urlaub mehr gemacht.
Die Klägerin hat schriftlich beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 08. Juli 2008 festzustellen, dass die Versicherte I T ab dem 01. Januar 2001 der Rentenversicherungspflicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IV unterliegt, ferner
die Berufung der Beigeladenen zu 3) zurückzuweisen.
Die Beigeladene zu 3) beantragt sinngemäß,
unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 08. Juli 2008 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Beklagte und die anderen Beigeladenen stellen keinen Antrag.
Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Es konnte im schriftlichen Verfahren durch den Berichterstatter entschieden werden. Alle Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, §§ 155 Abs. 3 und 4, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Berufung der Beigeladenen hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die Anfechtungsklage zu Recht als zulässig angesehen und für begründet gehalten. Auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Urteil wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen. Es bedurfte insbesondere vor Klageerhebung keines Vorverfahrens. Für die Klägerin als Versicherungsträger gilt die Ausnahmevorschrift des § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGG.
Die Klägerin ist klagebefugt, § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG. Sie macht geltend, durch den Bescheid der Beklagten in eigenen Rechten verletzt zu sein. Ist der Verwaltungsakt wie hier gegenüber einem Dritten ergangen, ist eine Rechtsverletzung möglich, sofern zumindest mittelbar eigene rechtliche Interessen der Klägerin betroffen sind. Eine solche rechtliche Beschwer der Klägerin ist hier gegeben. Die Feststellungen der Beklagten zur Versicherungsfreiheit haben Auswirkung auf deren Beitragsansprüche.
Die Klage ist auch fristgemäß erhoben. Die Monatsfrist des § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG beginnt gemäß § 66 Abs. 1 SGG nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den –richtigen- Rechtsbehelf schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ein Widerspruch ist –entgegen dem Vorabringen der Beigeladenen zu 3)- nur zulässig, wenn die Durchführung des Widerspruchsverfahrens notwendig der Klage voranzugehen hat, § 78 Abs. 1 SGG. Ansonsten muss gerade nach § 87 Abs. 1 S. 1 SGG bereits binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes der Klageweg beschritten werden. Die Klägerin ist Beteiligte gemäß § 66 Abs. 1 SGG, auch wenn sie als mittelbare Bundesverwaltung keiner Rechtsmittelbelehrung bedarf. Beteiligte sind nämlich nach § 69 SGG (alle) Kläger.
Hier allerdings hat statt dieser Monatsfrist gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG eine Jahresfrist seit der Eröffnung gegolten. Die Klägerin hat das Klagerecht auch nicht verwirkt. Auf die Ausführungen des SG wird verwiesen.
Die Klage ist auch begründet. Der hinsichtlich der Feststellung der Rentenversicherungsfreiheit angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25. November 2005 ist rechtswidrig, er verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Beigeladene zu 3) war ab 01. Juni 2003 auch zur Überzeugung des Senats abhängig beschäftigt und damit nach § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Rentenversicherung der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht, § 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96 - SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, sowie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG Urteile vom 08. August 1990 -11 RAr 77/89- SozR 3-2400 § 7 Nr. 4 Seite 14 und vom 08. Dezember 1994 -11 RAr 49/94- SozR 3-4100 § 168 Nr. 18 Seite 45); so insgesamt weitgehend wörtlich BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 -B 12 KR 30/04 R- juris).
Weist eine Tätigkeit Merkmale auf, die sowohl auf Abhängigkeit als auch auf Selbständigkeit hinweisen, so ist entscheidend, welche Merkmale überwiegen (BSG Urteil vom 23. Juni 1994 -12 RK 72/92- NJW 1994, 2974, 2975) und der Arbeitsleistung das Gepräge geben (BSG Beschluss vom 23. Februar 1995 -12 BK 98/94- juris). Auch die Grenze zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis mit Entgeltzahlung und einer nichtversicherungspflichtigen Mitarbeit aufgrund einer familienhaften Zusammengehörigkeit ist unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu ziehen. Es ist eine Würdigung der Gesamtumstände erforderlich, ob ein Beschäftigungsverhältnis zwischen den Angehörigen ernsthaft und eindeutig gewollt, entsprechend vereinbart und in der Wirklichkeit auch vollzogen wurde (BSG Urteil vom 17. Dezember 2002 -B 7 AL 34/02 R- USK 2002-42 S. 238f). Auch hier gilt, dass nicht die Vereinbarungen der Beteiligten, sondern die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben (BSG SozR 2200 § 1227 Nrn. 4 und 8). Nach der Rechtssprechung des BSG, der der Senat folgt, ist bei Fremdgeschäftsführern einer GmbH regelmäßig eine abhängige Beschäftigung anzunehmen und nur in begrenzten Einzelfällen hiervon abzusehen. Ein solcher Ausnahmefall kann bei Familienunternehmen vorliegen, wenn die familiäre Verbundenheit der beteiligten Familienmitglieder zwischen ihnen ein Gefühl erhöhter Verantwortung schafft, die zum Beispiel dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Höhe der Bezüge von der Ertragslage des Unternehmens abhängig gemacht wird oder wenn es aufgrund der familienhaften Rücksichtnahme an der Ausübung eines Direktionsrechts völlig mangelt. Hiervon ist insbesondere bei demjenigen auszugehen, der - obwohl nicht maßgeblich am Unternehmenskapital beteiligt - aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte des Unternehmens nach eigenem Gutdünken führt (vgl. BSG Urteil vom 08. Dezember 1987 -7 Rar 25/86- BB 1989,72; Urteil vom 14. Dezember 1999 -B 2 U 48/98 R- USK 9975).
Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist das SG zutreffend von einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV ausgegangen. Auf dessen Darlegungen wird nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.
Es hat insbesondere richtig angenommen, dass zwischen den Beteiligten ein gelebtes Arbeitsverhältnis besteht und die Beigeladene nicht aufgrund eines Gesellschaftsvertrages im Unternehmen ihres Ehemannes arbeitet. Zu Recht hat das SG auch die Darlehensgewährungen nicht als so gewichtiges Unternehmerrisiko angesehen, dass insgesamt von selbständiger Tätigkeit ausgegangen werden kann. Ganz allgemein ist die Gewährung von Darlehen bzw. Sicherheiten unter Familienangehörigen mit der Gewährung eines Darlehens oder einer Sicherheit durch einen fremden Arbeitnehmer, der nicht Angehöriger des Unternehmensinhabers ist, nicht gleichsetzbar. Familienmitglieder haben in der Regel ein gesteigertes Interesse am wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens, ohne dass hieraus ein wesentliches Unternehmerrisiko folgt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Februar 2010 -L 11 KR 2460/09- juris). Da Firmenwagen von Einzelunternehmern regelmäßig auch privat genutzt werden, relativiert sich die Darlehensgabe für die Anschaffung eines solchen noch zusätzlich.
Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass der Verzicht auf Gehalt und zustehenden Urlaub bzw. Urlaubsabgeltung auch bei Arbeitnehmern gerade bei Verbundenheit mit dem Unternehmen nicht selten vorkommen. Diese Umstände fallen auch deshalb nicht entscheidend ins Gewicht.
Die Berufung der Klägerin hat Erfolg.
Das Feststellungsbegehren stellt sich als zulässige Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG dar (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. bereits Urteil des Senats vom 13. März 2009 - L 1 KR 555/07 -). § 55 SGG bestimmt im Gegensatz zu § 43 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung und § 41 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung nicht ausdrücklich, dass eine Feststellung nicht begehrt werden kann, soweit der Kläger seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder dies hätte können. Soweit der so genannte Subsidiaritätsgrundsatz ungeachtet dessen auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, handelt es sich um eine Ausprägung des allgemeinen Feststellungs- bzw. Rechtsschutzbedürfnisses. An einem solchen fehlt es, wenn es eine effektivere Klagemöglichkeit gibt oder das Feststellungsurteil den Rechtsstreit noch nicht abschließend erledigen könnte (vgl. BSG, Urteil vom 5. Oktober 2006 - B 10 LW 4/05 R - mit weiteren Nachweisen). Hier führt die Anfechtungsklage nur zur Aufhebung der eine Versicherungspflicht verneinenden Bescheide der Beklagten und nicht umgekehrt zur Feststellung der Rentenversicherungspflicht. Die Beklagte könnte sich der Klägerin gegenüber rein formal auf den Standpunkt stellen, dass zwar der die Beigeladenen aus deren Sicht begünstigender Bescheid der Beklagten als Einzugsstelle aufgehoben worden sei, die dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Erwägungen jedoch falsch und unverbindlich seien. Eine Verpflichtungsklage auf Erlass entsprechender Bescheide gegen die Einzugsstellen wäre weiter kein einfacherer Weg als die Feststellungsklage (ebenso BSG, Urteil vom 1. September 2005 - B 3 KR 3/04 R -).
Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 55 SGG an der begehrten Feststellung. Sie ist in eigenen Rechten nur betroffen, soweit es die Rentenversicherungspflicht betrifft. Die gerichtliche Feststellung ist kein Bescheid der Einzugsstelle im Sinne des § 28 h SGB IV. Im Übrigen lässt sich dem § 28 h Abs. 2 SGB IV nicht entnehmen, dass die Versicherungspflicht für alle Versicherungsarten gleichförmig getroffen sein muss. Die jeweilige Voraussetzung abhängiger Beschäftigung als Anknüpfungspunkt für Sozialversicherungspflicht ist nur eine Tatbestandsvoraussetzung der Versicherungspflicht in einer konkreten Sozialversicherung. Je nach Einkommen und sonstigen Voraussetzungen (z. B. Studenteneigenschaft) kann die Versicherungspflicht unterschiedlich ausfallen.
Zur Begründetheit des Feststellungsbegehrens kann auf oben verwiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt für die Berufungsinstanz aus § 193 SGG. § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG ist in diesem Rechtszug nicht einschlägig, weil die Beigeladene als Berufungsklägerin als Versicherte zum Personenkreis des § 183 Satz 1 SGG gehört. Die Entscheidung entspricht dem Ergebnis in der Sache. Die Kostenentscheidung für das erstinstanzliche Verfahren beruht auf § 197 a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Die grundsätzlichen Kriterien sind von der Rechtsprechung geklärt.
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