L 1 KR 210/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 10 KR 159/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 210/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger möchte primär erreichen, dass die Beklagte ihm eine stationäre Kur bewilligt.

Er ist 1955 geboren und bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er bezieht seit März 2001 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die familiäre Situation des Klägers ist schwierig. Seine Ehefrau ist an Multipler Sklerose erkrankt. In seinem Haushalt lebt noch ein volljähriges geistig behindertes Kind. Der Kläger leidet an Diabetes Mellitus Typ II mit der Folge einer Polyneuropathie, einem diabetischen Fuß mit Vorfußamputation sowie am metabolischen Syndrom. Seine Hausärztin, die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. T verordnete ihm unter dem 30. März 2006 mit diesen Diagnosen Leistungen der medizinisch-stationären Rehabilitation mit einem Ziel der Gewichtsreduktion, der Stoffwechseloptimierung und der Besserung der Mobilität.

Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK) ein und zog Unterlagen über eine frühere stationäre Rehabilitation (Kur) im Jahre 2002 bei. Sie lehnte dann mit Bescheid vom 12. April 2006 die Gewährung einer stationären Rehabilitation ab. Voraussetzung für eine solche sei unter anderem, dass die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten am Wohnort erschöpft bzw. nicht ausreichend seien. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Nach Auswertung der medizinischen Unterlagen durch den MDK seien im Fall des Klägers fachübergreifende ambulante Therapien am Wohnort durchführbar.

Hiergegen legte der Kläger am 4. Mai 2006 Widerspruch ein und verwies darauf, dass an seinem Wohnort T eine fachübergreifende Therapie nicht möglich sei. Es gäbe nur eine Physiotherapie. Diese könne eine Rehabilitationsmaßnahme nicht ersetzen. Er bedürfe auch der Hilfe bei der Verrichtung seiner täglichen Aufgaben. Die Beklagte ermittelte daraufhin erneut: Die Dipl.-Med. H vom MDK verblieb in ihrer Stellungnahme vom 18. Mai 2006 bei der Auffassung, dass ein realistisches Rehabilitationspotential nicht gegeben sei. In ihrer weiteren Stellungnahme vom 29. Mai 2006 führte sie aus, dass das stetig steigende Körpergewicht des Klägers belege, dass von einem Rehabilitationspotential nachhaltigen Ausmaßes nicht gesprochen werden könne. Eine positive Rehabilitationsprognose könne nicht formuliert werden.

Die Beklagte wies daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 19. September 2006 den Widerspruch zurück.

Der Kläger hat hiergegen am 9. Oktober 2006 beim Sozialgericht Cottbus (SG) Klage erhoben. Er hat auf seine Schwierigkeiten verwiesen, im Alltag klar zu kommen und insbesondere auf seine schwierige familiäre Situation hingewiesen. Ihm fehle Unterstützung bei der Bewältigung seines Gewichtsproblems. Das SG hat Befundberichte eingeholt und ein internistisches Fachgutachten beim Chefarzt Prof. Dr. S in Auftrag gegeben. Dieser ist in seinem Gutachten vom 28. August 2007 zu den internistischen Diagnosen gelangt, dass der Kläger an einem metabolischen Syndrom mit Adipositas per magna, einer Hyperlipidämie (medikamentös gut eingestellt), Bluthochdruck (nicht optimal eingestellt) und Diabetes mellitus Typ II (gut eingestellt) leide, ferner an einem diabetischen Spätsyndrom mit diabetischer Retinopathie, peripherer Polyneuropathie und diabetischem Fußsyndrom, einem Zustand nach Sektion von Metatarsale III - V rechts bei diabetischem Fußsyndrom, multifokaler Autonomie, und nach Radiojodtherapie März 2002 jetzt euthyreote Stoffwechsellage. Der Diabetes Mellitus Typ II, die Hyperlipidämie und das diabetische Fußsyndrom seien sehr gut therapiert. Der Diabetes sei mit oralen Antidiabetika und Insulin optimal eingestellt. Gleiches gelte für die Fettstoffwechselstörung und das Gesamt-Cholesterin. Der Blutdruck sei zur Zeit noch nicht ausreichend eingestellt. Darüber hinaus sei eine deutliche Sinustachycardie aufgefallen. Durch eine Intensivierung der blutdrucksenkenden Therapie sei eine Normalisierung zu erreichen. Alle diese Behandlungen seien ambulant durchführbar. Der Kläger bedürfe keiner ambulanten oder stationären Rehabilitationsmaßnahme. Anzustreben sei in jedem Falle eine Gewichtsreduktion um ca. 5%, also konkret um rund 7 Kilogramm. Erfahrungsgemäß sei dieses Ziel dauerhaft durch eine stationäre Behandlung nicht zu erzielen. Nötig sei vielmehr eine Ernährungsumstellung unter häuslichen Bedingungen im Rahmen einer kontinuierlichen Diätberatung und Teilnahme an Veranstaltungen einer Selbsthilfegruppe. Die Ernährungsschulungen müssten erfahrungsgemäß in Abständen von ein bis zwei Jahren wiederholt werden. Aufgrund der beim Kläger gegenwärtig vorhandenen Motivation halte er einen Erfolg der Maßnahmen für möglich.

Die Hausärztin des Klägers hat daraufhin mit Attest vom 24. September 2007 erklärt, weiterhin eine stationäre Rehabilitation für erforderlich zu halten. Beim Kläger sei es nach einer früheren Maßnahme zu einer Gewichtsreduktion um 9 Kilogramm gekommen, anschließend jedoch zu einer Wiederzunahme von 5 Kilogramm.

Auf Antrag des Klägers hat das Gericht ferner ein Gutachten der Fachärztin für Innere Medizin V nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholt. Diese gelangte in ihrem Gutachten vom 14. Juli 2008 (Eingangsdatum) zu dem Ergebnis, eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme mit multimodalem Ansatz und psychologischer Betreuung für sinnvoll bzw. für indiziert zu halten. In seiner ergänzend eingeholten Stellungnahme vom 16. Dezember 2008 ist der Sachverständige S bei seiner Auffassung geblieben. Die medizinische Betreuung des Klägers sei ferner in W bzw. B möglich. Zwischen dem Wohnort und diesen Orten bestünde Busverkehr.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 8. Juni 2009 abgewiesen. Dem Kläger stünde kein Anspruch auf Gewährung einer stationären Rehabilitationsmaßnahem nach § 40 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zu, da die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft seien. Zum Anspruch auf Krankenbehandlung gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V und § 27 Abs. 1 SGB V gehörten auch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzenden Leistungen, § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V. Für Rehabilitationsmaßnahmen gelte das in § 40 Abs. 1 und 2 SGB V normierte Stufenverhältnis, welche bereits aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V folge. Nach § 40 Abs. 1 SGB V dürften Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen immer nur geleistet werden, wenn durch die normale ambulante Krankenbehandlung die Ziele des § 11 Abs. 2 SGB V nicht erreicht werden könnten. Stationäre Rehabilitationsleistungen dürften nur erbracht werden, wenn ambulante nicht ausreichten, § 40 Abs. 2 SGB V. Zur Überzeugung des Gerichts reichten beim Kläger normale Maßnahmen der ambulanten Krankenbehandlung aus. Es stütze sich dabei auf die Ausführungen des Sachverständigen S. Hingegen sei der Beurteilung der Gutachterin V nicht zu folgen. Es bestünde zwar Einigkeit zwischen den Sachverständigen, wonach im Falle des Klägers die Notwendigkeit einer multimodalen Therapie mit Ernährungsberatung, Diabeteseinstellung, Bewegungstherapie und psychologische Betreuung bestehe. Allerdings müsse es sich um ein langfristiges Konzept handeln, welches eine kontinuierliche Betreuung des Klägers in Wohnortnähe und fortbestehendes persönliches Engagement erforderte. Dieses Ziel könne dauerhaft nicht durch eine stationäre Behandlung erreicht werden. Er könne diese Voraussetzung auch nicht dadurch widerlegen, dass er die Reisezeiten für unzumutbar halte. Es sei gerichtsbekannt, dass Maßnahmen der Gewichtsreduktion nur dann Erfolg versprechend und dauerhaft seien, wenn es im häuslichen Bereich gelinge, eine langfristige und dauerhafte Ernährungsumstellung vorzunehmen. Andernfalls sei Folge kurzfristiger Gewichtsreduktionsmaßnahmen, dass nach Beendigung der Diät der so genannte Jojo-Effekt eintrete. Dieser sei im Falle des Klägers in der Vergangenheit dokumentiert. Im Übrigen sei zur Frage, ob ambulante Behandlungsmöglichkeiten ausreichten ausschließlich auf die medizinischen Sacherhalte abzustellen. Ob es in unmittelbarer Wohnortnähe geeignete Therapeuten gebe, dürfe hingegen nicht berücksichtigt werden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 8. Juni 2009. Zur Begründung hat der Kläger sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Die Begründung des SG sei nicht nachvollziehbar. Es könne nicht zum Nachteil des Klägers ausgelegt werden, dass er in einer strukturschwachen Region lebe und der öffentliche Nahverkehr nahezu eingestellt worden sei. Trotz GdB von 70 müsse der Kläger mindestens 8 Stunden am Tag unterwegs sein, um ambulante Therapiemaßnahmen durchführen zu können. Das SG habe ferner das Gutachten Vatter nicht ausreichend gewürdigt. Es sei ihm unzumutbar, sich nur ambulanten Maßnahmen zu unterziehen. Er brauche den Abstand zu seinem gewohnten sozialen Umfeld, eine Konzentration auf den Veränderungsprozess und eine vorgegebene Tagesstruktur in Kombination mit Ess- und Bewegungstraining. Er sei ambulanten therapeutischen Maßnahmen aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht gewachsen.

Er hat zunächst schriftlich beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 8. Juni 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. September 2006 zu verurteilen, ihm eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme gemäß § 40 Abs. 2 SGB V zu gewähren.

Der Senat hat den Kläger mit Verfügung vom 25. November 2009 darauf hingewiesen, dass vom Wohnort C mit dem Bus in einer Stunde erreichbar sei, B in einer halben Stunde. In seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 8. Juli 2010 hat der Gutachter Steinhauer erneut die Notwendigkeit der langfristigen Ernährungsumstellung, begleitet von kontinuierlicher Ernährungsberatung und psychologischer Betreuung bestätigt. Entsprechende stationäre Behandlungsprogramme existierten nicht und wären, da sie den Patienten aus seiner häuslichen Umgebung herausrissen, ohne die zugrunde liegenden Ursachen ändern zu können, nicht Erfolg versprechend. Soweit allerdings Zweifel bestünden an der Fähigkeit des Patienten, selbst bei optimaler diätetischer und psychologischer Führung sein Gewicht zu reduzieren, bleibe nur der Einsatz bariatrischer Maßnahmen im Rahmen einer stationären Akuttherapie, begleitet von verhaltenstherapeutischen Maßnahmen.

Der Kläger begehrt nunmehr eine solche Operation. Die Klageänderung sei zulässig, da sie sachdienlich sei. Mittlerweile sei Krankenhausbehandlung verordnet.

Er beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm eine stationäre Akuttherapie (Magenballon, Magenband, chirurgische Magenverkleinerung, intestinaler Bypass usw.) begleitet von verhaltenstherapeutischen Maßnahmen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil. Da weiterhin keine Indikation für die streitgegenständliche Maßnahme gegeben sei, bleibe eine entsprechende Kostenübernahme ausgeschlossen. Sie hat einer Klageerweiterung widersprochen und weist darauf hingewiesen, dass der Kläger seit 18. Oktober 2010 nur wegen eines entgleisten Diabetes Mellitus ins Krankenhaus eingewiesen wurde.

Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Es konnte ohne mündliche Verhandlung und durch den Berichterstatter anstelle des Senats entschieden werden. Alle Beteiligten haben sich hiermit einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG], § 155 Abs. 3 und 4 SGG).

Der Berufung bleibt Erfolg versagt.

Soweit der Kläger nunmehr begehrt, eine Magenbandoperation oder ähnliches genehmigt zu erhalten, handelt es sich um eine unzulässige Klageänderung. Diese ist nicht sachdienlich, weil es sich um einen gänzlich anderen Streitgegenstand handelt. Die Beklagte hat einer Klageänderung auch widersprochen (§ 153 Abs. 1 SGG i. V. m. § 99 Abs. 1 SGG). Ein Fall des § 99 Abs. 3 Ziff. 2 SGG, der nach dem Gesetz nicht als Klageänderung angesehen wird, liegt schließlich auch nicht vor. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt voraus, dass sich der Klagegrund nicht verändert. Eine Änderung des Klagegrundes liegt hier aber vor. Der Kläger begehrt etwas (gänzlich) anders. Im Übrigen wäre eine solche Klage zum jetzigen Zeitpunkt abgesehen von der fehlenden Durchführung des Vorverfahrens bereits wegen des Fehlens einer speziell hierauf gerichteten Krankenhauseinweisung unbegründet.

Der Senat legt das Berufungsbegehren des Klägers so aus, dass das ursprüngliche Klagebegehren nach wie vor verfolgt wird.

Das SG hat die Klage jedoch zu Recht abgewiesen. Es hat zutreffend darauf abgestellt, dass eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme (Kur) ausscheiden muss, weil die ambulanten Behandlungsmethoden alleine sinnvoll und ausreichend sind. Auf die zutreffende Begründung wird zu Vermeidung bloßer Widerholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen.

Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob die für den Kläger sinnvolle modulare Therapie eine "normale" ambulante Krankenbehandlung darstellt, oder diese eine ambulante Rehabilitationsleistung im Sinne des § 40 Abs. 1 SGB V darstellen würde. Wie das SG zutreffend herausgestellt hat, scheidet eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme bei beiden Varianten aus.

Dass es für den Kläger mit größerem Aufwand an Zeit und Kosten verbunden ist, die Behandler aufzusuchen, kann nicht berücksichtigt werden. Auch dies hat das SG bereits im Urteil ausgeführt.

Unberücksichtigt muss schließlich bleiben, dass es dem Kläger zweifellos gut bekäme, für mehrere Wochen aus der gewöhnlichen häuslichen Umgebung "herauszukommen".

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil hierfür kein Grund nach § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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