L 7 SB 21/09

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 2 SB 36/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 SB 21/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
GdB Festsetzung
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des festgestellten Behinderungsgrades.

Die am ... 1950 geborene Klägerin beantragte beim Beklagten am 17. März 2006 die Feststellung von Behinderungen sowie zunächst auch Merkzeichen und begründete dies mit Einschränkungen der Bewegungsgelenke, Herzrhythmusstörungen und Depressionen. Der Beklagte holte medizinische Befunde ein. Der Facharzt für Orthopädie Dr. T. diagnostizierte unter dem 5. April 2005 eine Polyarthritis bei Gicht und gab folgenden klinischen Befund an:

Keine synovialen Schwellungen, keine rheumatischen Deformationen, Gelenkfunktionen frei.

Der Facharzt für Innere Medizin Dr. R. diagnostizierte unter dem 25. August 2005: rezidivierende Palpitationen (Herzklopfen), einen Zustand nach Struma - Teilresektion rechts (1989), eine mittelgradige ACI-Stenose links, kleine Bulbusplaques rechts, ein metabolisches Syndrom, degenerative Wirbelsäulenveränderungen sowie Migräne. Dr. R. berichtete unter dem 21. Oktober 2005 über einen Ergometrietest vom 31. Mai 2005. Danach habe die Belastung mit 75 Watt begonnen. Der Abbruch sei in der 2. Minute bei 100 Watt infolge progredienter Luftnot erfolgt. Signifikante ST-Streckenveränderungen bzw. Rhythmusstörungen seien nicht aufgetreten. Der Facharzt für Nuklearmedizin Dr. R. gab unter dem 5. Oktober 2005 an: Eine Ganzkörperskelettszintigraphie habe keinen Hinweis auf eine Gelenkbeteiligung und einen insgesamt unauffälligen Befund ergeben.

Am 5. Mai 2006 ließ die Klägerin mitteilen, sie sei bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. Q. wegen Depressionen in Behandlung. Der Beklagte forderte daraufhin von dieser Ärztin einen Befundbericht vom 6. Juli 2006 an. Hiernach leide die Klägerin seit Jahren unter Angstzuständen und verlasse ihre Wohnung nur noch in Begleitung. Sie habe schwindelbedingt ständig das Gefühl hinzufallen und befürchte, in einer derartigen Situation hilflos zu werden. Sie leide neben den Schwindelattacken an Panikzuständen, Lustlosigkeit und Depressionen. Die Klägerin weise eine depressive Stimmungslage, sei affektlabil und im Verhalten unsicher und gehemmt sowie ängstlich und antriebsgemindert.

Die Versorgungsärztin MedOR Dr. R. schlug unter dem 3. August 2006 vor, der Klägerin wegen einer psychischen Behinderung einen GdB von 20 zuzuerkennen. Mit Bescheid vom 11. August 2006 stellte der Beklagte einen Grad der Behinderung (GdB) von 20 ab dem 17. März 2006 fest und lehnte die Feststellung von Merkzeichen ab. Dagegen richtete sich der Widerspruch vom 3. September 2006, mit dem die Klägerin geltend machte, es sei wegen der psychischen Behinderung sowie der weiteren Gesundheitsstörungen (Gicht, Bandscheibenbeschwerden, Arthrose) ein höherer GdB festzustellen. Die Prüfärztin Schofeld-Setz hielt unter dem 18. Januar 2007 einen GdB von 30 für angemessen und begründete dies mit der seelischen Behinderung der Klägerin, den von ihr geklagten Begleitsymptomen (z.B. Herzrasen, Schwindel), die Ausdruck einer psychischen Störung seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 2007 änderte der Beklagte den Bescheid vom 11. August 2006 ab und stellte ab dem 17. März 2006 einen GdB von 30 fest. Den weiter gehenden Widerspruch wies er zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 22. Februar 2007 Klage beim Sozialgericht Magdeburg u.a. mit dem Ziel erhoben, einen Behinderungsgrad von mindestens 50 festzustellen. Zur Begründung hat sie vorgetragen: Ihre psychische Erkrankung sei an der oberen Grenze des Bewertungsrahmens mit einem Einzel-GdB von 40 zu bemessen. Daneben seien ihre orthopädischen Gesundheitsstörungen zu niedrig bewertet worden. Wegen der schmerzhaften Beeinträchtigung der Beweglichkeit im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) und der diagnostizierten Polyarthrose sowie der bestehenden Gicht sei von einem deutlich höheren GdB auszugehen. Überdies sei sie außer Stande, ortsübliche Wegstrecken zu Fuß zurück zu legen.

Das Sozialgericht hat Befundberichte des Facharztes für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. M., des Facharztes für Orthopädie Dr. T. sowie der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. Q. eingeholt. Dipl.-Med. M. hat unter dem 21. Oktober 2008 angegeben: Die Klägerin klage fast ständig über Rückenschmerzen sowie Herzrasen und Angstzustände. Sie fühle sich nicht mehr belastbar und sei bei der Hausarbeit schnell erschöpft. Dipl.-Med. M. hat diagnostiziert:

chronisches Brustwirbelsäulen-(BWS-) und LWS-Syndrom mit Spondylarthrose, Polyarthritis bei Gicht, Hyperlipidämie, Coxarthrose links, ACI-Stenose, Hypertonie, Angst und depressive Störungen.

Die Befunde seien seit dem 17. März 2006 annähernd gleich geblieben. Es lägen subjektive Einschränkungen in den Belangen des täglichen Lebens bei einer eingeschränkten körperlichen Belastbarkeit vor. Dem Bericht war ein Entlassungsbericht des Saale-Reha-Klinikums Bad K. vom 8. Juni 2007 über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 19. April 2007 bis 10. Mai 2007 beigefügt. Hiernach habe ein Belastungs-EKG eine Belastung über 6 Minuten von 25 bis 75 Watt ergeben. Hinweise für eine kardiologische Gesundheitsstörung bestünden nicht. Bei der Klägerin bestehe ein Trainingsmangel, so dass ein regelmäßiges Ausdauertraining zu empfehlen sei. Die Bewegungsmessungen der BWS/LWS hätten in der Seitbewegung nach der Neutral-Null-Methode 30/0/30 und in der Rotation 30/0/40 Grad betragen. Dr. T. hat unter dem 28. Oktober 2008 angegeben: Nur in Akutphasen träten bei der Klägerin schmerzbedingte Einschränkungen der Fingergelenke und der LWS auf. Im Übrigen bestehe keine bedeutsame Funktionseinschränkung. Nach einem beigefügten Arztbrief der Radiologischen Klinik des A. Klinikum S. H. berichtete Chefärztin Dr. R. von einem MRT der LWS vom 8. November 2006. Hiernach bestehe eine geringgradige Bandscheibenvorwölbung in Höhe L4/L5 ohne Hinweis auf Irritationen der Nervenwurzeln. Im Segment S5/S1 sei eine deutliche Spondylarthrose ohne Beteiligung der Nerven zu erkennen. Dipl.-Med. Q. hat über eine depressive Störung mit zurzeit leichter depressiver Episode berichtet, die sich seit 2006 gebessert habe.

Der Beklagte hat diese Befunde durch Frau S. unter dem 10. Dezember 2008 auswerten lassen: Wegen der psychischen Gesundheitsstörung könne aufgrund der dokumentierten Besserung kein Einzel-GdB von über 30 angenommen werden. Auf orthopädischem und internistischem Gebiet lägen keine Erkrankungen vor, die einen Einzel-GdB rechtfertigen könnten. Es müsse daher bei einem Gesamt-GdB von 30 verbleiben.

Das Sozialgericht Magdeburg hat die Klage mit Urteil vom 4. März 2009 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die psychische Erkrankung der Klägerin sei mit einem Einzel-GdB von höchstens 30 zu bewerten. Wegen der Gichterkrankung und den Lendenwirbelsäulenbeschwerden sei ein Einzel-GdB von 10 zu vergeben, der sich auf die Bildung des Gesamt-GdB jedoch nicht auswirke.

Gegen das am 6. März 2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 3. April 2009 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und ihr Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung hat sie vorgetragen: Seit dem 13. Juli 2007 sei sie wegen ihrer psychischen Gesundheitsstörung arbeitsunfähig, so dass von einer erheblichen Erkrankung auf psychiatrischem Gebiet auszugehen sei. Auch die orthopädischen Befunde sprächen für eine erhebliche Gesundheitsstörung der Hände und der Wirbelsäule. So sei sie außer Stande, ortübliche Wegstrecken zurückzulegen. Zur Bekräftigung ihres Vortrages hat sie auf ihr Rentenverfahren beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (Aktenzeichen: L 3 R 171/97) verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 4. März 2009 aufzuheben, den Bescheid vom 11. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2007 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, bei ihr ab 17. März 2006 einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält seine Bescheide sowie die Entscheidung der Vorinstanz für rechtmäßig.

Der Senat hat die Akte des Rentenverfahrens (L 3 R 171/07) beigezogen und ausgewertet. Dipl.-Med. Q. hat darin unter dem 19. Januar 2007 angegeben: Der psychische Befund der Klägerin habe sich seit Oktober 2006 gerade hinsichtlich der Angstzustände gebessert. So könne sie ihre Wohnung wieder selbständig verlassen. Derzeit sei von einer leichten bis mittelgradigen depressiven Episode auszugehen. Dipl.-Med. M. hat unter dem 17. Juni 2008 unveränderte Beschwerden angegeben. In einem weiteren Befundbericht von Dipl.-Med. Q. vom 11. Juli 2008 hat diese berichtet: Zu Beginn der Erkrankung habe noch eine schwere Depression vorgelegen. Seit ca. 3 bis 4 Monaten bestehe nur noch eine leichte Depression. Zusammenfassend sei der Gesundheitszustand mit geringen Schwankungen gleich geblieben. Der 3. Senat des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt hat im Berufungsverfahren den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Priv. Doz. Dr. G. mit der Erstellung eines psychiatrisch-neurologisches Gutachtens vom 24. August 2009 beauftragt (Untersuchung der Klägerin vom 15. August 2009). In diesem hat der Sachverständige ausgeführt: Auf seine Frage an die Klägerin, zu beschreiben wie ihr Leben verlaufen sei, habe sich diese stark negativ ("Beschissen"; " man wird behandelt wie der letzte Dreck!") geäußert. Zum gegenwärtigen Tagesablauf und ihrer Lebensgestaltung habe sie angegeben: Sie bewohne mit ihrem nunmehr dritten Ehemann eine Wohnung im Zentrum von H. im 4. Stock. Da das Haus nicht über einen Fahrstuhl verfüge, müsse sie die 73 Stufen selbst bewältigen. Sie stehe gegen 9.30 Uhr auf und mache jeden Tag ihre Wohnung sauber. Danach gehe sie mit ihrem Mann spazieren. Mittags äßen beide oft an zwei Tagen hintereinander Suppe. Auf Nachfrage, ob sie die deutsche Küche bevorzuge, habe sie mit der Gegenfrage geantwortet, ob der Gutachter glaube, dass man mit Hartz IV-Bezügen täglich Fleisch essen könne. Mitunter erhalte sie auch Besuch von den Kindern und Enkelkindern. Nachmittags säße sie bei gutem Wetter auf dem Balkon oder sehe fern. Einen Garten habe sie nicht; Urlaub sei aus finanziellen Gründen nicht möglich. Gelegentlich gehe sie donnerstags in die Diakonie zum Kaffeekränzchen. Sie müsse bei der Arbeitsagentur, im Gegensatz zu ihrem Mann, der auch arbeitslos sei, keine Bewerbungen mehr abgeben, da ihre behandelnde Nervenärztin sie über die vergangenen drei Jahre krank geschrieben habe.

Zur Eigenanamnese hat sie gegenüber dem Sachverständigen angegeben: Seit einer Schilddrüsenoperation im Jahr 1990 leide sie unter Migräne und Wirbelsäulenschmerzen. Eine Einengung der Halsschlagader sei seit dem Jahr 2005 bekannt. Im Jahr 2007 sei ein Bluthochdruck festgestellt worden, der aber aktuell nicht mehr bestehe. Seit zwei Jahren verspüre sie in der rechten Hand ein Kribbeln und eine Kraftlosigkeit. Wegen eines Karpaltunnelsyndroms sei sie im Mai 2009 operiert worden. Beim Aufstehen sei sie ganz verkrümmt und könne nur kleine Schritte machen. Die Hände seien dann steif und sie könne nur langsam gehen. Im Verlaufe des Tages besserten sich diese Symptome. Bei Überkopfarbeiten schliefen ihr die Hände ein. Ab und zu sei ihr schwindelig, ohne dass sie sich dies erklären könne. Daneben leide sie noch unter Angstzuständen. Dies zeige sich z.B. beim Einkaufen. So könne sie sich beispielsweise nicht an volle Kassen anstellen. Ganz schlimm sei es in Fahrstühlen. Angesprochen auf psychotherapeutische Gesprächsinhalte bei Dipl.-Med. Q. habe die Klägerin erklärt, die Ärztin rede ihr gut zu. Eine psychotherapeutische Aufbereitung des Selbstmordes ihres Sohnes oder von Sinnfragen des Lebens erfolge dagegen nicht.

Zum Untersuchungsbefund hat der Sachverständige angegeben: Die beide Arme und Hände der Klägerin seien frei beweglich, die grobe Kraft sowie die Feinmotorik an den Armen und Händen nicht beeinträchtigt. Die Beine seien frei beweglich. Eine gezielte Funktionsüberprüfung habe einen ungestörten beidbeinigen Zehenspitzstand und einen beidbeinigen Hackenstand mit Gleichgewichtsunterstützung durch den Untersucher ergeben. Die Wirbelsäule sei bei einer einfachen Inspektion regelrecht konfiguriert. Eine isolierte Druck- und Klopfschmerzhaftigkeit bzw. ein Stauschmerz sei nicht nachweisbar. Im Bereich der Lendenwirbelsäule werde Klopfschmerzhaftigkeit angegeben. Auf den Hinweis einer alkoholtypischen Laborwerterhöhung der Leberenzyme habe die Klägerin aggressiv reagiert und jeglichen Alkoholmissbrauch strikt zurückgewiesen. Zusammenfassend bestehe bei ihr eine ausgeprägte Lebensunzufriedenheit. Sie sei stark familien-, aber wenig leistungsorientiert. Erkennbar seien eine Begehrenshaltung bezüglich materieller Versorgung und eine deutliche Tendenz zur Instrumentalisierung der vorhandenen Beschwerden. Diagnostisch bestehe eine Agoraphobie mit Panikstörung (Ängste bei größeren Menschenmengen) sowie eine Klaustrophobie (Angst vor engen Räumen) und ein Dysthymia (andauernde depressive Verstimmung). Es hätten sich aus einer psychischen Problematik körperliche Symptome entwickelt. Aus dem MRT-Befund der Lendenwirbelsäule vom 8. November 2006 sei auf eine geringgradige und im Wesentlichen altersentsprechende Abnutzung der Wirbelsäule zu schließen. Die Beschwerden seien daher im geklagten Ausmaß organisch nicht zu erklären. Generell habe die Klägerin ein erhebliches Opfergefühl entwickelt, was teilweise aus ihrer schwierigen Lebensgeschichte mit häuslicher und sexueller Gewalt sowie durch den Suizid ihres Sohnes verständlich sei. Bei ihr bestünden eine deutliche Tendenz zur Instrumentalisierung der Beschwerden, zur Aggravation sowie der Wunsch nach materieller Versorgung. Die krankheitswertigen Störungen könnten bei zumutbarer Willensanstrengung mit adäquater ärztlicher Hilfe in Form einer stationären kombinierten Verhaltenstherapie und medikamentösen Therapie innerhalb von sechs Monaten überwunden werden. Die wesentlichen Grundfragen der Lebensunzufriedenheit und Selbstzweifel der Klägerin seien gesprächstherapeutisch nicht aufgearbeitet worden. Daher bestünden für eine adäquate stationäre psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung gute Erfolgsaussichten. Die mittelgradige Einengung der linken Halsschlagader sei noch medizinisch näher aufzuklären. Derzeit sei von einer mittelgradigen Einengung der linken Halsschlagader auszugehen. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 11. Januar 2010 hat der Sachverständige ausgeführt: Die Harnsäurewerte lägen im Normbereich und lieferten keinen Hinweis auf eine Gichterkrankung. Die feinmotorischen Belastungen bei der Untersuchung und bei den testpsychologischen Untersuchungen habe die Klägerin problemlos absolvieren können. Durch das Karpaltunnelsyndrom sei bis zur erfolgreichen Operation allenfalls eine vorübergehende Beeinträchtigung der Feinmotorik aufgetreten.

Der Beklagte hat die Rentenakte von der Prüfärztin S. am 24. November 2009 mit dem Ergebnis auswerten lassen, dass die psychische Gesundheitsstörung unverändert mit einem GdB von 30 zu bewerten sei. Das Wirbelsäulenleiden sowie die Gicht rechtfertigten keinen GdB.

Der Senat hat medizinische Ermittlungen durchgeführt und aktuelle Befundberichte von Dr. R., Dr. T., Dipl.-Med. Q. sowie Dr. M. eingeholt. Dipl.-Med. M. hat unter dem 8. April 2010 angegeben: Die Klägerin habe über Unruhe, Schmerzen im BWS-Bereich (Blockierung) sowie Herzrasen geklagt. Rückenschmerzen habe sie ständig, auch Angstzustände. Über Kopfschmerzen sei ihm nichts bekannt. Nach einem beigefügten Arztbrief von Dr. T. vom 22. Oktober 2009 sei eine Operation wegen eines Karpaltunnelsyndroms an der rechten Hand am 20. Mai 2009 erfolgt. Am 22. Oktober 2009 habe die Klägerin noch über eine leichte Kraftlosigkeit der rechten Hand geklagt. Dipl.-Med. Q. hat im Befundbericht vom 10. April 2010 berichtet: Es bestehe eine rezidivierende depressive Störung mit derzeit leichter depressiver Episode. Hierbei stünden eine Ängstlichkeit und ein Vermeideverhalten im Vordergrund. Eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit liege jedoch nicht vor. Die Klägerin könne die Aufgaben im Haushalt bewältigen. Problematisch sei jedoch wegen der auftretenden Angstgefühle das Aufhalten in der Öffentlichkeit. Dr. T. hat unter dem 23. April 2010 angegeben: Er könne zur Gehfähigkeit der Klägerin keinerlei Angaben machen, da sie von ihm ausschließlich wegen Handproblemen in den letzten anderthalb Jahren behandelt worden sei. In einem weiteren Befundbericht vom 20. April 2010 hat er diagnostiziert:

Fingerpolyarthrosen Karpaltunnelsyndrom rechts mit Zustand nach OP am 20. Mai 2009 Fragliche Polyarthritis bei Gicht Karpaltunnelsyndrom links Dupuytren-Kontraktur. Dr. R. hat unter dem 27. April 2010 angegeben: Bei der Klägerin sei am 26. April 2010 ein schweres depressives Syndrom mit extremen Angstzuständen aufgetreten, das sich seit ca. acht Wochen entwickelt habe. Die ACI-Stenose sei mittelgradig. Dekompensationszeichen des Herzens bestünden nicht. Die Blutdruckmessung vom 7. Oktober 2009 habe 130/80 mmHg ergeben. Bis zum 8. März 2007 sei eine Progredienz auszuschließen. Die Klägerin habe eine vorgesehene Kontrolluntersuchung nicht wahrgenommen, weshalb eine abschließende Beurteilung nicht möglich sei.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten sowie Auszüge aus der Rentenakte der Klägerin L 3 R 171/07 haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte sowie der Beiakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auch statthafte Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

Die Klage gegen den Bescheid vom 11. August 2006 in der Gestalt des teilweise abändernden Widerspruchsbescheids vom 22. Januar 2007 ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG statthaft. Sie ist jedoch unbegründet, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines GdB von mehr als 30. Bei der hier erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2000 - B 9 SB 3/99 R = SozR 3-3870 § 3 Nr. 9 S. 22). Danach liegt bei der Klägerin kein höherer GdB als 30 vor.

Für den streitgegenständlichen Zeitraum gilt das am 1. Juli 2001 in Kraft getretene Neunte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) über die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046). Der hier anzuwendende § 69 SGB IX ist durch die Gesetze vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 606) und vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2904) geändert worden. Rechtsgrundlage für den von dem Kläger erhobenen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mindestens 50 ist § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX. Infolge der verfahrensrechtlichen Änderungen des § 69 SGB IX durch das Gesetz vom 23. April 2004 (a.a.O.) hat sich im Übrigen nur die Satzzählung geändert. Im Folgenden werden die Vorschriften des § 69 SGB IX nach der neuen Satzzählung zitiert.

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Diese Vorschrift knüpft materiellrechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.

§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX ist durch das insoweit am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) geändert worden. Nach der früheren Fassung der Vorschrift galten für den Grad der Behinderung die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Nach dem Wortlaut der früheren Fassung des ebenfalls durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 geänderten § 30 Abs. 1 BVG war für die Beurteilung die körperliche und geistige Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben maßgeblich, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren. Nach der Neufassung des § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten für den Grad der Behinderung die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen neuen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades – dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden, zu deren Erlass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch den dem § 30 BVG durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 angefügten Absatz 17 ermächtigt worden ist.

Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und sind damit nunmehr der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen. Zuvor dienten der Praxis als Beurteilungsgrundlage die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003 – B 9 SB 3/02 RSozR 4-3800 § 1 Nr. 3 Rdnr. 12, m.w.N.). Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des Grades der Behinderung bzw. der Schädigungsfolge bisher richtete, sind – inhaltlich nahezu unverändert – in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.). Die im vorliegenden Fall heranzuziehenden Abschnitte aus den Anhaltspunkten in den Fassungen von 2004 und 2008 bzw. aus den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sind nicht geändert worden. Im Folgenden werden die Vorschriften der Versorgungsmedizinische Grundsätze zitiert. Die Begriffe GdS und GdB werden dabei nach gleichen Grundsätzen bemessen. Sie unterscheiden sich lediglich dadurch, dass sich der GdS kausal auf Schädigungsfolgen und sich der GdB final auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von deren Ursachen auswirkt (vgl. Versorgungsmedizinische Grundsätze, Teil A: Allgemeine Grundsätze 2 a (S. 8)).

Durch die Neuregelung ist den Einwänden gegen die bisherigen "Anhaltspunkte" jedenfalls für den vorliegenden Fall der Boden entzogen worden. Zum einen ist durch die Neuregelung die auch von der Rechtsprechung geforderte Rechtsgrundlage für die bisherigen "Anhaltspunkte" geschaffen worden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 28. September 2007, BT-Drucks. 16/6541, S. 1, 31). Zum anderen ist durch die Verweisung des neu gefassten § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX auf die Neufassung des § 30 Abs. 1 BVG klargestellt worden, dass auch für die Feststellung des GdB "die allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen" maßgeblich sind. Zudem hatte sich auch schon zu der früheren Fassung des § 69 Abs. 1 SGB IX eine ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gebildet, nach der trotz der Ersetzung des Schwerbehindertengesetzes durch das SGB IX inhaltlich das Beurteilungsgefüge der Anhaltspunkte maßgeblich geblieben war (vgl. BSG, Urt. v. 24. April 2008 – B 9/9a SB 6/06 R – in juris Rn. 15 m.w.N.).

Der hier streitigen Bemessung des Grads der Behinderung ist die GdS (Grad der Schädigung)-Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Teil A, S. 17 ff.) zugrunde zu legen. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil A, S. 8 ff.) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil A, S. 8) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sektion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a, S. 18).

Nach diesem Maßstab kann für die Funktionseinschränkungen der Klägerin kein höherer GdB als 30 festgestellt werden. Dabei stützt sich der Senat auf die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Beklagten, die eingeholten Befundberichte und Arztbriefe und auf die medizinischen Unterlagen aus dem Rentenverfahren L 3 R 171/07 sowie auf das psychiatrisch-neurologische Gutachten von PD Dr. G. vom 24. August 2009 und seine ergänzende Stellungnahme vom 11. Januar 2010.

1. Das Hauptleiden der Klägerin ist dem Funktionsbereich der "Psyche" zuzuordnen. Sie leidet an einer Agoraphobie mit Panikstörung, einer Klaustrophobie sowie einer Dysthymia. Bei dieser Diagnose stützt sich der Senat auf das ausführliche und überzeugende rentenversicherungsrechtliche Gutachten von PD Dr. G ... Hierfür hält der Senat die Feststellung eines Einzel-GdB von 30 für angemessen.

Nach 3.7 (S. 27) der Anlage zu den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen ist eine Depression/somatoforme Schmerzstörung wie folgt zu bewerten.

Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen Leichtere psychovegetative oder psychische Störungen ...0 – 20 Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) ... 30 – 40 Schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten ... 50 – 70 mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten ... 80 – 100

Nicht zu folgen ist dem Hinweis von Dr. R. unter dem 27. April 2010, die Klägerin sei an einem schweren depressiven Syndrom mit extremen Angstzuständen erkrankt, das sich vor acht Wochen entwickelt habe. Dagegen spricht der Befundbericht der behandelnden Fachärztin für Psychiatrie Dipl.-Med. Q., die über eine Besserung zumindest bis zum 23. März 2010 berichtet hat. Diese Bewertung überzeugt eher, denn Dipl.-Med. Q. hat die Klägerin über Jahre hinweg behandelt und verfügt als Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie auf ihrem Fachgebiet über eine größere Sachkunde als der Internist Dr. R ... Gegen die Bewertung von Dr. R. spricht ferner, dass die Klägerin im Erörterungstermin vom 26. März 2010 keine Verschlechterung des psychischen Leidens erwähnt hat. Selbst wenn es anschließend im April 2010 zu einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes auf psychiatrischem Gebiet gekommen sein sollte, hätte dieser Zustand bis zur Entscheidung des Senats nicht mindestens sechs Monate angedauert und wäre daher unbeachtlich. Wegen einer eventuellen Verschlechterung ist die Klägerin auf einen Neufeststellungsantrag zu verweisen.

Bei der Bewertung des Schweregrades der psychiatrischen Erkrankung hält der Senat eine volle Ausschöpfung des Bewertungsrahmens von 40 für nicht angezeigt. Dies rechtfertigt sich aus den detaillierten Feststellungen des gerichtlichen Gutachters PD Dr. G. im rentenversicherungsrechtlichen Verfahrens L 3 R 171/07. Betrachtet man die in diesem Gutachten dargestellte Tages- und Lebensplanung der Klägerin kann bei ihr von einem geregelten und hinreichend bestimmten Tagesablauf ausgegangen werden. Die Klägerin zeigte sich bei dieser Begutachtung als sehr stark familienorientiert, jedoch nur sehr gering leistungsmotiviert. Nach Auffassung des Sachverständigen zeigten sich zudem deutliche Hinweise für eine Instrumentalisierung der Beschwerden, um materielle Interessen durchzusetzen. Nach Auffassung des Sachverständigen bestehen bei einer zumutbaren Willenanstrengung gute Aussichten in einer kombinierten stationären Verhaltens- und medikamentösen Therapie die psychischen Störungen zu überwinden. Diese Möglichkeit hat die Klägerin nicht aufgegriffen und stattdessen die gesprächstherapeutisch wenig intensive Behandlung bei Dipl.-Med. Q. fortgesetzt. Selbst nach Ansicht von Dipl.-Med. Q. (Befundbericht vom 10. April 2010) liegen bei der Klägerin aktuell keine wesentlichen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor. So konnte die Klägerin uneingeschränkt ihren Haushalt bewältigen. Eine schwere depressive Phase wurde von der sie behandelnden Nervenärztin klar verneint. Im Befundbericht vom 17. November 2008 hat Dipl.-Med. Q. zudem eine Besserung der psychischen Erkrankung seit dem 17. März 2006 beschrieben. Aus Sicht des Senats bestehen daher keinerlei Gründe den Bewertungsrahmen von 40 bei der Klägerin auszuschöpfen. Im Gegenteil sind eher sogar Hinweise dafür erkennbar, dass die psychische Erkrankung nur geringerer Ausprägung ist und von einem deutlichen Versorgungswunsch geprägt sein dürfte.

2. Ein weiteres Leiden der Klägerin ist dem Funktionsbereich "Rumpf" zuzuordnen. Bei der Klägerin ist von einem chronisches Brustwirbelsäulen- (BWS-) und LWS-Syndrom mit Spondylarthrose auszugehen. Die funktionellen Auswirkungen dieser Erkrankung sind jedoch eher gering und werden maßgeblich psychisch überlagert. Der Senat folgt insoweit der nachvollziehbaren Begründung von PD Dr. G., der in Auswertung eines MRT-Befundes der Lendenwirbelsäule vom 8. November 2006 auf eine geringgradige und im Wesentlichen altersentsprechende Abnutzungserscheinungen der Wirbelsäule geschlossen hat. Gegen eine erhebliche Einschränkung der Beweglichkeit von BWS- und LWS sprechen auch die Bewegungsmaße anlässlich des stationären Aufenthaltes der Klägerin im Saale-Reha-Klinikum Bad K. im Jahr 2007 und die problemlose Bewegungsprüfung des Sachverständigen PD Dr. G. in seiner Untersuchung vom 15. August 2009. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Befundbericht von Dr. T. vom 28. Oktober 2008. Hiernach traten bei der Klägerin nur in Akutphasen schmerzbedingte Einschränkungen der Fingergelenke und der LWS auf. Nach dem aktuellen Befundbericht von Dr. T. vom 23. April 2010 konzentrierte sich seine Behandlung in den letzten 18 Monaten ausschließlich auf die Behandlung von Handproblemen, die auch zu einer Karpaltunneloperation im Mai 2009 geführt haben. Wegen der geringen funktionellen Auswirkungen rechtfertigen diese eher geringen Erkrankungen im Funktionsbereich "Rumpf" daher allenfalls einen GdB von 10. 3. Als weiteres Leiden liegt bei der Klägerin eine Polyarthritis, Fingerarthrosen beidseits sowie ein beidseitiges Karpaltunnelsyndrom vor, was dem Funktionssystem "Hand" zuzuordnen wäre. Erhebliche und dauerhafte Einschränkungen der Funktion der Hand sind den ärztlichen Befunden jedoch nicht zu entnehmen. So konnte Dr. T. in den zahlreichen Befundberichten keine Schwellungen oder Reizzustände angeben und beschränkte die Auswirkungen dieser Erkrankung lediglich auf Akutphasen, was eine dauerhafte Handerkrankung, die länger als sechs Monate andauern würde, ausschließt. Bemerkenswert ist auch, dass Dr. T. seine ursprüngliche Diagnose einer Polyarthritis auf einen bloßen Verdachtsstatus herabgesenkt hat. Dies wird auch durch die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen PD Dr. G. bestätigt, der auf den normalen Harnsäurebefund der Klägerin und ihre problemlose handmotorische Belastung während seiner Untersuchung verwiesen hat. Auch das Karpaltunnelsyndrom hat nach seiner Auffassung allenfalls vorübergehende Auswirkungen gehabt. Wegen dieser geringen funktionellen Auswirkungen ist für dieses Funktionssystem daher ein Einzel-GdB von höchstens 10 zu vergeben.

4. Als weitere Erkrankung liegt bei der Klägerin eine mittelgradige ACI-Stenose vor, die dem Funktionssystem "Herz und Kreislauf" zuzuordnen wäre. Funktionell ist in diesem Punkt von keiner erheblichen Leistungseinschränkung auszugehen und allenfalls ein Einzel-GdB von 10 anzunehmen. Die von der Klägerin gegenüber PD Dr. G. berichteten wöchentlichen Schwindelattacken finden sich im Übrigen als Beschwerden keineswegs immer in den zahlreichen vom Senat eingeholten Befundberichten anderer Ärzte wieder. Dies deutet darauf hin, dass diese mögliche Auswirkung der ACI-Stenose von der Klägerin offenbar nicht als prägend und sehr belastend empfunden worden ist. So hat Dr. R. auf ausdrückliche gerichtliche Nachfrage im Befundbericht vom 27. April 2010 die ACI-Stenose mangels aktueller Befunde als nach wie vor mittelgradig einschätzt und mitgeteilt, die Klägerin habe eine geplante Kontrolluntersuchung nicht wahrgenommen. Weitere beachtliche Erkrankungen auf kardiologischem Gebiet können bei der Klägerin nicht angenommen werden. So haben durchgeführte Ergometertests von Dr. R. und anlässlich des stationären Aufenthalts in Bad K. jeweils keine Hinweise für eine Herzerkrankung ergeben und eher einen deutlichen Trainingsmangel der Klägerin betont. Auch der Bluthochdruck ist offenbar medikamentös gut eingestellt.

5. Die weiteren Erkrankungen der Klägerin wie eine linksseitige Koxarthrose, Hyperlipidämie und Kopfschmerzen haben weder funktionelle Auswirkungen noch finden sich in den zahlreichen ärztlichen Befunden hierfür objektivierbare Befunde. So hat es offenbar eine zielgerichtete Kopfschmerzbehandlung bei der Klägerin nie gegeben. Ein Einzel-GdB ist für diese Erkrankungen daher nicht zu vergeben.

6. Da bei der Klägerin Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren Grad der Behinderung vorliegen, ist nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Gesamtbehinderung zu ermitteln. Dafür sind die Grundsätze nach Teil A, Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (S. 8) anzuwenden. Nach Nr. 3c ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt, und dann zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Danach kann kein höherer Gesamtgrad der Behinderung als 30 angenommen werden. Für das Funktionssystem Hirn und Psyche ist zunächst wegen der somatoformen Überlagerung von einem Einzel-GdB von 30 auszugehen, was der Senat durchaus als eher wohlwollend bewertet. Die weiteren Erkrankungen sind in ihren funktionellen Auswirkungen so gering, dass sie keine Erhöhung dieses GdB rechtfertigen können. Vielmehr ist nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen von Folgendem auszugehen: Regelmäßig kann der Gesamt-GdB aufgrund weiterer Erkrankungen, die allenfalls mit einem GdB von 10 rechtfertigen können, nicht erhöht werden. Denn nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil A, Nr. 3 ee, S. 10) führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Behinderungsgrad von 10 bedingen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes des Gesamtbeeinträchtigung. Selbst bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, daraus auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Die weiteren Erkrankungen der Klägerin in anderen Funktionssystemen sind nur von geringer Ausprägung und können den Gesamt-GdB nicht erhöhen.

Letztlich widerspräche hier die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft auch dem nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil A Nr. 3b, S. 10) zu berücksichtigenden Gesamtmaßstab. Im Vergleich mit Gesundheitsschäden, zu denen in der GdS-Tabelle feste Werte angegeben sind, ist bei der Klägerin ein höherer Gesamtgrad als 30 nicht gerechtfertigt. Die Gesamtauswirkung ihrer verschiedenen Funktionsstörungen beeinträchtigen ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft insbesondere nicht so schwer wie etwa die vollständige Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, der Verlust eines Beins im Unterschenkel oder eine Aphasie (Sprachstörung) mit deutlicher Kommunikationsstörung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nach § 160 SGG nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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