Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 22 SB 205/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 SB 29/09 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
PKH bei hinreichenden Erfolgsaussichten
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 17. März 2009 wird aufgehoben.
Der Klägerin wird für das Klageverfahren mit Wirkung vom 7. Juli 2008 ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S., Naumburg, zur Vertretung beigeordnet.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt Prozesskostenhilfe in einem Hauptsacheverfahren auf Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX).
Die am ... 1966 geborene und verheiratete Klägerin beantragte beim Beklagten am 13. Dezember 2006 wegen diverser Erkrankungen die Feststellung eines GdB von 50 sowie das Merkzeichen "GL" (gehörlos).
Nach Durchführung medizinischer Ermittlungen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 9. Mai 2007 ab dem 13. Dezember 2006 einen GdB von 40 fest und lehnte die Vergabe von Merkzeichen ab. Als Funktionsbeeinträchtigungen bestünden eine Hörbehinderung sowie eine chronische Bronchitis. Die weiteren Gesundheitsstörungen wie eine psychische Störung, eine Kreislauferkrankung, ein Bluthochdruck, ein Diabetes mellitus, ein Schwindel, eine Nierenfunktionsstörung mit Nierenstein sowie Ödeme von Füßen und Unterschenkeln seien für die Bildung eines Gesamt-GdB unerheblich. Dagegen legte die Klägerin am 23. Mai 2007 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2007 (Absendevermerk: 23. Juli 2007) zurückgewiesen wurde.
Hiergegen hat die Klägerin am 22. August 2007 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben und die Feststellung eines GdB von 50 begehrt. Daneben hat sie die Gewährung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen: Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch ihre Kreislauferkrankung, den Bluthochdruck sowie den Schwindel seien gravierend. Sie habe wiederholt Kreislaufzusammenbrüche erlitten, die in der Zeit vom 16. Februar 2006 bis 17. Februar 2006 sogar stationär im S. Klinikum N. behandelt worden seien. Auch bestehe der Verdacht auf einen Gehirntumor. Unter Berücksichtigung der Funktionsbeeinträchtigungen sei ein Grad der Behinderung von 50 berechtigt. Mit Schreiben vom 11. Februar 2009 hat das Sozialgericht auf das Fehlen von verwertbaren Anhaltspunkten für die Feststellung eines höheren GdB als 40 hingewiesen.
Die Klägerin hat daraufhin vorgetragen: Sie sei derzeit nur bei ihrer Hausärztin Dr. K. in Behandlung. Die gesundheitlichen Probleme hätten sich verschlimmert. Insbesondere der Bluthochdruck sei sehr schwankend. Wegen ihrer Zuckererkrankung sei sie insulinpflichtig, müsse sich täglich einmal Insulin spritzen und zwei Tabletten einnehmen. Außerdem leide sie an einer Depression. Die Klägerin hat einen Bericht des Klinikums B. vom 10. Oktober 2008 vorgelegt, wonach sie sich unter anderem wegen eines entgleisten Diabetes mellitus, einer chronischen Niereninsuffizienz im Stadium III und einer diabetischen Nephropathie (Nierenleiden) am 1. Oktober 2008 in stationärer Behandlung befunden hat.
Mit Beschluss vom 17. März 2009 hat das Sozialgericht Halle den Antrag auf Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht zurückgewiesen.
Am 7. April 2009 hat der Beklagte an seiner Bewertung festgehalten und auf eine prüfärztliche Stellungnahme vom 2. April 2009 Bezug genommen. Hiernach sei hinsichtlich der Zuckererkrankung eine Nachfrage beim Hausarzt oder einem Diabetologen zu empfehlen. Hinsichtlich der Erkrankung der Nieren sei der Langzeitverlauf abzuwarten und eine Sachaufklärung beim Hausarzt oder Internisten zu empfehlen.
Am 20. April 2009 hat die Klägerin Beschwerde gegen den am 20. März 2009 zugestellten Prozesskostenhilfebeschluss vom 17. März 2009 eingelegt und ihren Sachvortrag ergänzt: Sie sei Analphabetin und habe deswegen Probleme, ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen den behandelnden Ärzten richtig zu vermitteln. Das Sozialgericht müsse den medizinischen Sachverhalt weiter aufklären.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte verwiesen. Hinsichtlich der Erklärung der Klägerin zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen wird auf den Inhalt des Prozesskostenhilfeheftes Bezug genommen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgemäß eingelegte Beschwerde ist begründet. Der Klägerin steht Prozesskostenhilfe ab dem 4. Juli 2008 zu. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts ist von einer hinreichenden Erfolgsaussicht der Klage auszugehen.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) setzt nach § 73 a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordung (ZPO) voraus, dass die Klägerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten des Rechtsstreites ganz, teilweise oder nur in Raten zu tragen und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Nach der in der Rechtsprechung und Literatur vorherrschenden Meinung hat ein Rechtsschutzbegehren nur dann im Sinne des § 114 ZPO hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt, wenn der entscheidungserhebliche Sachverhalt unübersichtlich ist oder weiterer Klärung bedarf und das Gericht im Zeitpunkt der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält sowie in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Umgekehrt kann die Erfolgsaussicht verneint werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/98 - BVerfGE 81, 347, 356 ff.; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008 § 73 a Rd.Nr. 7-7b, jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) eine weitgehende Angleichung der Situation von bemittelten und unbemittelten Rechtsuchenden bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vergl. BVerfGE 9/124 [130 f.] ständige Rechtsprechung). Zwar ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (vgl. BVerfGE 81,347 [357]). Es läuft dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, wenn der unbemittelten Partei wegen Fehlens der Erfolgsaussichten seines Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe verweigert wird, obwohl eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2002 – 1 BvR 1450/00, NJW–RR 2002, S. 1069). Eine Beweisantizipation im Prozesskostenhilfeverfahren ist nur in eng begrenztem Rahmen zulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 1997 – 1 BvR 296/94, NJW 1997, S. 2745 [2746]). Andernfalls überspannt das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung und verfehlt so den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 81, 347 [358]).
Im vorliegenden Fall hat das Begehren der Klägerin auf Feststellung eines GdB von 50 eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit und bedarf weiterer gerichtlicher Ermittlungen. Gemessen an den oben dargestellten verfassungsrechtlichen Grundsätzen hat das Sozialgericht einen zu strengen Prüfungsmaßstab angesetzt.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Diese Vorschrift knüpft materiellrechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Bereits aus der prüfärztlichen Stellungnahme des Beklagten vom 2. April 2009 ergeben sich deutliche Anknüpfungstatsachen für weitere gerichtliche Ermittlungen. Sie enthält klare ärztliche Empfehlungen, den medizinischen Sachverhalt wegen des Diabetes mellitus und wegen der Nierenerkrankung näher aufzuklären. Dem hat das Sozialgericht nachzukommen. Nach Aktenlage war die Klägerin wegen eines entgleisten Blutzuckers bereits im Oktober 2008 in stationärer Behandlung und ist insulinpflichtig. Allein diese schwere Stoffwechselerkrankung könnte, je nach Stabilität des Stoffwechsels und des notwendigen Therapieaufwandes, die Feststellung eines Einzel-GdB von 30 bis 50 eröffnen (vgl. Versorgungsmedizinische Grundsätze, 2009, S. 73 f). Die genaue Stoffwechsellage der Klägerin ist noch ungeklärt und bedarf weiterer gerichtlicher Aufklärung. Auch die im Arztbrief des Klinikum B. vom 10. Oktober 2008 dokumentierte Nierenschädigung könnte nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (S. 64 ff) für die Bildung des Gesamt-GdB bedeutsam sein. Auch das Erkrankungsbild der Klägerin in psychischer Hinsicht ist in seinen Auswirkungen klärungsbedürftig. Der von der Klägerin begehrte Gesamt-GdB von 50 ist nach dem derzeitigen, keineswegs abgeschlossenen Ermittlungsstand nicht völlig unwahrscheinlich.
Die Klägerin ist auch hilfebedürftig im Sinne des § 114 i. V. m. § 115 ZPO. Sie bezieht Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 948,18 EUR, ist unterhaltspflichtig gegenüber ihrem am ... 1988 geborenen Sohn und hat Wohnungsaufwendungen von 534,00 EUR zu zahlen. Der Ehemann der Klägerin erhält eine Rente von 476,85 EUR und bezieht Grundsicherungsleistungen in Höhe von 200,37 EUR. Wegen dieser Einnahme- und Belastungssituation ist er der Klägerin gegenüber nicht zu einem Unterhaltsvorschuss verpflichtet.
Die Entscheidung ist nach § 177 SGG unanfechtbar. Auf § 178 a SGG wird hingewiesen.
Der Klägerin wird für das Klageverfahren mit Wirkung vom 7. Juli 2008 ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S., Naumburg, zur Vertretung beigeordnet.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt Prozesskostenhilfe in einem Hauptsacheverfahren auf Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX).
Die am ... 1966 geborene und verheiratete Klägerin beantragte beim Beklagten am 13. Dezember 2006 wegen diverser Erkrankungen die Feststellung eines GdB von 50 sowie das Merkzeichen "GL" (gehörlos).
Nach Durchführung medizinischer Ermittlungen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 9. Mai 2007 ab dem 13. Dezember 2006 einen GdB von 40 fest und lehnte die Vergabe von Merkzeichen ab. Als Funktionsbeeinträchtigungen bestünden eine Hörbehinderung sowie eine chronische Bronchitis. Die weiteren Gesundheitsstörungen wie eine psychische Störung, eine Kreislauferkrankung, ein Bluthochdruck, ein Diabetes mellitus, ein Schwindel, eine Nierenfunktionsstörung mit Nierenstein sowie Ödeme von Füßen und Unterschenkeln seien für die Bildung eines Gesamt-GdB unerheblich. Dagegen legte die Klägerin am 23. Mai 2007 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2007 (Absendevermerk: 23. Juli 2007) zurückgewiesen wurde.
Hiergegen hat die Klägerin am 22. August 2007 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben und die Feststellung eines GdB von 50 begehrt. Daneben hat sie die Gewährung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen: Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch ihre Kreislauferkrankung, den Bluthochdruck sowie den Schwindel seien gravierend. Sie habe wiederholt Kreislaufzusammenbrüche erlitten, die in der Zeit vom 16. Februar 2006 bis 17. Februar 2006 sogar stationär im S. Klinikum N. behandelt worden seien. Auch bestehe der Verdacht auf einen Gehirntumor. Unter Berücksichtigung der Funktionsbeeinträchtigungen sei ein Grad der Behinderung von 50 berechtigt. Mit Schreiben vom 11. Februar 2009 hat das Sozialgericht auf das Fehlen von verwertbaren Anhaltspunkten für die Feststellung eines höheren GdB als 40 hingewiesen.
Die Klägerin hat daraufhin vorgetragen: Sie sei derzeit nur bei ihrer Hausärztin Dr. K. in Behandlung. Die gesundheitlichen Probleme hätten sich verschlimmert. Insbesondere der Bluthochdruck sei sehr schwankend. Wegen ihrer Zuckererkrankung sei sie insulinpflichtig, müsse sich täglich einmal Insulin spritzen und zwei Tabletten einnehmen. Außerdem leide sie an einer Depression. Die Klägerin hat einen Bericht des Klinikums B. vom 10. Oktober 2008 vorgelegt, wonach sie sich unter anderem wegen eines entgleisten Diabetes mellitus, einer chronischen Niereninsuffizienz im Stadium III und einer diabetischen Nephropathie (Nierenleiden) am 1. Oktober 2008 in stationärer Behandlung befunden hat.
Mit Beschluss vom 17. März 2009 hat das Sozialgericht Halle den Antrag auf Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht zurückgewiesen.
Am 7. April 2009 hat der Beklagte an seiner Bewertung festgehalten und auf eine prüfärztliche Stellungnahme vom 2. April 2009 Bezug genommen. Hiernach sei hinsichtlich der Zuckererkrankung eine Nachfrage beim Hausarzt oder einem Diabetologen zu empfehlen. Hinsichtlich der Erkrankung der Nieren sei der Langzeitverlauf abzuwarten und eine Sachaufklärung beim Hausarzt oder Internisten zu empfehlen.
Am 20. April 2009 hat die Klägerin Beschwerde gegen den am 20. März 2009 zugestellten Prozesskostenhilfebeschluss vom 17. März 2009 eingelegt und ihren Sachvortrag ergänzt: Sie sei Analphabetin und habe deswegen Probleme, ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen den behandelnden Ärzten richtig zu vermitteln. Das Sozialgericht müsse den medizinischen Sachverhalt weiter aufklären.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte verwiesen. Hinsichtlich der Erklärung der Klägerin zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen wird auf den Inhalt des Prozesskostenhilfeheftes Bezug genommen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgemäß eingelegte Beschwerde ist begründet. Der Klägerin steht Prozesskostenhilfe ab dem 4. Juli 2008 zu. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts ist von einer hinreichenden Erfolgsaussicht der Klage auszugehen.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) setzt nach § 73 a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordung (ZPO) voraus, dass die Klägerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten des Rechtsstreites ganz, teilweise oder nur in Raten zu tragen und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Nach der in der Rechtsprechung und Literatur vorherrschenden Meinung hat ein Rechtsschutzbegehren nur dann im Sinne des § 114 ZPO hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt, wenn der entscheidungserhebliche Sachverhalt unübersichtlich ist oder weiterer Klärung bedarf und das Gericht im Zeitpunkt der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält sowie in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Umgekehrt kann die Erfolgsaussicht verneint werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/98 - BVerfGE 81, 347, 356 ff.; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008 § 73 a Rd.Nr. 7-7b, jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) eine weitgehende Angleichung der Situation von bemittelten und unbemittelten Rechtsuchenden bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vergl. BVerfGE 9/124 [130 f.] ständige Rechtsprechung). Zwar ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (vgl. BVerfGE 81,347 [357]). Es läuft dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, wenn der unbemittelten Partei wegen Fehlens der Erfolgsaussichten seines Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe verweigert wird, obwohl eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2002 – 1 BvR 1450/00, NJW–RR 2002, S. 1069). Eine Beweisantizipation im Prozesskostenhilfeverfahren ist nur in eng begrenztem Rahmen zulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 1997 – 1 BvR 296/94, NJW 1997, S. 2745 [2746]). Andernfalls überspannt das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung und verfehlt so den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 81, 347 [358]).
Im vorliegenden Fall hat das Begehren der Klägerin auf Feststellung eines GdB von 50 eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit und bedarf weiterer gerichtlicher Ermittlungen. Gemessen an den oben dargestellten verfassungsrechtlichen Grundsätzen hat das Sozialgericht einen zu strengen Prüfungsmaßstab angesetzt.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Diese Vorschrift knüpft materiellrechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Bereits aus der prüfärztlichen Stellungnahme des Beklagten vom 2. April 2009 ergeben sich deutliche Anknüpfungstatsachen für weitere gerichtliche Ermittlungen. Sie enthält klare ärztliche Empfehlungen, den medizinischen Sachverhalt wegen des Diabetes mellitus und wegen der Nierenerkrankung näher aufzuklären. Dem hat das Sozialgericht nachzukommen. Nach Aktenlage war die Klägerin wegen eines entgleisten Blutzuckers bereits im Oktober 2008 in stationärer Behandlung und ist insulinpflichtig. Allein diese schwere Stoffwechselerkrankung könnte, je nach Stabilität des Stoffwechsels und des notwendigen Therapieaufwandes, die Feststellung eines Einzel-GdB von 30 bis 50 eröffnen (vgl. Versorgungsmedizinische Grundsätze, 2009, S. 73 f). Die genaue Stoffwechsellage der Klägerin ist noch ungeklärt und bedarf weiterer gerichtlicher Aufklärung. Auch die im Arztbrief des Klinikum B. vom 10. Oktober 2008 dokumentierte Nierenschädigung könnte nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (S. 64 ff) für die Bildung des Gesamt-GdB bedeutsam sein. Auch das Erkrankungsbild der Klägerin in psychischer Hinsicht ist in seinen Auswirkungen klärungsbedürftig. Der von der Klägerin begehrte Gesamt-GdB von 50 ist nach dem derzeitigen, keineswegs abgeschlossenen Ermittlungsstand nicht völlig unwahrscheinlich.
Die Klägerin ist auch hilfebedürftig im Sinne des § 114 i. V. m. § 115 ZPO. Sie bezieht Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 948,18 EUR, ist unterhaltspflichtig gegenüber ihrem am ... 1988 geborenen Sohn und hat Wohnungsaufwendungen von 534,00 EUR zu zahlen. Der Ehemann der Klägerin erhält eine Rente von 476,85 EUR und bezieht Grundsicherungsleistungen in Höhe von 200,37 EUR. Wegen dieser Einnahme- und Belastungssituation ist er der Klägerin gegenüber nicht zu einem Unterhaltsvorschuss verpflichtet.
Die Entscheidung ist nach § 177 SGG unanfechtbar. Auf § 178 a SGG wird hingewiesen.
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