L 4 P 10/07

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 3 P 15/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 P 10/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau vom 16. April 2007 und der Bescheid der Beklagten vom 28. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2006 sowie der Bescheid vom 20. August 2008 werden abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III für September 2007 unter Anrechnung bereits gewährter Leistungen zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen Kosten des Berufungsverfahrens zu vier Fünfteln zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist die Pflegestufe III vom 11. Juli 2005 bis 30. September 2007.

Der Kläger ist Rechtsnachfolger der bei der Beklagten versichert gewesenen und am 22. Juni 2009 verstorbenen D. J. (nachfolgend: die Versicherte).

Die 1926 geborene Versicherte beantragte erstmals im Juli 2002 Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung in Form einer Geldleistung bei häuslicher Pflege. Am 30. Juni 2002 hatte sie einen Schlaganfall (Apoplexie) erlitten. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) schätzte mit Gutachten vom 25. September 2002 die Pflegebedürftigkeit der Versicherten in allen Bereichen der Grundpflege und der Hauswirtschaft mit insgesamt 91 Minuten pro Tag (davon 46 Minuten für die Grundpflege) ein und schlug die Anerkennung der Pflegestufe I vor. Dem folgend bewilligte die Beklagte der Versicherten mit Bescheid vom 25. Oktober 2002 ein monatliches Pflegegeld in Höhe von 205 EUR ab Juli 2002. Am 23. Dezember 2002 beantragte die Versicherte unter Hinweis auf den vom Amt für Versorgung und Soziales H. am 11. Dezember 2002 festgesetzten Grad der Behinderung (GdB) von 60 nebst Merkzeichen G die Höherstufung der bewilligten Pflegestufe. Dem Bescheid des Versorgungsamtes hatten folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde gelegen: Funktionsminderungen der Wirbelsäule und der Gelenke infolge degenerativer Veränderungen, Hirndurchblutungsstörung, Herzleistungsminderung infolge einer chronischen Durchblutungsstörung des Herzens mit niedrigem Blutdruck mit Schwindel, nervale Krampfaderleiden mit Geschwürsbildung, Funktionsstörungen nach Ellenbogenbruch rechts und Karpaltunnelsyndrom. Mit weiterem Gutachten vom 12. Mai 2003 schätzte der MDK den gestiegenen Pflegebedarf mit 106 Minuten pro Tag in der Grundpflege ein. Daraufhin lehnte die Beklagte die Anerkennung der Pflegestufe II mit Bescheid vom 22. Mai 2003 ab. Nachdem die Versicherte hiergegen Widerspruch eingelegt und der MDK sie am 1. September 2003 erneut mit dem Ergebnis einer Empfehlung der Anerkennung der Pflegestufe II begutachtet hatte (Grundpflegebedarf von 121 Minuten), half die Beklagte dem Widerspruch teilweise ab und bewilligte mit Bescheid vom 6. Oktober 2003 Leistungen gemäß der Pflegestufe II ab Mai 2003.

Am 12. Juli 2004 stellte die Versicherte einen weiteren Höherstufungsantrag. Daraufhin erstellte der MDK das Folgegutachten vom 15. September 2004 nach Hausbesuch vom 7. September 2004 und bezifferte den Zeitaufwand in der Grundpflege auf 122 Minuten und den in der Hauswirtschaft auf 60 Minuten pro Tag (Pflegefachkraft S.). Als pflegebegründende Diagnosen waren senile Demenz, Zustand nach Oberschenkelhalsbruch rechts im Januar 2003, Harninkontinenz und Stuhlinkontinenz angegeben. Die Versicherte müsse beaufsichtigt werden, gehe nicht allein zu Bett, stehe auch nicht allein auf und habe keine zeitliche Orientierung. Nach unkontrolliertem Harnabgang sei ein zusätzlicher Wäschewechsel notwendig. Das An- und Ausziehen müsse komplett übernommen werden. Der Toiletteneimer werde einmal nachts geleert. Die Mahlzeiten müssten mundgerecht vorbereitet werden, die Versicherte könne aber selbst essen und trinken. Beim Hausbesuch sei die etwa 1,60 m große und 50 kg schwere Versicherte angezogen auf der Couch liegend angetroffen worden. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 12. Oktober 2004 unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK den Höherstufungsantrag ab, da die Voraussetzungen der Pflegestufe III derzeit nicht gegeben seien. Hiergegen ließ die Versicherte durch ihren als Betreuer eingesetzten Sohn H. J., den Kläger, am 12. November 2004 Widerspruch einlegen und gab an, es sei übersehen worden, dass die Versicherte verwirrt sei und wie ein Kleinkind ständig beaufsichtigt werden müsse. Es interessiere auch nicht, ob ein Mensch dreimal oder im Alter zwanzigmal am Tag zur Toilette müsse. Einigen Mitarbeitern seien auch die Nebenwirkungen von Medikamenten nicht geläufig. Im Haushalt müssten in nächster Zeit alle gefährlichen Küchengeräte und sonstigen Installationen so umgebaut werden, dass sie von der Versicherten nicht mehr bedient werden könnten. Dies betreffe insbesondere Wasserhähne, Gas- und Elektroherd, Boiler und Öfen. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine erneute Untersuchung durch den MDK mit Hausbesuch am 4. Januar 2005 (Pflegefachkraft I. B.). Im Gutachten vom 7. Januar 2005 ermittelte die Sachverständige einen Zeitaufwand in der Grundpflege von 171 Minuten und in der Hauswirtschaft von 60 Minuten pro Tag und führte aus, es habe sich der allgemeine Zustand der Versicherten gegenüber dem Vorgutachten verschlechtert, der zeitliche Rahmen der Pflegestufe III werde aber noch nicht erreicht. Pflegeperson sei der nicht berufstätige Sohn der Versicherten, mit dem sie in einem Zweifamilienhaus zusammenlebe. Die Versicherte bewohne die untere, der Sohn die obere Etage. Es bestünden wegen der degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, Altersaufbrauch und des Zustandes nach Hüft-TEP (Totalendoprothese) Unsicherheiten beim Gehen und Stehen. In der Wohnung könne sie aber noch alleine laufen. Die Greiffunktion der Hände sowie die grobe Kraft beidseits seien gut erhalten. Mit den täglichen Verrichtungen komme sie allein nicht mehr zurecht, könne Aufforderungen schlecht folgen und neige zu Fehlhandlungen. Sie laufe oftmals unruhig in der Wohnung umher und räume die Schränke aus, weshalb eine ständige Beaufsichtigung notwendig sei. Allerdings finde sie sich in der Wohnung zurecht, erkenne Angehörige und sei nicht aggressiv. Nachts bestünden Durchschlafstörungen. Bei der Körperpflege sei der Zeitbedarf mit 97 Minuten einzuschätzen, bei der Ernährung mit 40 und bei der Mobilität mit 34 Minuten. Auf dem Weg zur Toilette müsse sie begleitet werden, dies gelte auch nachts. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. April 2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, da die Voraussetzungen für die Einstufung in die Pflegestufe III noch nicht gegeben seien. Mit einem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 171 Minuten pro Tag werde die Grenze von 240 Minuten nicht erreicht. Zusätzlicher Hilfebedarf bei der Medikamentengabe sei nicht im Bereich der Grundpflege, sondern bei der Behandlungspflege zu berücksichtigen. Dies gelte auch für Maßnahmen zur Schmerzlinderung oder Durchblutungsförderung wie beispielsweise gymnastischen Übungen, Gedächtnistraining usw. Die wegen der Hirnleistungsschwäche erforderliche allgemeine Beaufsichtigung sei nach der Rechtsprechung ebenfalls nicht bei der Grundpflege zu berücksichtigen. Dagegen wendete sich die dabei anwaltlich vertretene Versicherte mit der am 30. Mai 2005 beim Sozialgericht Dessau (SG) erhobenen Klage (Az. S 3 P 26/05), mit der sie Pflegegeld nach der Pflegestufe III für die Zeit vom 12. Juli 2004 bis 10. Juli 2005 begehrt hatte, aber erfolglos geblieben ist (Urteil vom 15. November 2005). Das Berufungsverfahren blieb ebenfalls ohne Erfolg (L 4 P 32/05, Urteil vom 21. Dezember 2010).

Noch während des laufenden Klageverfahrens S 3 P 26/05 stellte die Versicherte am 11. Juli 2005 einen weiteren, als "Höherstufungsantrag" bezeichneten Antrag auf Leistungen nach der Pflegestufe III. Im Gutachten vom 22. September 2005 kam die Beauftragte des MDK (Pflegefachkraft S. K.) zu der Einschätzung eines Zeitbedarfs in der Grundpflege von 141 Minuten (Körperpflege 75, Ernährung 38, Mobilität 28). Ein nächtlicher Grundpflegebedarf bestehe nicht. Daraufhin lehnte die Beklagte den Höherstufungsantrag mit Bescheid vom 28. September 2005 ab. Nachdem die dabei anwaltlich vertretene Versicherte dagegen am 27. Oktober Widerspruch eingelegt hatte, veranlasste die Beklagte eine weitere Begutachtung durch den MDK, die von der Ärztin Dipl.-Med. S. am 1. Dezember 2005 nach Hausbesuch vom 23. November 2005 durchgeführt wurde. Die Gutachterin schätzte den Grundpflegebedarf auf 148 Minuten pro Tag ein (Körperpflege 83, Ernährung 38, Mobilität 27) und verneinte einen nächtlichen Grundpflegebedarf. Zu den Fähigkeitsstörungen der Versicherten führte die Sachverständige aus, diese sei örtlich und zeitlich nicht orientiert, habe ein stark eingeschränktes Kurzzeitgedächtnis, könne Risiken nicht einschätzen, sei nicht in der Lage, den Tagesablauf selbständig zu planen und müsse mehrfach zur Vornahme bestimmter Handlungen aufgefordert werden. An Ressourcen benannte die Ärztin fehlende Lähmungen, kein aggressives Verhalten, positive Reaktion auf mehrfach wiederholte Aufforderungen zu bestimmten Handlungen. Allerdings sei die ständige Anwesenheit und Kontrolle der Pflegeperson erforderlich. Eine nächtliche Unruhe oder Verwirrtheit bzw. eine Zunahme inadäquater Verhaltensweisen zu diesen Zeiten bestehe nicht. Auch sei der Tag-/Nachtrhythmus nicht aufgehoben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, weil bei einem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 148 Minuten pro Tag der nach dem Pflegeversicherungsgesetz erforderliche zeitliche Umfang der notwendigen Hilfeleistungen von mindestens 240 Minuten am Tag nicht erreicht werde. Die Voraussetzungen für die Pflegestufe III seien nicht gegeben. Hiergegen hat die Versicherte am 16. März 2006 beim Sozialgericht Dessau Klage erheben und vortragen lassen, sie sei aufgrund ihrer körperlichen und seelischen Erkrankungen nicht mehr in der Lage, den Ablauf des täglichen Lebens allein zu bewältigen. Seit dem 18. Februar 2005 sei bei ihr aufgrund der Funktionsminderungen der Wirbelsäule und Gelenke, der Durchblutungsstörung, Herzleistungsminderung, Krampfaderbeschwerden und Funktionsstörungen des Ellenbogens und Karpaltunnelsyndrom ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 anerkannt. Daneben seien die Merkzeichen "G", "B", "aG", "H" und "RF" festgestellt worden. Sie habe im Jahre 2002 einen Herzinfarkt erlitten, es sei eine Hüft-TEP eingesetzt worden und es bestehe ein Zustand nach Oberschenkelfraktur infolge eines Sturzes. Daneben leide sie unter zunehmenden psychischen und physischen Defiziten. Der Pflegebedarf in der Grundpflege betrage weit mehr als vier Stunden am Tag, nämlich mindestens 343 Minuten. Die bestehende Inkontinenz werde durch die starken Medikamente und deren harntreibende Wirkung noch verstärkt, was zu vermehrtem Wasserlassen führe. Zu beanstanden sei auch, dass das von der Beklagten eingeholten Gutachten des MDK vom 23. November 2005 erheblich von den gerichtlichen Gutachten im Verfahren S 3 P 26/05 abweiche, das einen Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege von 212 Minuten ausgewiesen habe. Da sich der Gesundheitszustand nach dem gerichtlichen Gutachten vom 21. August 2005 weiter verschlechtert habe, sei es nicht nachvollziehbar, wie die Beklagte zu einem Hilfebedarf in der Grundpflege von nur 148 Minuten gekommen sei.

Das Sozialgericht hat zunächst den Befundbericht vom Facharzt für Allgemeinmedizin W. vom 22. Mai 2006 nebst weiteren Unterlagen eingeholt, worin dieser berichtet hat, es sei am 30. Juni 2002 zu einer Synkope (Ohnmacht) gekommen, in deren Folge sich der körperliche und psychische Zustand der Versicherten allmählich verschlechtert habe. Sie sei zeitlich und örtlich desorientiert und in beiden Beinen teilweise gelähmt. Außerdem bestehe eine dauernde Blasen- und gelegentliche Darminkontinenz. Sodann hat das Sozialgericht von der examinierten Altenpflegerin S. das Pflegegutachten vom 14. Juli 2006 (Bl. 81 ff.) erstatten lassen. Nach Durchführung eines Hausbesuches am selben Tag ist die Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt, es bestehe in der Grundpflege ein Zeitbedarf von 202 Minuten am Tag und in der hauswirtschaftlichen Versorgung von 80 Minuten. Bei der Körperpflege belaufe sich der Zeitbedarf auf 90 Minuten für Ganzkörper- und Teilwäschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Wasserlassen, Stuhlgang einschl. Richten der Bekleidung, Wechseln kleiner Vorlagen. Ein Zeitbedarf für Wechseln von Inkontinenzmaterial wird im Gutachten nicht angegeben. Die entsprechenden Verrichtungen müssten teilweise voll übernommen werden, beim Waschen und Baden reiche eine teilweise Übernahme aus. Die Toilettengänge erfolgten neunmal am Tag zu bestimmten Zeiten zwischen 7 und 21:30 Uhr. Bei der Ernährung betrage der Zeitbedarf 43 Minuten, da Hilfe beim mundgerechten Zubereiten und bei der Nahrungsaufnahme notwendig sei. Die Speisen würden vom Sohn gereicht werden, gelegentlich greife die Versicherte auch selbst zu. Im Bereich der Mobilität müssten 69 Minuten am Tag aufgewendet werden, da das An- und Auskleiden vom Sohn fast vollständig übernommen werde. Beim Gehen begleite er sie auf die Toilette, zu Tisch, um die Mahlzeiten einzunehmen und zur Schlafstätte. Er übernehme auch vollständig die hauswirtschaftliche Versorgung. Zwischen 22 und 6 Uhr sei kein Hilfebedarf notwendig, da die Versicherte von 22 bis 7 Uhr schlafe und keine Hilfe benötige.

In ihrer Stellungnahme zu dem Gutachten haben die Prozessbevollmächtigen der Versicherten ausgeführt, der Gesundheitszustand der Versicherten habe sich seit dem auf einen Grundpflegebedarf von 212 Minuten lautenden Gutachten vom 21. August 2005 (Gutachten B. U. im Verfahren L 4 P 32/05) weiter verschlechtert, sodass jetzt nicht von nur 202 Minuten ausgegangen werden könne. Bestimmte pflegeerschwerende Umstände, wie Schluckbeschwerden und die Einschränkung des rechten Armes seien bei der Bemessung der Pflegezeiten nicht berücksichtigt worden. Deshalb sei von einem Pflegebedarf in der Grundpflege von mindestens 272 Minuten auszugehen. Hierzu hat die Sachverstände S. in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 18. August 2006 ausgeführt, bei der Versicherten seien keine pflegeerschwerenden Faktoren gegeben. Lediglich die räumlichen Verhältnisse, d. h. die Wegstrecke zu den sanitären Einrichtungen, seien als leichter Erschwernisfaktor beim Punkt "Gehen" entsprechend berücksichtigt worden. Die Zeitkorridore des MDK seien Richtwerte und keine verbindlichen Vorgaben. Im Gutachten sei der erforderliche Zeitaufwand begründet worden.

Demgegenüber haben die Prozessbevollmächtigten der Versicherten an ihrer Auffassung festgehalten und mit Schreiben vom 16. August 2006 den Zeitbedarf in der Grundpflege mit 288 Minuten beziffert. Ferner haben sie geltend gemacht, die Demenzerkrankung der Versicherten sei als pflegeerschwerender Faktor zu werten, da diese mit Abwehrverhalten bzw. fehlender Kooperation die Übernahme der Verrichtungen durch die Pflegeperson erschwere. Zu Schluckbeschwerden komme es wegen der lockeren Zahnprothese, wodurch das Essen von Obst und Gemüse sowie generell von festen Nahrungsmitteln erschwert sei. Waschvorgänge müssten wegen der Demenz spielerisch und mit Pausen gestaltet werden, in denen beruhigend auf sie eingesprochen werde. Nach den Begutachtungsrichtlinien müsse der Zeitaufwand für Beaufsichtigung und Anleitung bei den einzelnen Verrichtungen in jedem Einzelfall individuell erhoben und bewertet werden. Daher sei bei der Pflegezeitbemessung die gesamte Zeit zu berücksichtigen, die für die Erledigung der Verrichtung benötigt wird. Entferne sich ein unruhiger demenzkranker Mensch beim Waschen aus dem Badezimmer, so sei auch die benötigte Zeit für ein beruhigendes Gespräch, das die Fortsetzung der Wäsche ermöglicht, zu berücksichtigen. Solche Vorgänge spielten sich beim Waschen und Baden ab, sodass für Teilwäschen und Baden anteilig je 8 Minuten pro Tag zusätzlich zu berücksichtigen seien. Beim Wasserlassen müsse die Versicherte teilweise animiert werden, was die Toilettengänge in die Länge ziehe, die dann bis zu 10 Minuten dauerten. Insgesamt seien daher mindestens 272 Minuten für die Grundpflege zu berücksichtigen.

Die Sachverständige hat in einer nochmaligen Stellungnahme vom 10. Oktober 2006 zu diesen Ausführungen erwidert, dass der Sohn beim Hausbesuch angegeben habe, seine Mutter sei gelegentlich gereizt und er müsse dann beruhigend auf sie einwirken. Sie, die Sachverständige, habe aber keine Anhaltspunkte für ein Ausweichen oder Sich-Entfernen der Versicherten vom Ort der Pflegeverrichtung festgestellt. Bei der Ernährung sei der Pflegebedarf um 5 auf 40 Minuten anzuheben, da den Schilderungen der Prozessbevollmächtigten ein höherer Aufwand zu entnehmen sei und der Sohn sich bei der Befragung während des Hausbesuches offenbar missverständlich ausgedrückt habe. Auch bei der Ganzkörperwäsche sei unter Berücksichtigung einer spielerischen Anleitung von 25 statt 20 Minuten auszugehen. Weitere 4 zusätzliche Minuten seien für das Waschen von Beinen und Füßen anzusetzen, das der Sohn beim Hausbesuch noch nicht angegeben habe. Insgesamt erhöhe sich der Pflegebedarf unter Berücksichtigung der von den Prozessbevollmächtigen nachträglich geäußerten Bedenken um 23 auf 225 Minuten (Ganzkörperwäsche 5, Baden 5, Teilwäsche Unterkörper 4, Hilfe zur Nahrungsaufnahme 3, Wechsel kleiner Vorlagen 6).

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 16. April 2007 abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt: Die auf Leistungen nach der Pflegestufe III ab Juli 2005 gerichtete Klage scheitere daran, dass die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI nicht erfüllt seien. Danach müsse der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Person für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötige, wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe III mindestens fünf Stunden (300 Minuten) betragen, wobei auf die Grundpflege mindestens vier Stunden (240 Minuten) entfallen müssten. Unter Berücksichtigung der Vorgaben der Vorschriften der gesetzlichen Pflegeversicherung bedingten die bei der Versicherten vorhandenen funktionellen Ausfälle aufgrund der bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen nicht die Pflegestufe III. Diese Feststellung beruhe auf den im Verwaltungsverfahren eingeholten MDK-Gutachten sowie auf dem im Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten der Frau S. vom 18. August 2005. Alle bisher gehörten Gutachter hätten keinen täglichen Pflegebedarf von 240 Minuten im Bereich der Grundpflege pro Tag festgestellt. Trotz der gesundheitlichen Verschlechterung sei der tägliche Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege mit weniger als 240 Minuten einzuschätzen. Die Voraussetzungen für die Pflegestufe III würden damit derzeit nicht erreicht.

Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 18. April 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Versicherte rechtzeitig am 18. Mai 2007 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung einlegen und vortragen lassen, der Pflegezeitaufwand sei auf mehr als 240 Minuten zu erhöhen, da in der fortschreitenden Altersdemenz ein pflegeerhöhender Umstand gegeben sei. Es komme zu Abwehrverhalten und mangelnder Kooperation mit Behinderung der Pflege. Daneben sei das An- und Auskleiden durch die eingeschränkte Rumpfbeweglichkeit erschwert. Auch bei der Teilwäsche des Oberkörpers müsse spielerisch mit Pausen vorgegangen werden, sodass ein höherer Zeitaufwand auch hier und nicht nur beim Baden berücksichtigt werden müsse. Der Gerichtsbescheid sei daher aufzuheben und die Pflegestufe III ab Antragstellung anzuerkennen.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau vom 16. April 2007 sowie den Bescheid vom 28. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2006 aufzuheben, den Bescheid vom 20. August 2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm als Rechtsnachfolger der Versicherten Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III antragsgemäß vom 11. Juli 2005 bis 30. September 2007 unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen nachzuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält ihre Bescheide und den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid für zutreffend. Ergänzend macht sie geltend, den medizinischen Befundberichten sei kein konkreter Pflegebedarf zu entnehmen, zumal die Versicherte in jeweils relativ stabilem Gesundheitszustand aus dem Krankenhaus entlassen worden sei. Den Eintragungen im Pflegetagebuch sei nicht zu folgen, da sie mehrfach die Grenzwerte überschritten.

Auf Veranlassung des vormaligen Berichterstatters haben die Prozessbevollmächtigen der Versicherten mit Schreiben vom 29. April 2008 das vom Kläger für die Versicherte geführte Pflegetagebuch mit Eintragungen vom 6. bis 12. Februar 2008 vorgelegt. Ferner haben sie den bereits im Verfahren L 7 P 32/05 beigezogenen Entlassungsbericht der Klinik B. vom 25. September 2007 über den stationären Aufenthalt der Versicherten vom 10. bis 17. Oktober 2007 vorgelegt. In diesem an Herrn W. gerichteten Bericht wird ausgeführt, dass die Einweisung der Patientin über den Hausarzt aufgrund einer seit vier Wochen auffälligen Verschlechterung des Allgemeinzustandes und insbesondere wegen kognitiver Defizite erfolgt sei. Seit einem vor vier Wochen erlittenen fieberhaften Infekt sei sie zunehmend apathisch, reagiere nicht richtig auf Ansprache und esse weniger. Sie sei urin- und stuhlinkontinent, habe im Rollstuhl mobilisiert und in stabilem Zustand entlassen werden können. Des Weiteren haben die Prozessbevollmächtigen den Entlassungsbericht der P. G. Stiftung vom 20. Dezember 2007 über den stationären Aufenthalt der Versicherten vom 6. bis 20. Dezember 2007 und den weiteren Entlassungsbericht derselben Einrichtung vom 19. Februar 2008 über den Aufenthalt vom 12. bis 19. Februar 2008 vorgelegt.

Am 25. Oktober 2007 hat der Kläger für die Versicherte einen (weiteren) Höherstufungsantrag gestellt und die entsprechende Geldleistung beantragt. Der von der Beklagten beauftragte MDK teilte am 18. April 2008 zunächst mit, dass wegen des Krankenhausaufenthaltes der Versicherten bisher kein Hausbesuch möglich gewesen sei. Sodann kam der MDK im Gutachten vom 1. Juni 2008 durch die Pflegefachkraft K. nach einem Hausbesuch vom 22. Mai 2008 zu dem Ergebnis, die Pflegestufe III sei seit April 2008 erreicht. Der Zeitaufwand betrage in der Grundpflege 243 Minuten, wovon 91 Minuten auf die Körperpflege, 108 auf die Ernährung und 44 Minuten auf die Mobilität entfielen. Die Versicherte erhalte alle drei Monate und bei Bedarf einen Hausbesuch des Hausarztes und werde vom Sohn einmal im Jahr zum Internisten gefahren. Sie lebe mit dem Sohn zusammen im Erdgeschoss des Einfamilienhauses. Der Höherstufungsantrag sei wegen zunehmender Verwirrtheit gestellt worden. Zuletzt hätten im Oktober, November und Dezember 2007 sowie im Februar 2008 stationäre Krankenhausaufenthalte wegen Verwirrtheit, körperlicher Schwäche und einer Lungenembolie stattgefunden. Sie sei am Besuchstag in Tageskleidung im Rollstuhl sitzend angetroffen worden, habe keine Angaben machen können, sondern in die Gegend geschaut und gelächelt. Ihr Allgemeinzustand sei mäßig, der Pflegezustand gut gewesen. Zu den Schädigungen, Beeinträchtigungen der Aktivitäten und Ressourcen hat die Pflegefachkraft K. angegeben, die Versicherte könne sich im Bett nicht mehr selbständig, sondern nur mit personeller Unterstützung drehen. Dies gelte auch für Positionswechsel aus liegender und sitzender Position. Die Sitzstabilität sei gegeben, freies Stehen nicht mehr möglich, ebenso kein Gehen. Es bestehe eine komplett mit Windeln versorgte Harn- und Stuhlinkontinenz. Sie habe keinerlei Aufforderungen der Gutachterin befolgt, den Becher zum Trinken nicht in Hand genommen und diesen auch nicht zum Mund geführt, als er ihr in die Hand gegeben wurde. Bei der Körperpflege erfolge morgens eine Ganzkörperwäsche im Liegen mit Schüssel am Bett, abends eine kleine Körperpflege. Die Versicherte befolge keine Aufforderungen, weshalb die Verrichtungen vom Sohn vollständig übernommen werden müssten. Bei der Ernährung sei die Nahrung mundgerecht zuzubereiten und die Versicherte mit viel Motivation zu füttern. Bei der Mobilität müssten alle Transfers ohne Eigenaktivität der Versicherten durchgeführt werden. Es bestehe nächtlicher Pflegebedarf, da Inkontinenzmittel gewechselt und Getränke angeboten werden müssten.

Die Beklagte gelangte nach Auswertung des MDK-Gutachtens am 20. August 2008 zu der Überzeugung, die Höherstufung sei ab Oktober 2007 zu bewilligen, da die Versicherte seit Oktober 2007 häufiger im Krankenhaus gewesen sei. Mit Bescheid vom 20. August 2008 hat die Beklagte der Versicherten Pflegegeld nach der Pflegestufe III in Höhe von 665 EUR ab Oktober 2007 und 675 EUR ab 1. Juli 2008 bewilligt.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat durfte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).

Der Kläger ist als Sonderrechtsnachfolger gemäß § 56 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) berechtigt, die fälligen Ansprüche der verstorbenen Versicherten auf Pflegegeld als laufende Geldleistungen im eigenen Namen geltend zu machen, da er im streitigen Zeitraum mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat.

Die zulässige Berufung ist auch zum Teil begründet. Bei der noch von der Versicherten erhobenen Klage handelt es sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SGG. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 28. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2006 ist nur teilweise rechtmäßig und beschwert den Kläger daher im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, weil er einen Anspruch als Rechtsnachfolger auf Pflegegeld nach der Pflegestufe III für September 2007 hat. Insoweit war auch der Bewilligungsbescheid vom 20. August 2008 zu korrigieren, der diese Leistung erst ab Oktober 2007 zuerkannt hat.

Streitbefangen ist im vorliegenden Verfahren nur der Zeitraum vom 11. Juli 2005 bis 30. September 2007, nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 20. August 2008 rückwirkend Leistungen nach der begehrten Pflegestufe III ab Oktober 2007 bewilligt hat. Prozessual steht seit dem Erörterungstermin vom 1. Juli 2009 fest, dass der Kläger diese Bewilligung als Teilanerkenntnis angenommen hat, sodass jetzt nur noch der o. g. Zeitraum umstritten ist.

Entgegen der Ansicht der Beklagten lagen die Voraussetzungen für die Pflegestufe III nicht erst seit Oktober, sondern bereits seit September 2007 vor.

Der Anspruch auf Pflegegeld beruht auf § 37 Abs. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI) in Verbindung mit §§ 14, 15 SGB XI. Voraussetzung ist, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter Weise selbst sicherstellt. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen oder regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße (§ 15) der Hilfe bedürfen. Die pflegebedürftigen Personen werden nach § 15 Abs. 1 SGB XI für die Gewährung von Leistungen einer von drei Pflegestufen zugeordnet. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind danach Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Dabei muss der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens drei Stunden betragen, wobei auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen müssen.

Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Für diese Pflegestufe muss der oben beschriebene für die Pflege benötigte Zeitaufwand mindestens fünf Stunden (300 Minuten) betragen, wobei auf die Grundpflege mindestens vier Stunden (240 Minuten) entfallen müssen (§ 15 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI).

Die Voraussetzungen der Pflegestufe III haben bereits im September 2007 vorgelegen. Denn die Versicherte hat sich seit 10. Oktober 2007 zur stationären Behandlung in der Klinik B. W. befunden, nachdem sich ihr Zustand nach den Angaben ihres behandelnden Arztes W. seit vier Wochen auffällig verschlechtert hatte, insbesondere hinsichtlich der bereits seit längerem bestehenden kognitiven Defizite. Aufgrund der eingetretenen Verschlechterung ist anzunehmen, dass (spätestens) im September 2007 der Hilfebedarf in der Grundpflege die erforderliche Grenze von "mindestens vier Stunden", also 240 Minuten, erreicht und überschritten hat. Nach dem gerichtlichen Gutachten der Sachverständigen S. vom 14. Juli 2006 und ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 10. Oktober 2006 lag der Grundpflegebedarf bereits zum Zeitpunkt des Hausbesuchs am 14. Juli 2006 bei 225 Minuten und hatte daher die Vier-Stunden-Schwelle fast erreicht. An der Richtigkeit dieser Feststellung ist nicht zu zweifeln, denn die Sachverständige hat sich zum einen an die Orientierungswerte zur Pflegezeitbemessung gehalten und zum anderen den im Sinne des SGB XI nicht regelmäßig anfallenden Pflegebedarf wie Frisör- und Arztbesuche nicht berücksichtigt. Auch die Beklagte ist dieser Einschätzung nicht entgegen getreten, sodass der Pflegebedarf in der Grundpflege im Juli 2006 bei (mindestens) 225 Minuten am Tag gelegen hat. Die Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes hat mit Sicherheit zu einem erhöhten Pflegebedarf geführt, da die bisher noch vorhandenen Ressourcen der Versicherten bei der Körperpflege, Nahrungsaufnahme und Mobilität weiter zurück gegangen sind und ihr Zustand ab Oktober 2007 zu mehreren Krankenhausaufenthalten geführt hat, ohne sich danach nennenswert gebessert zu haben. Unter Berücksichtigung der früheren Begutachtungen, insbesondere der vom 14. Juli 2006 und vom 22. Mai 2008 (MDK-Gutachten der Pflegefachkraft K.), ist daher anzunehmen, dass der gestiegene Pflegebedarf ab September 2007 die erforderliche Grenze von mindestens 240 Minuten am Tag erreicht hatte. Es steht fest, dass zu dem gestiegenen Pflegebedarf in der Grundpflege während der Tagesstunden ein nächtlicher Pflegebedarf hinzu gekommen ist, sodass die Pflege der Versicherten auch im Sinne von § 15 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI rund um die Uhr geleistet werden musste. Auch wenn der nächtliche Pflegebedarf für den Zeitraum ab September 2007 nicht ausdrücklich festgestellt worden ist, ergibt sich aus der Gesamtschau der relevanten Sachverhaltsumstände, dass die weitgehend harn- und stuhlinkontinente Versicherte sich spätestens zu dieser Zeit nicht mehr selbst helfen und den Toilettenstuhl aufsuchen konnte. Dann aber war sie wegen ihrer Inkontinenz auch nachts objektiv auf Hilfe angewiesen. Vor diesem Hintergrund der verschlechterten gesundheitlichen Verhältnisse der Versicherten konnte es der Senat letztlich offen lassen, ob auf der Grundlage des Gutachtens der gerichtlichen Sachverständigen S. vom 14. Juli 2006 durch Berücksichtigung weiterer Pflegezeiten und des nächtlichen Pflegebedarfs das Überschreiten der Grenze von 240 Minuten zu bestimmen ist oder ob dem Gutachten der Pflegefachkraft K., das der Senat im Wege des Urkundenbeweises (§ 202 SGG i. V. mit 415 Abs. 1 Zivilprozessordnung – ZPO) verwertet hat, insgesamt auch für September 2007 zu folgen ist. Denn beide Alternativen führen zweifelsfrei zur Annahme eines Pflegebedarfs von mindestens 240 Minuten in der Grundpflege. Hinzu kommt der Zeitaufwand für die hauswirtschaftliche Versorgung von deutlich mehr als einer Stunde, sodass ab September 2007 die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI insgesamt erfüllt sind.

Entgegen dem Vorbringen des Klägers waren die Voraussetzungen für die Pflegestufe III nicht zu einem noch früheren Zeitpunkt erfüllt. Für die Zeit vor September 2007 scheitert der Anspruch bereits am fehlenden nächtlichen Pflegebedarf. Das gesetzliche Tatbestandsmerkmal eines Hilfebedarfs "täglich rund um die Uhr, auch nachts" (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 SGB XI) ist daher nicht erfüllt, sodass die Pflegestufe III schon aus diesem Grund von der Beklagten nicht zu bewilligen war. Eine Hilfeleistung findet im Sinne dieser Vorschrift nachts statt, wenn sie zwischen 22:00 Uhr abends und 6:00 Uhr morgens objektiv erforderlich ist (BSG, Urt. vom 18. 3. 1999, B 3 P 3/98 R, SozR 3-3300 § 15 SGB XI Nr. 5 Leitsatz; vgl. auch zum nächtlichen Pflegebedarf bei Personen, die wegen Harndrangs nachts auf den Toilettenstuhl gesetzt werden müssen und dabei nicht auf das Tragen von Windeln oder einem Blasenkatheder verwiesen werden dürfen, BSG, Urt. vom 21. 8. 2000, B 3 P 14/99 R, zitiert nach juris). Nächtliche Hilfeleistungen waren im streitigen Zeitraum vom 11. Juli 2005 bis August 2007 aber objektiv nicht erforderlich, wie die Pflegesachverständige S. im Gutachten vom 14. Juli 2006 ausgeführt hat (zwischen 22 und 6 Uhr sei kein Hilfebedarf notwendig, da die Versicherte von 22 bis 7 Uhr schlafe und keine Hilfe benötige). Angesichts dieser Feststellung, die vom anwaltlich beratenen Kläger nie angezweifelt oder bestritten wurde, sind die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI für den genannten Zeitraum, ausgenommen den Monat September 2007, schon wegen des fehlenden nächtlichen Pflegebedarfs nicht erfüllt, ohne dass es auf die vom Kläger stets problematisierte genaue Minutenzahl im Bereich der Grundpflege noch entscheidend ankäme.

Bei der Kostenentscheidung nach § 193 SGG war zu berücksichtigen, dass der Kläger im Berufungsverfahren weitgehend obsiegt hat. Denn im Ergebnis hat die am 18. Mai 2007 erhobene Berufung zu einem (rückwirkend festgestellten) Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe III ab September 2007 geführt, was es rechtfertigt, die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens weitgehend der Beklagte aufzuerlegen, die des Klageverfahrens aber beim Kläger zu belassen.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved