L 7 AS 534/11 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 AS 7/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 534/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 1. Februar 2011 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die am 7. Februar 2011 beim Landessozialgericht (LSG) eingegangene Beschwerde ist zwar gem. § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist jedoch nicht statthaft und daher unzulässig.

Gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG in der ab 1. April 2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444) ist die Beschwerde ausgeschlossen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist die Berufung nicht statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, EUR 750,00 nicht übersteigt; dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (Satz 2 a.a.O.).

Der Geldbetrag, um den im vor dem Sozialgericht (SG) eingeleiteten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gestritten wurde, hat die Beschwerdesumme von mehr als EUR 750,00 von vornherein nicht erreicht. Mit dem am 30. Dezember 2010 bei SG eingegangenen Antragsschreiben begehrte der Antragsteller die "Feststellung der aufschiebenden Wirkung gegen den Bescheid vom 23.12.2010". Mit diesem Änderungsbescheid setzte die Antragsgegnerin die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Antragsteller und seine mit ihm in Bedarfsgemeinschaft stehende Ehefrau für den Monat Januar 2011 auf insgesamt EUR 755,90 herab (jeweils EUR 323,00 Regelleistung sowie EUR 54,95 Kosten der Unterkunft und Heizung). Mit Bescheid vom 19. November 2010, dem Antragsteller offenbar bekanntgegeben am 9. Dezember 2010, hatte sie zuvor bereits für den Bewilligungszeitraum vom 1. Dezember 2010 bis 31. Januar 2011 Leistungen i.H.v. monatlich insgesamt EUR 1.215,36 bewilligt (jeweils Regelleistung EUR 323,00 sowie EUR 284,68). Die Beschwer durch den Änderungsbescheid, dessen Vollzug allein Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vor dem SG war, beschränkte sich somit für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft auf EUR 229,73, für beide zusammen auf EUR 459,46. Schon die Beschwer durch die Verwaltungsentscheidung der Antragsgegnerin übersteigt somit weder für den Individualanspruch des einzelnen Hilfebedürftigen noch in der Summe den Beschwerdewert von EUR 750,00. Darüber hinaus ist die Beschwer im Beschwerdeverfahren nochmals geringer, da das SG im angefochtenen Beschluss dem Antrag des Antragstellers teilweise stattgegeben hat. Nach dem Tenor des Beschlusses vom 1. Februar 2011 wurde die aufschiebende Wirkung angeordnet, "soweit die Bewilligung vom 09.12.2010 um mehr als 345,29 EUR aufgehoben worden ist". Auch wenn hier keine Zuordnung zum jeweiligen Individualanspruch der Hilfebedürftigen vorgenommen wurde, ist erkennbar, dass die Beschwer der beiden Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft insgesamt nur EUR 345,29 beträgt. Da somit auch unter Berücksichtigung der Beschwer der Ehefrau des Antragstellers und damit der Bedarfsgemeinschaft in der Summe der Beschwerdewert nicht überschritten wird, bedurfte es keiner Einbeziehung der Ehefrau in das vorliegende Beschwerdeverfahren im Rahmen des Meistbegünstigungsprinzips. Die Beschwerde bliebe auch dann unstatthaft, da der Beschwerdewert des § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht erreicht wird.

Eine Zulassung der Beschwerde durch das LSG, wie vom Antragsteller i.S.e. Nichtzulassungsbeschwerde beantragt, ist nicht möglich. Nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ist die Beschwerde ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Abzustellen ist allein auf den Gegenstand und die Beschwer im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, nicht auf den eines ggf. schon anhängigen Hauptsacheverfahrens. Maßgeblich ist, dass der Beschwerdewert im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wäre es ein Hauptsacheverfahren, die Grenzen des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG übersteigt oder die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG erfüllt. Entscheidend ist danach allein das Nichterreichen der Beschwerdewertgrenze. Auf die Zulassungsgründe des § 144 Abs. 2 SGG kommt es nicht an. Bereits der Wortlaut des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG spricht gegen die Einbeziehung der Zulassungsmöglichkeit bei Nichterreichen der Beschwerdewertgrenze. Die Ausschlussregelung stellt darauf ab, ob die Beschwerde, hypothetisch als Berufung betrachtet, "zulässig", aber nicht "zuzulassen" wäre. Allein das Vorliegen eines der Zulassungsgründe des § 144 Abs. 2 SGG genügt für die Zulässigkeit (Statthaftigkeit) der Berufung unterhalb der Beschwerdewertgrenze nicht; erst durch die Zulassung wird sie "zulässig". Ein Verweis auf das Zulassungsverfahren, insbesondere auf die Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 145 SGG, ist in der gesetzlichen Regelung nicht erfolgt. Das System der Zulassung ist auch nicht mit dem Wesen des einstweiligen Rechtsschutzes zu vereinbaren. Der Vorschaltung einer Zulassungsentscheidung steht bereits die für den einstweiligen Rechtsschutz gerade typische Eilbedürftigkeit entgegen. Des Weiteren können die Zulassungsgründe des § 144 Abs. 2 SGG nach ihrer Zweckrichtung nicht auf den einstweiligen Rechtsschutz übertragen werden. Nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Dem Wesen des einstweiligen Rechtsschutzes entsprechend ist Gegenstand des Verfahrens immer nur der Anspruch auf die Regelung nur eines vorläufigen Zustandes bis zur Entscheidung in der Hauptsache. Maßgeblich ist eine Interessenabwägung im konkreten Einzelfall (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 9. Aufl., § 86b Rdnrn. 12e, 27; Hk-SGG, 3. Aufl., § 86b Rdnrn. 15, 35, 45). Die materielle Rechtslage ist nur ein in diese komplexe Interessenabwägung einzustellender Umstand. Selbst wenn also einer Rechtsfrage, die in diesem Rahmen aufgeworfen ist, in einem Hauptsacheverfahren grundsätzliche Bedeutung zukäme, ist sie im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes in eine individuelle Interessenabwägung eingebettet, kann also nie allein tragender Grund für die Entscheidung sein. Die maßgebliche Orientierung an den Umständen des konkreten Einzelfalles steht somit - ebenso wie die Vorläufigkeit des geregelten Zustandes - einer grundsätzlichen Bedeutung per se entgegen. Dies gilt ebenso für den Zulassungsgrund der Divergenz nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG. Die damit bezweckte Vereinheitlichung der Rechtsprechung ist durch die individuelle Interessenabwägung und die Vorläufigkeit nicht betroffen. Im Übrigen kann eine einheitliche Rechtsprechung im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes schon deshalb nicht erreicht werden, weil das BSG in diesem Instanzenzug ohnehin nie erreicht werden kann. Dem Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG) kommt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren wegen der Möglichkeit der Abänderung von Beschlüssen durch das SG gem. § 86b Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 927 der Zivilprozessordnung sowie der Anhörungsrüge nach § 178a SGG keine wesentliche Bedeutung zu. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber in § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG die Zulassungsmöglichkeit nach §§ 144 Abs. 2, 145 SGG einbeziehen wollte (vgl. Senatsbeschluss vom 15. April 2010 - L 7 SO 1227/10 ER-B -; wie hier LSG Hessen, Beschluss vom 12. Januar 2009 - L 7 AS 421/08 B ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. März 2009 - L 5 AS 149/09 B ER -; LSG Hamburg, Beschluss vom 16. Januar 2009 - L 5 B 1136/08 ER AS; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29. September 2008 - L 8 SO 80/08 ER -; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 6. November 2008 - L 11 B 526/08 AS ER -; LSG Sachsen, Beschluss vom 3. Dezember 2008 - L 7 B 683/08 AS ER - (alle juris); a.A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21. Oktober 2008 - L 6 AS 458/08 ER - (info also 2009, 31)).

Die Beschränkung der Beschwerdemöglichkeit durch § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28. September 2009 - 1 BvR 1943/09 - (juris)). Das Grundgesetz garantiert grundsätzlich keinen Instanzenzug. Dem Gesetzgeber ist es auch nicht verwehrt, ein bisher statthaftes Rechtsmittel abzuschaffen oder den Zugang zu einem Rechtsmittel einzuschränken.

Die Beschwerde des Antragstellers war daher mangels Zulässigkeit zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved