L 10 R 4688/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 228/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 4688/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 25.08.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1 zusteht.

Der am 1963 geborene Kläger bezieht seit 01.01.2006 Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Beklagte gewährte diese Rente mit Bescheid vom 24.05.2006 zunächst auf Zeit bis 31.01.2008 und auf den Weiterzahlungsantrag des Klägers sodann auf Dauer (Bescheid vom 28.08.2007). Der Rentenberechnung lag im Hinblick auf § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (EM-ReformG; BGBl. I S. 1827) jeweils ein auf 0,892 geminderter Zugangsfaktor zugrunde. Nach dieser Regelung war der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wurde, um 0,003 niedriger als 1,0. Im Falle des Beginns einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres war für die Bestimmung des Zugangsfaktors die Vollendung des 60. Lebensjahres maßgebend (Satz 2) und die Zeit des Bezugs einer Rente vor diesem Zeitpunkt galt nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme (Satz 3).

Nachdem ein erster Zugunstenantrag des Klägers gemäß § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) erfolglos geblieben war (Bescheid vom 27.09.2007, Widerspruchsbescheid vom 14.01.2008), beantragte der Kläger im Juni 2008 sinngemäß erneut höhere Rente unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1.

Mit Bescheid vom 12.09.2008 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, die Rente sei zu Recht unter Anwendung eines gekürzten Zugangsfaktors berechnet worden. § 77 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB VI rechtfertige keine andere Beurteilung. Soweit das Bundessozialgericht (BSG) in der Entscheidung vom 16.05.2006 (B 4 RA 22/05 R in SozR 4-2600 § 77 Nr. 3) Gegenteiliges entschieden habe, sei dieser Auffassung nicht zu folgen. Der dagegen eingelegte Widerspruch des Klägers wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.2009 mit der Begründung zurückgewiesen, ihrer Auffassung nach sei § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI so zu interpretieren, dass diese Vorschrift die Höhe des Abschlags bei Erwerbsminderungsrenten, die vor Vollendung des 60. Lebensjahres geleistet werden, auf die Abschlagshöhe begrenze, die für den Zeitpunkt der Vollendung des 60. Lebensjahres gelte. Für Erwerbsminderungsrenten, die vor Vollendung des 60. Lebensjahres geleistet werden, sei der Zugangsfaktor daher um 10,8 % zu mindern. Die Abschläge bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit seien durch das EM-ReformG mit einer Übergangszeit vom 01.01.2001 bis 31.12.2003 eingeführt worden, wobei mit diesem Gesetz auch die Höhe der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit an die der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten angeglichen worden seien. Dadurch sollten Ausweichreaktionen von Versicherten auf eine abschlagsfreie Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vermieden werden. Mit dem genannten Gesetz sei zudem die Zurechnungszeit verlängert worden; § 59 SGB VI sehe - ebenfalls mit einem Übergangszeitraum - die volle Anrechnung der Zeit zwischen dem 55. und 60. Lebensjahr vor. Diese Neuregelung ergebe eine beträchtliche Rentenerhöhung in den Fällen, in denen der Versicherte bereits in jungen Jahren erwerbsgemindert werde. Die über die gesamte Bezugsdauer hinzunehmenden Rentenkürzungen aus der Verringerung des Zugangsfaktors fänden daher durch die Neuregelung der Zurechnungszeit eine hohe Kompensation.

Am 16.01.2009 hat der Kläger dagegen beim Sozialgericht Ulm (SG) Klage erhoben und im Wesentlichen geltend gemacht, der Zweck der Regelung, ein Ausweichen in Erwerbsminderungsrenten zu verhindern, treffe bei ihm nicht zu, da er spätestens im Mai 2003 voll erwerbsgemindert gewesen sei. Der Rentenberechnung sei daher ein Zugangsfaktor von 1,0 zugrunde zu legen.

Mit Urteil vom 25.08.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es Bezug genommen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid; die Beklagte habe die maßgeblichen Regelungen zutreffend ausgelegt. Die insoweit vertretene Rechtsauffassung entspreche auch der Auffassung des 5. und des 13. Senats des BSG. Der gegenteiligen, vom 4. Senat vertretenen Auffassung, der für Rentenrechtsverfahren nicht mehr zuständig sei, könne nicht gefolgt werden.

Dagegen hat der Kläger am 20.09.2010 beim SG im Wesentlichen unter Bezugnahme auf seine bisherige Begründung Berufung eingelegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 25.08.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 12.09.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.01.2009 zu verurteilen, ihm unter teilweiser Rücknahme der Bescheide vom 24.05.2006 und 28.08.2007 höhere Rente wegen Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 12.09.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.01.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte es ablehnte, die Bescheide vom 24.05.2006 und 28.08.2007 abzuändern und die Erwerbsminderungsrente des Klägers unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1 neu zu berechnen.

Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 44 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Bestimmung ermöglicht eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte. Nach § 44 Abs. 4 SGB X werden im Falle der Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme bzw. Antragstellung erbracht.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Denn soweit die Beklagte bei der Berechnung der dem Kläger mit Bescheiden vom 24.05.2006 und 28.08.2007 gewährten Erwerbsminderungsrente keinen Zugangsfaktor von 1, sondern lediglich von 0,892 zu Grunde gelegt hat, hat sie weder das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich nachträglich als unrichtig erwiesen hat. Die Beklagte hat bei der Rentenberechnung auf der Grundlage des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI den Zugangsfaktor vielmehr zutreffend herabgesetzt.

Der Senat folgt ebenso wenig wie die Beklagte und das SG der Auffassung des 4. Senats des BSG in seiner Entscheidung vom 16.05.2006 (a.a.O.), wonach bei der in Rede stehenden Erwerbsminderungsrente für Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres der Zugangsfaktor nicht zu mindern und der Rentenberechnung daher mit 1 zu Grunde zu legen sei. Der Senat teilt vielmehr die vom 5. und 13. Senats des BSG vertretene gegenteilige Rechtsauffassung. Danach ist bei Inanspruchnahme von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres im Hinblick auf den Wortlaut des § 77 SGB VI, Sinn und Zweck dieser Regelung, ihre systematische Stellung sowie ihre Entstehungsgeschichte der Zugangsfaktor zu mindern, und zwar um maximal 0,108 und damit auf mindestens 0,892 festzulegen. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf die entsprechenden Ausführungen des 5. Senats in seinen Entscheidungen vom 14.08.2008 (B 5 R 32/07 R in SozR 4-2600 § 77 Nr. 5 sowie B 5 R 88/07 R und B 5 R 140/07 R, jeweils zitiert nach juris) und 25.11.2008 (B 5 R 112/08 R), in denen er unter Berücksichtigung der Darlegungen des nach dem Geschäftsverteilungsplan ab 01.01.2008 anstelle des 4. Senats gemeinsam zur Entscheidung dieser Rechtsfrage zuständigen 13. Senats (vgl. Antwort auf die Anfrage des 5a Senats, ob an der Auffassung des 4. Senats festgehalten wird: Beschlüsse vom 26.06.2008, B 13 R 9/08 S und B 13 R 11/08 S, jeweils zitiert nach juris,) ausführlich begründet hat, weshalb der vom 4. Senat des BSG vertretenen Auffassung nicht zu folgen ist.

Da die Beklagte bei der im Streit stehenden Rentenberechnung den Zugangsfaktor damit zu Recht gemindert und diesen darüber hinaus in zutreffender Höhe mit 0,892 bemessen hat, kann die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für eine Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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