Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
8
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SF 5748/10 AB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Allein eine unsachliche Haltung gegenüber Zeugen begründet keine (hier nach § 48 ZPO angezeigte) Befangenheit. Erst wenn im Einzelfall weitere Umstände vorliegen, die die Erstreckung einer unsachlichen Einstellung gegenüber Dritten auf Prozessbeteiligte oder der von ihnen verfolgten Rechtssache mit guten Gründen erwarten lassen, ist eine Befangenheit im Sinne des § 42 ZPO anzunehmen.
Die Selbstanzeige des Richter Dr. P. über Befangenheit wird für unbegründet erklärt.
Gründe:
I
In der Rechtssache S 14 U 107/10 des Sozialgerichts Mannheim hat der Kammervorsitzende Dr. P. den Arzt Dr. H., dessen Aussage vom 27.04.2010 zu der Gerichtsakte gelangt ist, schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört (Beweisanordnung vom 19.04.2010). Im weiteren Verlauf des Verfahrens hat Dr. P. das orthopädische Gutachten von dem zum Sachverständigen bestellten Dr. H. vom 25.07.2010 und mit Beweisanordnung vom 24.09.2010 eine weitere sachverständige Zeugenaussage des Urologen Dr. R. (schriftliche Aussage vom 28.09.2010) eingeholt. Zuletzt ist mit Beweisanordnung vom 04.10.2010 Prof. Dr. M. zum Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines urologischen Gutachtens beauftragt worden.
Der Kammervorsitzende hat dem Senat seine mögliche Befangenheit angezeigt (Schriftsatz vom 30.11.2010), weil er im April 2008 gegen den sachverständigen Zeugen Dr. H. Anzeige wegen Körperverletzung gestellt habe. Er habe als ausgebildeter Rettungsassistent bei einem Verkehrsunfall in der Nähe seiner Wohnung die Erstversorgung einer Motorradfahrerin vorgenommen, als plötzlich Dr. H. auch an der Unfallstelle erschienen sei. Er habe versucht, die Motorradfahrerin auf ein Stück Pappe zu ziehen, was dieser Schmerzen verursacht habe. Auf nachdrückliche Aufforderung, dies zu unterlassen, habe Dr. H. ihm, Dr. P., einen Faustschlag gegen die Brust versetzt, worauf er zu Boden gestürzt sei. Aus Sicht einer bedacht und vernünftig denkenden Partei könne im Hinblick auf die Bewertung der Aussagen des Zeugen Dr. H. durch ihn, Dr. P., die Besorgnis der Befangenheit gerechtfertigt sein.
Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, sich zur Selbstanzeige des Richters zu äußern.
II
Die vom Kammervorsitzenden Richter Dr. P. angeführten Umstände begründen keine Befangenheit. Seine Selbstanzeige war daher für unbegründet zu erklären.
Nach § 60 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 48 Zivilprozessordnung (ZPO) hat das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuchs zuständige Gericht auch dann über eine Ablehnung zu entscheiden, wenn ein solches Gesuch der Parteien nicht angebracht ist, ein Richter aber von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte oder wenn aus anderer Veranlassung Zweifel darüber entstehen, ob ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen sei.
Ausschließungsgründe nach § 41 ZPO liegen offensichtlich nicht vor. Ebenso wenig bestehen Befangenheitsgründe. Die von den Prozessbeteiligten (§ 42 Abs. 3 ZPO) geltend zu machende Besorgnis der Befangenheit liegt vor, wenn Gründe gegeben sind, die geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Dies ist dann der Fall, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus nach vernünftigen Erwägungen Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Richters haben kann; es muss ein objektiver vernünftiger Grund vorliegen, der geeignet ist, den Antragsteller von seinem Standpunkt aus befürchten zu lassen, der abgelehnte Richter werde nicht unparteiisch sachlich entscheiden (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 60 Rdziff. 7). Danach ist eine Besorgnis der Befangenheit nur dann begründet, wenn das prozessuale Vorgehen eines Richters einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage entbehrt und sich so sehr von dem normalerweise geübten Verfahren entfernt, dass sich für den betroffenen Beteiligten der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdrängt.
Nach diesen Grundsätzen besteht keine Besorgnis der Befangenheit des Richters Dr. P ...
Eine Voreingenommenheit gegenüber Prozessbeteiligten oder gegenüber der durch die Prozessziele der Beteiligten bestimmten Rechtssache ist dem angezeigten Sachverhalt nicht zu entnehmen. Allenfalls - wenn überhaupt - kämen Vorbehalte gegenüber nichtprozessbeteiligten Dritten, hier dem sachverständigen Zeugen Dr. H., in Betracht. Allein eine unsachliche Haltung gegenüber Dritten begründet aber grundsätzlich keine Befangenheit, die eine Parteilichkeit bei der Entscheidung in der Sache erwarten lässt. Erst wenn im Einzelfall ausnahmsweise weitere Umstände vorliegen, die die Erstreckung einer unsachlichen Einstellung gegenüber Dritten auf Prozessbeteiligte oder der von ihnen verfolgten Rechtssache mit guten Gründen erwarten lassen, ist eine Befangenheit im Sinne des § 42 ZPO anzunehmen. Lehnt daher beispielsweise der Prozessbevollmächtigte eines Beteiligten einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit aus Gründen ab, die sich aus dem Verhalten des abgelehnten Richters ihm gegenüber ergeben, vermag dies bei dem allein ablehnungsberechtigten Beteiligten nur dann die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, wenn die ablehnende Einstellung des Richters zum Prozessbevollmächtigten gegenüber den Beteiligten in Erscheinung getreten ist (Urteile des BFH vom 09. September 1998 - I B 47/98 - BFH/NV 1999 786-787, vom 24. März 1998 - I B 137/97 - BFH/NV 1998, 1362 und vom 22. Mai 1991 - IV B 48/90 - BFG/NV 1992, 395= StRK FGO § 51 R.52, alle auch veröffentl. in Juris). Maßgebend für die Bedeutung der weiteren Umstände ist nach Auffassung des Senats zum einen, ob der Dritte dem "Lager" eines Prozessbeteiligten zugeordnet werden kann oder diesem zumindest nahe steht, und zum anderen die Art und Ausprägung der weiteren Umstände, die eine übergreifende Parteilichkeit befürchten lassen.
Vorliegend ist der sachverständige Zeuge Dr. H. nicht dem "Lager" eines Prozessbeteiligten - anders als ein Prozessbevollmächtigter - eindeutig zuzuordnen; allenfalls könnte ihm als Hausarzt des Klägers eine gewisse Nähe zur Klagepartei unterstellt werden. Den beigezogenen Prozessakten ist dagegen eine entscheidungsrelevante Nähe zu den prozessualen Interessen des Klägers nicht zu entnehmen. Diese wird nicht dadurch begründet, dass bloß Befunde mitgeteilt und diese auf den streitigen Arbeitsunfall bezogen werden. Darüber hinaus fehlt es auch an jedem sonstigen Merkmal, das die Erstreckung einer möglichen Voreingenommenheit gegenüber Dr. H. auf den Kläger oder die von ihm verfolgte Rechtssache nahelegt. Vielmehr hat der Kammervorsitzende nach der schriftlichen Zeugeneinvernahme von Dr. H. die Beweisaufnahme fortgesetzt. Verfahrensfehler oder einseitige Ermittlungen sind von den Prozessbeteiligten weder geltend gemacht worden noch aus der Akte ersichtlich. Auch deshalb hält der Senat eine Befangenheit von Richter Dr. P. für nicht gegeben. Er hat in seiner Selbstanzeige vom 30.11.2010 ausdrücklich angegeben, er halte sich in der Sache nicht für befangen. Dies ist für den Senat überzeugend. Dr. P. hat den Prozessbeteiligten durch Offenlegung des außerhalb des Prozesses liegenden Geschehens, das zur Strafanzeige gegen Dr. H. geführt hat, die Gelegenheit gegeben, sich zur Frage seiner unparteilichen Prozessführung zu äußern. Darin wird erkennbar, dass er die Rechtsstellung und die Anforderungen des Amts des Richters ernst nimmt, weshalb auch die aus dem Amt des Richters abzuleitende Befähigung unterstellt werden kann, aus dem privaten Bereich stammende Erfahrungen nicht sachwidrig in die von ihm zu leitenden Prozesse zu übertragen und in seine richterlichen Entscheidungen einfließen zu lassen.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 77 SGG).
Gründe:
I
In der Rechtssache S 14 U 107/10 des Sozialgerichts Mannheim hat der Kammervorsitzende Dr. P. den Arzt Dr. H., dessen Aussage vom 27.04.2010 zu der Gerichtsakte gelangt ist, schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört (Beweisanordnung vom 19.04.2010). Im weiteren Verlauf des Verfahrens hat Dr. P. das orthopädische Gutachten von dem zum Sachverständigen bestellten Dr. H. vom 25.07.2010 und mit Beweisanordnung vom 24.09.2010 eine weitere sachverständige Zeugenaussage des Urologen Dr. R. (schriftliche Aussage vom 28.09.2010) eingeholt. Zuletzt ist mit Beweisanordnung vom 04.10.2010 Prof. Dr. M. zum Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines urologischen Gutachtens beauftragt worden.
Der Kammervorsitzende hat dem Senat seine mögliche Befangenheit angezeigt (Schriftsatz vom 30.11.2010), weil er im April 2008 gegen den sachverständigen Zeugen Dr. H. Anzeige wegen Körperverletzung gestellt habe. Er habe als ausgebildeter Rettungsassistent bei einem Verkehrsunfall in der Nähe seiner Wohnung die Erstversorgung einer Motorradfahrerin vorgenommen, als plötzlich Dr. H. auch an der Unfallstelle erschienen sei. Er habe versucht, die Motorradfahrerin auf ein Stück Pappe zu ziehen, was dieser Schmerzen verursacht habe. Auf nachdrückliche Aufforderung, dies zu unterlassen, habe Dr. H. ihm, Dr. P., einen Faustschlag gegen die Brust versetzt, worauf er zu Boden gestürzt sei. Aus Sicht einer bedacht und vernünftig denkenden Partei könne im Hinblick auf die Bewertung der Aussagen des Zeugen Dr. H. durch ihn, Dr. P., die Besorgnis der Befangenheit gerechtfertigt sein.
Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, sich zur Selbstanzeige des Richters zu äußern.
II
Die vom Kammervorsitzenden Richter Dr. P. angeführten Umstände begründen keine Befangenheit. Seine Selbstanzeige war daher für unbegründet zu erklären.
Nach § 60 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 48 Zivilprozessordnung (ZPO) hat das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuchs zuständige Gericht auch dann über eine Ablehnung zu entscheiden, wenn ein solches Gesuch der Parteien nicht angebracht ist, ein Richter aber von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte oder wenn aus anderer Veranlassung Zweifel darüber entstehen, ob ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen sei.
Ausschließungsgründe nach § 41 ZPO liegen offensichtlich nicht vor. Ebenso wenig bestehen Befangenheitsgründe. Die von den Prozessbeteiligten (§ 42 Abs. 3 ZPO) geltend zu machende Besorgnis der Befangenheit liegt vor, wenn Gründe gegeben sind, die geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Dies ist dann der Fall, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus nach vernünftigen Erwägungen Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Richters haben kann; es muss ein objektiver vernünftiger Grund vorliegen, der geeignet ist, den Antragsteller von seinem Standpunkt aus befürchten zu lassen, der abgelehnte Richter werde nicht unparteiisch sachlich entscheiden (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 60 Rdziff. 7). Danach ist eine Besorgnis der Befangenheit nur dann begründet, wenn das prozessuale Vorgehen eines Richters einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage entbehrt und sich so sehr von dem normalerweise geübten Verfahren entfernt, dass sich für den betroffenen Beteiligten der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdrängt.
Nach diesen Grundsätzen besteht keine Besorgnis der Befangenheit des Richters Dr. P ...
Eine Voreingenommenheit gegenüber Prozessbeteiligten oder gegenüber der durch die Prozessziele der Beteiligten bestimmten Rechtssache ist dem angezeigten Sachverhalt nicht zu entnehmen. Allenfalls - wenn überhaupt - kämen Vorbehalte gegenüber nichtprozessbeteiligten Dritten, hier dem sachverständigen Zeugen Dr. H., in Betracht. Allein eine unsachliche Haltung gegenüber Dritten begründet aber grundsätzlich keine Befangenheit, die eine Parteilichkeit bei der Entscheidung in der Sache erwarten lässt. Erst wenn im Einzelfall ausnahmsweise weitere Umstände vorliegen, die die Erstreckung einer unsachlichen Einstellung gegenüber Dritten auf Prozessbeteiligte oder der von ihnen verfolgten Rechtssache mit guten Gründen erwarten lassen, ist eine Befangenheit im Sinne des § 42 ZPO anzunehmen. Lehnt daher beispielsweise der Prozessbevollmächtigte eines Beteiligten einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit aus Gründen ab, die sich aus dem Verhalten des abgelehnten Richters ihm gegenüber ergeben, vermag dies bei dem allein ablehnungsberechtigten Beteiligten nur dann die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, wenn die ablehnende Einstellung des Richters zum Prozessbevollmächtigten gegenüber den Beteiligten in Erscheinung getreten ist (Urteile des BFH vom 09. September 1998 - I B 47/98 - BFH/NV 1999 786-787, vom 24. März 1998 - I B 137/97 - BFH/NV 1998, 1362 und vom 22. Mai 1991 - IV B 48/90 - BFG/NV 1992, 395= StRK FGO § 51 R.52, alle auch veröffentl. in Juris). Maßgebend für die Bedeutung der weiteren Umstände ist nach Auffassung des Senats zum einen, ob der Dritte dem "Lager" eines Prozessbeteiligten zugeordnet werden kann oder diesem zumindest nahe steht, und zum anderen die Art und Ausprägung der weiteren Umstände, die eine übergreifende Parteilichkeit befürchten lassen.
Vorliegend ist der sachverständige Zeuge Dr. H. nicht dem "Lager" eines Prozessbeteiligten - anders als ein Prozessbevollmächtigter - eindeutig zuzuordnen; allenfalls könnte ihm als Hausarzt des Klägers eine gewisse Nähe zur Klagepartei unterstellt werden. Den beigezogenen Prozessakten ist dagegen eine entscheidungsrelevante Nähe zu den prozessualen Interessen des Klägers nicht zu entnehmen. Diese wird nicht dadurch begründet, dass bloß Befunde mitgeteilt und diese auf den streitigen Arbeitsunfall bezogen werden. Darüber hinaus fehlt es auch an jedem sonstigen Merkmal, das die Erstreckung einer möglichen Voreingenommenheit gegenüber Dr. H. auf den Kläger oder die von ihm verfolgte Rechtssache nahelegt. Vielmehr hat der Kammervorsitzende nach der schriftlichen Zeugeneinvernahme von Dr. H. die Beweisaufnahme fortgesetzt. Verfahrensfehler oder einseitige Ermittlungen sind von den Prozessbeteiligten weder geltend gemacht worden noch aus der Akte ersichtlich. Auch deshalb hält der Senat eine Befangenheit von Richter Dr. P. für nicht gegeben. Er hat in seiner Selbstanzeige vom 30.11.2010 ausdrücklich angegeben, er halte sich in der Sache nicht für befangen. Dies ist für den Senat überzeugend. Dr. P. hat den Prozessbeteiligten durch Offenlegung des außerhalb des Prozesses liegenden Geschehens, das zur Strafanzeige gegen Dr. H. geführt hat, die Gelegenheit gegeben, sich zur Frage seiner unparteilichen Prozessführung zu äußern. Darin wird erkennbar, dass er die Rechtsstellung und die Anforderungen des Amts des Richters ernst nimmt, weshalb auch die aus dem Amt des Richters abzuleitende Befähigung unterstellt werden kann, aus dem privaten Bereich stammende Erfahrungen nicht sachwidrig in die von ihm zu leitenden Prozesse zu übertragen und in seine richterlichen Entscheidungen einfließen zu lassen.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 77 SGG).
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