L 9 R 5197/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 25 R 8067/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 5197/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1951 geborene Klägerin schloss nach dem Besuch der Hauptschule eine zweijährige Lehre bei der Firma S. zur Bürogehilfin ab. In der Folge war sie dort in der Auftragsabwicklung beschäftigt und ab 1975 bei der Firma G. & J. im Anzeigenverkauf tätig. Das Arbeitsverhältnis endete am 31.12.2007 durch einen Aufhebungsvertrag. Im Anschluss daran bezog sie bis zum 22.04.2008 ArbeitslosE.d.

Auf Ihren Antrag vom 25.03.2008, ihr Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu bewilligen, gab die Beklagte unter Berücksichtigung der vorliegenden Befundberichte der Hausärztin R., des Rheumatologen Dr. E., des Dipl.-Psych. P., des Orthopäden Dr. W. und des Kardiologen Dr. K. ein Gutachten beim Orthopäden Dr. F., Stuttgart, in Auftrag. Der Sachverständige stellte in seinem Gutachten vom 05.05.2008 ein allgemeines tendomyogenes Schmerzsyndrom (Fibromyalgie) mit begleitend psychovegetativem Erschöpfungszustand, eine initiale Koxarthrose beidseits ohne Funktionseinschränkung und eine lumbosakrale Übergangsstörung mit Hemisakralisation links fest. Die Tätigkeit als Verlagsassistentin sei der Klägerin auch weiterhin sechs Stunden und mehr am Tag zumutbar. Der Neurologe und Psychiater Dr. M.-J. stellte in seinem von der Beklagten veranlassten Gutachten vom 10.05.2008 einen neurasthenischen Symptomenkomplex mit multiloculären Schmerzen, eine arterielle Hypertonie und eine beginnende Coxarthrose beidseits mit rezidivierenden Schmerzzuständen fest. Auch er vertrat die Auffassung, dass die Klägerin ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Bürokraft in einem Zeitschriftenverlag weiterhin vollschichtig ausführen könne. Bei der Versicherten läge ein letztlich unspezifisches Beschwerdebild vor, das am ehesten als chronifiziertes psycho-physisches Erschöpfungssyndrom zu klassifizieren sei. Im Rahmen des neurasthenischen Bildes seien multiloculäre Schmerzen vorhanden, ferner sei die Symptomatik gekennzeichnet durch Ruhelosigkeit, Schlaflosigkeit und verminderter Belastbarkeit in den Alltagsaktivitäten. Die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten seien bislang nicht ausgeschöpft worden und sollten entsprechend initiiert werden, wobei in erster Linie an die Durchführung von Entspannungsverfahren zu denken sei. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Bürokraft in einem Zeitschriftenverlag sei der Klägerin auch weiterhin vollschichtig zumutbar.

Mit Bescheid vom 20.06.2008 lehnte die Beklagte den Antrag auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Aufgrund der festgestellten Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule, der Fibromyalgie und der Neurasthenie lägen keine schwerwiegenden Funktionseinschränkungen vor. Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könnten Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich im Rahmen einer 5-Tage-Woche regelmäßig ausgeübt werden. Unter Vorlage einer Bescheinigung des behandelnden Dipl.-Psych. P. legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein. Dieser führte zur Begründung aus, dass eine depressive Erkrankung mit massiven somatischen Störungen wie Bluthochdruck, Schlafstörungen und Konzentrationsstörungen bestünden. Die Klägerin sei insbesondere bei auftretenden Stresssituationen kaum belastbar. Beruflichen Anforderungen sei sie mit Sicherheit nicht gewachsen. Die Beklagte zog hierauf ärztliche Befundberichte der Ärztin für Allgemeinmedizin R. und des Rheumatologen Dr. E. bei. Die Hausärztin beschrieb eine progrediente Depression mit massiven Schlafstörungen, eine Hypertonie, schwere degenerative LWS-Veränderungen mit Hyperlordose und Bandscheibenprotrusionen L3-S1, eine Coxarthrose beidseits und eine Fibromyalgie. Im Vordergrund stünden die Symptome der Depression mit Konzentrationsstörungen, Versagensängsten, Panikattacken und Schlafstörungen. Dr. E. berichtete über eine einmalige Behandlung im Februar 2008 und der dabei festgestellten Fibromyalgie und Depressionen. Unter Berücksichtigung einer Stellungnahme der beratenden Ärztin Dr. L. wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2008 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 03.12.2008 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben.

Das SG hat den Rheumatologen Dr. E., den Orthopäden Dr. W. und den Dipl.-Psych. P. als sachverständige Zeugen gehört. Während Dr. E. ausführte, dass der einmalige, vor allem unter diagnostischen Gesichtspunkten stehende Kontakt nicht geeignet sei, eine differenzierte Leistungsbeurteilung abzugeben und Dr. W. ausführte, die Kläger seit 2004 lediglich zweimal kurz gesehen zu haben, stellte der Dipl.-Psych. P. die Diagnosen einer Anpassungsstörung, einer mittelgradigen depressiven Episode mit somatischem Syndrom und Fibromyalgie. Er hat die Ansicht vertreten, dass die Klägerin den Stressbelastungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr gewachsen sei. Insbesondere könne sie ihre frühere Tätigkeit als Verkaufsassistentin nicht mehr ausführen, weil sie mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere gesundheitliche Schäden, insbesondere durch stressbedingte Blutdruckanstiege, davontragen würde.

Das SG hat weiter Beweis erhoben durch das Einholen eines nervenärztlichen Gutachtens beim Neurologen und Psychiater Dr. P., Plochingen. In seinem Gutachten vom 10.06.2009 wies der Sachverständige darauf hin, die Klägerin zweimalig im Auftrag der Victoria Krankenversicherungs-AG im April 2008 und Juni 2008 hinsichtlich der Arbeits- und Berufsfähigkeit gutachterlich untersucht zu haben. Der Sachverständige stellte eine agitiert depressive Anpassungsstörung mit Somatisierungen sowie eine histrionische Persönlichkeitsstörung mit Somatisierungen fest. Seiner Einschätzung nach sollte es der Klägerin unter gebotener und abforderbarer Willensanstrengung durchaus noch möglich sein, sowohl Tätigkeiten als Verkaufsassistentin im Verwaltungsbereich als auch sonstige Tätigkeiten einer Bürokraft vollschichtig auszuüben. Zu meiden seien in Anbetracht des fortgeschrittenen Alters Tätigkeiten verbunden mit Nachtschicht, erhöhtem Publikumsverkehr und Tätigkeiten die eine erhöhte Anforderung an die Teamfähigkeit stellten. Eine mittelgradige depressive Episode wie sie der Dipl.-Psych. P. beschrieben habe, habe er nicht feststellen können. Hiergegen spreche eine nicht eingeschränkte Alltagsgestaltung einschließlich Urlaubsaktivitäten wie zuletzt in den USA. Unter Vorlage einer Stellungnahme ihres Diplom-Psychologen hat die Klägerin gegen dieses Gutachten Einwendungen erhoben. Hierauf hat der gerichtliche Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 03.08.2009 erwidert.

Mit Urteil vom 21.10.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es sich den Ausführungen des Sachverständigen Dr. P. angeschlossen. Danach leide die Klägerin an einer agitiert depressiven Anpassungsstörung mit Somatisierungsstörung sowie einer histrionischen Persönlichkeitsstörung mit Somatisierungen. Trotz der genannten Gesundheitsstörungen sei die Klägerin noch in der Lage, ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Verkaufsassistentin für Anzeigen sowie andere leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Zu dieser Einschätzung seien im Übrigen auch Dr. F. und Dr. M.-J. in ihren Gutachten gelangt. Die vorliegenden Gesundheitsstörungen führten danach lediglich zur qualitativen Leistungseinschränkungen. Zu vermeiden seien Tätigkeiten verbunden mit Nachtschicht, erhöhtem Publikumsverkehr und Tätigkeiten, die eine erhöhte Anforderung an die Teamfähigkeit stellten. Aufgrund der orthopädischen Beschwerden (Coxarthrose beidseits ohne Funktionseinbußen der Hüftgelenke sowie eine lumbosakrale Übergangsstörung mit Hemisakralisation links bei gut erhaltener Funktionsfähigkeit der Wirbelsäule) müssten überwiegend sitzende oder stehende Tätigkeiten, Tätigkeiten mit Verharren in Zwangshaltungen sowie Tätigkeiten mit Heben von mittelschweren bis schweren Lasten vermieden werden. Eine mittelgradige depressive Episode liege nach Überzeugung des Gerichts nicht vor. Der behandelnde Dipl.-Psych. habe seine Leistungseinschätzung nicht näher begründet. Hierzu hätte jedoch aufgrund des geschilderten Tagesablaufes der Klägerin Anlass bestanden. Darüber hinaus habe die Klägerin auch keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Nach dem Ergebnis der im Klageverfahren durchgeführten medizinischen Ermittlungen sei sie noch in der Lage, ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Verkaufsassistentin für Anzeigen mindestens sechs Stunden täglich auszuüben.

Gegen das der Klägerin am 22.10.2009 zugestellt Urteil hat sie am 09.11.2009 Berufung eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, dass Dr. P. ihren medizinischen Zustand verkenne. Sie sei der Stressbelastung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr gewachsen. Außerdem habe sich ihr Gesundheitszustand ganz erheblich verschlechtert, es sei ein Bandscheibenvorfall festgestellt worden. Eine baldige Operation stünde an. Die Orthopädin Dr. B.-Sch. hat in der darauf angeforderten sachverständigen Zeugenaussage über eine Behandlung wegen Schmerzen im Bereich des rechten Handgelenkes berichtet sowie ab Oktober 2009 wegen einer heftigen Lumboischialgie linksseitig. Die Klägerin sei zum momentanen Zeitpunkt aufgrund der akuten Lumboischialgie in ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit deutlich eingeschränkt. Der ebenfalls als sachverständiger Zeuge gehörte Facharzt für Neurochirurgie Prof. Dr. M. berichtete über eine mikrochirurgische Entfernung eines Bandscheibenvorfalles LW 4/5 links am 20.01.2010. Die Operation und der postoperative Verlauf gestalteten sich ohne medizinische Komplikationen und die vor der Operation vorhandenen Beschwerden hätten sich postoperativ gebessert.

Der Senat hat hierauf Dr. H., Stuttgart mit der Erstattung eines fachorthopädischen Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 10.11.2010 stellte Dr. H. ein chronisches funktionelles Schmerzsyndrom in sämtlichen Körperregionen fest. Bei der orthopädischen Untersuchung der oberen und unteren Gliedmaßen hätten sich keine eindeutigen relevanten pathologischen Befunde im Bereich der großen oder kleinen Gelenke oder der umgebenden Weichteile gefunden. Es hätten sich auch keine Hinweise auf eine klinisch relevante fortgeschrittene Arthrose in den Handgelenken, in den Daumensattel- und Grundgelenken, in den Fingergelenken oder in den Hüftgelenken gefunden. Auch Zeichen einer akuten Sehnenscheidenentzündung lägen nicht vor. Aus orthopädischer Sicht sei keine plausible Begründung dafür zu erkennen, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage sein könnte, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an 5 Tagen in der Woche auszuüben. Es sei dabei kein zusätzlicher Körperschaden zu befürchten, die Klägerin toleriere im Privatleben Belastungen, die teilweise über die Belastungen einer leichten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hinausgingen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. Oktober 2009 sowie den Bescheid vom 20. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen ihr ab 01. April 2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung und weiter hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Senat hat die Beteiligten mit Verfügung vom 03.02.2011 darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss in Betracht kommt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor. Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, weil die Klägerin keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 03.02.2011 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von der Klägerin beanspruchte Rente wegen voller und teilweiser Erwerbsminderung bzw. teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit - §§ 43, 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung oder teilweiser Erwerbsminderung bzw. teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht besteht, weil die Klägerin noch wenigstens sechs Stunden täglich leistungsfähig ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren sowie der im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen uneingeschränkt an und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.

Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass die im Oktober 2009 erstmals behandlungsbedürftige heftige Lumboischialgie, welche dann Ende Januar 2010 im Rahmen eines mikrochirurgischen Eingriffes behandelt wurde, zu keiner rechtlich wesentlichen Änderung im Gesundheitszustand der Klägerin geführt hat. Prof. Dr. M. hat in seinem Bericht vom 05.03.2010 einen regelrechten postoperativen Verlauf mit Rückbildung der präoperativen radikulären Beinschmerzen beschrieben. Spezifische Maßnahmen von neurochirurgischer Seite waren zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr erforderlich; es wurde empfohlen, eine Überlastung im Bereich der Lendenwirbelsäule während der nächsten Monate noch zu vermeiden. Daraufhin kam es weder zu einer Anschlussheilbehandlung noch zu einer orthopädischen Rehabilitationsmaßnahme. Funktionelle Einschränkungen sind auch nach dem Gutachten von Dr. H. weder im Bereich der Wirbelsäule noch im Bereich der oberen und unteren Extremitäten feststellbar gewesen. Insoweit lag eine vorübergehende, weniger als 6 Monate dauernde, Einschränkung der Erwerbsfähigkeit vor, die - inzwischen ausgeheilt - nicht und auch nicht zeitweise, die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung gerechtfertigt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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