L 11 R 4821/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 2205/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 4821/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 5. August 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin macht einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente ab November 2008 geltend.

Die am 25. Juni 1950 geborene Klägerin ist kroatische Staatsangehörige. Im August 1969 kam sie nach Deutschland. Sie hat keinen Beruf erlernt und war in Deutschland mit Unterbrechungen als Küchenhilfe (von 1968 bis 1971), Arbeiterin in einer Wurstfabrik (von 1972 bis 1974), Aushilfsarbeiterin (von 1990 bis 1991) und zuletzt als Austrägerin (ab 2005) versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 13. Juli 2007 ist sie arbeitsunfähig bzw arbeitslos. In der Zeit vom 13. November 2003 bis 12. November 2008 wurden mehr als drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder aufgrund des Bezugs von Lohnersatzleistungen im Sinne des § 3 Satz 1 Nr 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) entrichtet, insgesamt sind Beitragszeiten von mehr als fünf Jahren vorhanden (Versicherungsverlauf vom 26. Januar 2009). Versicherungszeiten bei einem ausländischen Versicherungsträger liegen nicht vor. Die Klägerin ist nicht schwerbehindert (§ 2 Abs 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX).

Vom 8. Januar 2008 bis 5. Februar 2008 befand sich die Klägerin zur Durchführung einer von der Beklagten bewilligten stationären medizinischen Reha-Maßnahme in der orthopädischen Abteilung der Reha-Klinik H ... Im Reha-Entlassungsbericht vom 7. März 2008 werden folgende Diagnosen aufgeführt: Verdacht auf Fibromyalgie-Syndrom, undifferenzierte Somatisierungsstörung, Adipositas Grad I, BMI 31,4, chronisches LWS-Syndrom mit Zustand nach geringgradigem Bandscheibenvorfall L4/5 und Hyperlipidämie. Im Rahmen der sozialmedizinischen Beurteilung wird der Klägerin ein noch mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt attestiert. Dagegen sei ihr ihre bisherige Tätigkeit als Zeitungszustellerin, wenn man dem Arbeitsprofil ihre eigenen Angaben zugrunde lege, nicht mehr zumutbar. Wegen der weiteren Einzelheiten des Inhalts des Reha-Entlassungberichts vom 7. März 2008 wird auf die AS M11 der Reha-Akte der Beklagten Bezug genommen.

Am 13. November 2008 beantragte die Klägerin erstmals bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte veranlasste eine ambulante Untersuchung durch die Fachärztin für Allgemeinmedizin und Ärztin für Naturheilverfahren und Sozialmedizin Dr. Z.-R ... Diese diagnostizierte aufgrund einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 12. Januar 2009 eine somatoforme Schmerzstörung mit mittelgradiger depressiver Begleitkomponente, eine Wirbelsäulenfehlstatik mit herabgesetzter Schmerzschwelle, einen Bandscheibenschaden C5/C6 und betont L4/L5 mit Foraminalstenose und einer Blockierung des rechten Kreuzdarmbeingelenks bei bis endgradig freier Beweglichkeit sowie Bronchialasthma mit leicht- bis mittelgradiger Obstruktion ohne Behandlung. Für ihre letzte berufliche Tätigkeit als Zeitungszustellerin in Nachtschicht mit Ziehen eines schweren Zeitungswagens (30 bis 40 kg), sei die Klägerin nur noch unter drei Stunden täglich einsetzbar. Für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Gehen, Sitzen bzw. im Stehen sei die Klägerin weiterhin arbeitstäglich sechs Stunden und mehr einsetzbar. Mit Bescheid vom 26. Januar 2009 lehnte die Beklagte daraufhin eine Rentengewährung ab.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 24. Februar 2009 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, sie könne aufgrund ihrer derzeitigen gesundheitlichen Beschwerden überhaupt nicht mehr arbeiten. Sie berief sich auf das von ihr beigefügte ärztliches Attest ihres behandelnden Internisten und Kardiologen Dr. S. vom 18. Februar 2009 (AS M11 der Verwaltungsakte - ärztliche Unterlagen - der Beklagten), der die bekannten Diagnosen bestätigte. Weiter führte er aus, die somatoforme Schmerzstörung sei therapierefraktär, eine weitere psychotherapeutische Behandlung stehe noch aus. Aktuell sei die Klägerin nicht arbeitsfähig und diese Situation werde sich seiner Ansicht nach auch nicht mittelfristig verändern. Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2009 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 24. Juni 2009 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Wegen der Schmerzen müsse sie starke Tabletten nehmen, die sie in eine Art Rauschzustand versetzten. Es sei ihr deshalb unvorstellbar, sechs Stunden täglich zu arbeiten. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat weiterhin die Auffassung vertreten, dass die Klägerin weder ganz noch teilweise erwerbsgemindert sei.

Das SG hat zunächst eine schriftliche sachverständige Zeugenaussage des behandelnden Internisten/Kardiologen Dr. S. eingeholt. Dieser hat dargelegt, er behandle die Klägerin seit Juli 2007 regelmäßig. Derzeit sei die Klägerin nicht in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Sie leide unter ausgeprägten Schmerzen bereits bei geringer Belastung, an einer subjektiven Einschränkung der Gehfähigkeit und einer ausgeprägten Einschränkung der psychischen Belastbarkeit (Schreiben vom 14. August 2009). Dr. S. hat seiner Auskunft mehrere Arztbriefe (AS 20/34 der SG-Akte) beigefügt, darunter auch einen Bericht der Schmerzambulanz des Zentrums für Anästhesiologie B. vom 5. November 2008. Die Klägerin selbst hat noch weitere Atteste vorgelegt (AS 46/55 der SG-Akte). Daraufhin hat das SG weitere Auskünfte bei den behandelnden Ärzten eingeholt. Dr. T., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, hat die Klägerin am 22. Februar 2010 wegen Kopfschmerzen untersucht. Die neurologische Untersuchung und die ergänzende EEG-Untersuchung seien unauffällig gewesen (Schreiben vom 19. April 2010). Dr. F., Arzt für Neurologie, Psychotherapie, Diagnostische Radiologie, hat mitgeteilt, dass die Klägerin die Praxis von 2004 bis 2008 nicht aufgesucht habe. Zuletzt habe sie sich am 9. September 2009 vorgestellt. Bei den angegebenen Beschwerden habe es sich um die schon von früher bekannte Meralgia paraesthetica (Nervenkompression im Bereich des Leistenbandes) gehandelt (Schreiben vom 19. April 2010). Er hat seiner Auskunft drei Befundberichte anderer Ärzte beigefügt (AS 64a/64c der SG-Akte). Dr. G., Internist und Rheumatologe, hat ein Fibromyalgie-Syndrom diagnostiziert (Schreiben vom 4. Mai 2010).

Mit Urteil vom 5. August 2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Wegen der generalisierten Schmerzen und der orthopädischen Beschwerden bestünden bei der Klägerin nachvollziehbare qualitative Leistungseinschränkungen. Die Klägerin könne nur noch leichte körperliche Tätigkeiten ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne Überkopfarbeit, ohne Heben und Tragen von schweren Lasten, ohne Leiter- und Gerüstarbeiten, im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen ausüben. Vermieden werden sollten zudem Arbeiten mit Gefährdung durch Kälte, Zugluft und Nässe. Dies sei ohne weiteres nachvollziehbar und werde von sämtlichen behandelnden und begutachtenden Ärzten übereinstimmend so angegeben. Dennoch hielten sowohl die behandelnden Fachärzte, der Rheumatologe Dr. G. und der Orthopäde Dr. H., wie auch die Gutachterin im Verwaltungsverfahren Dr. Z.- R. und die behandelnden Ärzte in der Reha-Klinik, welche die Klägerin über mehrere Wochen hätten beobachten können, alle die Klägerin sowohl im Hinblick auf die somatoforme Schmerzstörung als auch im Hinblick auf die orthopädischen Beschwerden für täglich mindestens sechs Stunden leistungsfähig. Diese Einschätzung decke sich auch mit dem persönlichen Eindruck der Kammer im Verhandlungstermin. Zwar sei die psychische und körperliche Belastbarkeit der Klägerin herabgesetzt, so dass ihr nur leichte körperliche Arbeiten unter Beachtung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen übertragen werden könnten. Für eine solche leidensgerechte Tätigkeit sei ihr Leistungsvermögen jedoch zeitlich nicht wesentlich eingeschränkt, so dass sie noch mindestens sechs Stunden täglich arbeiten könne. Das Urteil ist der Klägerin mittels Zustellungsurkunde am 14. September 2010 zugestellt worden.

Am 13. Oktober 2010 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, dass ihr die beantragte Rente zusteht.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 5. August 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. November 2008 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 5. August 2010 zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das Urteil des SG für zutreffend.

Der Senat hat von Amts wegen ein Gutachten auf nervenärztlichem Fachgebiet eingeholt. Die Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. hat in ihrem Gutachten vom 17. November 2010, das auf einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 16. November 2010 beruht, ausgeführt, bei der Klägerin bestehe eine somatoforme Schmerzstörung sowie eine Tendenzreaktion im Rahmen des Rentenbegehrens. Die Schmerzstörung sei funktionell irrelevant und bewirke allenfalls eine Minderung der qualitativen Leistungsfähigkeit. Die Klägerin hat erneut ein Attest des Dr. S. vom 12. November 2010 vorgelegt, der eine Berentung der Klägerin für notwendig erachtet. Außerdem hat sie einen ihren Ehemann betreffenden Arztbrief zu den Akten gereicht.

Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 20. Dezember 2010 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss zurückzuweisen, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Klägerin hat sich hierzu mit Schreiben vom 17. Januar und 15. Februar 2011 geäußert.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann gemäß § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss entscheiden, da die Berufsrichter des Senats die Berufung einstimmig für unbegründet erachten und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten. Die Klägerin hat sich auf den entsprechenden Hinweis des Senats zwar geäußert, aber weder die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erbeten noch Gründe genannt, die eine mündliche Verhandlung aus ihrer Sicht notwendig machen. Mit ihrem Vorbringen hat sie sich zur Frage der Erwerbsminderung geäußert und zB darauf hingewiesen, dass die Arbeitgeber nur gesunde Arbeitnehmer beschäftigen wollten und sie in ihrem Alter nicht mehr eingestellt werde. Dieses Vorbringen steht einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht entgegen.

Die nach den §§ 143, 151 Abs 1, 144 Abs 1 Satz 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Das SG hat die Klage daher zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach Abs 2 Satz 1 dieser Vorschrift Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach Abs 1 Satz 1 Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Die Klägerin ist weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Nach dem Ergebnis der vom Senat und vom SG durchgeführten Beweisaufnahme und den von der Beklagten im Verwaltungsverfahren vorgenommenen Ermittlungen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin noch in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dies hat bereits das SG zutreffend entschieden.

Bei der Klägerin besteht seit Jahren eine somatoforme Schmerzstörung. Neurologische Erkrankungen liegen dagegen nicht vor, auch besteht keine Erkrankung aus dem depressiven Formenkreis. Dies entnimmt der Senat dem sorgfältig und anschaulich begründeten Gutachten von Dr. M., das diese für den Senat erstattet hat. Die von der Sachverständigen durchgeführte klinische neurologische Untersuchung ergab keinen krankhaften Befund. Die von der Klägerin bei der Untersuchung angegebene Minderung des Hörvermögens rechts und die vorgetragene Minderung des Berührungs- und Schmerzempfindens im Bereich der gesamten rechten Körperhälfte wurden von der Sachverständigen als funktionell irrelevant bewertet. Die apparativen Untersuchungen ergaben ebenfalls einen Normalbefund. Die Beweglichkeit der Klägerin war in den Situationen, in denen sie sich unbeobachtet fühlte, "geradezu sehr geschickt, auch mit Bücken, mit Einsatz beider Hände, mit einigermaßen flinken Körperbewegungen" (Gutachten Seite 10). Unter Beobachtung verkehrte sich das Leistungsbild dagegen ins Gegenteil. Daraus hat die Sachverständige zu Recht und in nachvollziehbarer Weise den Schluss gezogen, dass bei der Klägerin auch eine Tendenzreaktion im Rahmen des Rentenbegehrens vorliegt. Die Beobachtung der Sachverständigen wird auch im Arztbrief des Dr. F. vom 9. September 2009 (AS 52 der SG-Akte) bestätigt. Damals kam die Klägerin humpelnd und stöhnend ins Wartezimmer und beschrieb einen quälenden Lumbago. In der Untersuchungssituation verlor sich jedoch das Humpeln rasch. Die Klägerin konnte sich rasch und frei bewegen, es konnten auch keine manifesten oder latenten Paresen festgestellt werden.

Die somatoforme Schmerzstörung bewertet die gerichtliche Sachverständige im Hinblick auf die doch erhebliche Verdeutlichungstendenz ebenfalls als funktionell irrelevant. Der Senat schließt sich auch dieser Bewertung an. Denn auf psychiatrischem Fachgebiet konnte die Gutachterin nur eine "allenfalls leichte Denkeinengung" (Gutachten Seite 11) eruieren. Während der gesamten Untersuchung war die konzentrative Belastbarkeit bei der Klägerin durchgängig erhalten. Eine spezielle Schmerztherapie wird von der Klägerin nicht durchgeführt. Die Medikation besteht nach dem Gutachten der Dr. M. aus Tilidin Tropfen und Voltaren. Von der Schmerzambulanz in B. wurde der Klägerin im Arztbrief vom 5. November 2008 zwar ein hoher Leidensdruck bestätigt, aber auch darauf hingewiesen, dass ein sekundärer Krankheitsgewinn bestehe, zumal die Arbeitsunfähigkeit kurz nach dem Erhalt der Kündigung eingetreten sei. Auch das laufende Rentenverfahren sei ein Beitrag zur Aufrechterhaltung der Schmerzsymptomatik. Der Senat hat deshalb keine Zweifel, dass die von Dr. M. vorgenommene Leistungsbeurteilung der Klägerin in vollem Umfang zutrifft.

Weitere Gesundheitsstörungen, die sich auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin negativ auswirken, liegen nicht vor. Bei einer kernspintomografischen Untersuchung der Lendenwirbelsäule (LWS) im April 2009 konnten ein Bandscheibenvorfall und eine spinale Stenose ausgeschlossen werden. Es zeigten sich nur geringe degenerative Veränderungen (Arztbrief Dr. F. vom 23. April 2009, AS 55 der SG-Akte). Eine rheumatische Erkrankung wurde durch die Untersuchung bei Dr. G. (Schwerpunktpraxis Rheumatologie) nicht bestätigt (Arztbriefe vom 26. März 2009, AS 25 der SG-Akte, und vom 4. März 2010, AS 49 der SG-Akte). Zwar beschreibt der Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. W. im November 2008 (Arztbrief vom 10. November 2008, AS 30 der SG-Akte) eine erstaunlich schlechte Lungenfunktion. Im Bericht vom 22. März 2010 weist er aber daraufhin, dass die Werte 1988 noch schlechter gewesen, aber durch eine Inhalationsbehandlung deutlich reversibel gewesen seien. Es handelt sich damit um eine unschwer der Behandlung zugängliche Störung, die die Fähigkeit zur Verrichtung leichter körperlicher Arbeit nicht beeinträchtigt. Dies wird auch das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten der Dr. Z.-R. bestätigt.

Bei der noch vorhandenen Leistungsfähigkeit der Klägerin - leichte Arbeiten mindestens 6-stündig - muss ihr eine konkrete Tätigkeit, die sie noch verrichten kann, nicht benannt werden. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit, die der Versicherte mit seinem Leistungsvermögen noch auszuüben vermag, wird von der Rechtsprechung des BSG jedenfalls in den Fällen für erforderlich gehalten, in denen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSG Großer Senat (GS) BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8). Für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, gibt es keinen konkreten Beurteilungsmaßstab. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Daher ist eine genaue Untersuchung erforderlich, welche Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen durch die beim Versicherten vorliegenden Gesundheitsstörungen im Einzelnen ausgeschlossen sind (BSG Urteile vom 19. August 1997 - 13 RJ 55/96 - und vom 30. Oktober 1997 - 13 RJ 49/97). Die Pflicht zur konkreten Benennung einer Verweisungstätigkeit hängt von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss dargelegt werden, welche Tätigkeiten der Versicherte noch verrichten kann.

Die Klägerin kann zwar nach den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen bestimmte Tätigkeiten nicht mehr durchführen. Diese sog qualitativen Einschränkungen gehen aber nicht über das hinaus, was bereits mit der Begrenzung des Leistungsvermögens auf nur noch leichte Arbeiten erfasst wird. Dies gilt zB für Tätigkeiten, die mit Wirbelsäulenzwangshaltungen, Überkopfarbeit, Heben und Tragen von schweren Lasten verbunden sind oder für Leiter- und Gerüstarbeiten. Arbeiten in Kälte, Zugluft und Nässe sind ganz allgemein der Gesundheit abträglich. Die genannten qualitativen Einschränkungen führen zu keiner Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen. Daher besteht keine Pflicht, der Klägerin konkrete Tätigkeiten, die sie mit ihrem Leistungsvermögen noch verrichten kann, zu benennen.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben gemäß § 240 Abs 1 SGB VI in den ab 1. Januar 2001 geltenden Fassungen (zuletzt durch Art 1 Nr 61 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes) bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind gemäß § 240 Abs 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist gemäß § 240 Abs 2 Satz 3 SGB VI stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist gemäß § 240 Abs 2 Satz 4 SGB VI nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Da die Klägerin keinen Beruf erlernt hat und auch zuletzt in ungelernten Tätigkeiten versicherungspflichtig beschäftigt war, scheidet die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit von vornherein aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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