L 3 U 52/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 24 U 289/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 52/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 342/10 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bezieht ein Leistungsempfänger Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung (SGB VII) nur deswegen, weil zeitnah ein weiteres unfallrechtlich nicht geschütztes Ereignis vorgelegen hat und dies nicht angegeben worden ist, ist der Unfallversicherungsträger in Ausübung eines pflichtgemäßen Ermessens berechtigt, die gewährten Leistungen gemäß § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzufordern. Der mangelnden Leistungsfähigkeit bzw. den wirtschaftlich sehr beengten Verhältnissen des Leistungsempfängers, der zu Unrecht Leistungen bezogen hat und dies wissen musste, kann durch geeignete haushaltsrechtliche Maßnahmen (z.B. Stundung, befristete Niederschlagung der Forderung) Rechnung getragen werden.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
München vom 25.10.2007 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht
zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 29.12.1995 mit Wirkung für die Vergangenheit und für die Zukunft gemäß § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X).

Die 1940 geborene Klägerin ist als Verkäuferin bei dem Reformhaus S. in D. beschäftigt gewesen. Entsprechend dem Bericht des Durchgangsarztes Dr. L. vom 19.01.1996 ist sie am 29.12.1995 gegen 8.45 Uhr auf dem Weg zur Arbeit vor der Geschäftstür ausgerutscht und auf das linke Sprunggelenk gefallen. Zunächst habe sie sich mit Verbänden selbst behandelt; ab dem 07.01.1996 sei sie bei Dr. K. in Behandlung gewesen. Am 15.01.1996 habe sie wegen degenerativer Kniegelenksschmerzen zusätzlich eine Kniegelenksschiene erhalten. Seit fünf Tagen bestehe eine zunehmende Schwellung des linken Fußes und des Unterschenkels. Das linke Sprunggelenk und das linke Knie seien geröntgt worden (keine Fraktur).

Laut der ärztlichen Unfallmeldung von Dr. Ö. vom 19.01.1996 sei die Klägerin am 29.12.1995 gegen 8.15 Uhr auf dem Weg zur Arbeit vor der Türe ausgerutscht und auf das linke Sprunggelenk gefallen. Die Erstversorgung habe Dr. K. durchgeführt. Seit ca. fünf Tagen bestünden eine zunehmende Schwellung und Spannungsgefühl bei Verdacht auf eine tiefe Beinvenenthrombose links.

Dr. L. hat mit Arztbrief vom 25.01.1996 berichtet, dass bei der Klägerin zusätzlich eine Pilonverletzung vorliege. Die Bildwandler-Untersuchung habe auch dreieinhalb Wochen nach dem Unfallereignis eine völlige Instabilität der Knöchelgabel gezeigt, so dass eine osteosynthetische Versorgung auch jetzt noch angezeigt sei, zumal die Phlebographie das Vorliegen einer Beinvenenthrombose ausschließen ließ. Dr. K. hat mit Röntgenbericht vom 22.01.1996 eine Unterschenkelfraktur in Höhe der Malleolengabel beschrieben. Die Fraktur ziehe sich quer durch den gelenksnahen Abschnitt des distalien Tibiaschaftes. Hier sei wohl durch vorzeitige Belastung eine Impression mit volarseitiger Fragmentdislokation erfolgt. Die Außenknöchelfraktur befinde sich in Syndesmosenhöhe und weise keine nennenswerte Achsenabweichung oder Fragmentdislokation auf. Sämtliche Frakturzonen hätten sich bereits deutlich demarkiert, so dass sich das Frakturalter in einem Zeitraum von etwa zwei bis drei Wochen bewegen dürfte.

Der Arbeitgeber hat mit Unfallanzeige vom 29.01.1996 bestätigt, dass die Klägerin am 29.12.1995 gegen 8.10 Uhr vor der rückwärtigen Ladentüre auf Glatteis nach einem Eisregen ausgerutscht und gestürzt sei. Sie habe sich hierbei einen Bruch des linken Sprunggelenks zugezogen.

Dr. K. hat mit Durchgangsarztbericht vom 19.03.1996 mitgeteilt, dass die Klägerin ca. am 31.12.1995 gegen 9.00 Uhr auf dem Weg zur Arbeit auf das Gesäß gefallen sei und sich eventuell das linke Knie verdreht habe. Sie klage über Schmerzen im linken Kniegelenk; keine Angabe von Sprunggelenksbeschwerden. Er habe nach der Durchführung von Röntgenaufnahmen des linken Kniegelenks einen Kniegelenkserguss links bei schwerster Destruktion des linken Kniegelenks diagnostiziert. Ein ausreichender Anhalt für einen Zusammenhang mit dem angegebenen Unfall bestehe nicht. In der Folgezeit habe sich die Klägerin dann am 08.01.1996 und am 13.01.1996 erneut vorgestellt und dann auch über Sprunggelenksbeschwerden geklagt. Er habe am 08.01.1996 erstmals Röntgenaufnahmen des linken Sprunggelenks angefertigt, die keine Verletzungsfolgen gezeigt hätten. Er empfehle deshalb einen Vergleich der Sprunggelenksaufnahmen vom 08.01.1996 und 19.01.1996.

Dr. L. hat mit weiterem Arztbrief vom 02.05.1996 berichtet, dass sich die Klägerin in der Zeit vom 19.01. bis 09.02.1996 im Kreiskrankenhaus C-Stadt in stationärer Behandlung befunden habe. Am 25.01.1996 sei die veraltete schwere Sprunggelenks- und Pilonverletzung links operativ versorgt worden.

Dr. C. hat mit Nachschaubericht vom 02.06.1996 mitgeteilt, dass die bei der Klägerin bestehende schwere Kniegelenksdeformität diese wesentlich mehr als die Pilontibialfraktur behindere. Bei der letzten Nachschau am 23.05.1996 sei das linke Sprunggelenk noch mäßiggradig geschwollen gewesen, die Beweglichkeit noch endgradig behindert. Die Klägerin hat von der AOK C-Stadt zu dem Unfallereignis vom 29.12.1995 befragt, mit undatiertem Krankenbericht dieser gegenüber unter anderem geschildert, dass sie mit einer Freundin zu Dr. K. gefahren sei, der eine Röntgenaufnahme von ihrem linken Fußgelenk gemacht habe. Danach habe kein Bruch vorgelegen. Dr. K. habe ihr einen Tape-Verband für eine Woche am linken Bein von den Zehen bis zum Oberschenkel anlegen lassen.

Im Auftrag der Beklagten hat Dr. F. am 13.08.1996 ein fachorthopädisches Gutachten zur Feststellung der Unfallfolgen gefertigt. Dieser ist nach Untersuchung vom 30.07.1996 unter Anfertigung eigener Röntgenbilder und der Auswertung von Röntgen-Fremdaufnah-men des linken Sprunggelenkes vom 19.01.1996 zu dem Ergebnis gekommen, dass der körperferne Unterschenkelbruch mit formverbindenden degenerativen Veränderungen am linken oberen Sprunggelenk verheilt sei. Zwar hätten ärztliche Untersuchungen am 04.01., 08.01. und 13.01.1996 noch keinen Anhalt für eine knöcherne Verletzung im gesamten Unterschenkelbereich ergeben und erst am 19.01.1996 habe sich eine Unterschenkelfraktur gezeigt. Da aber die vorher am 08.01.1996 angefertigten Röntgenaufnahmen nicht zur Verfügung stünden, seien die krankhaften Veränderungen am linken Unterschenkel unter Würdigung des angegebenen Unfallhergangs mit Wahrscheinlichkeit dem Unfallereignis vom 29.12.1995 zuzuordnen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 20 v.H.

Die Beklagte mit Bescheid vom 09.09.1996 wegen einer Einschränkung der Beweglichkeit des linken oberen und unteren Sprunggelenks nach knöchern verheiltem Bruch des linken Innen- und Außenknöchels eine Rente nach einer MdE von 20 v.H. bewilligt.

Die Klägerin hat sich vom 08.11. bis 06.12.1996 in Bad A. auf einer Rehabilitationsmaßnahme befunden. Ursache hierfür ist die schwere unfallfremd bestehende Erkrankung des linken Kniegelenks gewesen, wegen welcher auch ab 24.10.1996 eine stationäre Behandlungsmaßnahme notwendig geworden ist, in deren Rahmen auch die Implantation einer Kniegelenkstotalendoprothese erfolgt ist.

Auf den Rentenantrag vom 13.11.1996 hat die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte mit Bescheid vom 18.08.1997 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligt.

Dr. C. hat mit dem zweiten Rentengutachten zur erstmaligen Feststellung der Dauerrente vom 18.08.1997 eine MdE um 30 v.H. befürwortet, weil aufgrund der äthiologisch unklaren zunehmenden Destruktion des oberen Sprunggelenks eher eine Verschlimmerung anzunehmen sei. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 17.09.1997 eine Rente nach einer MdE von 30 v.H. bewilligt.

Prof. Dr. B. hat mit Rentengutachten vom 14.12.1999 ausgeführt, dass zwischenzeitlich eine erhebliche Verschlimmerung eingetreten sei: Vollständige Einsteifung des linken oberen und des linken unteren Sprunggelenkes; Beinverkürzung um insgesamt 8 cm (funktionell wirksam derzeit 4 cm); Verlust des linken Kniegelenkes mit restlicher Wackelsteife; chronische Osteomyelitis der linken Tibia; Ersatz des rechten Hüftgelenkes durch eine Totalendoprothese nach septischer Coxitis mit Einschränkung der Beweglichkeit der rechten Hüfte.

Dementsprechend hat die Beklagte mit Bescheid vom 24.02.2000 ab 01.11.1997 eine Rente nach einer MdE von 70 v.H. und ab 01.08.1998 eine Rente nach einer MdE von 100 v.H. bewilligt.

Die Klägerin hat am 25.09.2003 vor dem Landgericht C-Stadt (Az.: 13 O 5782/03) Klage gegen Herrn R. H. erheben lassen und die Gewährung von Schmerzensgeld beantragt, weil sie am 29.12.1995 vor dem Haus des Beklagten wegen Glatteis gestürzt ist.

Das Landgericht C-Stadt hat dazu in der mündlichen Verhandlung vom 10.09.2004 Dr. K. als Zeugen vernommen. Dieser hat angegeben, dass die Klägerin wegen des Wegeunfalles vom 29.12.1995 am 04.01.1996 zu ihm in die Sprechstunde gekommen sei und über Kniebeschwerden geklagt habe. Sie habe aber erstmals am 08.01.1996 angegeben, dass sie auch Sprunggelenksbeschwerden habe. Er habe daraufhin am 08.01.1996 eine Röntgenaufnahme des linken Sprunggelenks angefertigt, die keinen Hinweis auf eine Sprunggelenksverletzung ergeben habe. Er halte es nach dem von ihm angefertigten Röntgenbild für extrem unwahrscheinlich, dass der Sprunggelenksbruch der Klägerin vor dem 08.01.1996 passiert sei. Das Landgericht C-Stadt hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von Prof. Dr. Z ... Dieser ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die Klägerin am 29.12.1995 keine Verletzung des Sprunggelenks zugezogen habe. Sie habe das Röntgenbild des Dr. K. vom 08.01.1996 beigezogen; dieses dokumentiere eindeutig, dass das linke Sprunggelenk zu diesem Zeitpunkt nicht frakturiert und nicht einmal fissuriert gewesen sei. Die am 19.01.1996 festgestellte Sprunggelenksfraktur sei deshalb dem Unfallgeschehen vom 29.12.1995 nicht zuzuordnen; die Verletzung müsse nach dem 08.01.1996 entstanden sein. Sämtliche berufsgenossenschaftlichen Entscheidungen seien diesem Unfallgeschehen nicht zuzuordnen. Das Landgericht C-Stadt hat daraufhin mit Urteil vom 05.04.2005 die Schmerzensgeldklage abgewiesen, da durch den Sturz vom 29.12.1995 keine Sprunggelenksfraktur und auch keine sonstigen Dauerfolgen eingetreten seien.

Mit Schreiben vom 25.01.2005 hat die A.-Versicherung als Haftpflichtversicherer des Herrn R. H. der Beklagten mitgeteilt, dass sich nunmehr der Verdacht des Versicherungsbetruges der Klägerin bestätigt habe und sie von der Beklagten die ohne Rechtsgrund geleisteten Zahlungen wieder zurückfordere. Die Beklagte hat in der Folge die Akten des Zivilgerichtsverfahrens vor dem Landgericht C-Stadt beigezogen und ein Gutachten nach Aktenlage von Dr. F. eingeholt. Dieser ist am 15.11.2005 nach Auswertung der Röntgenbilder des linken Sprunggelenks der Klägerin vom 08.01.1996 zu dem nämlichen Ergebnis gekommen: Am 29.12.1995 sei es nicht zu einem Bruch des linken Sprunggelenks gekommen. Es müsse bei der Schwere der Verletzungen davon ausgegangen werden, dass es zu einem späteren Zeitpunkt noch zu einem weiteren Unfallereignis gekommen sei, und dies müsse der Klägerin auch als eigenständiges Ereignis eindrücklich gewesen sein. Die bei der Klägerin am 19.01.1996 nachgewiesene Fraktur setze eine ausgeprägte Gewalteinwirkung auf den Unterschenkelbereich voraus, mit nachfolgend erheblich schmerzhaften Funktionseinschränkungen, die typischerweise zur sofortigen Belastungsunfähigkeit des Beines führe, so dass es unvorstellbar sei, dass die Klägerin diesen zweiten Unfall nicht bemerkt habe.

Die Beklagte hat die Klägerin mit Schreiben vom 18.01.2006 gemäß § 24 SGB X dahingehend angehört, es sei beabsichtigt, den Bescheid vom 19.09.1996 samt der Folgebescheide nach § 45 Abs.1 und 2 SGB X zurückzunehmen und die Kosten zurückzuverlangen. Mit Schreiben vom 23.01.2008 hat es die Beklagte abgelehnt, die vorliegenden Röntgenbilder der Klägerin auszuhändigen. Falls sich diese jedoch bereit erkläre, die Kopierkosten zu übernehmen, würde ihr die Aufnahme vom 08.01.1996 in Kopie überlassen.

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 09.03.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.04.2006 hat die Beklagte den Rentenbewilligungsbescheid vom 09.06.1996 sowie die Folgebescheide vom 17.09.1997 und 24.02.2000 mit Wirkung für die Vergangenheit und die Zukunft zurückgenommen.

In dem sich anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht München die Akten der Beklagten sowie die Akten des Landgerichts C-Stadt (Az.: 13 O 5782/03) sowie Röntgenbilder einschließlich des Röntgenbildes vom 08.01.1996 beigezogen. Die Bevollmächtigten der Klägerin haben mit Schriftsätzen vom 16.08.2006 und 12.09.2006 auf die Bedeutung der gefertigten Röntgenaufnahmen hingewiesen. Mit umfassender Klagebegründung vom 14.11.2006 haben die Bevollmächtigten der Klägerin hervorgehoben, dass das über einen Zeitraum von acht Jahren nicht aufgefundene Röntgenbild vom 08.01.1996 entweder nicht von der Klägerin gefertigt worden sei oder aber durch das Röntgenbild vom 08.01.1996 nicht nachgewiesen werden könne, dass zum Zeitpunkt der Fertigung des Röntgenbildes keine Fraktur vorgelegen habe.

Der gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 SGG gerichtlich bestellte Sachverständige Dr. Dr. K. ist mit chirurgischem Fachgutachten vom 31.03.2007 zu dem Ergebnis gekommen, dass es ausweislich der verletzungsunauffälligen Röntgenbilder links vom 08.01.1996 am 29.12.1995 nicht zu einer knöchernen Sprunggelenksverletzung links gekommen sei. Der massive Sprunggelenksbruch links habe bis zum 08.01.1996 nicht vorgelegen, könne also nur durch ein weiteres massives Trauma entstanden sein. Dies wäre im Hinblick auf den massiven Kniegelenksvorschaden links nicht ungewöhnlich. Ein Sprunggelenksbruch wie ab 19.01.1996 dokumentiert, wäre am 04.01. und 08.01.1996 nicht zu übersehen gewesen. Damit lasse sich der für die Klägerin zweifellos beschwerliche Verlauf zahlreicher Kniegelenkseingriffe links mit Infektionen sowie auch zahlreicher Hüftgelenkseingriffe rechts mit Infektionen und TEP-Lockerungen nicht mittelbar auf das Ereignis vom 29.12.1995 zurückführen. Der unfallmedizinisch dokumentierte Sachverhalt einschließlich der Röntgenbilder vom 08.01.1996 sei so eindeutig, dass eine erneute Befragung und Untersuchung zu keiner anderen Schlussfolgerung hätte führen können. Das Gutachten sei somit nach Aktenlage möglich gewesen.

Die Bevollmächtigten der Klägerin haben mit Schriftsatz vom 09.10.2007 unter anderem gerügt, nach Mitteilung des behandelnden Arztes Dr. B. sei auf dem Röntgenbild vom 08.01.1996 eine Knöchelfraktur nicht erkennbar. Darüber hinaus sei es ausgeschlossen, dass auf dem Röntgenbild vom 08.01.1996 eine etwaig vorhandene Knöchelfraktur z.B. aufgrund einer Schwellung nicht erkannt werden könne. Bestritten werde daher, dass das Röntgenbild vom 08.01.1996 von der Klägerin gefertigt worden sei, zwar von der Klägerin, jedoch von dem verletzten Bein gefertigt worden sei, und dass das Röntgenbild ein zutreffendes Datum trage.

Dr. Dr. K. hat hierzu mit ergänzender Stellungnahme vom 15.10.2007 ausgeführt, lägen nicht die technischen einwandfreien Röntgenbilder des linken Sprunggelenks der Klägerin vom 08.01.1996 vor, könnte man nach den Aufnahmen vom 19.01.1996 einen Bruchtermin "innerhalb der letzten etwa drei Wochen" vermuten. Ob die Fraktur schon vor oder erst nach dem 08.01.1996 eingetreten sei, hätte sich mittels MRT klären lassen. Allerdings habe sich diese Art der Diagnostik erst nach 1996 durchgesetzt. In Kenntnis des völlig regelhaften Röntgenbefundes noch am 08.01.1996 sei allerdings äußerst unwahrscheinlich, dass der Röntgenbefund vom 19.01.1996 schon seit dem 29.12.1995 bestanden haben soll, insbesondere ohne Sprunggelenksbeschwerden bis zur Erstuntersuchung von Dr. K. am 04.01.1996 und an diesem Tag ohne Angabe zu einer akuten Sprunggelenksproblematik. Aus unfallmedizinischer Sicht bleibe als einzige Erklärung für die Pilon-Tibiale-Fraktur links (Bilder vom 19.01.1996), dass das entscheidende OSG-Schädigungsereignis erst nach dem 08.01.1996 eingetreten sein könne.

Das Sozialgericht München hat die Klage gegen den Bescheid vom 09.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2006 mit Urteil vom 25.10.2007 abgewiesen und sich hierbei auf die übereinstimmenden Gutachten von Prof. Dr. Z., Dr. F. und Dr. Dr. K. gestützt. Auch der Arzt des Vertrauens der Klägerin - Dr. B. - habe nach den Angaben der Klägerin mit Schriftsatz vom 09.10.2007 bestätigt, dass auf den vorliegenden Röntgenbildern keine Sprunggelenksfraktur sichtbar sei, eine solche aber, wenn sie vor dem 08.01.1996 eingetreten wäre, sichtbar sein müsste. Das Sozialgericht München habe sich durch eigene Betrachtung der dem Gutachter Dr. Dr. K. übersandten Röntgenbilder davon überzeugen können, dass auf den Aufnahmen das linke Sprunggelenk sichtbar sei und auf den entsprechenden Bildern sowohl die Praxis Dr. K. als auch das Datum 08.01.1996 und der Name der Klägerin eindeutig dokumentiert seien. Die Entscheidung der Beklagten sei auch verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden. Vor allem seien zumindest die Voraussetzungen von § 45 Abs.2 Satz 3 3. Alternative SGB X gegeben. Die Klägerin müsse nach dem 08.01.1996 einen weiteren Unfall erlitten haben, der - wie alle medizinischen Gutachter zutreffend ausführten - eine so schwere Verletzung des Sprunggelenks hervorgerufen hat, dass die Klägerin dies bemerkt haben müsse. Dennoch habe sie diesen zweiten Unfall der Beklagten gegenüber nicht angegeben. Entsprechend den Ausführungen des Gerichtsgutachters Dr. Dr. K. müsse die Klägerin bei Erlass des ersten Rentengewährungsbescheides vom 09.09.1996 gewusst haben, dass ihr die gewährten Rentenleistungen nicht zustünden. Entsprechendes gelte auch für die Folgebescheide vom 17.09.1997 und 24.02.2000. Die maßgeblichen Fristen (einjährige Handlungsfrist und die Zehnjahresfrist für die Rücknahme) seien gewahrt, die Ermessenserwägungen ausreichend.

Dagegen haben die Bevollmächtigten der Klägerin Berufung erhoben. Von Seiten des Senats wurden die Unfall-Akten der Beklagten, die erstinstanzlichen Streitakten sowie die zugehörigen Röntgenaufnahmen beigezogen. Die wesentlichen Aktenteile aus dem Verfahren vor dem Landgericht C-Stadt - 13 O 5782/03 - finden sich sowohl in den Akten der Beklagten als auch in den erstinstanzlichen Streitakten.

Die Bevollmächtigten der Klägerin rügten mit Berufungsbegründung vom 31.07.2008, ihnen sei nicht ausreichend Gelegenheit gegeben worden, sich auf das Verfahren vorzubereiten, insbesondere hätten sie das Röntgenbild vom 08.01.1996 bislang nicht im Original betrachten können. Auf der Fotokopie des Röntgenbildes vom 08.01.1996 habe aufgrund der starken Beleuchtung eine Linie festgestellt werden können, die einen hochgradigen Verdacht auf eine auf dem Röntgenbild vom 08.01.1996 erkennbare Fraktur darstelle. Dementsprechend werde die Einholung eines radiologischen Gutachtens zum Nachweis dafür beantragt, dass auf dem Röntgenbild vom 08.01.1996 eine Fraktur zu erkennen sei. Denn die Klägerin habe ausschließlich am 29.12.1995 einen traumatischen Unfall erlitten, nicht anschließend bis zum 08.01.1996 und auch nicht nachfolgend bis zur Anfertigung der Röntgenbilder im Kreiskrankenhaus C-Stadt am 19.01.1996. Die Tochter der Klägerin könne bestätigen, dass die Klägerin bereits am 29.12.1995 abends zu Hause über starke Schmerzen im linken Bein geklagt habe, welches geschwollen gewesen sei.

Der nach § 109 SGG benannte und beauftragte Sachverständige Dr. C. führte mit radiologischem Gutachten vom 02.09.2009 aus, die Schlüsselaufnahme vom 08.01.1996 sei technisch so mangelhaft, dass sie als Beweis für das Nichtvorliegen einer Fraktur auf keinen Fall herangezogen werden könne. Im Gegenteil müsse bei Analyse der Aufnahme vom 08.01.1996 in Korrelation mit den übrigen Aufnahmen davon ausgegangen werden, dass es sich um die rechte Seite handele. Vor allem sei nicht denkbar, dass eine Fraktur auf dem Boden eines Unfalles vom 29.12.1995 am 08.01.1996 nicht zu erkennen gewesen wäre und am 16.01.1996 (richtig: 19.01.1996) bereits derart breite Resorptionssäume gezeigt habe. Aus den Aufzeichnungen des Dr. K. gehe nicht hervor, was, mit welchem Ergebnis und welche Seite geröntgt worden sei. Vielmehr würden die auf den Röntgenbildern vom 19.01.1996 erkennbaren Frakturen auf ein Trauma vor ca. drei Wochen schließen lassen, passend zu einem Unfallereignis am 30.12.1995. Alle vorliegenden Röntgenaufnahmen sprächen in Übereinstimmung mit der Schilderung der Patientin für ein Trauma am rechten Sprunggelenk am 30.12.1995. Gerade die völlig unauffällige Röntgenmorphologie der Sprunggelenksaufnahme vom 08.01.1996 beweise eher die Seitenverwechslung als das Nichtvorliegen einer Fraktur.

Mit ergänzender Stellungnahme vom 16.11.2009 führte Dr. C. abschließend aus, bei den vorliegenden Original-Röntgenbildern vom 08.01.1996 handele es sich unter Berücksichtigung aller Beobachtungen um das gleiche Individuum, jedoch nicht um die gleiche Seite wie bei der Aufnahme am 16.01.1996 (richtig: 19.01.1996), sondern um die rechte.

Die Beklagte erwiderte mit Schriftsatz vom 07.01.2010, dass die Theorie des Dr. W. unzutreffend sein müsse: Der Klägerin dürfte zunächst nicht aufgefallen sein, dass Dr. K. das falsche (rechte) Sprunggelenk geröntgt habe. Anschließend wäre es noch zu einem zweiten zusätzlichen Fehler gekommen: In der Praxis des Dr. K. müsste dann auch ein falscher Aufkleber angebracht worden sein. Ein derartiger Ablauf sei völlig unwahrscheinlich, nicht zuletzt auch mit Blick auf den Unfallbericht für die AOK und die Aussage des Dr. K ... Im Übrigen sei auch der beratende Arzt Dr. M. schlüssig und überzeugend zu dem Ergebnis gekommen, dass bei genauer Betrachtung auf dem Röntgenbild vom 08.01.1996 die gleichen Strukturen wie auf den Röntgenaufnahmen vom 19.01.1996 zu erkennen sei. Hintergrund sei, dass ein Einstauchen der Fraktur eingetreten sei und hieraus eine andere Position der Sklerosierungszonen im Knochen resultiere. Nach alledem bestünden keine Zweifel daran, dass die Röntgenaufnahme vom 08.01.1996 das linke Sprunggelenk der Klägerin zeige und keine Fraktur zu erkennen sei.

Im Folgenden hielten beide Beteiligten an ihren jeweiligen Auffassungen fest, dass die Röntgenaufnahme vom 08.01.1996 das rechte bzw. das linke Fußgelenk der Klägerin zeige.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt entsprechend seinem Schriftsatz vom 07.02.2008,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 25.10.2007 sowie den Bescheid vom 09.03.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2006 aufzuheben.

Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 25.10.2007 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) auf die Unterlagen der Beklagten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie der dort enthaltenen Aktenauszüge aus den Akten des Landgerichts C-Stadt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143 ff., 151 SGG statthaft und zulässig. Sie erweist sich jedoch als unbegründet.

Das Sozialgericht München hat die Klage gegen den Bescheid vom 09.03.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2004 mit Urteil vom 25.10.2007 zutreffend abgewiesen. Das BayLSG weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs.2 SGG).

Dies gilt auch in Berücksichtigung der gutachterlichen Ausführungen des Röntgenologen Dr. C. mit Gutachten vom 02.09.2009 und ergänzender Stellungnahme vom 16.11.2009. Denn es erscheint dem erkennenden Senat völlig abwegig, dass dem Durchgangsarzt Dr. K. bei Fertigung der Aufnahme vom 08.01.1996 eine Seitenverwechslung unterlaufen sein sollte. Denn eine solche wäre nur dann denkbar, wenn es anschließend in der Praxis Dr. K. noch zu einem zweiten zusätzlichen Fehler der Gestalt gekommen wäre, dass auch noch ein falscher Aufkleber angebracht worden wäre. Unabhängig davon, dass ein derartiger Ablauf völlig unwahrscheinlich ist, hat die Klägerin selbst in ihrem undatierten Krankenbericht gegenüber der AOK C-Stadt zu dem Ereignis vom 29.12.1995 ausgeführt, dass sie mit einer Freundin wieder zu Dr. K. gefahren sei, wo eine Röntgenaufnahme von ihrem linken Fußgelenk gemacht worden sei: "Kein Bruch". - Weiterhin fällt an dem Gutachten des Dr. C. vom 02.09.2009 auf, dass dieser von einem Trauma der Klägerin am Folgetag, den 30.12.1995 mit Verletzung des rechten Sprunggelenks ausgeht. Dr. C. hat sich hierbei auch auf die Angaben der Klägerin ihm gegenüber gestützt. Selbst wenn die Klägerin entgegen der gesamten Aktenlage am 30.12.1995 ein weiteres Trauma im Bereich des rechten Sprunggelenks gehabt haben sollte, ändert dies nichts daran, dass es bei dem unfallrechtlich geschützten Ereignis vom 29.12.1995 nicht zu einem Bruch des linken Sprunggelenks gekommen ist. Unschädlich ist im Übrigen, dass Dr. C. wiederholt von Röntgenaufnahmen vom 16.01.1996 gesprochen hat, obwohl offensichtlich Röntgenbilder vom 19.01.1996 gemeint gewesen sind. Denn sowohl nach der gesamten Aktenlage als auch eigener Prüfung aller beigezogenen Röntgenaufnahmen durch den Senat sind am 16.01.1996 keine Röntgenbilder gefertigt worden.

Vielmehr korrespondieren die eigenen Einlassungen der Klägerin gegenüber der AOK C-Stadt sowohl mit der ärztlichen Unfallmeldung des Dr. Ö. vom 19.01.1996 als auch dem späteren Durchgangsarztbericht des Dr. K. vom 19.03.1996. Danach sind unmittelbar im Zusammenhang mit dem Unfall vom 29.12.1995 keine Beschwerden im Bereich des linken Sprunggelenkes geklagt worden. Dr. Ö. hat mit Unfallmeldung vom 19.01.1996 anamnestisch notiert, dass die Klägerin seit ca. fünf Tagen über eine zunehmende Schwellung und Spannungsgefühl klagt, also ca. seit dem 14.01.1996.

Die Zusammenschau der zeitnahen ärztlichen Unfallmeldungen und Durchgangsarztberichte, die eigenen Einlassungen der Klägerin gegenüber der AOK C-Stadt und der eingeholten Gutachten von Prof. Dr. Z., Dr. F. und Dr. Dr. K. mit ergänzender Stellungnahmen belegt zweifelsfrei, dass die Sprunggelenksverletzung der Klägerin nicht durch den Unfall vom 29.12.2005 entstanden ist. Die gegenteiligen Ausführungen des Dr. C. mit Gutachten vom 02.09.2009 und ergänzender Stellungnahme vom 16.11.2009 werden im Übrigen auch durch die Ausführungen des beratenden Arztes der Beklagten Dr. M. vom 16.12.2009 widerlegt, wenn dieser nach genauer Betrachtung der Röntgenbilder vom 08.01.1996 und 19.01.1996 zu dem Ergebnis kommt, dass dort die gleichen Strukturen zu erkennen sind. Grund hierfür ist, dass im Bereich des linken Sprunggelenks ein Einstauchen der zeitlich nachfolgenden Fraktur eingetreten ist und hieraus eine andere Position der Sklerosierungszonen im Knochen resultiert.

Verfahrensrechtlich sind die auch insoweit zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts München mit Urteil vom 25.10.2007 (§ 153 Abs. 2 SGG) in Hinblick auf § 45 Abs. 1 SGB X und das dort normierte Gebot zur Ermessensausübung ("darf") dahingehend zu ergänzen, dass die Beklagte das ihr obliegende Rücknahmeermessen (Schütze in von Wulffen, SGB X, Rdz. 88 ff. m.w.N.) ausreichend und in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt hat. Auch in Berücksichtigung der hier zeitlich weit zurückwirkenden Rückforderung und der fraglichen Realisierbarkeit der Forderung der Beklagten (die Klägerin ist neben ihren Rentenbezügen auf Grundsicherungsleistungen angewiesen), liegt ein Ermessensfehler oder Ermessensfehlgebrauch seitens der Beklagten nicht vor. Im Übrigen hat die Klägerin in den mündlichen Verhandlung vom 12.10.2010 auf den erkennenden Senat auch den Eindruck gemacht, dass sie ausreichend gewandt ist, um den hier entscheidungserheblichen Sachverhalt (Nichtangabe eines weiteren Traumas Anfang des Jahres 1996) zu erfassen. Zur Überzeugung des Senats steht daher auch fest, dass sie wissen musste, dass ihr die gewährte Verletztenrente nicht zugestanden hat und zusteht (§ 45 Abs. 2 Satz 3 3. Alt. SGB X).

Nach alledem ist die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 25.10.2007 zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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