Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 18 SB 1040/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 SB 61/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Rein psychisch bedingte Einschränkungen der Gehfähigkeit sind nicht in der Lage, zu einer Gleichstellung mit Doppeloberschenkelamputierten oder vergleichbaren Grupppen von Amputationsbefunden im Sinne der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" zu führen.
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" hat.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 18.03.1999 stellte das Amt für Versorgung und Familienförderung - Versorgungsamt - bei dem am 06.08.1948 geborenen Kläger als Behinderungen fest:
1. Funktionsbehinderung des Hüftgelenks links, Versteifung des Kniegelenks links, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Nervenwurzelreizerscheinungen
2. psychovegetative Störungen.
Der GdB wurde mit 80 bewertet, und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "B" und "G" wurde festgestellt.
Am 24.05.2006 beantragte der Kläger die Feststellung des Merkzeichens "aG". Diesen Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 03.08.2006 ab.
Am 14.12.2007 beantragte er das Merkzeichen "aG" erneut. Nach Auswertung von Befunden der behandelnden Ärzte Dr. H. und Dr. R. sowie der Stiftsklinik A. lehnte der Beklagte, vertreten durch das Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS), mit dem angefochtenen Bescheid vom 26.03.2008 den Antrag des Klägers vom 14.12.2007, den Bescheid vom 18.03.1999 aufzuheben und eine neue Feststellung nach § 69 SGB IX zu treffen, ab. Der GdB betrage wie bisher 80, und die Merkzeichen "G" und "B" würden weiterhin zuerkannt. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" seien nach Art und Ausmaß der Behinderung nicht erfüllt.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 02.05.2008 Widerspruch ein und verwies auf ein Attest des Facharztes für Orthopädie Dr. S. vom 29.04.2008. Dieser bescheinigte, der Kläger sei auf Benutzung von Unterarm-Gehstützen und das Tragen von orthopädischen Schuhen angewiesen. Eine erhebliche Einschränkung der Wegefähigkeit liege vor. Dies bestätigte er in einem Befundbericht, der bei der Versorgungsverwaltung am 21.05.2008 einging.
Auf der Grundlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 25.07.2008 wies der Beklagte, vertreten durch das ZBFS, den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2008 als unbegründet zurück.
Dagegen hat der Kläger am 28.08.2008 Klage beim Sozialgericht München (SG) erhoben. Das SG hat den Orthopäden Dr. V. F. zum Sachverständigen bestellt, der in seinem Gutachten vom 17.04.2009 festgestellt hat, der GdB sei nicht höher als 80, und die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" seien nicht erfüllt. Ein weiteres Gutachten ist gemäß § 106 SGG von dem Facharzt für innere Medizin W. M. erstellt worden. In dem Gutachten vom 30.05.2009 hat auch dieser Sachverständige die Ergebnisse des Vorgutachters aus internistischer Sicht bestätigt.
Der Kläger hat vor dem SG beantragt, den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 26.03.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2008 zu verurteilen, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" festzustellen. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10.12.2009 abgewiesen. Es ist dem Kläger am 25.03.2010 zugestellt worden.
Mit der am 21.04.2010 eingelegten Berufung verweist der Kläger auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.03.2007 (Az.: B 9a SB 5/05 R), in dem das BSG ausgeführt habe, dass die Frage, ob die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" vorlägen oder nicht, weder anhand einer bestimmten Wegstrecke noch mit Hilfe eines am Zeitmaß orientierten Maßstabs zu beantworten sei; entscheidend sei allein, unter welchen Bedingungen sich der behinderte Mensch bewegen könne, nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Das Erfordernis, dass er sich "nur mit fremder Hilfe" fortbewegen könne, sei erfüllt, weil nach den ärztlichen Attesten eine Fortbewegung nur mit Gehhilfen möglich sei. Ferner beruft sich der Kläger auf das Urteil des SG Düsseldorf vom 16.12.2008 Az. S 35 (6) SB 43/06, in dem in Fortschreibung der Rechtsprechung des BSG die Kammer der Auffassung gewesen sei, dass neben den vom BSG benannten Kriterien der fremden Hilfe und der großen körperlichen Anstrengung auch andere Kriterien in Betracht kämen, die die Behinderungen der Fortbewegung besonders negativ beeinflussen; insoweit müssten sich körperliche Anstrengungen nicht zwingend im pulmonalen oder muskulären Bereich zeigen, sondern es reiche aus, wenn große Anstrengungen geistiger Art - hier Anforderungen an die Konzentration - zur Fortbewegung erforderlich seien.
Der Kläger bezieht sich auf die ärztlichen Bescheinigungen des Facharztes für Orthopädie, S. B., vom 08.01.2010, und des Arztes Dr. W. H. vom 03.05.2010, aus denen sich ergebe, dass er weiterhin auf die Benutzung von Unterarm-Gehstützen und das Tragen von orthopädischen Schuhen angewiesen sei, sowie dass seine Gehfähigkeit erheblich eingeschränkt sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG München vom 10.12.2009 und den Bescheid des Beklagten vom 26.03.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Gericht hat die Parteien mit Schreiben vom 19.10.2010 dazu angehört, dass es erwäge, die Berufung durch einstimmigen Beschluss ohne mündliche Verhandlung als unbegründet zurückzuweisen. Der Beklagte hat dagegen keine Einwände erhoben, der Kläger hat sich nicht geäußert.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt
(§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Berufung bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Das Gericht entscheidet gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil es die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Bei der Ausübung des hierbei bestehenden Ermessens ist entscheidend, dass sowohl der Sachverhalt nach der Gutachtenslage als auch die Subsumtion unter die in den versorgungsmedizinischen Grundsätzen und der sie konkretisierenden höchstrichterlichen Rechtsprechung enthaltenen Kriterien zu einem eindeutigen Ergebnis führt.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG".
Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind.
Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung eines schwerbehinderten Menschen im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung). Eine entsprechende straßenverkehrsrechtliche Vorschrift in diesem Sinne findet sich in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO, neu bekannt gemacht am 26.01.2001, BAnz 2001, Nr. 21, S. 1419), und zwar dort in Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO. Danach sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind.
Dieselben Kriterien enthält Teil D Nr. 3 Buchst. b Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV). Ergänzend bestimmt Teil D Nr. 3 Buchst. c VersMedV: Die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung darf nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden. Bei der Frage der Gleichstellung von behinderten Menschen mit Schäden an den unteren Gliedmaßen ist zu beachten, dass das Gehvermögen auf das Schwerste eingeschränkt sein muss und deshalb als Vergleichsmaßstab am ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten heranzuziehen ist. Dies gilt auch, wenn Gehbehinderte einen Rollstuhl benutzen. Es genügt nicht, dass ein solcher verordnet wurde; die Betroffenen müssen vielmehr ständig auf den Rollstuhl angewiesen sein, weil sie sich sonst nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen können. Als Erkrankungen der inneren Organe, die eine solche Gleichstellung rechtfertigen, sind beispielsweise Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades anzusehen.
Personen, die nicht zu den in Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO beispielhaft aufgeführten Gruppen von schwerbehinderten Menschen gehören, können nach den Kriterien dieser Vorschrift nur dann als außergewöhnlich gehbehindert angesehen werden, wenn sie diesem Personenkreis gleichzustellen sind. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der Vorschrift aufgeführten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23; BSG, Urteil vom 10.12.2002 Az. B 9 SB 7/01 R Ls. 2 und Rdnr. 20 bei juris = BSGE 90, 180). Dabei werden die Anforderungen dadurch nicht abgesenkt, dass in einzelnen der beispielhaft aufgeführten Gruppen, insbesondere bei den Doppelunterschenkelamputierten, mit Hilfe moderner Prothetik bei Zusammentreffen besonders günstiger Umstände eine nahezu normale Bewegungsfähigkeit erreicht werden kann. Der Maßstab zur Gleichstellung nicht genannter Gehbehinderter muss sich strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz, dass sich die Betroffenen wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen können, orientieren (BSG, Urteil vom 10.12.2002, aaO. Rdnr. 21). Die Gehfähigkeit prothetisch gut versorgter Doppelunterschenkelamputierter muss deshalb außer Betracht bleiben.
Im Übrigen lässt sich nach der ständigen Rechtsprechung des BSG zur Bestimmung der Gruppe der Gleichgestellten ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren (BSG, Urteil vom 10.12.2002, aaO., Rdnr. 23; BSG, Urteil vom 29.03.2007 Az.: B 9a SB 1/06 R Rdnr. 18 bei juris = VersorgVerw 2007, 61; BSG, Urteil vom 29.03.2007 Az.: B 9a SB 5/05 R Rdnr. 14 bei juris = SGb 2007, 352). Es gebe keinen exakten Beurteilungsmaßstab, um den berechtigten Personenkreis nach dem gesteigerten Energieaufwand beim Gehen abzugrenzen. Auch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke tauge dazu grundsätzlich nicht. Versuchen der Instanzgerichte, mit 100 Metern zumutbarer Wegstrecke auch eine Grenze für das Merkzeichen "aG" zu markieren - im Anschluss an die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Merkzeichen "G" und im Rentenversicherungsrecht (2000 m in 30 Minuten bzw. 500 m in 7,5 Minuten) -, erteilte das BSG eine Absage (BSG, Urteil vom 10.12.2002, aaO.). Die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellten nämlich nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges noch zumutbar bewegen könne, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich sei, nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfülle, qualifiziere sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich (insbesondere Parkerleichterungen) auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklege (BSG, aaO.). Weiter wurde entschieden, dass es nicht auf die üblicherweise auf Großparkplätzen zurückzulegende Strecke zwischen allgemein nutzbaren Parkplätzen und Gebäudeeingängen ankomme (BSG, Urteil vom 29.03.2007 Az.: B 9a SB 1/06 R Rdnr. 22 bei juris = VersorgVerw 2007, 61; BSG, Urteil vom 29.03.2007 Az.: B 9a SB 5/05 R Rdnr 18 bei juris = SGb 2007, 352)
Nach diesen Kriterien sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht erfüllt. Der vom SG zum Sachverständigen bestellte Orthopädie Dr. F. hat in seinem Gutachten vom 17.04.2009 folgende Diagnosen gestellt:
- Uncovertebralarthrose der unteren Halswirbelsäule bei Streckhaltung,
- spondylochondrotische Veränderungen überwiegend der oberen Lendenwirbelsäule, Baastrup-Syndrom,
- Minimalarthrose der Hüftgelenke,
- fibröse Einsteifung des linken Kniegelenkes bei fortschreitender Gonarthrose nach operativ behandelter Schienbeinkopffraktur mit liegenden Metallen, Minimalarthrose des rechten Kniegelenkes,
- Spreizfüße
- Impingementsyndrom mehr der rechten als der linken Schulter
- Nebendiagnosen: Übergewicht, beginnende Dupuytren-Erkrankung rechts mehr als links
Der Sachverständige hat festgestellt, dass ein mit einem der in den versorgungsmedizinischen Grundsätzen für das Merkzeichen "aG" aufgeführten Gruppen von Amputationsbefunden vergleichbarer Zustand auch nicht annähernd vorliegt. Der Kläger kann sich orthopädischerseits ohne fremde Hilfe und ohne große Anstrengung außerhalb des Kraftfahrzeugs bewegen. Soweit der Kläger angibt, dass er nur ca. 20 m am Stück gehen könne, bevor er wegen Schweißausbrüchen pausieren muss, hat der Sachverständige festgestellt, dass diese Zwangspausen nicht durch die orthopädischen Befunde, sondern allenfalls als Somatisierungsstörung zu erklären sind. Diese Feststellungen sind nachvollziehbar, da die Gehbehinderung nach den festgestellten Diagnosen im Wesentlichen auf der Versteifung des linken Kniegelenkes beruht, die jedoch nicht mit der Gehbehinderung eines Doppeloberschenkelamputierten oder einer vergleichbaren Gruppe von Amputationsbefunden gleichzustellen ist.
Das ebenfalls vom SG eingeholte internistische Gutachten des Sachverständigen W. M. vom 26.05.2009 hat dieses Ergebnis bestätigt. Aus internistischer Sicht liegen eine coronare Herzerkrankung sowie eine arterielle Hypertonie vor, die seitens des Beklagten mit einem Einzel-GdB von 20 bereits vergleichsweise hoch eingestuft worden sind. Hinweise für eine außerordentliche Gehbehinderung sind nicht gefunden worden, nicht einmal die leichter zu erfüllenden Voraussetzungen des "Bayern-aG" liegen vor.
Auch aus den vom Kläger vorgelegten bzw. vom Gericht eingeholten Attesten und Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte lassen sich keine Hinweise auf das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" entnehmen:
Der Allgemeinarzt Dr. W. H. stellte in seinem Attest vom 12.02.2008 lediglich fest, der Kläger könne sich ohne Gehhilfen weder außer Haus noch in der Wohnung fortbewegen. Die Möglichkeit, sich mit Gehhilfen fortzubewegen, wurde nicht bestritten. Das für die Zuteilung des Merkzeichens "aG" maßgebliche Merkmal, ob sich jemand nur "mit fremder Hilfe" fortbewegen kann, wird jedoch nicht dadurch erfüllt, dass der Betroffene auf Hilfsmittel angewiesen ist; vielmehr ist die Unterstützung durch eine andere Person notwendig. Die Berufungsbegründung, die das Angewiesensein auf fremde Hilfe gerade durch die Notwendigkeit der Benutzung von Gehhilfen erfüllt sieht, geht insoweit ins Leere.
Auch der Orthopädie Dr. L. S. bescheinigte in seinem Attest vom 29.04.2008 lediglich, dass der Kläger auf die Benutzung von einem Paar Unterarm-Gehstützen sowie auf das Tragen von einem Paar orthopädischer Schuhe angewiesen sei. Dementsprechend wurde nur eine erhebliche Einschränkung der Wegefähigkeit bescheinigt, die die Voraussetzung des bereits zuerkannten Merkzeichen "G" bildet, nicht jedoch die Voraussetzung für das Merkzeichen "aG".
Auch in seinem weiteren Attest vom 03.05.2007 bestätigte der Allgemeinarzt
Dr. W. H. lediglich, dass der Kläger außergewöhnlich gehbehindert sei und ohne Gehhilfe nicht gehen könne, da das linke Bein versteift sei. Auch dadurch werden nur die bisherigen Feststellungen bestätigt.
Soweit der Facharzt für Orthopädie, S. B., in seinem Attest vom 08.01.2010 angibt, die Strecke des Klägers sei bei wenigen Metern unter starken Beschwerden eingeschränkt, so dass dem Kläger das Merkzeichen "aG" zustehe, so gab diese Einschätzung keinen Anlass zu weiteren gerichtlichen Ermittlungen. Denn diese kurze ärztliche Bescheinigung gibt weder irgendeine Begründung an, noch setzt sie sich in irgendeiner Weise mit den Gerichtsgutachten auseinander und lässt nicht erkennen, ob die Einschränkung der Gehstrecke bei wenigen Metern mit oder ohne Benutzung von Unterarm-Gehstützen gemeint ist.
Soweit der Kläger bei der Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. F. angegeben hat, dass er beim Gehen alle 20 m pausieren müsse, weil es zu Schweißausbrüchen komme, hält der Senat die Einholung eines psychiatrischen Fachgutachtens zur Abklärung möglicher psychischer Ursachen dieser Schweißausbrüche für nicht erforderlich. Zum einen liegen selbst nach Auffassung des behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie des Klägers, Dr. S. R., der selbst auch Facharzt für Sozialmedizin ist, nur die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" vor, obwohl der Psychiater ausführlich ein chronisches skelettales Schmerzsyndrom mit Verdacht auf neurogene Schmerzkomponenten im Nebenbereichen des Kniegelenkes und Unterschenkels beschreibt, die ihre Ursache in einer schweren depressiven Störung und depressiven Grundstimmung hätten. Zum anderen lägen selbst dann, wenn man unterstellen würde, dass bei einer Wegstrecke von 20 m der Kläger eine Pause beim Gehen einzulegen hätte, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht vor, weil eine solche Einschränkung der Gehfähigkeit nicht mit den körperlichen Anstrengungen vergleichbar ist, denen Doppeloberschenkelamputierte oder vergleichbare Gruppen von Amputationsbefunden ausgesetzt sind. Die Tatsache, dass ein Betroffener nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, ist nach der Rechtsprechung des BSG nur ein Indiz für eine Erschöpfung. Für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" reichten jedoch nicht irgendwelche Erschöpfungszustände aus. Sie müssten vielmehr in ihrer Intensität gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen sein, die Schwerbehinderte der explizit aufgeführten Vergleichsgruppen erlitten (BSG, Urteil vom 29.03.2007 Az.: B 9a SB 1/06 R Rdnr. 19 bei juris = VersorgVerw 2007, 61; BSG, Urteil vom 29.03.2007 Az.: B 9a SB 5/05 R
Rdnr. 15 bei juris = SGb 2007, 352). Für Erschöpfungszustände solchen Ausmaßes geben weder die vorgelegten ärztlichen Befunde noch das sonstige Vorbringen des Klägers hinreichende Anhaltspunkte.
Soweit sich der Kläger in seiner Berufungsbegründung auf das Urteil des SG Düsseldorf vom 16.12.2008 Az.: S 35 (6) SB 43/06 darauf beruft, für eine Gleichstellung anderer Gruppen von schwerbehinderten Menschen bezüglich des Merkzeichens "aG" komme es nicht nur darauf an, ob vergleichbare körperliche Anstrengungen im pulmonalen oder muskulären Bereich vorlägen, vielmehr reiche es aus, wenn große Anstrengungen geistiger Art - hier Anforderung an die Konzentration - zur Fortbewegung erforderlich seien, kann offen bleiben, ob insoweit eine Fortbildung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts angezeigt ist oder nicht. In dem dem Urteil des SG Düsseldorf zu Grunde liegenden Fall lag ein völlig anderes Erkrankungsbild vor. Die Klägerin jenes Falles litt nicht nur an der Versteifung eines Kniegelenks, sondern an einer Deformation der unteren Extremitäten in Verbindung mit einer ausgeprägten neurologischen Erkrankung, die dazu führte, dass sie nur noch begrenzt in der Lage war, die notwendige Abduktion der Beine beim Vorspringen des Fußes im Rahmen der Kniebewegungen durchzuführen. Durch die Unmöglichkeit dieser Bewegungskombinationen wirkte das Gangbild in besonderer Weise schleppend. Die Klägerin war kaum noch in der Lage, die Motorik der Beine willentlich zu steuern. Nur mit höchster Anforderung an die Konzentration und mit ständigem Blick auf die Beine und Füße war die Klägerin in der Lage, sich fortzubewegen, was zu einer vorzeitigen Erschöpfung führte. Insbesondere unterscheidet sich der Fall des SG Düsseldorf vom vorliegenden dadurch in wesentlicher Hinsicht, dass die dortigen Erschöpfungszustände ihre Ursache in der bereits in orthopädischer und neurologischer Hinsicht eingeschränkten Gehfähigkeit hatten und nicht in rein psychischen Gründen wie hier. Rein psychisch bedingte Einschränkungen der Gehfähigkeit sind nicht in der Lage, zu einer Gleichstellung mit Doppeloberschenkelamputierten oder vergleichbaren Gruppen von Amputationsbefunden im Sinne der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" zu führen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" hat.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 18.03.1999 stellte das Amt für Versorgung und Familienförderung - Versorgungsamt - bei dem am 06.08.1948 geborenen Kläger als Behinderungen fest:
1. Funktionsbehinderung des Hüftgelenks links, Versteifung des Kniegelenks links, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Nervenwurzelreizerscheinungen
2. psychovegetative Störungen.
Der GdB wurde mit 80 bewertet, und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "B" und "G" wurde festgestellt.
Am 24.05.2006 beantragte der Kläger die Feststellung des Merkzeichens "aG". Diesen Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 03.08.2006 ab.
Am 14.12.2007 beantragte er das Merkzeichen "aG" erneut. Nach Auswertung von Befunden der behandelnden Ärzte Dr. H. und Dr. R. sowie der Stiftsklinik A. lehnte der Beklagte, vertreten durch das Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS), mit dem angefochtenen Bescheid vom 26.03.2008 den Antrag des Klägers vom 14.12.2007, den Bescheid vom 18.03.1999 aufzuheben und eine neue Feststellung nach § 69 SGB IX zu treffen, ab. Der GdB betrage wie bisher 80, und die Merkzeichen "G" und "B" würden weiterhin zuerkannt. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" seien nach Art und Ausmaß der Behinderung nicht erfüllt.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 02.05.2008 Widerspruch ein und verwies auf ein Attest des Facharztes für Orthopädie Dr. S. vom 29.04.2008. Dieser bescheinigte, der Kläger sei auf Benutzung von Unterarm-Gehstützen und das Tragen von orthopädischen Schuhen angewiesen. Eine erhebliche Einschränkung der Wegefähigkeit liege vor. Dies bestätigte er in einem Befundbericht, der bei der Versorgungsverwaltung am 21.05.2008 einging.
Auf der Grundlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 25.07.2008 wies der Beklagte, vertreten durch das ZBFS, den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2008 als unbegründet zurück.
Dagegen hat der Kläger am 28.08.2008 Klage beim Sozialgericht München (SG) erhoben. Das SG hat den Orthopäden Dr. V. F. zum Sachverständigen bestellt, der in seinem Gutachten vom 17.04.2009 festgestellt hat, der GdB sei nicht höher als 80, und die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" seien nicht erfüllt. Ein weiteres Gutachten ist gemäß § 106 SGG von dem Facharzt für innere Medizin W. M. erstellt worden. In dem Gutachten vom 30.05.2009 hat auch dieser Sachverständige die Ergebnisse des Vorgutachters aus internistischer Sicht bestätigt.
Der Kläger hat vor dem SG beantragt, den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 26.03.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2008 zu verurteilen, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" festzustellen. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10.12.2009 abgewiesen. Es ist dem Kläger am 25.03.2010 zugestellt worden.
Mit der am 21.04.2010 eingelegten Berufung verweist der Kläger auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.03.2007 (Az.: B 9a SB 5/05 R), in dem das BSG ausgeführt habe, dass die Frage, ob die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" vorlägen oder nicht, weder anhand einer bestimmten Wegstrecke noch mit Hilfe eines am Zeitmaß orientierten Maßstabs zu beantworten sei; entscheidend sei allein, unter welchen Bedingungen sich der behinderte Mensch bewegen könne, nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Das Erfordernis, dass er sich "nur mit fremder Hilfe" fortbewegen könne, sei erfüllt, weil nach den ärztlichen Attesten eine Fortbewegung nur mit Gehhilfen möglich sei. Ferner beruft sich der Kläger auf das Urteil des SG Düsseldorf vom 16.12.2008 Az. S 35 (6) SB 43/06, in dem in Fortschreibung der Rechtsprechung des BSG die Kammer der Auffassung gewesen sei, dass neben den vom BSG benannten Kriterien der fremden Hilfe und der großen körperlichen Anstrengung auch andere Kriterien in Betracht kämen, die die Behinderungen der Fortbewegung besonders negativ beeinflussen; insoweit müssten sich körperliche Anstrengungen nicht zwingend im pulmonalen oder muskulären Bereich zeigen, sondern es reiche aus, wenn große Anstrengungen geistiger Art - hier Anforderungen an die Konzentration - zur Fortbewegung erforderlich seien.
Der Kläger bezieht sich auf die ärztlichen Bescheinigungen des Facharztes für Orthopädie, S. B., vom 08.01.2010, und des Arztes Dr. W. H. vom 03.05.2010, aus denen sich ergebe, dass er weiterhin auf die Benutzung von Unterarm-Gehstützen und das Tragen von orthopädischen Schuhen angewiesen sei, sowie dass seine Gehfähigkeit erheblich eingeschränkt sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG München vom 10.12.2009 und den Bescheid des Beklagten vom 26.03.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Gericht hat die Parteien mit Schreiben vom 19.10.2010 dazu angehört, dass es erwäge, die Berufung durch einstimmigen Beschluss ohne mündliche Verhandlung als unbegründet zurückzuweisen. Der Beklagte hat dagegen keine Einwände erhoben, der Kläger hat sich nicht geäußert.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt
(§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Berufung bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Das Gericht entscheidet gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil es die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Bei der Ausübung des hierbei bestehenden Ermessens ist entscheidend, dass sowohl der Sachverhalt nach der Gutachtenslage als auch die Subsumtion unter die in den versorgungsmedizinischen Grundsätzen und der sie konkretisierenden höchstrichterlichen Rechtsprechung enthaltenen Kriterien zu einem eindeutigen Ergebnis führt.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG".
Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind.
Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung eines schwerbehinderten Menschen im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung). Eine entsprechende straßenverkehrsrechtliche Vorschrift in diesem Sinne findet sich in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO, neu bekannt gemacht am 26.01.2001, BAnz 2001, Nr. 21, S. 1419), und zwar dort in Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO. Danach sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind.
Dieselben Kriterien enthält Teil D Nr. 3 Buchst. b Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV). Ergänzend bestimmt Teil D Nr. 3 Buchst. c VersMedV: Die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung darf nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden. Bei der Frage der Gleichstellung von behinderten Menschen mit Schäden an den unteren Gliedmaßen ist zu beachten, dass das Gehvermögen auf das Schwerste eingeschränkt sein muss und deshalb als Vergleichsmaßstab am ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten heranzuziehen ist. Dies gilt auch, wenn Gehbehinderte einen Rollstuhl benutzen. Es genügt nicht, dass ein solcher verordnet wurde; die Betroffenen müssen vielmehr ständig auf den Rollstuhl angewiesen sein, weil sie sich sonst nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen können. Als Erkrankungen der inneren Organe, die eine solche Gleichstellung rechtfertigen, sind beispielsweise Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades anzusehen.
Personen, die nicht zu den in Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO beispielhaft aufgeführten Gruppen von schwerbehinderten Menschen gehören, können nach den Kriterien dieser Vorschrift nur dann als außergewöhnlich gehbehindert angesehen werden, wenn sie diesem Personenkreis gleichzustellen sind. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der Vorschrift aufgeführten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23; BSG, Urteil vom 10.12.2002 Az. B 9 SB 7/01 R Ls. 2 und Rdnr. 20 bei juris = BSGE 90, 180). Dabei werden die Anforderungen dadurch nicht abgesenkt, dass in einzelnen der beispielhaft aufgeführten Gruppen, insbesondere bei den Doppelunterschenkelamputierten, mit Hilfe moderner Prothetik bei Zusammentreffen besonders günstiger Umstände eine nahezu normale Bewegungsfähigkeit erreicht werden kann. Der Maßstab zur Gleichstellung nicht genannter Gehbehinderter muss sich strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz, dass sich die Betroffenen wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen können, orientieren (BSG, Urteil vom 10.12.2002, aaO. Rdnr. 21). Die Gehfähigkeit prothetisch gut versorgter Doppelunterschenkelamputierter muss deshalb außer Betracht bleiben.
Im Übrigen lässt sich nach der ständigen Rechtsprechung des BSG zur Bestimmung der Gruppe der Gleichgestellten ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren (BSG, Urteil vom 10.12.2002, aaO., Rdnr. 23; BSG, Urteil vom 29.03.2007 Az.: B 9a SB 1/06 R Rdnr. 18 bei juris = VersorgVerw 2007, 61; BSG, Urteil vom 29.03.2007 Az.: B 9a SB 5/05 R Rdnr. 14 bei juris = SGb 2007, 352). Es gebe keinen exakten Beurteilungsmaßstab, um den berechtigten Personenkreis nach dem gesteigerten Energieaufwand beim Gehen abzugrenzen. Auch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke tauge dazu grundsätzlich nicht. Versuchen der Instanzgerichte, mit 100 Metern zumutbarer Wegstrecke auch eine Grenze für das Merkzeichen "aG" zu markieren - im Anschluss an die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Merkzeichen "G" und im Rentenversicherungsrecht (2000 m in 30 Minuten bzw. 500 m in 7,5 Minuten) -, erteilte das BSG eine Absage (BSG, Urteil vom 10.12.2002, aaO.). Die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellten nämlich nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges noch zumutbar bewegen könne, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich sei, nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfülle, qualifiziere sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich (insbesondere Parkerleichterungen) auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklege (BSG, aaO.). Weiter wurde entschieden, dass es nicht auf die üblicherweise auf Großparkplätzen zurückzulegende Strecke zwischen allgemein nutzbaren Parkplätzen und Gebäudeeingängen ankomme (BSG, Urteil vom 29.03.2007 Az.: B 9a SB 1/06 R Rdnr. 22 bei juris = VersorgVerw 2007, 61; BSG, Urteil vom 29.03.2007 Az.: B 9a SB 5/05 R Rdnr 18 bei juris = SGb 2007, 352)
Nach diesen Kriterien sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht erfüllt. Der vom SG zum Sachverständigen bestellte Orthopädie Dr. F. hat in seinem Gutachten vom 17.04.2009 folgende Diagnosen gestellt:
- Uncovertebralarthrose der unteren Halswirbelsäule bei Streckhaltung,
- spondylochondrotische Veränderungen überwiegend der oberen Lendenwirbelsäule, Baastrup-Syndrom,
- Minimalarthrose der Hüftgelenke,
- fibröse Einsteifung des linken Kniegelenkes bei fortschreitender Gonarthrose nach operativ behandelter Schienbeinkopffraktur mit liegenden Metallen, Minimalarthrose des rechten Kniegelenkes,
- Spreizfüße
- Impingementsyndrom mehr der rechten als der linken Schulter
- Nebendiagnosen: Übergewicht, beginnende Dupuytren-Erkrankung rechts mehr als links
Der Sachverständige hat festgestellt, dass ein mit einem der in den versorgungsmedizinischen Grundsätzen für das Merkzeichen "aG" aufgeführten Gruppen von Amputationsbefunden vergleichbarer Zustand auch nicht annähernd vorliegt. Der Kläger kann sich orthopädischerseits ohne fremde Hilfe und ohne große Anstrengung außerhalb des Kraftfahrzeugs bewegen. Soweit der Kläger angibt, dass er nur ca. 20 m am Stück gehen könne, bevor er wegen Schweißausbrüchen pausieren muss, hat der Sachverständige festgestellt, dass diese Zwangspausen nicht durch die orthopädischen Befunde, sondern allenfalls als Somatisierungsstörung zu erklären sind. Diese Feststellungen sind nachvollziehbar, da die Gehbehinderung nach den festgestellten Diagnosen im Wesentlichen auf der Versteifung des linken Kniegelenkes beruht, die jedoch nicht mit der Gehbehinderung eines Doppeloberschenkelamputierten oder einer vergleichbaren Gruppe von Amputationsbefunden gleichzustellen ist.
Das ebenfalls vom SG eingeholte internistische Gutachten des Sachverständigen W. M. vom 26.05.2009 hat dieses Ergebnis bestätigt. Aus internistischer Sicht liegen eine coronare Herzerkrankung sowie eine arterielle Hypertonie vor, die seitens des Beklagten mit einem Einzel-GdB von 20 bereits vergleichsweise hoch eingestuft worden sind. Hinweise für eine außerordentliche Gehbehinderung sind nicht gefunden worden, nicht einmal die leichter zu erfüllenden Voraussetzungen des "Bayern-aG" liegen vor.
Auch aus den vom Kläger vorgelegten bzw. vom Gericht eingeholten Attesten und Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte lassen sich keine Hinweise auf das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" entnehmen:
Der Allgemeinarzt Dr. W. H. stellte in seinem Attest vom 12.02.2008 lediglich fest, der Kläger könne sich ohne Gehhilfen weder außer Haus noch in der Wohnung fortbewegen. Die Möglichkeit, sich mit Gehhilfen fortzubewegen, wurde nicht bestritten. Das für die Zuteilung des Merkzeichens "aG" maßgebliche Merkmal, ob sich jemand nur "mit fremder Hilfe" fortbewegen kann, wird jedoch nicht dadurch erfüllt, dass der Betroffene auf Hilfsmittel angewiesen ist; vielmehr ist die Unterstützung durch eine andere Person notwendig. Die Berufungsbegründung, die das Angewiesensein auf fremde Hilfe gerade durch die Notwendigkeit der Benutzung von Gehhilfen erfüllt sieht, geht insoweit ins Leere.
Auch der Orthopädie Dr. L. S. bescheinigte in seinem Attest vom 29.04.2008 lediglich, dass der Kläger auf die Benutzung von einem Paar Unterarm-Gehstützen sowie auf das Tragen von einem Paar orthopädischer Schuhe angewiesen sei. Dementsprechend wurde nur eine erhebliche Einschränkung der Wegefähigkeit bescheinigt, die die Voraussetzung des bereits zuerkannten Merkzeichen "G" bildet, nicht jedoch die Voraussetzung für das Merkzeichen "aG".
Auch in seinem weiteren Attest vom 03.05.2007 bestätigte der Allgemeinarzt
Dr. W. H. lediglich, dass der Kläger außergewöhnlich gehbehindert sei und ohne Gehhilfe nicht gehen könne, da das linke Bein versteift sei. Auch dadurch werden nur die bisherigen Feststellungen bestätigt.
Soweit der Facharzt für Orthopädie, S. B., in seinem Attest vom 08.01.2010 angibt, die Strecke des Klägers sei bei wenigen Metern unter starken Beschwerden eingeschränkt, so dass dem Kläger das Merkzeichen "aG" zustehe, so gab diese Einschätzung keinen Anlass zu weiteren gerichtlichen Ermittlungen. Denn diese kurze ärztliche Bescheinigung gibt weder irgendeine Begründung an, noch setzt sie sich in irgendeiner Weise mit den Gerichtsgutachten auseinander und lässt nicht erkennen, ob die Einschränkung der Gehstrecke bei wenigen Metern mit oder ohne Benutzung von Unterarm-Gehstützen gemeint ist.
Soweit der Kläger bei der Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. F. angegeben hat, dass er beim Gehen alle 20 m pausieren müsse, weil es zu Schweißausbrüchen komme, hält der Senat die Einholung eines psychiatrischen Fachgutachtens zur Abklärung möglicher psychischer Ursachen dieser Schweißausbrüche für nicht erforderlich. Zum einen liegen selbst nach Auffassung des behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie des Klägers, Dr. S. R., der selbst auch Facharzt für Sozialmedizin ist, nur die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" vor, obwohl der Psychiater ausführlich ein chronisches skelettales Schmerzsyndrom mit Verdacht auf neurogene Schmerzkomponenten im Nebenbereichen des Kniegelenkes und Unterschenkels beschreibt, die ihre Ursache in einer schweren depressiven Störung und depressiven Grundstimmung hätten. Zum anderen lägen selbst dann, wenn man unterstellen würde, dass bei einer Wegstrecke von 20 m der Kläger eine Pause beim Gehen einzulegen hätte, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" nicht vor, weil eine solche Einschränkung der Gehfähigkeit nicht mit den körperlichen Anstrengungen vergleichbar ist, denen Doppeloberschenkelamputierte oder vergleichbare Gruppen von Amputationsbefunden ausgesetzt sind. Die Tatsache, dass ein Betroffener nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, ist nach der Rechtsprechung des BSG nur ein Indiz für eine Erschöpfung. Für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" reichten jedoch nicht irgendwelche Erschöpfungszustände aus. Sie müssten vielmehr in ihrer Intensität gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen sein, die Schwerbehinderte der explizit aufgeführten Vergleichsgruppen erlitten (BSG, Urteil vom 29.03.2007 Az.: B 9a SB 1/06 R Rdnr. 19 bei juris = VersorgVerw 2007, 61; BSG, Urteil vom 29.03.2007 Az.: B 9a SB 5/05 R
Rdnr. 15 bei juris = SGb 2007, 352). Für Erschöpfungszustände solchen Ausmaßes geben weder die vorgelegten ärztlichen Befunde noch das sonstige Vorbringen des Klägers hinreichende Anhaltspunkte.
Soweit sich der Kläger in seiner Berufungsbegründung auf das Urteil des SG Düsseldorf vom 16.12.2008 Az.: S 35 (6) SB 43/06 darauf beruft, für eine Gleichstellung anderer Gruppen von schwerbehinderten Menschen bezüglich des Merkzeichens "aG" komme es nicht nur darauf an, ob vergleichbare körperliche Anstrengungen im pulmonalen oder muskulären Bereich vorlägen, vielmehr reiche es aus, wenn große Anstrengungen geistiger Art - hier Anforderung an die Konzentration - zur Fortbewegung erforderlich seien, kann offen bleiben, ob insoweit eine Fortbildung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts angezeigt ist oder nicht. In dem dem Urteil des SG Düsseldorf zu Grunde liegenden Fall lag ein völlig anderes Erkrankungsbild vor. Die Klägerin jenes Falles litt nicht nur an der Versteifung eines Kniegelenks, sondern an einer Deformation der unteren Extremitäten in Verbindung mit einer ausgeprägten neurologischen Erkrankung, die dazu führte, dass sie nur noch begrenzt in der Lage war, die notwendige Abduktion der Beine beim Vorspringen des Fußes im Rahmen der Kniebewegungen durchzuführen. Durch die Unmöglichkeit dieser Bewegungskombinationen wirkte das Gangbild in besonderer Weise schleppend. Die Klägerin war kaum noch in der Lage, die Motorik der Beine willentlich zu steuern. Nur mit höchster Anforderung an die Konzentration und mit ständigem Blick auf die Beine und Füße war die Klägerin in der Lage, sich fortzubewegen, was zu einer vorzeitigen Erschöpfung führte. Insbesondere unterscheidet sich der Fall des SG Düsseldorf vom vorliegenden dadurch in wesentlicher Hinsicht, dass die dortigen Erschöpfungszustände ihre Ursache in der bereits in orthopädischer und neurologischer Hinsicht eingeschränkten Gehfähigkeit hatten und nicht in rein psychischen Gründen wie hier. Rein psychisch bedingte Einschränkungen der Gehfähigkeit sind nicht in der Lage, zu einer Gleichstellung mit Doppeloberschenkelamputierten oder vergleichbaren Gruppen von Amputationsbefunden im Sinne der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" zu führen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
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