L 16 SB 161/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
16
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 SB 497/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 SB 161/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Grad der Behinderung nach § 69 SGB IX.
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Klägerin seit dem 27.02.2006 ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 zusteht.

Durch Bescheid vom 14.07.2004 stellte der Beklagte bei der 1947 geborenen Klägerin für folgende Gesundheitsstörungen einen Gesamt-GdB von 20 fest:
1. Wirbelsäulensyndrom bei degenerativen Veränderungen, Bandscheibenläsionen lumbal mit Nervenwurzelreizung, Schulter-Armsyndrom: Einzel-GdB 20
2. allergische Diathese: Einzel-GdB 10
3. Somatisierungen bei Dysthymie: Einzel-GdB 10

Im Januar 2005 wurde die Klägerin von ihrem Arbeitgeber von ihrer bisherigen, jahrzehntelang (seit 1971) ausgeübten Stelle als Sekretärin eines Chefarztes ins Archiv des Krankenhauses versetzt. Nach den Angaben der Klägerin habe dieses Ereignis ihr Leben nachhaltig verändert. Sie wage sich nicht mehr unter Menschen und leide unter starken Schlafstörungen.

Am 27.02.2006 beantragte sie eine Erhöhung des GdB wegen zwischenzeitlicher Verschlechterung ihres Zustandes.

Mit Bescheid vom 06.06.2006 lehnte der Beklagte die Neufeststellung des GdB ab. Dagegen legte die Klägerin am 28.06.2007 Widerspruch ein.

Durch Teilabhilfebescheid vom 05.06.2007 erkannte der Beklagte der Klägerin einen Gesamt-GdB von 40 seit dem 27.02.2006 für folgende Gesundheitsstörungen zu:
1. seelische Störung, Dysthymie: Einzel-GdB 20
2. Bewegungseinschränkung im rechten Handgelenk, Funktionseinschränkungen der rechten Hand, Beugekontrakturen in den Mittelgelenken beider Kleinfinger: Einzel-GdB 20
3. Belastungseinschränkung des linken Beines bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit: Einzel-GdB 20
4. degeneratives Wirbelsäulensyndrom, Bandscheibenschäden mit Wurzelreizungen, Schulter-Armsyndrom, Osteoporose: Einzel-GdB 20
5. Diabetes mellitus: Einzel-GdB 10
6. allergische Diathese: Einzel-GdB 10

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2007 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 06.06.2006 als unbegründet zurück, soweit ihm nicht abgeholfen worden war.

Dagegen hat die Klägerin am 28.06.2007 beim Sozialgericht Würzburg (SG) Klage erhoben.

Das SG hat Befundberichte eingeholt, unter anderem von Dr. M. (praktische Ärztin und Psychotherapeutin) vom 17.02.2008, bei der die Klägerin vom 14.03.2005 bis zum 07.01.2008 psychotherapeutisch in Behandlung gewesen war. Als Diagnosen seien eine depressive Episode (mittelgradig) sowie eine Anpassungsstörung gestellt worden.

Das SG hat die Ärztin für öffentliches Gesundheitswesen Dr. L. T. zur Sachverständigen ernannt, die ihr Gutachten nach Untersuchung der Klägerin am 30.04.2008 zu dem am selben Tag abgehaltenen Erörterungstermin abgegeben hat. Die Sachverständige hat einen Gesamt-GdB von 40 festgestellt. Die Funktionsbeeinträchtigungen seien im Einzelnen wie folgt zu bewerten:
Seelische Störungen, Dysthymie (Einzel-GdB 20); Funktionsbehinderung rechtes Handgelenk, Beugekontraktur beider Kleinfinger, Dupuytren sche Sehnenverhärtung rechts (Einzel-GdB 20); arterielle Verschlusskrankheit linkes Bein (Einzel-GdB 20); rezidivierendes Wirbelsäulensyndrom, Osteoporose( Einzel-GdB 10, hierzu hat die Gutachterin festgestellt, dass der vom Beklagten angesetzte Einzel-GdB von 20 zu hoch sei, da die Wirbelsäule in allen Abschnitten frei beweglich sei) und allergische Diathese (Einzel-GdB 10).

Den seitens des Beklagten festgestellten Einzel-GdB für Diabetes mellitus hat die Sachverständige nicht bestätigt.

Auf Antrag der Klägerin hat das SG nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B. eingeholt, das dieser am 17.11.2008 abgegeben hat. Nach Auffassung des Sachverständigen liege ein Gesamt-GdB von 50 vor. Die psychischen Störungen der Klägerin seien mit einem Einzel-GdB von 20 nicht hinreichend bewertet. Bei der Klägerin finde sich eine Angst- und Panikstörung, des Weiteren Merkmale für eine soziale Phobie. Die Versetzung im Jahr 2005 habe zu einer narzisstischen Kränkung geführt, das Ausmaß der pathologischen Verarbeitung des Kränkungserlebnisses erfülle die Kriterien einer mittelschweren posttraumatischen Belastungsstörung. Die Graduierung als mittelgradig ergebe sich aus dem Ausmaß der Behinderung in der Alltagsbewältigung. Völlig unabhängig davon, ob die Reaktion auf die berufliche Veränderung als adäquat oder als überwertig eingestuft werde, sei dieses Kränkungserleben nur aufgrund der narzisstischen Persönlichkeitsstörung der Klägerin zu erklären. Eine isolierte Dysthymie könne mit einem GdB von bis zu 20 bewertet werden. Hinzu komme jedoch im vorliegenden Fall eine Angststörung mit Panikstörung, des Weiteren seien aufgrund des Ausmaßes der Einschränkungen im Alltagsleben mit einer eindeutigen Somatisierungsstörung mit erheblichen Vitalstörungen, mit deutlich ausgeprägter Grübelneigung und erheblicher Schlafstörung erhebliche Krankheitssymptome vorhanden, wie sie üblicherweise bei einer mittelschweren depressiven Episode zu finden seien. Der Rahmen für den GdB liege nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit hierfür zwischen 30 und 40 %. Aufgrund des Einschränkungsgrades, des weitgehenden Verlustes von Sozialkontakten, des weitestgehenden Vermeidens von Zusammentreffen mit früheren Freunden und Bekannten, des ausgiebigen Vermeidungsverhaltens betreffend des Aufsuchens von Orten mit höherer Publikumsfrequenz wie etwa von Supermärkten, der erheblichen Grübelneigung, die den überwiegenden Teil der frei verfügbaren Zeit zu bestimmen scheine und ihre erheblich ausgeprägten Schlafstörungen, sei für diesen Teilaspekt ein Einzel-GdB von 40 anzuerkennen. Darüber hinaus sei für eine Stenose im Bereich der hirnversorgenden Gefäße ein Einzel-GdB von 20 anzusetzen.

Der ärztliche Dienst des Beklagten hat durch Stellungnahme vom 15.01.2009 eingeräumt, dass die seelische Störung mit einem Einzel-GdB von 30 ab April 2008 (Zeitpunkt der Untersuchung bei Dr. T.) bewertet werden könne. Am Gesamt-GdB ändere sich jedoch dadurch nichts. Ein höherer Einzel-GdB als 30 sei für die psychischen Störungen nicht zu rechtfertigen, da die Klägerin trotz Schlafstörungen und Antriebslosigkeit offenbar weder Schlafmittel noch Antidepressiva einnehme, was den angegebenen Leidensdruck relativiere; auch könne die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht nachvollzogen werden, da das auslösende Ereignis nicht den geforderten Diagnosekriterien entspreche. Die Verkalkung der Gehirngefäße sei ein Risikofaktor (zum Beispiel für einen Schlaganfall), bedinge jedoch noch keine eigenständige Beeinträchtigung im Alltag.

Die praktische Ärztin und Ärztin für Psychotherapie Dr. I. M. hat durch Schreiben vom 02.04.2009 mitgeteilt, dass sich die Klägerin vom 14.03.2005 bis zum 16.06.2008 in ihrer kontinuierlichen ambulanten ärztlich-psychotherapeutischen Behandlung befunden habe. Die Klägerin habe unter depressiven Stimmungslagen, schweren Schlafstörungen, Schweißausbrüchen, Magenproblemen, zum Teil Antriebsschwäche, innerer Unruhe und Angstzuständen gelitten. Als Diagnose sei gestellt worden: depressives Erschöpfungssyndrom (ICD-10 F 48.0). Die Depressivität habe sich zunächst nach einem stationären Aufenthalt im September 2005 etwas gebessert. Etwa drei Monate vor der letzten Konsultation am 16.06.2008 hätten sich die Befunde jedoch verschlechtert.

Schließlich hat das Gericht ein weiteres Sachverständigengutachten von der Ärztin für Psychiatrie und öffentliches Gesundheitswesen Dr. B. vom 18.05.2009 eingeholt. Dr. B. hat den Gesamt-GdB von 50 bestätigt. Die seelische Störung sei ab 17.02.2008 zu bezeichnen als "depressive Anpassungsstörung, derzeit mittelgradige depressive Episode, soziale Phobie" und mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Es handle sich ab dem 17.02.2008 um eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Die Klägerin habe seit Beginn ihrer psychotherapeutischen Behandlungen im März 2005 das Antidepressivum Citalopram eingenommen; nach vorübergehender Besserung habe sich die Depression seit Anfang 2008 verstärkt. Eine posttraumatische Belastungsstörung könne nicht diagnostiziert werden, da der Anlass den Kriterien nicht entspreche. Eine paranoide Symptomatik habe sich bei der Untersuchung nicht gefunden.

Der ärztliche Dienst des Beklagten hat in seiner Stellungnahme vom 30.06.2009 ausgeführt, dass er bezüglich der psychischen Störungen bei einem GdB von 30 bleibe. Das Wirbelsäulensyndrom könne nur noch mit einem Teil-GdB von 10 bewertet werden. Auch die Funktionseinschränkung im rechten Handgelenk sei nur mit einem Einzel-GdB von 10
zu bewerten. Der medikamentös nicht behandelte Diabetes mellitus sei nicht als Behinderung aufzuführen. Zusammenfassend ergäben sich folgende Funktionsbeeinträchtigungen:
Seelische Störung (Einzel-GdB 30), arterielle Verschlusskrankheit des Beines links (Einzel-GdB 20), Funktionsbehinderung der rechten Hand, Beugekontraktur in den Mittelgelenken beider Kleinfinger (Einzel-GdB 10), Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Bandscheibenschäden, Schulter-Armsyndrom, Osteoporose (Einzel-GdB 10) und allergische Diathese (Einzel-GdB 10).

Das SG hat durch Gerichtsbescheid vom 26.08.2009 die Klage abgewiesen. Die seelische Störung sei mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Es handle sich um eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Soweit der Sachverständige Dr. B. hierfür einen Einzel-GdB von 40 angenommen habe, sei ihm bereits nicht zu folgen, weil die von ihm zugrunde gelegte Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht nachvollzogen werden könne. Außerdem liege die von Dr. B. zusätzlich zugrunde gelegte paranoide Symptomatik nach Feststellung der Sachverständigen Dr. B. nicht vor. Unter Zugrundelegung eines Einzel-GdB von 30 für die psychischen Störungen ergebe sich ein Gesamt-GdB von 40. Die Sachverständige Dr. B. habe - ausgehend von einem Einzel-GdB von 30 für die psychischen Störungen - nicht begründet, wie sie zu einem Gesamt GdB von 50 gekommen sei. Zu berücksichtigen sei bei der Festlegung des Gesamt-GdB von 40 auch, dass der Einzel-GdB für die Funktionseinschränkung der rechten Hand mit 20 eher großzügig beurteilt sei, da nach den gutachterlichen Feststellungen nur eine geringe Einschränkung der Handbeweglichkeit vorliege. Außerdem bewirkten die einzelnen Beeinträchtigungen keine wechselseitige Verschlimmerung.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 02.10.2009 Berufung eingelegt.

Das Landessozialgericht (LSG) hat den Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. G. C. zum Sachverständigen ernannt. In dessen Gutachten vom 18.05.2010 hat dieser folgende Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt:
Seelische Störungen (Einzel-GdB 30), Bewegungeinschränkung rechtes Handgelenk (Einzel-GdB 20), Belastungseinschränkungen im Bein (Einzel-GdB 20), degeneratives Wirbelsäulensyndrom (Einzel-GdB 20), Diabetes mellitus (Einzel-GdB 0), allergische Diathese (Einzel-GdB 10) und vertebralis/Basilaris-Stenose (Einzel-GdB 0).
Auf nervenärztlichen Gebiet bestehe ab dem 27.02.2006 eine Anpassungsstörung mit länger dauernden depressiven Reaktionen gemäß ICD-10: F 43.21; diese Diagnose umfasse auch die phobische Störung. Der Gesamt-GdB betrage 40 von Hundert.

Nach Auffassung der Klägerin stehe aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen Dr. B. fest, dass die seelischen Störungen mit einem Einzel-GdB von 30 zu niedrig bemessen seien. Die Funktionsbeeinträchtigungen der rechten Hand seien mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten; die Bewegungseinschränkung im rechten Handgelenk sei schmerzhaft.

Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 26.08.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 06.06.2006 und des Teilabhilfebescheides vom 05.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2007 einen Gesamt-GdB von mindestens 50 von 100 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte des Beklagten verwiesen.



Entscheidungsgründe:


Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Berufung bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 40.

Gemäß § 69 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung (nachfolgend: GdB) auf Antrag fest. Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehner-Graden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs. 1 S. 3 SGB IX). Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Satz 6 SGB IX). Die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 S. 5 SGB IX). Durch diesen Verweis gelten entsprechend die Maßstäbe der am 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV), insbesondere die als Anlage zu § 2 VersMedV erlassenen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze". Bis zum 31.12.2008 waren dagegen die Anhaltspunkte für die Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (nachfolgend: Anhaltspunkte) maßgeblich, bei denen es sich nach der Rechtsprechung um antizipierte Sachverständigengutachten mit normähnlicher Wirkung handelte (aus der umfangreichen Rspr. siehe nur BSG, Urteil vom 18.09.2003 Az. B 9 SB 3/02 R, Rdnr. 21 bei juris = BSGE 91, 205). Die Versorgungsmedizin-Verordnung ist mit den Anhaltspunkten weitgehend inhaltlich identisch; ihr Erlass sollte nur das rechtsstaatliche Defizit beseitigen, das den Anhaltspunkten, die keine Rechtsnorm im formellen Sinne darstellten, anhaftete. Soweit sich aus den Anhaltspunkten gegenüber der Versorgungsmedizin-Verordnung keine Besonderheiten ergeben, wird daher im Folgenden ausschließlich Letztere zitiert, auch soweit Zeitabschnitte vor dem 01.01.2009 betroffen sein sollten.

Nach der unter Würdigung der eingeholten Sachverständigengutachten gebildeten Überzeugung des Senats liegen bei der Klägerin seit dem 27.02.2006 folgende Beeinträchtigungen hinsichtlich der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor:

1. Psychische Erkrankungen: Einzel-GdB 30
Es liegen zwei fachärztliche psychiatrische gerichtliche Sachverständigengutachten vor, nämlich die von Dr. E. B. und von Dr. C., die übereinstimmend die Störungen im seelischen Bereich mit einem Einzel-GdB von 30 bewerten. Nach dem Gutachten von Dr. C. liegt eine Anpassungsstörung mit länger dauernder depressiver Reaktion gemäß ICD-10 F 43.21 vor, wobei diese Diagnose die phobische Störung mit umfasse. Die Diagnose von Frau Dr. B. lautet depressive Anpassungsstörung, derzeit mittelgradige depressive Episode und soziale Phobie.
Auslöser des jetzt bestehenden psychischen Störungsbildes war die Versetzung der Klägerin im Januar 2005 von ihrer bisherigen Stelle als Chefsekretärin in das Archiv, die bei Vorbelastung durch eine narzisstische Persönlichkeitsstruktur als extreme Kränkung erlebt wurde, die die Klägerin bis heute nicht adäquat verarbeitet hat. Nach den Feststellungen der Gutachterin Dr. B. kam es nach einem stationären Aufenthalt im Jahr 2005 zunächst zu einer gewissen Verbesserung der depressiven Symptomatik, seit Anfang 2008 habe sich der Zustand wieder verschlechtert, so dass nun von einer mittelgradigen depressiven Episode zu sprechen sei. Auch eine mittelgradige depressive Episode ist jedoch noch nicht als schwere Störung im Sinne der Versorgungsmedizinischen Grundsätze B 3.7 (Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen), sondern nur als stärker behindernde Störung im Sinne der genannten Vorschrift einzuschätzen, die bei wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit einen GdB zwischen 30 und 40 begründet. Insoweit besteht Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. B., der ebenfalls auf den Rahmen von 30 bis 40 und nicht auf den bei schweren Störungen eröffneten Rahmen von 50 bis 70 zurückgreift. Die wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit äußert sich in folgenden Symptomen: Schlaflosigkeit, Angstzustände mit der Folge des Meidens bestimmter sozialer Kontakte, Neigung zum Grübeln.

Dem Sachverständigen Dr. B., der im Gegensatz zu den beiden Sachverständigen Dr. B. und Dr. C. die Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit für so gravierend erachtet, dass er innerhalb des nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen eröffneten Bewertungsrahmens von 30 bis 40 Prozentpunkten den höheren Wert von 40 für einschlägig hält, schließt sich der Senat aus folgenden Gründen nicht an: Erstens lässt sich nach der übereinstimmenden Auffassung der Sachverständigen Dr. B. und Dr. C. sowie des ärztlichen Dienstes des Beklagten die Auffassung des Sachverständigen Dr. B., dass die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung zu stellen sei, nicht aufrechterhalten. Die posttraumatische Belastungsstörung entsteht nach der Definition in ICD-10 F 43.1 als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Die Versetzung von einem Posten als Chefsekretärin auf eine Stelle im Archiv kann - so kränkend sie im Einzelfall auch sein mag - nicht als Ereignis mit außergewöhnlicher Bedrohung oder von katastrophenartigem Ausmaß bezeichnet werden, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Selbst der Sachverständige Dr. B. räumt ein, dass die außerordentliche Schwere der Reaktion der Klägerin auf dieses Ereignis nur durch das Ausmaß der bei ihr bestehenden Disposition einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung zu erklären sei. Bereits diese unkorrekte Diagnosestellung relativiert den Beweiswert der gutachtlichen Einschätzung von Dr. B ... Im Übrigen ergibt auch eine Gesamtschau der Schilderungen über das von der Klägerin geführte Leben, dass sie zwar von ihrer Persönlichkeitsstörung im Sinne von Schlafstörungen, Grübeln und sozialem Rückzug betroffen ist, dies jedoch nicht in so hohem Ausmaß, dass der zur Verfügung stehende Bewertungsrahmen von 30 bis 40 Prozentpunkten mit dem höheren Prozentrang auszunutzen wäre, da die Klägerin im Großen und Ganzen ein ihrer persönlichen Situation adäquates Leben führt. Nach dem im Gutachten von Frau Dr. B. geschilderten Tagesablauf steht die Klägerin um 7:30 Uhr auf. Sie kümmert sich wie bisher um ihren erkrankten Ehemann, verrichtet ihre Haus- und Gartenarbeit und hat Kontakt mit ihren Enkeln: Aus diesen Schilderungen ist zu schließen, dass die Klägerin ein für ihr Alter und ihre persönliche Situation, auch wenn man bedenkt, dass ihr Ehemann seit Jahren schwer erkrankt ist (Schlaganfall 1998 mit Wesensveränderung, Bypassoperationen des Ehemannes 2000 und Operation an der Halsschlagader 2002), ein normales und erfülltes Leben führt, das sich hinsichtlich der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vom Leben eines gesunden Menschen in einer vergleichbaren Lebenssituation nicht wesentlich unterscheidet, wenn auch die Lebensqualität durch immer wieder aufflackernde Erinnerungen an die Kränkungssituation beeinträchtigt wird.

2. Bewegungeinschränkung im rechten Handgelenk, Funktionseinschränkungen der rechten Hand: Einzel-GdB 20
Bewegungseinschränkungen des Handgelenks werden nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen B 18.13 bei geringem Grad mit einem GdB von 0 bis 10 und bei stärkerem Grad mit einem GdB von 20 bis 30 bewertet. Nach den überzeugenden Ausführungen des Gutachters Prof. Dr. C. ist die Einschätzung eines Einzel-GdB von 20 als großzügig anzusehen, da die Funktionseinschränkung der rechten Hand in der Untersuchung nur geringgradig gewesen ist und Schmerzen nicht spontan angegeben worden sind, auch ist die Beweglichkeit so gegeben, dass intensive Stricktätigkeit möglich ist.

3. Belastungseinschränkung des linken Beines bei peripherer Arterienverschlusskrankheit: Einzel-GdB 20. Dieser Punkt ist unstreitig.

4. Degeneratives Wirbelsäulensyndrom, Bandscheibenschäden mit Wurzelreizungen, Schulter-Armsyndrom, Osteoporose: Einzel-GdB 20
Dieser Einzel-GdB ist nicht höher anzusetzen; fraglich könnte nur sein, ob er geringer anzusetzen ist, da im Gutachten von Frau Dr. T. eine freie Wirbelsäulen-Beweglichkeit in allen Abschnitten festgestellt wurde, die sie mit einem Einzel-GdB von 10 bewertete.

5. Diabetes mellitus: Einzel-GdB 0
Da keine medikamentöse Behandlung erforderlich ist, ist der Einzel-GdB im Einklang mit dem Gutachten von Dr. T. und Prof. C. mit Null anzusetzen (Versorgungsmedizinische Grundsätze B 15.1).

6. Allergische Diathese: Einzel-GdB 10
Diese Gesundheitsstörung wurde von keinem Gutachter mit einem höheren Einzel-GdB als 10 v. H. bewertet.

7. Stenose der hirnversorgenden Gefäße (Verberalis/Basilarisstenose): Einzel-GdB 0
Im Gegensatz zur Einschätzung von Dr. B. ist hier kein Einzel-GdB einzusetzen, da nicht ersichtlich ist, inwieweit die Stenose, die ein Infarktrisiko begründen mag, zu gegenwärtigen Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft führen sollte.

Aus diesen Einzel-GdB ist ein Gesamt-GdB von 40 und nicht von 50 oder mehr zu bilden.

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Der Gesamt-GdB ist geringer als die Summe der Einzel-GdB, soweit sich Funktionsbeeinträchtigungen überschneiden (Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze). Im Wesentlichen gilt:

- Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Einzel-GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.

- Von Ausnahmefällen abgesehen, führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit
einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Ein Ausnahmefall in diesem Sinne kommt nach der Rechtsprechung nur dann in Betracht, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt (zum Beispiel: hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung des Sehfähigkeit). Dagegen genügt es nicht, dass die Funktionsbeeinträchtigungen verschiedene Lebensbereiche betreffen (BSG, Urteil vom 13.12.2000 Az. B 9 V 8/00 R Rdnr. 16 = Breithaupt 2001, 376).

Danach ist vom höchsten Einzel-GdB, im vorliegenden Fall von 30 für die seelische Störung, auszugehen. Die übrigen Einzel-GdB von 20, die jeweils für die Bewegungseinschränkungen im Bereich der rechten Hand, des linken Beines und der Wirbelsäule vergeben wurden, vermögen diesen höchsten Wert um maximal 10 Prozentpunkte zu erhöhen. Dabei wird berücksichtigt, dass sich die Auswirkungen dieser Funktionsbeeinträchtigungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vielfach überschneiden und dass eine wechselseitige nachteilige Auswirkung der einen Funktionsbeeinträchtigung auf die andere nicht vorliegt. Der Senat schließt sich damit der Einschätzung des Gutachtens von Prof. Dr. C. bezüglich der Bildung des Gesamt-GdB an. Soweit die Sachverständige Dr. B. in ihrem Gutachten bei Annahme eines höchsten Einzel-GdB von 30 und weiteren Einzel-GdB´s von nicht mehr als jeweils 20 zu einem Gesamt-GdB von 50 gekommen ist, vermag dies der Senat nicht nachzuvollziehen, zumal die Sachverständige die Bildung des Gesamt GdB nicht weiter erläutert hat. Der Einzel-GdB von 10 für die allergische Diathese wirkt sich nach den o. g. Grundsätzen auf die Bildung des Gesamt-GdB nicht aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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