L 19 R 417/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 16 R 4175/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 417/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 94/11 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Einer psychischen Störung kommt erwerbsmindernder Bedeutung zu, wenn sie weder aus eigener Kraft noch unter ärztlicher Mithilfe überwunden werden kann.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 10.03.2005 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1952 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Sie war zuletzt versicherungspflichtig tätig als Ausfahrerin für Medikamente (1998/1999 und Juli/August 2002). Bis Dezember 2004 bezog die Klägerin Arbeitslosenhilfe.

Am 16.10.2002 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ sie durch den Orthopäden Dr. S. untersuchen, der im Gutachten vom 05.03.2003 zu dem Ergebnis kam, bei der Klägerin bestehe ein vollschichtiges und altersgerechtes Leistungsvermögen für leichte, gelegentlich auch mittelschwere Arbeiten im Wechselrhythmus. Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 15.04.2003 ab. Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch. Die Beklagte veranlasste eine Untersuchung durch den Neurologen und Psychiater Dr. P ... Dieser führte im Gutachten vom 24.11.2003 aus, der psychiatrische Befund sei unauffällig. Von Seiten seines Fachgebietes stehe es außer Frage, dass die Klägerin noch in der Lage sei, einfache Tätigkeiten ohne Zeitdruck und ohne Exposition von Zug oder Kälte und ohne Zumutung schwerer Lasten vollschichtig auszuüben. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 12.02.2004 zurück und verwies die Klägerin mit dem festgestellten Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Ihre Wirbelsäule sei geschädigt. Die Beweglichkeit ihres Kopfes sei eingeschränkt. Sie leide ua an Kopfschmerzen, Schwindel, Schlafstörungen und Depressionen. Das SG hat Befundberichte eingeholt (Allgemeinärzte C. und Dr. K., Orthopäde Dr. S.). Im Auftrag des Gerichts hat der Orthopäde Dr. M. das Gutachten vom 01.12.2004 erstattet. Er stellte beginnende Verschleißerscheinungen der Hals- und Lendenwirbelsäule mit freier altersentsprechender Funktion ohne neurologische Störungen fest. Auf orthopädischem Fachgebiet bestünden keine erheblichen Gesundheitsstörungen. Die Klägerin könne noch vollschichtig erwerbstätig sein. In Frage kämen leichte und mittelschwere Arbeiten im Wechselrhythmus ohne besondere Belastung des Bewegungs- und Stützsystems. Der ebenfalls gehörte Internist Dr. G. kam in seinem Gutachten vom 21.12.2004 zu dem Schluss, dass die Klägerin noch leichte körperliche Arbeiten in wechselnder Haltung oder auch überwiegend im Sitzen im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne. Ein echtes psychisches Krankheitsbild liege nicht vor.

Die Klägerin hat ein Attest des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 02.03.2005 vorgelegt, in dem dieser mitteilt, dass sich die Klägerin seit dem 02.03.2005 in seiner Behandlung befände. Er bescheinigte ein schweres anhaltendes depressives Syndrom, einen schweren psychosomatischen Beschwerdekomplex, eine chronifizierte Angstneurose, Spannungskopfschmerzen, Cervikalsyndrom und Migräne.

Mit Urteil vom 10.03.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei uneingeschränkt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Das Gericht habe sich angesichts der eingeholten Befunde und sämtlicher vorhergehender Gutachten nicht davon überzeugen können, dass die Klägerin an den von Dr. S. nach einmaliger Konsultation am 02.03.2005 bescheinigten Gesundheitsstörungen leide. Außerdem seien die Behandlungsmöglichkeiten keinesfalls ausgeschöpft.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 09.06.2005. Sie ließ unter dem 26.06.2006 vorbringen, ihre psychischen Beschwerden hätten sich seit der mündlichen Verhandlung in erster Instanz verschlimmert.

Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte zum Verfahren beigenommen und den Internisten, Sozial- und Arbeitsmediziner Dr. D. zum ärztlichen Sachverständigen bestellt (Gutachten vom 10.06.2008). Als Gesundheitsstörungen mit leistungseinschränkender Bedeutung hat er festgestellt: Fehlhaltung und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Verschleißerscheinungen der die Schultergelenke umgebenden Weichteile bei freier Schultergelenksbeweglichkeit sowie Bluthochdruck. Es bestehe ein seelischer Beschwerdekomplex. Therapeutische Möglichkeiten - vorausgesetzt eine therapiebedürftige seelische Störung liege bei der Klägerin überhaupt vor - seien überhaupt nicht ausgeschöpft; die Klägerin habe angegeben, Dr. S. etwa viermal aufgesucht zu haben (zuletzt Anfang 2007). Die Klägerin könne weiterhin körperlich leichte, gelegentlich bzw. vorübergehend auch mittelschwere Arbeiten im Sitzen oder im Wechsel von Sitzen, Stehen und Umhergehen bevorzugt in geschlossenen Räumen verrichten. Nervlich besonders belastende Arbeiten sollten vermieden werden. Es gäbe keine medizinischen Gründe, die gegen die Wiederaufnahme der bisherigen Tätigkeiten, z.B. der einer Ausfahrerin für Medikamente sprächen. Mit den ergänzenden Stellungnahmen vom 18.12.2008 und vom 09.07.2009 hat sich Dr. D. zu den von der Klägerin gegen das Gutachten vorgebrachte Einwendungen geäußert und insbesondere von der Klägerin vorgelegte Lungenfunktionsberichte berücksichtigt. Er ist insgesamt bei seiner Leistungsbeurteilung verblieben.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 10.08.2009 einen Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Dr. F. vom 04.02.2009 vorgelegt. Hieraus sei die Diagnosefeststellung einer depressiven Reaktion bei Angststörung und der Hinweis zu entnehmen, dass eine Therapie mit Antidepressiva eingeleitet worden sei. Weiter habe Dr. F. ausgeführt, dass sich ihre seelische Situation dadurch verschlechtert habe, dass ihre Tochter an einer schweren Herzleistungsschwäche erkrankt sei. Es komme jetzt hinzu, dass ihre Tochter am 17.04.2009 einen Schlaganfall erlitten habe. Ihr eigener Gesundheitszustand habe sich dadurch noch verschlechtert.

Der Senat hat einen Befundbericht von Dr. F. vom 29.09.2009 eingeholt (Behandlungsdaten: 09.01., 04.09. und 29.09.2009) und auf Antrag der Klägerin die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. E. mit Gutachten vom 18.04.2010 gehört. Auf ihrem Fachgebiet hat sie bei der Klägerin eine ängstlich-depressive Entwicklung mit Neigung zur Somatisierung (Schwindel, Schmerzen, Augenzittern etc.) und eine depressive Reaktion sowie spezifische Phobien (Klaustrophobie, als Beifahrerin, allein zu sein) festgestellt. Es seien leichte bis mittelschwere Arbeiten im zeitlichen Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich zumutbar. Anforderungen an die Tätigkeit bestünden in qualitativer Hinsicht (wechselnde Körperhaltung, keine Zwangshaltungen, keine Überkopfarbeiten, kein Besteigen von Leitern und ohne belastende Unwelteinflüsse). Aufgrund der psychischen Belastung seien Tätigkeiten unter Zeitdruck, in Nachtschicht, mit vermehrter Verantwortungsübernahme oder mit Anforderung an eine erhöhte geistige Flexibilität/Umstellungsfähigkeit zu vermeiden. Offensichtlich habe hinsichtlich der psychischen Erkrankung eine schleichende Entwicklung stattgefunden. Eine Verschlechterung sei ab dem Erkrankungszeitpunkt der Tochter der Klägerin (Januar 2009) bzw. ab Beginn der fachärztlichen Behandlung seit Februar 2009 anzunehmen.

Die Beklagte hat sich hierzu geäußert und den Eintritt des Leistungsfalls der Erwerbsminderung am 09.01.2009 gesehen, also zum Zeitpunkt des Behandlungsbeginns bei Dr. F ... Die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente könne jedoch nicht erfolgen, da zum genannten Leistungsfall die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Letztmalig wären die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum 01.09.2006 erfüllt gewesen.

Die Klägerin ist der Auffassung, ihr Leistungsvermögen sei bereits Anfang des Jahres 2006 auf täglich unter sechsstündig herabgesunken. Dr. E. möge befragt werden, ob die Erwerbsminderung bereits Anfang 2006 vorgelegen habe (Schriftsatz vom 18.08.2010).

Der Senat hat mit Schreiben vom 23.08.2010 unter Hinweis auf die Ausführungen von Dr. D. und Dr. E. mitgeteilt, dass nicht beabsichtigt sei, Dr. E. erneut zu befragen. Unter Fristsetzung bis zum 17.09.2010 (verlängert bis 01.10.2010) werde zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung gebeten mitzuteilen, ob und ggf. mit welchen Gründen die Berufung aufrecht erhalten bleibe. Nach Ladungsfügung bzw. Terminsmitteilung vom 06.10.2010 zur Durchführung der mündlichen Verhandlung am 27.10.2010 hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 25.10.2010 daran festgehalten, Dr. E. zu befragen, ob die Erwerbsminderung bereits Anfang 2006 vorgelegen habe.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 10.03.2005 und den Bescheid der Beklagten vom 15.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund des Antrags vom 16.10.2002 zu gewähren, hilfsweise die Sachverständige Dr. E. erneut zu befragen (Schriftsatz vom 25.10.2010).

Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 10.03.2005 zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten und der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat mit Urteil vom 10.03.2005 zu Recht die Klage gegen den Bescheid vom 15.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.02.2004 abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Der Anspruch bestimmt sich nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), der neben der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (vgl. §§ 50 Abs 1 Nr 2, 51 Abs 1 SGB VI) das Vorhandensein von drei Jahren mit Pflichtbeiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung voraussetzt ("Drei-Fünftel-Belegung", § 43 Abs 1 S 1 Nrn 2 und 3, Abs 2 S 1 Nrn 2 und 3 SGB Vl). Darüber hinaus muss volle oder teilweise Erwerbsminderung vorliegen (vgl. § 43 Abs 1 S 1 Nr 1, Abs 2S 1 Nr 1 SGB VI).

Ein Anspruch der Klägerin käme nur in Betracht, wenn bei ihr (spätestens) am 01.09.2006
der Leistungsfall der Erwerbsminderung eingetreten wäre. Denn die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der § 43 Abs 1 S 1 Nr 2, Abs 2 S 1 Nr 2 und Abs 4 SGB VI waren zuletzt am 01.09.2006 erfüllt. Die Klägerin erfüllt auch nicht alternativ die Voraussetzungen des § 241 Abs 2 SGB VI, da in ihrem Versicherungsverlauf nicht jeder Kalendermonat vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit Beitragszeiten oder anwartschaftserhaltenden Zeiten belegt ist. Die bestehenden Versicherungslücken können nicht mehr durch eine entsprechende freiwillige Beitragsentrichtung aufgefüllt werden (§ 197 Abs 2 SGB VI).

Am 01.09.2006 bestand aber bei der Klägerin keine rentenrechtlich relevante Erwerbsminderung. Diese kann erst ab Januar 2009 angenommen werden.

Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs 1 S 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs 1 S 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (S 43 Abs 3 SGB VI).

Zur Überzeugung des Senats steht aufgrund der erstinstanzlich und im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten fest, dass bei der Klägerin ein Leistungsfall der teilweisen Erwerbsminderung erst ab 09.01.2009 angenommen werden kann, dem Zeitpunkt des Behandlungsbeginns bei Dr. F ... Die Beklagte hat insoweit auch anerkannt, dass die Klägerin ab diesem Zeitpunkt teilweise erwerbsgemindert ist.

Ein früherer Eintritt eines Leistungsfalles kann nicht angenommen werden. Erstinstanzlich
hat der Orthopäde Dr. M. mit Gutachten vom 01.12.2004 bei der Klägerin beginnende Verschleißveränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule mit freier altersentsprechender Funktion ohne neurologische Störungen festgestellt. Er hat ferner darauf hingewiesen, dass die alltäglichen Bewegungsmuster der Klägerin unauffällig gewesen sind und dass die Klägerin einen an akuten Körperschmerzen leidenden Eindruck nicht vermittelt hat. Insofern hat er sich den Ausführungen des von der Beklagten beauftragten Orthopäden Dr. S. im Gutachten vom 05.03.2003 angeschlossen und ist auch weiterhin vom Bestehen eines vollschichtigen Leistungsvermögens für körperlich leichte als auch für mittelschwere Arbeiten im Wechselrhythmus mit zusätzlichen qualitativen Einschränkungen ausgegangen. Auch Dr. G. hat bei der Untersuchung schwerwiegende funktionelle Beeinträchtigungen seitens des Bewegungsapparates ausgeschlossen (Gutachten vom 21.12.2004). Nach Dr. G. wird die bei der Klägerin bestehende Leistungseinschränkung vor allem durch einen Bluthochdruck sowie die subjektive Beschwerdesymptomatik seitens des Bewegungsapparates verursacht. Die Klägerin ist aber noch in der Lage, einer wenigstens sechsstündigen Tätigkeit nachzugehen. Leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung oder auch überwiegend im Sitzen können in geschlossenen Räumen verrichtet werden. Dr. G. hat weiter ausgeführt, dass ein echtes psychisches Krankheitsbild bei der Klägerin nicht vorliegt. Allerdings sind Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung zu vermeiden. Durchschnittliche Anforderungen an die geistige und psychische Belastbarkeit können gestellt werden.

Das SG hat sich ausführlich mit der psychischen Situation der Klägerin befasst, wie sie sich damals nach einem lediglich einmaligen Kontakt zum Neurologen und Psychiater Dr. S. am 02.03.2005 darstellte. Das SG hat zutreffend ausgeführt, dass der Bescheinigung des Dr. S. nach einmaliger Konsultation sozialmedizinisch keine Bedeutung zukommt.
Dr. S. hat sich ausschließlich auf die Angabe von Diagnosen beschränkt. Die Feststellungen des Dr. S. lassen sich auch nicht mit den vom SG eingeholten Befundberichten der behandelnden Arzte und den Beobachtungen von Dr. M. und Dr. G. in Übereinstimmung bringen.

Darüber hinaus hat die Klägerin bei den Untersuchungen durch Dr. D. und Dr. E. am 28.05.2008 bzw. 09.03.2010 angegeben, seit März 2005 an vier bzw. zwei Terminen bei Dr. S. in Behandlung gewesen zu sein. Selbst wenn die Klägerin an psychischen Gesundheitsstörungen bereits im Jahr 2005 gelitten hat, waren die Behandlungsmöglichkeiten damals nicht von der Klägerin genutzt worden. Dr. D. hat herausgestellt, dass die therapeutischen Möglichkeiten in keiner Weise ausgeschöpft wurden, geschweige denn, dass bisher von einer kontinuierlichen nervlichen Behandlung geredet werden kann. Es ist daher nicht nachgewiesen, dass zum damaligen Zeitpunkt die Klägerin die seelischen Störungen weder aus eigener Kraft noch unter ärztlicher Mithilfe überwinden konnte. Für das tatsächliche Vorliegen von seelisch bedingten Störungen, ihre Unüberwindbarkeit aus eigener Kraft und ihre Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit trifft aber den Rentenbewerber die (objektive) Beweislast (vgl. BSG SozR Nr 39 zu § 1246 RVO und BSG SozR Nr 76 zu § 1246 RVO).

Dr.D. hat im Gutachten vom 10.06.2008 ausgeführt, dass sich die depressiven Zustände und Angstzustände nicht in entsprechender Weise im Befund wieder gefunden haben, den er anlässlich der Untersuchung am 28.05.2008 erhoben hat. Vielmehr hat sich ein weitgehend der Begutachtung durch Dr. P. vom 24.11.2003 vergleichbarer Zustand ergeben. Ausdrücklich hat Dr. D. darauf hingewiesen, dass er nicht den Eindruck gewonnen habe, dass die Willensfähigkeit der Klägerin so erheblich beeinträchtigt ist, dass diese die inneren Hemmnisse gegen einen Wiedereintritt ins Erwerbsleben aus eigener Kraft und mit unzumutbarer Anstrengung nicht überwinden kann. lm Ergebnis führt er aus, dass - vorausgesetzt eine therapiebedürftige seelische Störung überhaupt bei der Klägerin vorliegt - die therapeutischen Möglichkeiten überhaupt nicht genutzt wurden. Eine psychische Störung wäre aber nur von erwerbsmindernder Bedeutung, wenn sie weder aus eigener Kraft noch unter ärztlicher Mithilfe überwunden werden kann (BSG Urteil vom 12.09.1990 - 5 RJ 88/89). Insgesamt ist Dr.D. zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin körperlich leichte, vorübergehend auch mittelschwere Arbeiten möglichst im Wechselrhythmus im Umfang von 6 Stunden und mehr leisten kann. Er hat sämtliche Gesundheitsstörungen der Klägerin beschrieben und mit überzeugender Begründung festgestellt, dass sich daraus eine quantitative Begrenzung der täglichen Arbeitszeit nicht ableiten lässt. Qualitative Einschränkungen folgen aus den festgestellten Gesundheitsstörungen: Fehlhaltung und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Verschleißerscheinungen der die Schultergelenke umgebenden Weichteile bei freier Schultergelenksbeweglichkeit sowie Bluthochdruck. Tätigkeiten im Sitzen oder im Wechsel von Sitzen, Stehen und Herumgehen bevorzugt in geschlossenen Räumen sind zumutbar. Gemieden werden sollen Verrichtungen in körperlichen Zwangshaltungen und nervlich besonders belastende Arbeiten.

Dagegen kann eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin mit dem 09.01.2009 angenommen werden. Dies ergibt sich aus dem Gutachten der auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörten Neurologin und Psychiaterin Dr. E. vom 18.04.2010. Sie hat bei der Klägerin eine ängstlich-depressiv-neurotische Entwicklung mit Neigung zur Somatisierung (Schwindel, Schmerzen, Augenzittern etc.), depressive Reaktionen und spezifische Phobien festgestellt, die ein Leistungsvermögen im zeitlichen Umfang von 3 bis unter 6 Stunden täglich bedingen. Nach Dr. E. hat eine schleichende Entwicklung hinsichtlich der psychischen Erkrankungen stattgefunden. Eine Verschlechterung ist anzunehmen ab dem Erkrankungszeitpunkt der Tochter der Klägerin (Januar 2009) bzw. Beginn der fachärztlichen Behandlung bei Dr. F ... Ein früherer Leistungsfall als Januar 2009 ist demnach nicht feststellbar.

Der Senat hat von einer erneuten Befragung der Sachverständigen Dr. E. abgesehen. Auf die Beweisfrage zum Gutachten vom 18.04.2010, seit wann, ggf. mit welchen zeitlichen Abstufungen der beschriebene Zustand besteht, hat die Sachverständige angegeben, dass eine schleichende Entwicklung stattgefunden habe. Eine Verschlechterung sei anzunehmen ab dem Erkrankungszeitpunkt der Tochter im Januar 2009 bzw. mit Beginn der fachärztlichen Behandlung (bei Dr. F.) seit Februar 2009 (gemeint: seit 09.01.2009). Diesen Ausführungen ist zu entnehmen, dass das Leistungsvermögen der Klägerin vor dem Hintergrund der von Dr. E. festgestellten ängstlich-depressiv-neurotischen Entwicklung erst ab Januar 2009 als quantitativ eingeschränkt eingeschätzt wird. Dr. E. führt auch an, dass die psychischen Erkrankungen nie derart ausgeprägt waren, dass umgehend eine stationäre oder eine konsequente ambulante Therapie erforderlich war. Eine erneute Befragung der Sachverständigen war daher nicht erforderlich, zumal es für die Annahme einer quantitativen Leistungseinschränkung aufgrund der psychischen Erkrankung hinsichtlich der Klägerin bis Januar 2009 an der Ausschöpfung von Behandlungsmöglichkeiten fehlt. Im Übrigen ist der Klägerin entgegen zu halten, dass sie nicht rechtzeitig den Antrag gestellt hat, die Sachverständige zur Erläuterung ihres Gutachtens anzuhören. Denn der Senat konnte nach Aufforderung zur Stellungnahme mit Fristsetzung zum 01.10.2010 nach Fristablauf und nach Ergehen der Terminsmitteilung vom 06.10.2010 über die Durchführung der mündlichen Verhandlung am 27.10.2010 nicht davon ausgehen, dass die Klägerin den Antrag - mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 25.10.2010 - aufrechterhält.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten, § 193 SGG.

Gründe, die Revision gem. § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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