L 16 AS 550/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AS 8/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 550/10
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Rückforderung nach § 45 SGB X; Abgrenzung leichte-grobe Fahrlässigkeit
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 18.5.2010 unter Ziffer II und der Bescheid der Beklagten vom 19.6.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.12.2009 auch für den Zeitraum vom 11.3.2006 bis zum 31.5.2008 aufgehoben.

II. Die Beklagte trägt die übrigen Kosten beider Rechtszüge der Klägerin.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Zwischen den Beteiligten ist in der Berufungsinstanz die teilweise Rückforderung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von insgesamt 6.284,18 EUR für den Zeitraum vom 11.3.2006 bis zum 31.5.2008 streitig.

Die 1950 geborene Klägerin bezieht seit dem 1.1.2005 zusammen mit ihrem Ehemann Leistungen nach dem SGB II von der Beklagten. Sie holte im Jahr 2005 an einem Abendgymnasium das Abitur nach und immatrikulierte sich im Herbst 2005 als Studentin der Philosophischen Fakultät der Universität A-Stadt. Gleichzeitig pflegte sie ihre Mutter bis zu deren Tod am 30.7.2008.

Im streitigen Zeitraum bewilligte die Beklagte der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin mit Bescheid vom 19.12.2005 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 27.6.2006 und 18.7.2006 für die Monate März und April 2006 Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 27.6.2006 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 18.7.2006 wurden der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin für den Zeitraum vom 1.6.bis 30.11.2006 Leistungen gewährt und mit Bescheid vom 3.11.2006 für die Zeit vom 1.12.2006 bis zum 31.5.2007. Mit Bescheid vom 3.11.2006 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 2.6.2007 und vom 25.10.2007 wurden Leistungen für die Zeit vom 1.6.2007 bis 30.11.2007 erbracht und mit weiterem Bescheid vom 25.10.2007 Leistungen für den Zeitraum vom 1.12.2007 bis zum 31.5.2008.

Im Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen nach dem SGB II vom 9.9.2008, auf einem veränderten Antragsformular, mit dem erstmals ausdrücklich nach einem Studium gefragt wurde, teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie seit dem Wintersemester 2005/2006 ein Magisterstudium aufgenommen habe.
Daraufhin erließ die Beklagte gegenüber dem Ehemann der Klägerin am 12.12.2008 einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid für den Zeitraum vom 17.10.2005 bis zum 31.5.2008 und forderte einen Gesamtbetrag in Höhe von 13.259,87 EUR zurück. Dieser Bescheid wurde im Widerspruchsverfahren aus formalen Gründen aufgehoben.

Mit streitgegenständlichen Bescheid vom 19.6.2009 erließ die Beklagte gegenüber der Klägerin einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid für den Zeitraum vom 1.10.2005 bis zum 31.5.2008. Sie hob die oben aufgeführten Bescheide teilweise auf und forderte, differenziert nach Monaten, Regelleistung und Kosten der Unterkunft insgesamt 8.290,22 EUR zurück. Die Klägerin habe nicht angegeben, dass sie bereits seit Oktober 2005 studiere. Sie sei ihrer Pflicht zur Mitteilung wesentlicher Änderungen nach § 60 Abs. 1 S. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) nicht nachgekommen. Sie habe somit zumindest grob fahrlässig nicht mitgeteilt, dass sie ein Studium aufgenommen habe. Ab Oktober 2005 habe sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Daher würden die Bescheide nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II sowie § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) bzw. nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II sowie § 330 Abs. 2 SGB III aufgehoben.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten mit Schreiben vom 29.6.2009 Widerspruch ein. Zur Widerspruchsbegründung wurde vorgetragen, dass sie keine falschen Angaben gemacht habe. Das Antragsformular würde keine Frage enthalten, die auf den Zusammenhang der Bewilligung mit einem etwaigen Studium hinweisen. Aus dem Formular habe sich die Erheblichkeit der Aufnahme eines Studiums für die Leistungsbewilligung nicht erschlossen. Die Klägerin habe die Relevanz der Aufnahme eines Studiums und die Möglichkeit einer Gewährung von Leistungen nach dem BAföG wegen ihres Alters nicht in Betracht gezogen. Den Hinweis auf die Verpflichtung, Änderungen in ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu benennen, habe sie stets in dem Sinne aufgefasst, dass eine Meldung zu erfolgen habe, wenn sich ihre Vermögensverhältnisse in dem Sinne änderten, dass sie auf die Leistungen nach dem SGB II nicht mehr angewiesen sei. An die Möglichkeit eines BAföG-Antrages habe sie nicht gedacht. Aus diesen Umständen ergebe sich, dass der Klägerin keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7.12.2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Klägerin sei unstreitig seit Oktober 2005 an der Universität A-Stadt immatrikuliert. Soweit in der Widerspruchsbegründung vorgetragen worden sei, dass das Antragsformular keine Frage enthalte, die auf einen Zusammenhang der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II mit einem etwaigen Studium hinweise, so sei festzuhalten, dass Änderungen in den persönlichen Verhältnissen in jedem Fortzahlungsantrag anzugeben seien. Außerdem sei der Klägerin am 10.3.2006 das Merkblatt "SGB II" gegen Unterschrift ausgehändigt worden. In diesem Merkblatt sei nachzulesen, dass Studenten in der Regel keine Leistungen erhalten würden.

Am 7.1.2010 hat die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Sozialgericht Regensburg erhoben und vorgetragenen, das sie die mangelnde Mitteilung der Aufnahme eines Studiums fahrlässig versäumt, sie jedoch keinesfalls grob fahrlässig gehandelt habe. Die Klägerin habe keine falschen Angaben gemacht. Ihr habe es sich aus den Antragsformularen nicht erschlossen, dass die Aufnahme eines Studiums für die Leistungsbewilligung von Bedeutung sei. Sie habe das Studium erst im Alter von 55 Jahren aufgenommen und ihr Studium immer nur so lange betreiben wollen, bis sie eine Arbeit gefunden hätte. Insbesondere sei ihr nicht wegen eines eventuell ausgehändigten Merkblattes, das 72 Seiten umfasse, grob fahrlässiges Handeln vorzuwerfen, wenn sie eine Bemerkung eines solchen Merkblattes nicht erkannt habe. Außerdem habe sie ihre Mutter gepflegt und sei schon aus diesem Grunde von ihrer Arbeitsvermittlerin ab dem 4.4.2007 von der Arbeitssuche befreit gewesen.

Die Beklagte hat das Merkblatt der Bundesagentur für Arbeit "Arbeitslosengeld II/Sozial-geld", das der Klägerin anlässlich des Abschlusses einer Eingliederungsvereinbarung am 10.3.2006 ausgehändigt wurde, vorgelegt. In diesem Merkblatt ist unter Nr. 4.1 "Wer hat Anspruch auf Arbeitslosengeld II" ausgeführt, dass auch Auszubildende, Teilnehmer an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme, Schüler ab der 10. Klasse und Studenten in der Regel keine Leistungen erhalten.

Mit Urteil vom 18.5.2007 hat das Sozialgericht Regensburg den Bescheid der Beklagten vom 23.6.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7.12.2009 aufgehoben, soweit er die für die Zeit vom 1.10.2005 bis zum 10.3.2006 erteilten Leistungsbescheide aufhebt und die in diesem Zeitraum entstandene Überzahlung zurückfordert. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Sozialgericht hat ausgeführt, dass die Leistungsbewilligung ab der Aufnahme des Studiums der Klägerin, also ab dem 17.10.2005 nach § 7 Abs. 5 SGB II rechtswidrig gewesen sei, da der Ausschlusstatbestand eingreife. Es kam jedoch zu der Auffassung, dass der Klägerin in der Anfangsphase ihres Studiums eine grob fahrlässige Verletzung von Mitteilungspflichten nicht vorgeworfen werden könne. Bis zum Abschluss der Eingliederungsvereinbarung am 10.3.2006, unter Übergabe des Merkblattes, sei von einem schutzwürdigen Vertrauen der Klägerin im Sinne des § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X auszugehen. Ab dem 11.3.2006 sei jedoch der Tatbestand der grob fahrlässigen Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide erfüllt. Bei Missachtung eindeutiger Hinweise in einem Merkblatt, wie es vorliegend gegeben sei, sei im Regelfall grobe Fahrlässigkeit anzunehmen.

Am 20.7.2010 hat die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Mit der Berufung hat sie im Wesentlichen weiterhin geltend gemacht, dass sie die Mitteilung nicht grob fahrlässig unterlassen habe. Sie habe das Studium nur neben der Pflege ihrer Mutter betrieben und sei nicht davon ausgegangen, dass das Studium sie an der Aufnahme einer Arbeit hindern würde. Sie habe durch ihr Studium keine Möglichkeit, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, ausgelassen. Aufgrund dieser Betrachtungsweise habe sie auch nicht grob fahrlässig gehandelt, da ihr der Gedanke, dass sie Arbeitslosengeld II zu Unrecht bezogen habe, aufgrund ihrer besonderen Lebenssituation vollständig fern gelegen habe.

Die Beklagte hat zur Berufungserwiderung auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Der Senat hat durch Beschluss vom 26.1.2011 den Tenor des Urteils des Sozialgerichts Regensburg berichtigt und das Einverständnis der Beteiligten zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholt.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 18.5.2010 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 19.6.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.12.2009 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Der Senat konnte im schriftlichen Verfahren nach § 124 Abs. 2 SGG entscheiden, da die Beteiligten ihre Zustimmung hierzu erteilt haben.

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Regensburg und der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 19.6.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2009 sind für den hier streitgegenständlichen Zeitraum vom 11.3.2006 bis zum 31.5.2008 aufzuheben.

Zwar waren die Bescheide vom 19.12.2005, 24.6.2006, 18.7.2006, 27.6.2006, 18.7.2006, 3.11.2006, 2.6.2007 sowie 25.10.2007 nach § 45 Abs. 1 SGB X rechtswidrig, da die Klägerin gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II vom Bezug der Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist, weil das von ihr betriebene Studium im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig war. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig (vgl. zur Prüfung, ob eine Ausbildung dem Grunde nach förderungsfähig ist, BSG vom 12.08.2010 Az.: B 14 AS 24/09 R). Allerdings hat die Klägerin ihre Mitteilungspflichten nach § 45 Abs. 2 S.3 Nr.2 SGB X nicht grob fahrlässig verletzt.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung dieser Bewilligungsbescheide für den Zeitraum vom 11.3. 2006 bis zum 31.5.2008 ist § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Abs. 2 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III, § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X. Hiernach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 zurückgenommen werden, soweit er rechtswidrig ist. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift darf ein rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht und eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Nach § 45 Abs. 4 SGB X kann der Verwaltungsakt nur in Fällen von Abs. 2 S. 3 Abs. 3 S. 2 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

Die o.g. Bescheide der Beklagten waren von Anfang an rechtswidrig, da die Klägerin nach § 7 Abs. 5 SGB II vom Bezug der Leistungen nach dem SGB II ab dem Beginn ihres Studiums im Oktober 2005 ausgeschlossen ist.

Die Bescheide sind jedoch nicht aufzuheben, da die Klägerin sich auf Vertrauen in den Bestand der Verwaltungsakte berufen kann, weil gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X der Verwaltungsakt auf Angaben beruhte, die sie lediglich einfach fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat bzw. unterlassen hat. Unrichtig in diesem Sinne ist auch das passive Verschweigen von Umständen, die nach § 60 SGB I anzugeben sind (vgl. Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010 § 45 Rn. 49). Das Verschweigen kann insbesondere dann als unrichtige Angabe angesehen werden, wenn die Umstände für die fragliche Leistung rechtlich erheblich waren und dies dem Betroffenen auch bekannt war bzw. sein musste (BSG SozR 3-5425 § 25 Nr. 15). Es muss darüber hinaus kausal für die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes sein und die Fehlerhaftigkeit muss vorwerfbar sein. Vorwerfbar sind vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Angaben bzw. Nicht-Angaben. Hierbei ist auf die persönliche Einsichtsfähigkeit des Begünstigten, also auch auf einen subjektiven Sorgfaltsmaßstab abzustellen.

Bei der Prüfung, ob im Einzelfall grobe Fahrlässigkeit vorgelegen hat, ist davon auszugehen, dass nur derjenige grob fahrlässig handelt, der die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (so BSGE 42, 184, 187: schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung). Bei der Beurteilung, ob ein grob fahrlässiges Handeln oder Unterlassen vorliegt, kommt es auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten des Leistungsempfängers sowie auf die besonderen Umstände des Falles an. Grobe Fahrlässigkeit setzt hiernach eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes, d. h. eine besonders grobe und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung voraus, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Subjektiv schlechthin unentschuldbar ist ein Verhalten, wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Diese Kriterien sind zur Bestimmung des Begriffs der groben Fahrlässigkeit heranzuziehen. Hierbei ist das Maß der Fahrlässigkeit, insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (vgl. BSG aaO.).

Grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der unterlassenen Angabe ist der Klägerin daher nur vorzuwerfen, wenn es ihr ohne jede weitere Überlegung klar war bzw. sein konnte, dass sie die Aufnahme eines Studiums dem Beklagten anzeigen musste, weil es für ihren Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II erheblich ist (vgl. BSGE 42, 184, 186 f = SozR 4100 § 152 Nr. 3).

Maßgeblich ist somit, dass die Klägerin bei einer Parallelwertung in der Laiensphäre in der Lage gewesen wäre, zu erkennen, dass sie die Aufnahme eines Studiums anzugeben hatte. Eine rechtliche Subsumtion war von ihr nicht gefordert. Der Senat teilt die Auffassung des Sozialgerichts, dass eine grobe Fahrlässigkeit bis zum Zeitpunkt der Aushändigung des Merkblatts, am 10.3.2006 nicht bestanden hat. Für den Senat ergibt sich jedoch aufgrund des persönlichen Eindrucks der Klägerin und aufgrund der vorliegenden objektiven Umstände, die sich aus der Lebenssituation der Klägerin resultieren, dass sie auch für den Zeitraum nach Aushändigung des Merkblattes die Mitteilung nicht grob fahrlässig unterlassen hat. In diesem Merkblatt werden zwar abstrakt die Voraussetzungen der Leistungsansprüche nach dem SGB II erläutert, es lässt sich auch entnehmen, dass die Aufnahme eines Studiums für den Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II Bedeutung hat. Eine eindeutige Aussage, dass der Leistungsanspruch entfällt, enthält das Merkblatt aber nicht. Im Regelfall ist die Missachtung eindeutiger Hinweise in einem Merkblatt über den Leistungsbezug von gesetzlichen Transferleistungen grob fahrlässig. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, auf welche Weise die Beklagte in ihren Antragsformularen nach dem Sachverhalt fragt. Insbesondere im Hinblick darauf, ob der Klägerin, aufgrund der Fragestellung der Beklagten, bewusst war, dass sie die Aufnahme ihres Studiums mitzuteilen hat. Aufgrund der Lebenssituationen der Klägerin, des Sonderfalls , der ungenügenden Nachfrage in den Antragsformularen -die offensichtlich zu einer Veränderung der Antragsformulare geführt hat- und aufgrund der Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ergibt sich, dass sie die Aufnahme ihres Studiums nicht grob fahrlässig verschwiegen hat. Sie hat bei konkreter Nachfrage in den Antragsformularen ihr Studium sofort angegeben. Aus der allgemeinen Nachfrage zu Änderungen in ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen hat es sich ihr nicht erschlossen, dass sie die Aufnahme eines Studiums, das sie neben der Pflege der Mutter, soweit es ihr zeitlich möglich war, betrieb, anzugeben habe. Die Klägerin hat glaubwürdig ausgeführt, dass ihr nicht bewusst war, dass ihr Studium etwas mit der Leistungsbewilligung nach dem SGB II zu tun haben könnte. Für sie bestand jederzeit die Möglichkeit und auch die Verpflichtung gegenüber der Beklagten, ihr Studium aufzugeben, sobald sie einen Arbeitsplatz gefunden hätte. Daher steht es zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin nicht grob fahrlässig gehandelt hat. Für sie war es aufgrund ihrer besonderen Lebenssituation subjektiv nicht nahe liegend, dass ihr Studium etwas mit der Leistungsbewilligung nach dem SGB II zu tun hatte. Daher war das Unterlassen der Angabe, dass sie ein Studium aufgenommen habe, lediglich leicht fahrlässig. Der Klägerin war es nicht ohne weitere Überlegungen klar, dass sie diesen Umstand mitteilen musste. Sie kann sich auf Vertrauensschutz nach § 45 Abs.2. S.2 SGB X berufen, da sie auf den Bestand der Bewilligungsbescheide vertraut hat und die Leistungen verbraucht sind.

Das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 18.5.2010 ist unter Ziffer II und der Bescheid der Beklagten vom 19.6.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.12.2009 ist auch für den Zeitraum vom 11.3.2006 bis zum 31.5.2008 aufzuheben. Die Beklagte konnte die Leistungen wegen des entgegenstehenden Vertrauensschutzes der Klägerin nach § 45 Abs. 2 SGB X nicht zurückfordern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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