L 1 KR 328/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 73 KR 3135/06 Berlin
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 328/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Oktober 2009 wird aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 20. November 2005 wird teilweise aufgehoben soweit festgestellt wurde, dass die Beigeladene zu 1) der Rentenversicherungspflicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der Zeit vom 01. September 1985 bis 30. Juni 1991 nicht unterlag. Es wird festgestellt, dass die Beigeladene zu 1) der Rentenversicherungspflicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der Zeit vom 01. September 1985 bis 30. Juni 1991 unterlag. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, welche diese jeweils selbst zu tragen haben. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Wert des zweitinstanzlichen Verfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Im Streit steht, ob die Beigeladene zu 1) in ihrer Tätigkeit im Unternehmen ihres Ehemannes, welches mittlerweile von der Beigeladenen zu 2) fortgeführt wird, in der Zeit vom 01. September 1985 bis zum 30. Juni 1991 eine der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterliegende Beschäftigung ausübte.

Die Beigeladene zu 1) ist gelernte Verkäuferin und Betriebswirtin im Handwerk. Der Geschäftsbetrieb ihres Ehemannes wurde 1982 aufgenommen. Die Betriebsstätte war von Anfang an das Haus der Eheleute, welches nicht im (Mit-)Eigentum der Beigeladenen zu 1) steht. Sie arbeitete von Anfang an im Unternehmen mit. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde nicht geschlossen. Von ihrem Arbeitsentgelt wurde Lohnsteuer entrichtet. Es wurde als Betriebsausgabe im Un-ternehmen des Ehemannes gebucht. Die Krankenversicherungsbeiträge wurden ausweislich des Rentenversicherungskontos bei der Klägerin an die Krankenkasse mit der Krankenkassenbe-triebs-Nr. 44 310851, die AOK O Krankenkasse in E, abgeführt. Diese ist in der Beigeladenen zu 3) aufgegangen. Der Beigeladenen zu 1) stand ein Urlaubsanspruch von 35 Arbeitstagen zu. Als Kündigungs-frist waren sechs Wochen zum Quartalsende vereinbart. Bei Arbeitsunfähigkeit wurde das Ar-beitsentgelt für sechs Wochen fortgezahlt. Der Beigeladenen zu 1) stand zudem ein 13. Monatsgehalt als Weihnachtsgeld/Urlaubsgeld zu. Das Arbeitsentgelt wurde auf ein priva-tes Bankkonto überwiesen.

Die Beigeladene zu 1) war für den kaufmännischen Teil zuständig, ihr Ehemann kümmerte sich allein um das Technische. Zu ihren eigenverantwortlichen Tätigkeitsschwerpunkten zähl-ten die Debitoren / Kreditorenbuchhaltung, der Einkauf, die Lohnvorbereitung, Bankgeschäfte (Gespräche, Darlehen, Dispokredite), die Kontenverwaltung, Auftragsannahme sowie das Rechnungswesen. Sie konnte selbständig Personal einstellen und entlassen. Die Beigeladene zu 1) war mit Mit Darlehensnehmerin eines Abzahlungsdarlehens über 20 000,00 DM (Darle-hensvertrag vom 16. April 1987). Die Geschäftsdarlehen wurden –nach den Angaben der Beigeladenen zu 1)- gemeinsam aufge-nommen. Die Verbindlichkeiten betrugen zwischen 1985 und 1991 etwa 200 000,00 DM. Die Tätigkeit und der betriebliche Ablauf änderten sich bis zur Gründung der Beigeladenen zu 2) zum 01. Juli 1991 nicht (Angaben der Beigeladenen zu 1] in der mündlichen Verhandlung.

Die Beigeladene zu 1) beantragte im September 2005 bei der Beklagten die Feststellung des Nichtvorliegens der Sozialversicherungspflicht und Rückerstattung der Beiträge ab dem 01. September 1985 bis zum Feststellungsmonat. Sie sei seit 01. September 1985 beim Einzel-unternehmen ihres Ehemannes A als faktische Geschäftsführerin tätig gewesen bzw. jetzt bei der A GmbH. Ein Geschäftsführervertrag sei nie schriftlich abgeschlossen worden. Stattdessen sei pro forma ein Arbeitsvertrag abgeschlossen worden, dessen Inhalte jedoch nie gelebt wor-den seien.

Beigefügt war ein von den Beigeladenen zu 1) und 2) unter dem 05. Juli 2005 ausgefüllter Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnis-ses zwischen Angehörigen. Danach betrug die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit bei fünf Arbeitstagen zirka 50 Stunden.

Mit Bescheid vom 22. November 2005 stellte die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die In-nungskrankenkasse Hessen, fest, dass die Beschäftigung der Beigeladenen zu 1) bei ihrem E-hemann ab 01. September 1985 nur familienhafte Mitarbeit sei und nicht versicherungspflich-tig. In der Folgezeit stellten die Beigeladenen zu 1) und 2) Erstattungsanträge, welche die Beklagte mit Schreiben vom 14. Dezember 2005 an die Klägerin übersandte. Auf deren Anforderung übersandte sie weiter im Januar 2006 (Eingangsdatum 05. Januar 2006) eine Kopie des Be-scheides vom 22. November 2005. Mit Schreiben vom 06. Januar 2006 schrieb die Klägerin an die Rechtsvorgängerin der Beige-ladenen zu 3), der AOK des Odenwaldkreises, dass diese nach ihren Unterlagen zuständige Krankenkasse für den Zeitraum September 1985 bis Dezember 1999 gewesen sei, und bat diese um Prüfung, ob sie sich der Feststellung der IKK anschließe. Diese forderte von der Beigela-denen zu 1) ihrerseits mit Schreiben vom 17. Januar 2006 Unterlagen an.

Die Klägerin forderte ferner auch von der Beklagten mit Schreiben vom 24. März 2006 weitere Unterlagen an, um die Rechtslage prüfen zu können.

Die Beigeladene zu 3) schrieb mit Schreiben vom 15. August 2006 an die Beigeladene zu 1), die versicherungsrechtliche Beurteilung der Beklagten zu teilen. Mit Schreiben vom 11. September 2006 teilte ihr die Klägerin mit, deren Auffassung, wonach die Beigeladene zu 1) ab dem 01. September 1985 bis 30. Juni 1991 nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zum Unternehmen ihres Ehemanns gestanden habe, nicht zu teilen. Am selben Tag erteilte die Klägerin der Beigeladenen zu 1) einen Bescheid "zur Beanstandung zu Unrecht gezahlter Pflichtbeiträge im Lohnabzugsverfahren" für den Folgezeitraum Juli 1991 bis November 2005.

Die Klägerin hat am 02. November 2006 beim Sozialgericht (SG) Berlin Klage erhoben. Sie hat mit Schriftsatz vom 02. Dezember 2008 klargestellt, dass das Rentenversicherungskon-to für die Beigeladene zu 1) bei ihr geführt werde.

Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass kein schriftlicher Arbeitsvertrag bestanden habe. Wei-ter sei die Beigeladene zu 1) Mit Darlehensnehmerin gewesen. Durch die Darlehensbeteiligung habe die Beigeladene zu 1) ein Interesse am Geschäftserfolg gezeigt, welches weit über das eines herkömmlichen Arbeitnehmers hinausgehe. Außerdem seien im Feststellungsbogen sämt-liche Fragen, die auf eine abhängige Beschäftigung abzielten, verneint worden. Die Beigeladenen zu 1) und 2) haben die Auffassung vorgetragen, die Klägerin sei bereits nicht klagebefugt. Zuständiger Rentenversicherungsträger sei der für die Betriebsprüfung, hier die DRV Hessen. In der Sache überwögen die Merkmale, die für eine selbständige Tätigkeit sprä-chen. Im Arbeitsalltag habe der Ehemann der Beigeladenen zu 1) keine Weisungen erteilt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag sei nicht geschlossen worden. Die steuerliche Behandlung der Ein-künfte sei für die Einordnung unmaßgeblich, sondern stelle sich bloß als Folge der Bewertung der Tätigkeit durch das Finanzamt dar. Die Beigeladene zu 1) habe mit der Darlehensgewäh-rung auch ein Unternehmerrisiko übernommen. Die Beigeladene zu 3) hat darauf hingewiesen, dass im streitgegenständlichen Zeitraum die Klägerin auch für die Betriebsprüfungen zuständig gewesen sei.

Der Ehemann der Beigeladenen zu 1) erklärte in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 14. Oktober 2009, immer für das Technische zuständig gewesen zu sein, während seine Ehe-frau sämtliche Büroaufgaben erledigt habe. Er könne nicht sagen, warum seine Ehefrau nie zur Geschäftsführung bestellt worden sei. Sie hätten damals keinen Urlaub genommen. Die Ehe-frau sei auch nicht längere Zeit krank gewesen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14. Oktober 2009 abgewiesen. Es fehlten ausreichende Anhaltspunkte für eine persönliche Abhängigkeit der Beigeladenen zu 1) von ihrem Ehemann. Das Unternehmen sei von den Eheleuten gemeinschaftlich geführt worden. Für eine Mitunter-nehmerstellung spräche insbesondere, dass sie arbeitnehmertypische Rechte wie Urlaubsan-spruch und Lohnfortzahlung nicht in Anspruch genommen habe. Da der Betrieb damals nur drei Mitarbeiter gehabt habe, sei die Beigeladene auch in einem Maße unentbehrlich gewesen, wie es einem Mitunternehmer zukomme.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 17. November 2009. Sie hat zur Begründung u. a. darauf hingewiesen, dass es sich beim Betrieb um ein zulassungspflichti-ges Handwerk gehandelt haben dürfte, welches nur vom Ehemann der Beigeladenen habe ge-führt werden dürfen.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) tragen vor, für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis spreche einzig der Umstand, dass der Ehemann in formeller Hinsicht als Inhaber des Einzelunterneh-mens eingetragen und deshalb formell nach außen hin als Arbeitgeber fungiert habe. Hinsicht-lich Dauer, Zeit, Ort und Art ihrer Tätigkeit habe sie aber zu keinem Zeitpunkt einem Wei-sungsrecht ihres Ehemannes unterlegen. Sie haben im Übrigen ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt. Auch die Beklagte wiederholt ihr bisheriges Vorbringen und ist nach wie vor der Auffassung, dass sehr viele Indizien für Selbständigkeit sprächen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Oktober 2009 aufzu-heben sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. November 2005 teilweise aufzuheben und festzustellen, dass die Beigeladene zu 1) der Rentenversicherungspflicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der Zeit vom 01. September 1985 bis 30. Juni 1991 unterlegen hat.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 1) beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Es konnte im schriftlichen Verfahren entschieden werden. Alle Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt.

Die Berufung hat Erfolg. Die Klage ist in vollem Umfang begründet.

Die Klage ist als Kombination von Anfechtungsklage und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig.

Vor Erhebung der Anfechtungsklage bedurfte es keines Vorverfahrens, weil die Klägerin ein Versicherungsträger nach der Ausnahmevorschrift des § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. SGG ist.

Die Klägerin ist auch klagebefugt, § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG. Sie macht geltend, durch den Be-scheid der Beklagten vom 31. Juli 2006 in eigenen Rechten verletzt zu sein. Ist der Verwal-tungsakt wie hier gegenüber einem Dritten ergangen, ist eine Rechtsverletzung möglich, sofern zumindest mittelbar eigene rechtliche Interessen der Klägerin betroffen sind (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 54 Rdnr. 14 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, BSGE 61, 27). Eine solche rechtliche Beschwer der Klägerin besteht hier, wie sogleich auszuführen ist. Die Feststellungen der Beklagten zur Ver-sicherungsfreiheit haben Auswirkung auf deren Beitragsansprüche.

Die Klage ist auch fristgemäß erhoben. Die Monatsfrist des § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG beginnt gemäß § 66 Abs. 1 SGG nur dann zu laufen, wenn der "Beteiligte" über den Rechtsbehelf schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Die Klägerin ist Beteiligte, auch wenn sie als mittelbare Bundesverwaltung keiner Rechtsmittelbelehrung bedarf. Beteiligte sind nämlich nach § 69 SGG (alle) Kläger. Statt der Monatsfrist hat deshalb gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG eine Jahresfrist seit Bekanntgabe gegolten. Anhaltspunkte für eine Verwirkung des Klagerechts sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Es ist zwar zwischen dem Erlass des Bescheides im November 2005 und der Klageerhebung knapp ein Jahr verstrichen. Jedoch konnte sich bei der Beigeladenen zu 1) und der Beigeladenen zu 2) kein Vertrauen auf Bestandskraft des ange-fochtenen Bescheides entwickeln. Bereits im Januar 2006 wussten sie durch das Schreiben der Beigeladenen zu 3), dass diese ebenfalls die Versicherungspflicht im streitgegenständlichen Zeitraum beurteilte. Ihrem Erstattungsbegehren ist für den streitgegenständlichen Zeitraum nie entsprochen worden. Darüber hinaus ist eine Vertrauensbetätigung weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Anfechtungsklage hat in der Sache Erfolg. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin jedenfalls durch seinen Ausspruch fehlender Rentenver-sicherungspflicht in ihren Rechten.

Die Beklagte war bereits unzuständig: Für die Feststellung der Versicherungspflicht für zu-rückliegende Zeiträume ist diejenige Krankenkasse zuständig, bei der in der betreffenden Zeit die Mitgliedschaft bestand (BSG, Urteil vom 24. Juni 2008 B 12 KR 24/07 R ). Nach den Unterlagen der Klägerin sind die Beiträge der damaligen Zeit von der Beigeladenen zu 3) ein-gezogen worden.

Darüber hinaus ist die Sachentscheidung unrichtig:

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Rentenversicherung der Versicherungspflicht (§ 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch SGB VI ). Be-urteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Ar-beitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeit-gebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglich-keit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeits-zeit gekennzeichnet. Ob ein Arbeitnehmer abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung: Bun-desverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 1 BvR 21/96 SozR 3 2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Dieses bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinn sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tat-sächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zur ursprünglich getroffenen Vereinbarung entstehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolge-rung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Verein-barung vor. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechtes unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abgedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in die-sem Sinn gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG, Urteile vom 8. August 1990 11 RAr 77/89 SozR 3 2400 § 7 Nr. 4 Sei-te 14, und vom 8. Dezember 1994 11 RAr 49/94 SozR 3 4100 § 168 Nr. 18 Seite 45; so ins-gesamt weitgehend wörtlich BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 B 12 KR 30/04 R juris).

Auf dieser Grundlage ist beispielsweise zu beurteilen, ob ein Vertreter einer juristischen Person zu dieser gleichzeitig in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht (so für GmbH Geschäftsführer BSG, a. a. O.).

Weist eine Tätigkeit Merkmale auf, die sowohl auf Abhängigkeit als auch auf Selbständigkeit hinweisen, so ist entscheidend, welche Merkmale überwiegen (BSG, Urteil vom 23. Juni 1994 12 RK 72/92 NJW 1994, 2974, 2975) und der Arbeitsleistung das Gepräge geben (BSG, Beschluss vom 23. Februar 1995 12 BK 98/94 ). Auch die Grenze zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis mit Entgeltzahlung und einer nicht versicherungspflichtigen Mitarbeit aufgrund einer familienhaften Zusammen-gehörigkeit ist unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu ziehen. Es ist eine Würdigung der Gesamtumstände erforderlich, ob ein Beschäftigungsverhältnis zwi-schen den Angehörigen ernsthaft und eindeutig gewollt, entsprechend vereinbart und in der Wirklichkeit auch vollzogen wurde (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2002 B 7 AL 34/02 R USK 2002 - 42).

Auch hier gilt, dass nicht die Vereinbarungen der Beteiligten, sondern die tatsächlichen Ver-hältnisse den Ausschlag geben (BSG SozR 2200 § 1227 Nrn. 4 und 8).

Nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat angeschlossen hat, ist ferner bei Fremd-geschäftsführern einer GmbH regelmäßig eine abhängige Beschäftigung anzunehmen und nur in begrenzten Einzelfällen hiervon abzusehen. Ein solcher Ausnahmefall kann bei Familienun-ternehmen vorliegen, wenn die familiäre Verbundenheit der beteiligten Familienmitglieder zwischen ihnen ein Gefühl erhöhter Verantwortung schafft, die z. B. dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Höhe der Bezüge von der Ertragslage des Unternehmens abhängig gemacht wird, oder wenn es aufgrund der familienhaften Rücksichtnahme an der Ausübung eines Direk-tionsrechts völlig mangelt. Hiervon ist insbesondere bei demjenigen auszugehen, der - obwohl nicht maßgeblich am Unternehmenskapital beteiligt - aufgrund der verwandtschaftlichen Be-ziehungen faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gut-dünken führt (vgl. BSG, Urteil vom 8. Dezember 1987 7 RAr 25/86 BB 1989, 72; vom 14. Dezember 1999 B 2 U 48/98 R USK 9975).

Hier haben die Beteiligten ein Arbeitsverhältnis gelebt, auch wenn vor Gründung der Beigela-denen zu 2) zwischen der Beigeladenen zu 1) und ihrem Ehemann kein schriftlicher Arbeits-vertrag abgeschlossen wurde. Das Unternehmen wurde durch den Ehemann der Beigeladenen zu 1) alleine geführt. Er haftete als einziger im Außenverhältnis. Für die Beigeladene zu 6) ist Lohnsteuer abgeführt und das Gehalt als Betriebsausgabe hat den Erlös des Unternehmens vermindert. Ganz allgemein müssen und können sich Eheleute oder andere (Geschäfts-)Partner an die von ihnen gewählte Vertragsgestaltung auch in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht festhalten lassen. Es unterliegt nicht ihrer Disposition, die Wirkungen des Vertragsverhältnisses nach Maßgabe ihrer Individualnützlichkeit auf bestimmte Rechtsgebiete zu beschränken (BSG - Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R -). Es ist auch nach dem Vortrag der Eheleute nicht so, dass die Beigeladene zu 1) nach eigenem Gutdünken wie eine Alleingeschäftsführerin auftreten konnte und kann. Sie war (nur) für den kompletten kaufmännischen Bereich zuständig. Im Innen- wie im Außenverhältnis war aller-dings allein ihr Ehemann zur Führung der Geschäfte berechtigt und verpflichtet. Rein rechtlich hatte die Beigeladene zu 1) keinen Einfluss auf ihren Ehemann. Dass beide Geschäftsangele-genheiten einvernehmlich regelten, ist nach den vorgenannten Grundsätzen nicht ausschlagge-bend. Ganz allgemein kann ein ständig und dauerhaft bestehendes Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht den Status als abhängig Beschäftigter aufheben. Gleiches gilt für den Umstand, dass ein Mitarbeiter unentbehrlich für das Unternehmen ist.

Das Risiko, das durch die Stellung von Sicherheiten geprägt ist, ist demgegenüber nicht so ge-wichtig, dass die Merkmale für eine abhängige Beschäftigung nicht mehr überwögen. Dem Umstand, dass für den Ehepartner gebürgt wird, bzw. für Unternehmensdarlehen mitge-haftet wird, kommt regelmäßig und auch hier trotz des hohen Umfangs keine entscheidende Bedeutung zu, da die Gewährung von Darlehen bzw. Sicherheiten unter Familienangehörigen mit der Gewährung eines Darlehens oder einer Sicherheit durch einen fremden Arbeitnehmer, der nicht Angehöriger des Unternehmensinhabers ist, nicht zu vergleichen ist; Familienmit-glieder haben in der Regel ein gesteigertes Interesse am wirtschaftlichen Erfolg eines Unter-nehmens, ohne dass hieraus ein wesentliches Unternehmerrisiko folgt (ständige Rechtspre-chung des Senat unter Bezugnahme auf LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Februar 2010 - L 11 KR 2460/09- juris).

Bei Zahlung eines Gehalts von mindestens 1.200,00 DM monatlich kann schließlich auch nicht davon ausgegangen werden, dass ein Arbeitsverhältnis nicht wirklich gewollt war und die Bei-geladene zu 1) lediglich ihre Pflicht als Ehefrau zur Unterhaltsleistung ihrem Ehemann gegen-über erfüllen sollte.

Das Feststellungsbegehren stellt sich als zulässige Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG dar (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. bereits Urteil des Senats vom 13. März 2009 - L 1 KR 555/07 -). § 55 SGG bestimmt im Gegensatz zu § 43 Abs. 2 Verwaltungsge-richtsordnung und § 41 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung nicht ausdrücklich, dass eine Feststel-lung nicht begehrt werden kann, soweit der Kläger seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder dies hätte können. Soweit der so genannte Subsidiaritäts-grundsatz ungeachtet dessen auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, handelt es sich um eine Ausprägung des allgemeinen Feststellungs- bzw. Rechtsschutzbedürfnisses. An einem solchen fehlt es, wenn es eine effektivere Klagemöglichkeit gibt oder das Feststellungs-urteil den Rechtsstreit noch nicht abschließend erledigen könnte (vgl. BSG, Urteil vom 5. Ok-tober 2006 - B 10 LW 4/05 R - mit weiteren Nachweisen). Hier führt die Anfechtungsklage nur zur Aufhebung der eine Versicherungspflicht verneinenden Bescheide der Beklagten und nicht umgekehrt automatisch zur Feststellung der Rentenversicherungspflicht. Die Beklagte könnte sich der Klägerin gegenüber rein formal auf den Standpunkt stellen, dass zwar der die Beigela-denen aus deren Sicht begünstigende Bescheid der Beklagten aufgehoben worden sei, die die-ser Entscheidung zu Grunde liegenden Erwägungen jedoch falsch und unverbindlich seien. Eine Verpflichtungsklage auf Erlass entsprechender Bescheide gegen die Einzugsstellen wäre weiter kein einfacherer Weg als die Feststellungsklage (ebenso BSG, Urteil vom 1. September 2005 - B 3 KR 3/04 R -). Das Feststellungsinteresse besteht ungeachtet der fehlenden Zustän-digkeit der Beklagten, da diese den angefochtenen Bescheid bis heute für rechtmäßig hält. Die Klage ist aus den soeben ausgeführten Gründen auch begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung. Der Beigeladenen zu 1) waren nach § 197 a Abs. 2 Satz 2 SGG keine Kosten aufzuerlegen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Die grundsätzlichen Kriterien sind von der Rechtspre-chung geklärt.

Der Beschluss über den Streitwert, der nicht anfechtbar ist, folgt aus §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 3 GKG. Der Senat bemisst diesen für Fälle außerhalb des Antragsverfahrens nach § 7a SGB IV in ständiger Rechtsprechung in einem Rechtsstreit über die Versicherungspflicht regelmäßig nach dem Auffangstreitwert (vgl. Urteil vom 13. März 2009 - L 1 KR 555/07 -). Die wirt-schaftliche Bedeutung eines solchen Rechtsstreits kann nämlich regelmäßig nicht überblickt werden. Er korrespondiert regelmäßig nicht mit der Höhe der entweder zu erstattenden oder nachzufordernden Versicherungsbeiträge. Auch kann der wirtschaftliche Wert, gesetzlich ren-tenversichert zu sein, kaum bemessen werden. Erst wenn Zeiträume von mehr als fünfzehn Jahren streitbefangen sind, ist regelmäßig (nur) eine Verdoppelung des Streitwertes angemessen. Ein Ausnahmefall, in welchem eine Einschränkung aufgrund der Umstände des Einzelfalles geboten ist, liegt vorliegend nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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