L 1 R 341/09

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 10 R 414/09 WA
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 341/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 10. September 2009 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben sich auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob für den Kläger Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz mit den dabei erzielten Entgelten festzustellen sind.

Der am 1959 geborene Kläger beantragte am 12. Februar 2004 bei der Beklagten die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften. In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass dem Kläger mit Urkunde vom 30. Januar 1986 die Berechtigung verliehen worden war, die Berufsbezeichnung Diplomingenieur zu führen. Im Zeitraum vom 1. März 1986 bis zum 30. Juni 1990 war er beim VEB Starkstromanlagenbau M. tätig, zuletzt als Kontroll-Ingenieur. Beiträge zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) entrichtete er seit Oktober 1986 auf sein tatsächliches Einkommen. Eine schriftliche Versorgungszusage erhielt er zur Zeit der DDR nicht.

Mit Bescheid vom 27. Dezember 2004 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, dass dieser am 30. Juni 1990 nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt gewesen sei. Dagegen legte der Kläger am 11. Januar 2005 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2005 zurückwies. Sie führte zur Begründung ergänzend aus, dass auch die Zuordnung des Betriebes in der Systematik in der Volkswirtschaftszweige der DDR bestätige, dass dem VEB Starkstromanlagenbau M. weder die industrielle Fertigung von Sachgütern das Gepräge gegeben habe, noch sein Hauptzweck die Massenproduktion von Bauwerken gewesen sei. Der Betrieb sei der Wirtschaftsgruppe 16619 zugeordnet gewesen, also den Reparatur- und Montagebetrieben der elektrischen Industrie.

Daraufhin hat der Kläger am 16. Juni 2005 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben. Er hat vorgetragen, dass es sich beim VEB Starkstromanlagenbau M. um einen Produktionsbetrieb im Sinne der Versorgungsordnung gehandelt habe. Die Beklagte habe in einem im Wesentlichen identischen Fall eine positive Entscheidung getroffen und verletze daher das Gleichheitsgebot. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 23. Oktober 2007 abgewiesen. Auf die daraufhin eingelegte Berufung hob der erkennende Senat den Gerichtsbescheid mit Urteil vom 26. Februar 2009 auf und verwies den Rechtsstreit an das SG zurück, da dieses verfahrensfehlerhaft durch Gerichtsbescheid entschieden habe. Das SG hat daraufhin eine mündliche Verhandlung durchgeführt und mit Urteil vom 10. September 2009 die Klage erneut abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, der Kläger habe weder Ansprüche und Anwartschaften aus der Versorgungsordnung erworben, noch Vertrauen auf deren Erwerb bilden können. Das SG schließe sich der Rechtsprechung des erkennenden Senates an, wonach sich ein Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung nicht begründen ließe.

Gegen das am 21. September 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. Oktober 2009 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt. Er hat bemängelt, dass das SG nicht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur fiktiven Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem folge. Die Einordnung in die Wirtschaftgruppe vermöge nichts daran zu ändern, dass es sich bei dem VEB Starkstromanlagenbau M. um einen Produktionsbetrieb der Industrie gehandelt habe. Aus der Betriebsbezeichnung gehe hervor, dass der Betrieb primär kein Reparaturbetrieb, sondern ein Produktionsbetrieb der Industrie gewesen sei. Dies folge aus den Definitionen der Betriebswirtschaftlehre. Der Betrieb habe auch in Serie gefertigt. Dies ergebe sich aus dem Protokoll einer nichtöffentlichen Sitzung vom 19. März 2008 in einem Parallelverfahren des Senats (Az. L 1 R 400/06), wonach Einschübe in die Schaltschränke eingebaut worden seien. Ein solcher Einbau bedeute, dass eine Serienfertigung vorliege. Der konkrete Anschluss des Schrankes am Einsatzort sei dann überwiegend von Elektrikern beim Kunden vorgenommen worden. Auch im Geschäftsbericht der Starkstromanlagenbau GmbH vom 1. Juli 1990 werde ausgeführt, dass ein breitgefächertes Erzeugnissortiment produziert werde. Teilerzeugnisse im Bereich der Niederspannungsschalt- und Verteilungsanlagen seien nicht in individueller Ausfertigung möglich. Auch die Ausführungen im Geschäftsbericht, wonach der VEB Starkstromanlagenbau eine Monopolstellung innegehabt habe, verdeutliche, dass in Masse produziert worden sei. Dies habe die Beklagte in einem Parallelverfahren so entschieden und verstoße damit im vorliegenden Fall gegen den Gleichheitssatz.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 10. September 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Dezember 2004 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 1. März 1986 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte verteidigt ihre Verwaltungsentscheidung und beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 10. September 2009 zurückzuweisen.

Der Senat hat den Kläger darauf hingewiesen, er habe in einem Parallelverfahren bereits entschieden, dass der VEB Starkstromanlagenbau weder ein volkseigener Produktionsbetrieb noch ein diesem gleichgestellter Betrieb gewesen sei und hierzu das Urteil übersandt (Urteil vom 22. Oktober 2009 - L 1 R 400/06). Des Weiteren sind dem Kläger in einem Erörterungstermin betriebliche Unterlagen zum VEB Starkstromanlagenbau übergeben worden (4 Beiakten), u. a. Protokolle der nichtöffentlichen Sitzungen des Senats vom 19. März 2008 und vom 13. Januar 2010 in Parallelverfahren.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt dieser Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit nach den Zustimmungserklärungen der Beteiligten gemäß §§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die nach § 143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist unbegründet, weil die Verwaltungsentscheidung der Beklagten rechtmäßig ist und den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Das SG hat die dagegen gerichtete Klage deshalb zu Recht abgewiesen.

Der Kläger hat keinen Anspruch gemäß § 8 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 und § 1 Abs. 1 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) auf die beantragte Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zu einem Zusatzversorgungssystem. Er unterfällt für den hier streitbefangenen Zeitraum nicht dem Geltungsbereich des § 1 Abs. 1 AAÜG, weil er weder tatsächlich noch im Wege der Unterstellung der AVItech (Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) angehörte.

1. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1, in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2007, BGBl. I S. 3024) gilt dieses Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Der Kreis der potentiell vom AAÜG erfassten Personen umfasst diejenigen Personen, die entweder (1.) durch einen nach Artikel 19 Einigungsvertrag (EVertr) bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder (2.) später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder (3.) nach Artikel 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen waren (BSG, Urteil vom 09. April 2002 – B 4 RA 31/01 R –, zitiert nach juris, Rdnr.19).

Der Kläger erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Weder ist ihm von Organen der DDR eine Versorgung zugesagt worden noch ist er aufgrund einer Rehabilitierungsentscheidung in ein Versorgungssystem einbezogen worden. Auch ein rechtsstaatswidriger Entzug einer Versorgungsanwartschaft hat in seinem Falle nicht stattgefunden.

Im Ergebnis kommt es nicht darauf an, dass der Senat sich nicht der Rechtsprechung des BSG anschließt, wonach die Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG auch im Wege der Unterstellung vorliegen kann (nachfolgend 2.), da auch die dafür vom BSG aufgestellten Voraussetzungen hier nicht vorliegen (nachfolgend 3.).

2. Entgegen der Auffassung des BSG ist der Senat zum Einen nicht der Auffassung, dass das AAÜG den Kreis der "potentiell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen erweitert und das Neueinbeziehungsverbot modifiziert hat (so aber: BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R –, a.a.O.). Erst diese Annahme führt jedoch zu einer vom BSG behaupteten Ungleichbehandlung ("Wertungswiderspruch"), die nach Auffassung des BSG durch eine verfassungskonforme (erweiternde) Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG zu korrigieren sei. Zum Anderen ist der Senat der Ansicht, dass – wenn die Ansicht des BSG tatsächlich zutreffen sollte und mit dem AAÜG der einbezogene Personenkreis erweitert worden ist – zumindest keine verfassungskonforme Auslegung erforderlich ist, da die behauptete Ungleichbehandlung zu rechtfertigen wäre. Im Übrigen hätte das BSG wegen des von ihm unterstellten "Wertungswiderspruchs" keine erweiternde, über den Wortlaut der Vorschrift hinausgehende Auslegung vornehmen dürfen, sondern durch Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) eine konkrete Normenkontrolle veranlassen müssen. Denn die vom BSG vorgenommene Rechtsfortbildung überschreitet nach Auffassung des erkennenden Senats die sich aus Artikel 20 Absätze 2 und 3 GG ergebenden Grenzen der richterlichen Entscheidungsbefugnis, weil der eindeutige Wortlaut des § 1 Abs. 1 AAÜG die vom BSG vorgenommene Interpretation nicht hergibt. Es ist deshalb schon nicht möglich, die bei einem unklaren oder nicht eindeutigen Wortlaut heranzuziehenden einschlägigen Auslegungskriterien anzuwenden. Vielmehr ist eine Auslegung gegen den klaren Wortlaut einer Gesetzesnorm nicht möglich (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 10 EG 1/08 R –, Rdnr. 19). Für eine richterliche Rechtsfortbildung im Wege der Analogie fehlt es – wie noch auszuführen sein wird – an der erforderlichen Regelungslücke.

a) In den Gesetzesmaterialien finden sich keine Hinweise dafür, dass durch das AAÜG außer den Personen, die durch einen nach Artikel 19 EVertr bindend gebliebenen Verwaltungsakt der DDR oder einer ihrer Untergliederungen oder später durch eine Rehabilitierungsentscheidung oder nach Artikel 19 Satz 2 oder 3 EVertr (wieder) in ein Versorgungssystem einbezogen worden waren (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R –, a.a.O., S. 11), weitere Personen einbezogen werden sollten (siehe BT-Drs. 12/405, S. 113, 146; BT-Drs. 12/786, S. 139; II A, IV A; BT-Drs. 12/826, S. 4, 5, 10, 11, 21). Vielmehr wird in den Gesetzesmaterialien immer auf den EVertr Bezug genommen. Zwar wird dort dann ausgeführt, dass die Einhaltung der Vorgaben des EVertr zu nicht sachgerechten und zu nicht nur sozialpolitisch unvertretbaren Ergebnissen führen müsste und sich deshalb die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung ergebe (BT-Drs. 12/405, S. 113). Jedoch ist aus der weiteren Gesetzesbegründung ohne Schwierigkeiten ablesbar, dass sich diese Regelungen auf die Bereiche der Rentenberechung, Leistungsbegrenzung, Abschmelzung laufender Leistungen, des Besitzschutzes bei der Neufeststellung von Leistungen, der Auszahlungen von Leistungen, eines Vorbehaltes der Einzelfallprüfung und der Kostenerstattungen durch den Bund beziehen (a.a.O., S. 113, 114). Nicht angesprochen ist hingegen eine Ausweitung des erfassten Personenkreises. Zur Begründung des § 1 AAÜG wird ausgeführt, dass diese Vorschrift den Geltungsbereich der nach dem EVertr vorgeschriebenen Überführung (und gerade keine darüber hinausgehende) festlegt (a.a.O., S. 146).

Auch überzeugt den Senat nicht, dass aus dem Wortlauf von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG auf eine Modifizierung des Verbots der Neueinbeziehung zu schließen sei (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R –, a.a.O., S. 12). In den Gesetzesmaterialien findet sich nämlich kein Anhaltspunkt für die vom BSG vorgenommene Unterscheidung zwischen "Einbeziehung in ein Versorgungssystem" und der "Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem". Der Gesetzgeber benutzt im Gegenteil auch zur Beschreibung des Personenkreises des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, der auch nach Ansicht des BSG konkret einbezogen war (BSG, a.a.O., Seite 12), den Terminus "Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" (BT-Drs. 12/826 S. 21).

Der Gesetzgeber ging auch – soweit erkennbar – nicht davon aus, dass die in § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG angesprochenen Personengruppe eine Erweiterung der "potenziell vom AAÜG ab 1. August 1991 erfassten" Personen darstellt. Ursprünglich war Satz 2 in der Gesetzesvorlage nicht enthalten (BT-Drs. 12/405, S. 77). Erst in den Ausschussberatungen wurde dann die Anfügung des Satzes 2 empfohlen (BT-Drs. 12/786, S. 139). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass diese Anfügung nur eine Klarstellung bedeute (BT-Drs. 12/826, S. 21). Der Gesetzgeber nahm also an, dass diese Personengruppe ohnehin von Satz 1 und vom Überführungsauftrag des EVertr umfasst ist.

b) Es bedarf auch keiner verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG, um einen vermeintlichen Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung zu begründen (so aber BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 31/01 R –, a. a. O., S. 12).

Artikel 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist jedoch nicht jede Differenzierung ausgeschlossen. Das Grundrecht wird jedoch verletzt, wenn eine Gruppe von Rechtsanwendungsbetroffenen anders als eine andere behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (z. B. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04 u. a. –, dokumentiert in juris, Rdnr. 36).

Hier ist für den Senat bereits nicht nachvollziehbar, wieso das BSG der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, also der Personen, die irgendwann vor dem 30. Juni 1990 (aber nicht am 30. Juni 1990) konkret einbezogen waren (BSG, a. a. O.), die Personengruppe gegenüberstellt, die nie konkret einbezogen war, aber zumindest am 30. Juni 1990 nach den Regeln der Versorgungssysteme alle Voraussetzungen für die Einbeziehung an diesem Stichtag erfüllt hatte. Verfassungsrechtlich relevant ist nämlich nur die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem (z. B. BVerfG, Beschluss vom 13. März 2007 – 1 BvF 1/05 –, dokumentiert in juris, Rdnr. 89). Hier unterscheiden sich jedoch die Tatbestände in wesentlichen Gesichtspunkten. § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG knüpft nämlich an ein in der Vergangenheit verliehenes Versorgungsprivileg an, welches ein Bedürfnis nach der im AAÜG vorgesehenen Sonderprüfung der Rentenwirksamkeit erzielter Arbeitsentgelte anzeigt. Bei Personen, die nie in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen waren, besteht ein solches Bedürfnis hingegen nicht.

Richtiger wäre es nach Ansicht des Senats ohnehin, der Personengruppe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG als Vergleichsgruppe die Personen gegenüberzustellen, die nicht konkret einbezogen waren, irgendwann vor dem - aber nicht am - 30. Juni 1990 jedoch alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatten.

Das Bundesverfassungsgericht führt zum Vergleich dieser Personengruppen aus (Beschluss vom 26. Oktober 2005, a. a. O., Rdnr. 45):

"Der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfasste Personenkreis hat seine Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem als Folge eines Ausscheidens vor dem Leistungsfall verloren. Es bestanden also zunächst nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik rechtlich gesicherte Anwartschaften. Diese wollte der gesamtdeutsche Gesetzgeber erhalten (vgl. BTDrs. 12/826, S. 21). Der hier in Frage stehende Personenkreis (gemeint ist der Personenkreis, der irgendwann vor dem 30. Juni 1990, aber nicht am 30. Juni 1990 alle Voraussetzungen für die Einbeziehung erfüllt hatte) hatte dagegen solche Rechtspositionen im Recht der Deutschen Demokratischen Republik zu keinem Zeitpunkt inne. Für eine rechtlich gesicherte Verbesserung der Altersversorgung über die Leistungen der Sozialpflichtversicherung hinaus stand dem betroffenen Personenkreis im Rentenrecht der Deutschen Demokratischen Republik der Beitritt zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung offen, war dort allerdings - anders als in vielen Systemen der Zusatzversorgung - mit eigenen Beitragsleistungen verbunden. Es bestand daher keine verfassungsrechtliche Verpflichtung der gesamtdeutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung, diesen Personenkreis den durch § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG begünstigten Personen gleichzustellen und insoweit die Grundentscheidung des Gesetzgebers abzuschwächen, eine Einbeziehung von Sozialpflichtversicherten in die Zusatzversorgungssysteme über den 30. Juni 1990 hinaus im Interesse einer schnellen Herbeiführung der rentenrechtlichen Renteneinheit zu untersagen."

Die gleichen Überlegungen gelten für einen Vergleich zwischen den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG betroffenen Personen und denjenigen, die nach der Rechtsprechung des BSG vom fiktiven Anspruch profitieren sollen. Auch die fiktiv in den Anwendungsbereich des AAÜG Einbezogenen hatten zu Zeiten der DDR keine Rechtsposition inne, die ihnen einen Zugang zu einer zusätzlichen Altersversorgung aus einem Zusatzversorgungssystem ermöglicht hätte. Auch ihnen stand die Möglichkeit offen, der FZR beizutreten. Diese Punkte lässt das BVerfG genügen, um eine Ungleichbehandlung mit den von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen zu rechtfertigen. Dasselbe muss dann auch bei einen Vergleich der von § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG erfassten Personen und den Personen gelten, die am 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für die Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem erfüllt hatten.

Aus diesen Gründen liegt auch keine Gesetzeslücke vor, die möglicherweise im Wege einer Analogie zu schließen gewesen wäre.

Im Übrigen hat auch die Bundesregierung mehrfach betont, dass das AAÜG nach dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers nur anwendbar sein sollte, wenn eine ausdrückliche Versorgungszusage vorliegt (Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BTDrs. 16/11127 vom 28. November 2008; Antwort des Staatssekretärs im Bundesministerium für Arbeit und Soziales Franz-Josef Lersch-Mense auf eine Frage der Abgeordneten Dr. M. Bunge, BTDrs. 16/13916 vom 21. August 2009). Sie hat darauf hingewiesen, dass Verdienste oberhalb von 600 Mark für Beschäftigungszeiten ab März 1971 ohne Versorgungszusage wie bei allen übrigen Versicherten, die keinem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem angehört haben, nur bei entsprechenden Beitragszahlungen zur FZR rentenrechtlich hätten berücksichtigt werden können. Dieser Hinweis der Bundesregierung auf die FZR ähnelt der soeben dargestellten Argumentation des Bundesverfassungsgerichts.

3. Aber auch wenn man der Rechtsprechung des BSG folgen würde, hat das Begehren des Klägers keinen Erfolg. Danach hängt der Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung im hier allein in Frage kommenden Fall gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl. der DDR I, Nr. 93 S. 844 – im Folgenden: VO-AVItech) i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech (GBl. der DDR I, Nr. 62 S. 487 – im Folgenden: 2. DB) von drei Voraussetzungen ab. Generell war dieses Versorgungssystem eingerichtet für Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).

Nach der Rechtsprechung des BSG müssen diese drei Voraussetzungen alle zugleich am 30. Juni 1990 vorgelegen haben. In Anwendung dieser Maßstäbe hatte der Kläger am 1. August 1991 (dem Tag des Inkrafttretens des AAÜG) keinen fiktiven Anspruch auf Einbeziehung in das Versorgungssystem der AVItech. Denn er erfüllte nicht die abstrakt-generellen und zwingenden Voraussetzungen (vgl. dazu Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 41/01 R –, SozR 3-8570 § 1 Nr. 6) des hier betroffenen Versorgungssystems. In der Person des Klägers als Diplomingenieur liegt zwar die persönliche Voraussetzung vor, und er war auch entsprechend seiner erworbenen Qualifikation tätig. Jedoch war er zum Stichtag 30. Juni 1990 nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt. Der VEB Starkstromanlagenbau M. war – wie der Senat bereits entschieden hat (Urteile vom 22. Oktober 2009 – L 1 R 400/06 – und vom 19. August 2010 – L 1 R 306/07) weder ein volkseigener Produktionsbetrieb der Industrie noch war er ein gleichgestellter Betrieb.

Die Voraussetzung der Beschäftigung in einem Produktionsbetrieb ergibt sich nach Auffassung des BSG aus § 1 Abs. 1 der 2. DB im Umkehrschluss, weil anderenfalls die Gleichstellung nicht produzierender Betriebe in § 1 Abs. 2 der 2. DB mit Produktionsbetrieben ohne Bezug wäre. Der Begriff des Produktionsbetriebes erfasst nur solche Betriebe, die Sachgüter im Hauptzweck industriell gefertigt haben. Der Betrieb muss auf die industrielle Fertigung, Fabrikation, Herstellung bzw. Produktion von Sachgütern ausgerichtet gewesen sein (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 41/01 R –, SozR 3–8570 § 1 Nr. 6 S. 47; Urteil vom 27. Juli 2004 – B 4 RA 11/04 R – juris). Das BSG setzt industriell und serienmäßig wiederkehrend ausdrücklich gleich (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 – B 4 RA 14/03 R – juris, Rdnr. 28). Die Bedeutung der damit verbundenen Begriffsbildung in der Wirtschaft der DDR hat das BSG unter Darstellung der Wirtschaftsgeschichte zur Zeit des Erlasses der maßgeblichen Versorgungsnormen herausgearbeitet (BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 41/01 R –, a.a.O., S. 46 f.). Schließlich muss die industrielle Serienproduktion dem Betrieb das Gepräge gegeben haben. Maßgeblich sind hier – entgegen der Auffassung des Klägers – die Begrifflichkeiten des Bundessozialgerichts und nicht die betriebswirtschaftliche Definitionen von Betrieb, Produktion oder Sachgütern.

Insbesondere aus der Aussage des Klägers in dem Verfahren L 1 R 400/06 im Erörterungstermin am 19. März 2008 ergibt sich, dass der VEB Starkstrom-Anlagenbau M. keine Serienfertigung im Sinne der zitierten Rechtsprechung des BSG betrieben hat. Denn die dem Betrieb das Gepräge gebende Herstellung von Schaltschränken als Endprodukt hatte nach den Einlassungen des dortigen Klägers individuell nach den jeweils im Einzelfall vorgegebenen Unterlagen zu erfolgen. Sie waren von ihrem Aufbau her auf die einzelne Anlage bezogen, deren Versorgung sie dienen sollten, und waren deshalb – wie es der dortige Kläger ausgedrückt hat – "in hohem Maße den einzelnen Verhältnissen anzupassen". Damit liegt hinsichtlich der Schaltschränke eine industrielle serienmäßige Herstellung von Sachgütern im Sinne der zitierten Rechtsprechung des BSG aber gerade nicht vor. Trafo- und Kabelkompaktstationen hat der Betrieb – so ebenfalls die Aussage des dortigen Klägers – nur in geringer Stückzahl gefertigt, so dass sie dem Betrieb nicht das Gepräge gegeben haben. Die Schaltschrankfertigung machte den überwiegenden Zweck des Betriebes aus. Der jährlichen Produktion von über 10.000 Schaltschränken nach den individuellen Kundenanforderungen stand die serienmäßige Schaltschrankproduktion für den Waggonbau von ca. 600 Einheiten gegenüber. Wenn man davon ausgeht, dass die Produktion von Schaltanlagen für das Schwermaschinenbaukombinat sowie von Kompaktstationen und Schwerpunktlaststationen als Serienproduktion anzusehen sind, kämen maximal 300 Einheiten hinzu. Die individualisierte Schaltschrankproduktion würde auch dann noch deutlich überwiegen. Nichts anderes ergibt sich, wenn unterstellt wird, dass die Schaltanlagen für das Schwermaschinenbaukombinat E. seriell im Sinne der Rechtsprechung des BSG produziert worden sind. Denn dies umfasste einen jährlichen Warenwert von 20 bis 30 Millionen Mark, also in jedem Fall weniger als 20 % des Gesamtwertes der Warenproduktion, die nach der Aussage des in dem Verfahren L 1 R 162/07 als Zeugen vernommenen Dr. K ... Ende der 1980er-Jahre 160 Millionen Mark betrug. Soweit der Kläger aus dem Geschäftsbericht der Nachfolgegesellschaft entnimmt, dass der VEB Starkstromanlagenbau M. in Serie produziert habe, kann sich der Senat dem nicht anschließen. Der Geschäftsbericht führt aus, dass ein weitgefächertes Erzeugnissortiment produziert worden sei. Dies spricht ebenfalls dafür, dass nicht eine Serienfertigung eines bestimmten Produktes für die Tätigkeit des Betriebs prägend war, sondern eine individualisierte Produktion. Auch daraus, dass der Betrieb zu Zeiten der DDR eine Monopolstellung inne gehabt haben soll, lässt sich kein Anhaltspunkt für eine Serienproduktion entnehmen. Etwas anderes folgt auch nicht aus den Aussagen des Klägers im Erörterungstermin vom 11. Mai 2010, da er die Zeugenaussagen, die der Senat seinen Parallelentscheidungen zugrunde gelegt hat, im Wesentlichen bestätigt hat.

Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei dem VEB Starkstromanlagenbau M. um einen gleichgestellten Betrieb im Sinne von § 1 Abs. 2 der 2. DB gehandelt haben könnte, liegen nicht vor.

Die Entscheidung wird auch nicht dadurch zu Gunsten des Klägers beeinflusst, dass die Beklagte möglicherweise in gleichgelagerten Fällen Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz festgestellt hat. Darauf kann sich der Kläger selbst bei gleicher Sachlage nicht berufen. Denn auf eine rechtwidrige Verwaltungsentscheidung kann ein Dritter wegen der vorrangigen Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz (Rechtsstaatsprinzip des Artikel 20 Abs. 3 GG) kein schutzwürdiges Vertrauen in dem Sinne gründen, dass bei gleicher Sachlage wiederum in gleicher (rechtswidriger) Weise entschieden werden müsste. Einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht kennt die Rechtsordnung nicht (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 1979 – 1 BvL 25/77 –, BVerfGE 50, 142, 166).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil nach dem festgestellten Sachverhalt die dem Betrieb das Gepräge gebende Endproduktion von Schaltschränken zwar keine Massenproduktion war, die für die Herstellung der Schaltschränke im Betrieb hergestellten erforderlichen Einzelteile nach dem festgestellten Sachverhalt aber den Produktionsbegriff des BSG erfüllen würden.
Rechtskraft
Aus
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