L 7 KA 1443/01

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 5 KA 3182/98
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 KA 1443/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Es geht in dem Rechtsstreit um die Teilnahme der Klägerin an der Erweiterten Honorarverteilung (EHV) bei der Beklagten ab 1. Dezember 1998 als geschiedene Ehefrau eines Vertragsarztes. Die 1948 geborene Klägerin, die zuletzt als Verwaltungsangestellte gearbeitet hat, war mit dem 1944 geborenen Vertragsarzt Dr. H. A. verheiratet. Das Amtsgericht L. gab als Ehezeit im Sinne § 1587 Abs. 2 BGB die Zeit vom 1. Juni 1970 bis zum 31. Oktober 1986 an. Mit Beschluss vom 17. Januar 1994 (xxxxx) führte das Amtsgericht L. die Realteilung der Versorgungsanwartschaften der geschiedenen Eheleute dergestalt durch, dass der Klägerin gegenüber der Beklagten eine monatliche Versorgungsanwartschaft in Höhe von DM 606,53 übertragen wurde. Dem lag ausweislich des Schreibens der Beklagten vom 5. November 1993 an das Amtsgericht L. ein umgerechneter Anspruchssatz von 2,6657 % zugrunde. Einem ärztlichen Reha-Entlassungsbericht vom 2. Juli 1996 ist zu entnehmen, dass die Klägerin als unter halbschichtig arbeitsfähig entlassen wurde verbunden mit dem Hinweis, dass die Klägerin trockene Alkoholikerin sei und eine psychische Überforderung zu einem akuten Wiederauftreten der Erkrankung führen könne. Durch die im letzten Jahr aufgetretene Krebserkrankung bestehe noch eine erhebliche seelische Beeinträchtigung. Mit Bescheid vom 9. Oktober 1996 bewilligte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 3. Juli 1996 bis zum 30. November 1998 mit dem Hinweis, die Rente sei zeitlich begrenzt, weil die Erwerbsunfähigkeit nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand der Klägerin, sondern auch auf den Verhältnissen des Arbeitsmarktes beruhe. Mit am 4. Februar 1997 bei der Beklagten zugegangenem Schreiben beantragte die Klägerin die Teilnahme an der EHV und begründete dies u.a. mit dem Bezug der Erwerbsunfähigkeitsrente, den Auswirkungen der Entfernung von 40 Lymphknoten auf den rechten Arm und der Notwendigkeit von Psychotherapie. Mit Bescheid vom 3. September 1997 lehnte die Beklagte den Antrag auf Anerkennung der Berufsunfähigkeit ab. Die Erwerbsunfähigkeitsrente der BfA berücksichtige nicht nur den Gesundheitszustand, sondern auch die Verhältnisse des Arbeitsmarktes. Demgegenüber gebe es eine Beteiligung an der EHV nur, wenn eine volle Berufsunfähigkeit vorliege. Hiergegen hat die Klägerin am 1. Oktober 1997 durch protokollierten Telefonanruf Widerspruch eingelegt. Im darauf eingeholten Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. SL. vom 21. November 1997 kam dieser zu den Diagnosen: ausgeprägte Persönlichkeitsstörung mit depressiver Prägung, daraus abgeleiteter langjähriger polyvalenter Abusus (glaubhaft seit 1987 abstinent), Zustand nach Mamma-CA Operation mit prolongierter Erlebnisverarbeitung, rechts operationsbedürftige Linsentrübung, links Zustand nach Operation einer Linsentrübung, blande sensomotorische Polyneuropathie nach Abusus ohne funktionelles Defizit. Aus nervenärztlicher Sicht könne die Klägerin zumindest halbschichtig in der letzten Tätigkeit im Bürobereich Arbeiten von wirtschaftlichem Wert verrichten. Von der Arbeit könnte auch ein therapeutischer Wert und eine Stabilisierung des Selbstwertgefühls erwartet werden. Eine Arbeit im erlernten Beruf der MTA und im direkten Umgang mit Medikamenten sei bei der Suchtanamnese nicht zumutbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 1998 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen mit der Begründung, bei der Klägerin könne eine Berufsunfähigkeit, die den Anforderungen für eine vorzeitige EHV-Rente genügen würde, nicht festgestellt werden. Die strenge Auslegung des Begriffes der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit sei von der Rechtsprechung in analogen Fällen ausdrücklich anerkannt worden. Die EHV sei keine Vollversicherung, sondern eine Grund- und Teilsicherung für freiberuflich Tätige, so dass hier strengere Anforderungen für die Gewährung von Leistungen im Falle einer vorzeitigen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit gerechtfertigt seien. Hiergegen hat die Klägerin am 4. September 1998 Klage erhoben und u.a. vorgetragen, sie sei wegen ihrer Erkrankungen nicht in der Lage, irgendeiner Erwerbstätigkeit nachzugehen, da sich ansonsten ihre Leiden verschlimmern würden. Auch beziehe sie nunmehr von der BfA eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf unbestimmte Dauer (Bescheid vom 14. Dezember 1998), die im Anschluss an die befristete Rente gezahlt werde. Die Klägerin hat den Rentenbescheid vom 14. Dezember 1998, den Entlassungsbericht der XY.klinik vom 4.11.1998 (11.8. bis 20.10.1998), sowie ihren Schwerbehindertenausweis in Kopie vorgelegt. Die Beklagte hat u.a. vorgetragen, die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1c EHV unterschieden sich grundsätzlich von § 44 Sozialgesetzbuch 6. Buch (SGB 6) und der dortigen Definition der Erwerbsunfähigkeit. Die Teilnahme an der EHV setze die Vollinvalidität des Mitgliedes voraus. Übertragen auf den EHV-berechtigten Angehörigen komme eine Teilnahme an der EHV nur in Betracht, wenn der zuletzt ausgeübte Beruf nicht mehr ausgeübt werden könne. Dies treffe bei der Klägerin nicht zu, da sie nach allen Begutachtungen noch halbschichtig tätig werden könne. Das Sozialgericht hat die Rentenakten beigezogen und insbesondere das vollständige Entlassungsgutachten der XY.klinik vom 4. November 1998 beigezogen. Mit Urteil vom 24. Oktober 2001 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Teilnahme der Klägerin an der EHV ab 1. Dezember 1998 verurteilt. In der Begründung hat es u.a. ausgeführt, § 2 Abs. 1c Grundsätze der EHV beziehe sich auf die Unfähigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes, sei es z.B. als angestellter Arzt oder in einem anderen Fachgebiet -ggf. nach einer Umschulungsfrist -, während bei der Einbeziehung von Nicht-Ärzten die Definition angepasst werden müsse. Hier müsse, wenn wie im Falle der Klägerin, die zuletzt in einem Büroberuf gearbeitet habe, ein besonderer Berufsschutz nicht in Betracht komme, allgemein auf die Unfähigkeit zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit abgestellt werden. Komme, wie im Falle der Klägerin, auch eine Umschulung nicht in Betracht, so liege im Sinne der EHV eine Unfähigkeit zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit dann vor, wenn dem Betreffenden unter Berücksichtigung seines Alters und aller sonstiger Umstände eine fortlaufende Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden könne. Der soziale Schutzzweck der Regelung bestehe darin, dann eine Teilnahme an der EHV einzuräumen, wenn der Arzt bzw. der sonstige Anspruchsberechtigte gesundheitsbedingt nicht mehr in der Lage sei, durch Ausübung einer ärztlichen bzw. sonstigen Tätigkeit Honorareinkünfte bzw. Arbeitseinkommen zu erzielen. Dies sei aber im Sinne einer konkreten Betrachtungsweise auch dann ausgeschlossen, wenn der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen sei. Letzteres sei ohne Weiteres anzunehmen, wenn nur noch eine unter halbschichtige Leistungsfähigkeit bestehe, was im Falle der Klägerin gegeben sei. Dies ergebe sich aus den gutachterlichen Feststellungen vom 4. November 1998 und werde durch die Gewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente auf unbestimmte Dauer durch die BfA ab 1. Dezember 1998 bestätigt. Dass eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes bei diesem nur geringen Leistungsvermögen vorliege, entspreche der Rechtsprechungspraxis der für die gesetzliche Rentenversicherung zuständigen Kammern des Gerichtes. Gegen das am 3. Dezember 2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20. Dezember 2001 Berufung eingelegt. Die Beklagte trägt vor, die Teilnahme an der EHV setze die Vollinvalidität voraus. Dies gelte auch für die Klägerin. Das Sozialgericht übernehme demgegenüber zu Unrecht Kriterien der gesetzlichen Rentenversicherung. Vielmehr hätten hier die Voraussetzung Geltung, die der HessVGH in seinem Urteil vom 14. August 1990 (yyyyy) zum Begriff der Berufsunfähigkeit in der Satzung des Versorgungswerkes der Landesärztekammer Hessen aufgestellt habe. Danach werde auf die besonderen Bedürfnisse der Ärzteschaft abgestellt. Der Arzt müsse infolge seiner körperlichen und geistigen Kräfte zur Ausübung des ärztlichen Berufes unfähig sein und seine ärztliche Tätigkeit in vollem Umfang eingestellt haben. Dies müsse auch für die Klägerin gelten. Diese sei zumindest teilweise zur Ausübung eines ihrer Qualifikation entsprechenden Berufes fähig.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. Oktober 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin trägt vor, die Berufungsbegründung der Beklagten scheine an der Sache vorbeizugehen. Aus der medizinischen Dokumentation ergebe sich eindeutig, dass bei ihr Leistungsunvermögen eingetreten sei.

Das Gericht hat Befundberichte des Frauenarztes Dr. HR. vom 19. Mai 2002 und des Neurologen und Psychiaters RN. vom 11. Juni 2002 sowie einen Entlassungsbericht der Psychosomatischen Klinik WSN. vom 13. November 2001 beigezogen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG), ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. Oktober 2001 ist zu Recht ergangen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus der im Scheidungsverfahren erfolgten Realteilung einen Anspruch auf Teilnahme an der EHV ab 1. Dezember 1998 nach §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1c Grundsätze der EHV. Es war vom erkennenden Senat dabei nicht zu prüfen, ob die Klägerin einen Anspruch zu einem früheren Zeitpunkt gehabt haben könnte, da die Klägerin den vor dem Sozialgericht gestellten Klageantrag auf die Zeit ab 1. Dezember 1998 begrenzt hat. Es handelt sich bei dem Anspruch auf Teilnahme an der EHV auch für die Klägerin als geschiedene Frau eines Vertragsarztes um einen eigenständigen Anspruch gegen die Beklagte, der losgelöst ist von einem evtl. Anspruch des geschiedenen Ehemannes, § 6b Abs. 9 (seit 1.1.2001 § 8 Abs. 2 d) Grundsätze der EHV. Der in der EHV geregelte Fall der Berufsunfähigkeit (§1 Abs. 1 Satz 1 Grundsätze der EHV) setzt die Unfähigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes voraus, und zwar in dem Sinne, dass dem betreffenden Arzt unter Berücksichtigung seines Alters und aller sonstigen Umstände eine fortlaufende ärztliche Tätigkeit, sei es z.B. als angestellter Arzt oder in einem anderen Fachgebiet -gegebenenfalls (auch) nach einer Umschulungsfrist -nicht zugemutet werden kann (§ 2 Abs. 1 c Grundsätze der EHV). Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates (vgl. Urteil vom 23.4.1980 -L 7 KA -1128/79) handelt es sich um eine Invaliditäts- und Alterssicherung von Selbständigen, die im Gegensatz zur gesetzlichen Rentenversicherung nur eine Grund- und Teilsicherung gegen die Wechselfälle des Lebens darstellt. Eine ärztliche Tätigkeit war der Klägerin als Nichtärztin zu keiner Zeit möglich, so dass die bei ihr zu beurteilende Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht mit der noch möglichen Einsetzbarkeit eines Arztes verglichen werden kann. Dementsprechend ist der Verweis der Beklagten auf das Urteil des HessVGH vom 14. August 1999 (s.o.) insoweit nicht einschlägig. Der Fall der Berufsunfähigkeit eines geschiedenen Ehepartners, der selbst nicht den Beruf des Arztes hat, ist in der EHV nicht geregelt. Diese Fallgestaltung muss sich nach Auffassung des erkennenden Senates zwar an dem in der EHV erkennbaren Versorgungssystem ausrichten, ohne jedoch außer Acht zu lassen, dass durch die Einbeziehung von Nichtärzten die geforderten Voraussetzungen einer Anpassung im Hinblick auf die berufliche Vergangenheit und die in Frage kommende berufliche Einsetzbarkeit des jeweiligen Anspruchsinhabers bedürfen. Hinsichtlich der gesundheitsbedingten Unfähigkeit der Klägerin, noch Arbeitseinkommen zum Bestreiten ihres Lebensunterhaltes zu erzielen, verweist der erkennende Senat auf die Begründung des sozialgerichtlichen Urteils, § 153 Abs. 2 SGG. Ergänzend ist noch festzustellen, dass auch die weiteren Ermittlungen des erkennenden Senates die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin, die eine fortlaufende Berufstätigkeit unzumutbar erscheinen lassen, bestätigt haben. So kommt der Frauenarzt Dr. HR. in seinem Befundbericht vom 19. Mai 2002 zu der Beurteilung, dass bei der Klägerin, der seit Dezember 1998 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf unbestimmte Dauer bewilligt worden sei, eine Besserung der psychischen und gynäkologischen Beschwerden derzeit nicht absehbar sei; eine Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, auch in geringem Umfang, erscheine ihm äußerst unwahrscheinlich. Im Entlassungsbericht der Psychosomatischen Klinik WSN. vom 13. November 2001 (stationär vom 21.8. -2.10.2001) wurde die Klägerin zwar in psychisch und physisch stabilisiertem Zustand entlassen, sie wurde jedoch noch als psychisch stark belastet beschrieben, die von Isolation bedroht sei und unbedingt einer baldigen Gruppenpsychotherapie zugeführt werden solle. Im Befundbericht vom 11. Juni 2002 kommt der Neurologe und Psychiater RN. zu dem Ergebnis, dass die Klägerin aus nervenärztlicher Sicht nach wie vor beruflich nicht belastbar sei. Die Prognose sei hinsichtlich beruflicher Rehabilitation ungünstig, da aus seiner Sicht alle Behandlungsoptionen, wie ambulante Psychotherapie, stationäre Psychotherapie und psychiatrische Betreuung ausgeschöpft seien.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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