L 8 SB 618/10 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SB 2318/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 618/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Dezember 2009 (hinsichtlich des festgesetzten Ordnungsgeldes) abgeändert. Gegen den Beschwerdeführer wird ein Ordnungsgeld in Höhe von 250,00 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft von zwei Tagen festgesetzt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Staatskasse trägt ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers, der im Übrigen seine Kosten selbst sowie die auf die Hälfte ermäßigten Gerichtskosten trägt.

Gründe:

I.

Beim Sozialgericht Stuttgart (SG) ist im Klageverfahren S 2 SB 2318/09 zwischen den Beteiligten streitig, ob beim Kläger die gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) vorliegen.

Mit Verfügung vom 08.05.2009 ordnete das SG - u. a. - die schriftliche Vernehmung des Beschwerdeführers als sachverständigen Zeugen an. Auf zwei Erinnerungsschreiben des SG (03.07.2009 und 04.08.2009) teilte der Beschwerdeführer dem SG mit Schreiben vom 25.08.2000 mit, er habe zwei Mahnungen an seine nicht mehr bestehende Praxisadresse erhalten und bat um nochmalige Übersendung der Beweisfragen. Mit Verfügung vom 26.08.2009 wurden dem Beschwerdeführer vom SG unter nochmaliger Anordnung seiner schriftlichen Vernehmung als sachverständiger Zeuge die Beweisfragen an die von ihm benannte neue Praxisanschrift übersandt. Nachdem sich der Beschwerdeführer erneut nicht äußerte, erinnerte das SG mit Schreiben vom 14.10.2009 den Beschwerdeführer ohne Erfolg an die Beantwortung der Anfrage vom 26.08.2009.

Am 02.12.2009 bestimmte das SG einen Termin zur Beweisaufnahme auf den 21.12.2009, 15:00 Uhr. Der Beschwerdeführer wurde als sachverständiger Zeuge unter Hinweis auf die Folgen des Ausbleibens unter der von ihm benannten neuen Praxisanschrift mit Zustellungsurkunde am 04.12.2009 geladen. Weiter wurde der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass die Aufhebung des Termins erwogen werde, wenn der Befundbericht bis zum 18.12.2009 beigebracht werde sowie darauf, dass gegen ihn ein Ordnungsgeld in Höhe von mindestens 500,00 EUR verhängt werde, sollte er weder schriftlich antworten noch persönlich erscheinen.

Zum Beweisaufnahmetermin am 21.12.2009 erschien der Beschwerdeführer nicht (Niederschrift des SG vom 21.12.2009).

Mit Beschluss des SG vom 29.12.2009 wurden dem Beschwerdeführer die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten auferlegt und zugleich gegen ihn ein Ordnungsgeld in Höhe von 500 EUR, ersatzweise fünf Tage Ordnungshaft, festgesetzt. Der Beschluss wurde von der Geschäftsstelle des SG am 05.01.2010 zur Post gegeben und dem Beschwerdeführer mit Zustellungsurkunde am 07.01.2010 zugestellt.

Inzwischen hatte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 04.01.2010 die Beweisfragen (unter Vorlage weiterer medizinischen Befundunterlagen) beantwortet, das am 04.01.2010 persönlich beim SG abgegeben wurde.

Am 11.01.2010 hat der Beschwerdeführer durch seinen Prozessbevollmächtigten beantragt, den Beschluss vom 29.12.2009 gemäß § 381 ZPO nachträglich aufzuheben und am 28.01.2010 vorsorglich Beschwerde eingelegt, falls das SG den Ordnungsgeldbeschluss nicht aufheben sollte. Er hat zur Begründung vorgetragen, als ihn die Ladung am 04.12.2009 erreicht habe, habe er sein Praxispersonal darauf hingewiesen, den Termin zu notieren und Patiententermine zu verlegen. Er habe unter Stress gestanden. Deshalb könne es sein, dass er nicht eine bestimmte Person angewiesen habe, die Sache zu organisieren. Er könne nicht mehr genau sagen, ob er oder jemand vom Praxispersonal vergessen habe, den Termin zu notieren. Da er von früh morgens bis spät abends Patienten zu behandeln gehabt habe, sei die Ladung in Vergessenheit geraten. Nachdem er die Beweisfragen nunmehr schriftlich beantwortet habe, bitte er um Entschuldigung und Aufhebung des Ordnungsgeldbeschlusses. Auf ein richterliches Hinweisschreiben hat der Beschwerdeführer weiter vorgetragen, er habe den Termin wegen wichtiger Ereignisse vergessen. Am 02.12.2009 (gemeint ist der 04.12.2009) sei in seiner Praxis die "Hölle los" gewesen. Zudem habe er am Tag der Zustellung einen Autounfall verursacht. Als er in der Praxis eingetroffen sei, sei er dann mit vielen Dingen konfrontiert worden (Ladung, wartende Patienten, Kontaktaufnahme mit der Hausverwaltung, Aufregung und Verärgerung wegen des Schadens an seinem Pkw). Deshalb habe er vergessen, klare Anweisungen zu erteilen. Die Vielzahl der genannten Ereignisse sei als wichtiges Ereignis zu werten.

Am 04.02.2010 hat das SG die vorsorglich erhobene Beschwerde dem Landessozialgericht Baden-Württemberg zur Entscheidung vorgelegt. Mit Schreiben vom 08.03.2010 hat der erkennende Senat die Rechtssache des Beschwerdeführers mit Akten an das SG mit der Bitte um Entscheidung über den - vorrangigen - Antrag gemäß § 381 ZPO zurückgereicht. Mit Beschluss vom 08.03.2011 hat das SG den Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 381 ZPO zurückgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, das Vorbringen des Beschwerdeführers stelle keine nachträgliche hinreichende Entschuldigung dar. Der Beschwerdeführer habe nicht dargelegt, weshalb die Säumnis im Termin zur Beweisaufnahme unverschuldet gewesen sei. Es werde nicht verkannt, dass die geschilderten Umstände zum Zeitpunkt der Ladung dazu hätten beitragen können, dass der Termin in Vergessenheit geraten sei. Diese stellten jedoch kein wichtiges Ereignis dar, welche das Ausbleiben entschuldige. Es bestehe keine Veranlassung, die Höhe des festgesetzten Ordnungsgeldes herabzusetzen.

Das SG hat die Beschwerde des Beschwerdeführers mit Akten dem Senat am 15.03.2011 wieder vorgelegt.

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,

den Ordnungsgeldbeschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 29.12.2009 aufzuheben, hilfsweise, das Ordnungsgeld auf 100 EUR zu reduzieren.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens des Beschwerdeführers wird auf die Gerichtsakte des SG sowie die beim Senat angefallene Beschwerdeakte Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, weil form- und fristgerecht eingelegt; Beschwerdeausschließungsgründe liegen nicht vor, nachdem das SG mit Beschluss vom 08.03.2011 den - vorrangigen - Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 381 ZPO auf nachträgliche Aufhebung des Ordnungsgeldbeschlusses vom 29.12.2009 abgelehnt hat.

Die Beschwerde ist auch teilweise begründet. Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes ist allerdings dem Grunde nach nicht zu beanstanden. Das festgesetzte Ordnungsgeld in Höhe von 500,00 EUR ist jedoch unangemessen. Der Senat hält ein Ordnungsgeld in Höhe von 250,00 EUR für ermessensgerecht.

Gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - i.V.m. § 380 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO - werden einem ordnungsgemäß geladenen Zeugen, der nicht erscheint, die durch das Ausbleiben verursachten Kosten auferlegt. Zugleich wird gegen ihn ein Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft festgesetzt.

Diese Voraussetzungen sind beim Beschwerdeführer erfüllt. Der Beschwerdeführer ist als Zeuge nach Maßgabe des § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 377 Abs. 2 ZPO ordnungsgemäß zum Termin am 21.12.2009 geladen worden. Die Ladung entsprach § 377 Abs. 2 ZPO und wurde dem Beschwerdeführer am 04.12.2009 mit Zustellungsurkunde ordnungsgemäß zugestellt. Zum Termin am 21.12.2009 ist der Beschwerdeführer ohne vorherige Mitteilung von Gründen nicht erschienen. Dies wird vom Beschwerdeführer auch nicht in Abrede gestellt.

Gemäß § 381 Abs. 1 Satz 1 ZPO unterbleibt die Auferlegung von Kosten und die Festsetzung eines Ordnungsmittels, wenn das Ausbleiben des Zeugen rechtzeitig genügend entschuldigt wird. Erfolgt die Entschuldigung nicht rechtzeitig, so unterbleiben die Auferlegung der Kosten und die Festsetzung eines Ordnungsmittels nur dann, wenn glaubhaft gemacht wird, dass den Zeugen an der Verspätung der Entschuldigung kein Verschulden trifft (§ 381 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Erfolgt die Glaubhaftmachung oder die genügende Entschuldigung nachträglich, so werden die gegen den Zeugen getroffenen Anordnungen wieder aufgehoben (§ 381 Abs. 1 Satz 3 ZPO).

Das nachträgliche Vorbringen des Beschwerdeführers entschuldigt ihn nicht genügend, wie auch das SG im Beschluss vom 08.03.2001 zutreffend entschieden hat. Eine genügende Entschuldigung liegt vor, wenn dem Zeugen bei Würdigung aller Umstände das Erscheinen nicht zugemutet werden kann (vgl. Keller in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 118 RdNr. 10i, m.w.N.), z.B. bei einer eigenen Erkrankung, einer Betriebsstörung von Verkehrsmitteln, einer schweren Erkrankung oder Tod eines nächsten Angehörigen oder die Nichtbeantwortung eines Verlegungsgesuches durch das Gericht, wenn nach den Umständen eine Antwort erwartet werden konnte (vgl. BFH, Beschluss vom 03.08.1977 - I B 41/77 -, veröffentlicht in juris). Solche Gründe liegen beim Beschwerdeführer jedoch nicht vor. Der Umstand, dass am Tag der Zustellung der Ladung zum Termin am 21.12.2009 in der Praxis "die Hölle los gewesen sei", stellt keinen Entschuldigungsgrund dar. Eine hektische Arbeitsatmosphäre vermag den Beschwerdeführer nicht zu entschuldigen, denn die zuverlässige Wahrnehmung wichtiger Schriftstücke muss schon unter dem Blickwinkel der ärztlichen Berufspflichten auch bei hoher bzw. lebhafter Arbeitsbelastung gewährleistet sein (vgl. Hess. LSG, Beschl. v. 01.03.2006 - L 4 B 41/06 RH -, veröffentlicht im Internet www.sozialgerichtsbarkeit.de [Entscheidungen]). Entsprechendes gilt für die vom Beschwerdeführer weiter geltend gemachten Umstände (Kontaktaufnahme mit der Hausverwaltung, Aufregung und Verärgerung wegen des Schadens an seinem Pkw). Dass der Beschwerdeführer wegen der Ereignisse am Zustellungstag der Ladung vergessen habe, klare Anweisungen zu erteilen, den Termin zu notieren und dass die Ladung in Vergessenheit geraten sei, wie er außerdem geltend macht, entschuldigt den Beschwerdeführer ebenfalls nicht. Eine Pflichtwidrigkeit besteht, wenn der Zeuge sich den auf der Ladung angegebenen Termin nicht hinreichend genau einprägt und aus diesem Grund den Termin versäumt, wovon beim Beschwerdeführer nach seinem eigenen Vorbringen auszugehen ist. Die unzulängliche Notierung des Vernehmungstermins im Kalender - durch den Zeugen oder von ihm beauftragten Dritten - stellt ebenso wie das Vergessen des Termins grundsätzlich keine genügende Entschuldigung dar (Rechtsprechung des Senats, Beschluss vom 25.11.2010 - L 8 U 4429/10 B -, m.w.N.). Der gerichtsbekannte Beschwerdeführer (vgl. Beschluss des Senats vom 25.11.2010 im Ordnungsgeldverfahren L 8 U 4429/10 B) wird auch nicht dadurch entschuldigt, dass er - noch vor Übergabe des angefochtenen Ordnungsgeldbeschlusses an die Post - seine schriftliche sachverständige Zeugenaussage am 04.01.2010 nachgeholt hat. Nach den vom SG mit der Ladung zum Termin am 21.12.2009 erteilten Hinweisen durfte der Beschwerdeführer mit einer Aufhebung des anberaumten Termin und damit seiner Ladung als sachverständiger Zeuge allenfalls dann rechnen, wenn er bis 18.12.2009 den "Befundbericht" dem Gericht zukommen lässt. Diese Frist hat der Beschwerdeführer nicht gewahrt.

Letzteres rechtfertigt jedoch, die Festsetzung des Ordnungsgeldes (und damit der Ersatzordnungshaft) der Höhe nach als zu Lasten des Beschwerdeführers ermessensfehlerhaft zu bewerten. Wird gegen eine Entscheidung des SG Beschwerde eingelegt, hat das Landessozialgericht nicht nur die Entscheidung des SG auf Ermessensfehler hin zu überprüfen, sondern eine eigene Entscheidung zu treffen. Gemäß Art. 6 Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch beträgt das Ordnungsgeld zwischen 5,00 EUR und 1.000,00 EUR.

Durch die persönliche Übergabe der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage mit weiteren medizinischen Befundunterlagen vom 04.01.2010 ist der Beschwerdeführer seiner Verpflichtung als Zeuge nachträglich zeitnah zum Termin am 21.12.2009 und noch vor der Zustellung des angefochtenen Ordnungsgeldbeschlusses nachgekommen. Damit hat er dem SG ermöglicht, dem Verfahren ohne wesentlichen Zeitverlust - ohne erneute Ladung des Beschwerdeführers - Fortgang zu geben. Unter diesen Umständen erachtet es der Senat im vorliegenden Einzelfall nicht für ermessensgerecht, dem Beschwerdeführer ein Ordnungsgeld in Höhe der Hälfte des Höchstbetrages aufzuerlegen. Vielmehr hält der Senat vorliegend ein Ordnungsgeld in Höhe von einem Viertel des Höchstbetrages für ausreichend und angemessen.

Die Kostenentscheidung beruht zum einen auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da der Beschwerdeführer nicht zu dem nach § 183 SGG privilegierten Personenkreis gehört. Danach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens. Allerdings ist im Beschwerdeverfahren von Zeugen gegen Ordnungsgeldbeschlüsse nur der jeweilige Beschwerdeführer beteiligt (vgl. zuletzt Beschlüsse des Senats vom 25.11.2010 a.a.O., vom 12.11.2010 - L 8 SB 5041/10 B; BFH, Beschluss vom 10.01.1986, IX B 5/85 in BFHE 145, 314). Die Kostenentscheidung beruht deshalb zum anderen, hinsichtlich der Frage nach dem Kostenschuldner im Falle des Obsiegens des Beschwerdeführers, auf einer entsprechenden Anwendung des § 46 Abs. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten - OwiG - i.V.m. § 467 Abs. 1 der Strafprozessordnung - StPO - (Beschlüsse des Senats vom 25.11.2010 und 12.11.2010 a.a.O.; so auch LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 17.03.2009, L 10 U 1056/09 KO-B, und 23.07.2009, L 10 U 2682/09 B; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 24.10.1994, L 3 SB 65/94, Breithaupt 1995, 548). Kostenschuldner ist insoweit die Staatskasse. Der Beschwerdeführer war nur mit dem Hilfsantrag und insoweit auch nur teilweise erfolgreich, was eine Kostenquote von einem Viertel rechtfertigt. Der Ausspruch zu den Gerichtskosten beruht auf § 3 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Kostenverzeichnis Nr. 7504 Alternative 2.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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