L 9 U 3539/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 3326/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3539/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 29. Januar 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Arbeitsunfalles.

Der 1954 geborene Kläger ist Angestellter der A. mbH mit Sitz in M./H ... Das Büro der A. mbH befindet sich im Wohnhaus des Klägers.

In einem ersten fachärztlichen Bericht von Dr. L. und Dr. M., Orthopädische Universitätsklinik H. vom 18.02.2009 über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 16.02. bis 17.02.2009 wurde über eine Hundebissverletzung am Handgelenk berichtet. Der Kläger habe angegeben, heute von seinem Hund gebissen worden zu sein. Gegenüber der Beklagten haben der Kläger und dessen Arbeitgeber (Unfallanzeige vom 09.06.2009) angegeben, der Kläger habe sich auf dem Weg zu seinem Kraftfahrzeug befunden, um Unterlagen herauszuholen. Dabei habe ein Hund, ein Riesenschnauzer, den Hund der Familie W. angegriffen. Um seinen Hund zu schützen, sei der Kläger dazwischen gegangen und sei dabei in die Hand gebissen worden.

Mit Bescheid vom 22.06.2009 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 16.02.2009 als Arbeitsunfall ab. Zur Begründung führte sie aus, es habe sich um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit gehandelt, weil es sich um den eigenen Hund habe, den der Kläger vor einem angreifenden Hund habe schützen wollen. Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, es habe eine versicherte Tätigkeit vorgelegen, nachdem er Akten aus seinem Auto habe holen wollen. Es sei nicht erforderlich, dass es sich um die berufliche Tätigkeit selbst gehandelt habe sondern auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges während der Arbeitstätigkeit sei versichert. Es habe auch eine konkrete Verrichtung im Rahmen der versicherten Tätigkeit vorgelegen. Im Rahmen dieser versicherten Tätigkeit sei er schwer verletzt worden. Die Unfallfolgen des Hundebisses seien bis heute nicht abgeklungen, insbesondere beständen ein Taubheitsgefühl und eine Bewegungseinschränkung der rechten Hand.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.09.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte aus, dass das Holen der Akten aus dem Fahrzeug ohne Zweifel eine versicherte Tätigkeit sei. Diese Tätigkeit sei jedoch durch den Angriff des fremden Hundes und die Rettung des eigenen Hundes (eigenwirtschaftliche Tätigkeit) unterbrochen worden. Der Versicherungsschutz bestehe nur dann fort, wenn es sich um eine kurzfristige, unerhebliche Unterbrechung gehandelt hätte. Eine privaten Zwecken dienende, unwesentliche Tätigkeit liege vor, wenn die Unterbrechung zeitlich und räumlich nur ganz geringfügig sei und im "Vorbeigehen" oder "ganz nebenher" erledigt werden könne. Das Zurücklegen des Weges (versicherte Tätigkeit) müsse hierbei der wesentliche Grund dafür sein, dass sich der Kläger in dieser Situation befinde. Bei dem Versuch den eigenen Hund zu schützen, habe sich der Kläger von der versicherten Tätigkeit vollständig abgewandt, die Handlungstendenz sei zu diesem Zeitpunkt nicht mehr das Zurücklegen des Weges gewesen.

Hiergegen hat der Kläger mit einem am 1. Oktober 2009 eingegangen Schriftsatz Klage zum Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben.

Unter Wiederholung und Vertiefung des bisherigen Vortrages hat der Kläger an seiner Auffassung festgehalten, das Ereignis sei als Arbeitsunfall anzuerkennen. Der ganze Vorfall habe sich nur innerhalb weniger Sekunden und ohne den Weg zum Firmenfahrzug wesentlich zu unterbrechen ereignet. Der Kläger habe seine versicherte Tätigkeit nur kurzfristig unterbrochen, quasi reflexartig für wenige Sekunden, als er den großen Hund auf das Grundstück habe zurasen sehen, von dem er im Übrigen auch gewusst habe, wie gefährlich er sei. Der Weg vom Haus zum Firmen-Pkw als versicherte Tätigkeit lasse sich von der räumlich fast nicht zu unterscheidenden Unfallörtlichkeit kaum bis gar nicht abgrenzen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG gab der Kläger an, zusammen mit seinem Hund aus dem Haus gekommen zu sein, um aus dem Firmenfahrzeug Unterlagen herauszuholen. Im gleichen Moment habe er einen Riesenschnauzer um die Ecke kommen sehen, welcher durch das offene Gittertor gerannt sei und den eigenen Hund habe beißen wollen. Er habe sich dazwischen gestellt und versucht, den eigenen Hund wegzudrehen. In diesem Moment habe ihn der fremde Hund in das Handgelenk gebissen.

Mit Urteil vom 29.01.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe sich zum Zeitpunkt des Angriffs von seinem ursprünglichen Ziel, Akten aus seinem Kfz zu holen, vollständig abgewandt gehabt, um seinen Hund und damit Eigentum zu schützen. Dabei habe er den Riesenschnauzer auf dem Weg von seinem Haus zu seinem Auto auch nicht nur nebenbei, wie z. B. durch einen Tritt, von seinem Hund ferngehalten. Es habe auch nicht nur lediglich wenige Sekunden gedauert, zumal der Halter des Riesenschnauzers laut den Angaben des Klägers erst einige Zeit später gefolgt sei. Bei dem Auseinanderbringen der beiden Hunde habe es sich um eine ausschließlich private Tätigkeit gehandelt, und der Kläger habe zu diesem Zeitpunkt eigenwirtschaftliche Interessen nämlich die Vermeidung von Verletzungen seines Hundes verfolgt, welche die versicherte Verrichtungen unterbrochen habe, und für die die Beklagte und damit der Beitragszahler nicht einzustehen habe.

Gegen das dem Kläger am 28. Juni 2010 zugestellte Urteil hat dieser am 28. Juli 2010 Berufung eingelegt. Das Argument des SG, bei dem Auseinanderbringen der beiden Hunde habe eine ausschließlich private Tätigkeit vorgelegen, überzeuge nicht. Denn bei den unstreitig anerkannten versicherten Tätigkeiten bzw. den kurzfristigen und geringfügigen privaten Unterbrechungen, die noch zum versicherten Weg gezählt würden, wie etwa dem Holen von Zigaretten oder dem Kauf einer Zeitung oder einem nur wenige Minute dauernden privaten Gespräch handele es sich ebenfalls ausschließlich um Tätigkeiten, die im eigenen Interesse lägen und die mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit oder dem Arbeitsweg nichts mehr zu tun hätten. Trotzdem solle der Betroffene aber weiter versichert sein. Es könne schlichtweg kein Unterschied darin bestehen, ob der Versicherte auf seinem Arbeitsweg quasi von einem Auto angefahren oder von einem Hund gebissen werde.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 29. Januar 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. September 2009 aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 16. Februar 2009 um einen Arbeitsunfall handelt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass der Berufungskläger einer zusätzlichen Gefahr erlegen sei, als er sich dem fremden Hund entgegengestellt habe. Dieser Gefahr habe er sich freiwillig ausgesetzt und sei seinem privaten Lebensbereich zuzurechnen. Er habe zum Unfallzeitpunkt keinen Bezug zu einer versicherten Tätigkeit gehabt sondern sei nur auf das Abwehren des fremden Hundes fixiert gewesen. Damit habe er den inneren ursächlichen Zusammenhang zu seiner beruflichen Tätigkeit gelöst.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung des Klägers, gerichtet auf die - als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässige - Feststellung, dass das Ereignis vom 16.02.2009 ein Arbeitsunfall ist, bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Zu Recht hat das SG entschieden, dass das Ereignis vom 16.02.2009 kein Arbeitsunfall ist.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis (dem Unfallereignis) geführt hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (vgl. BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 27/07 R m.w.N. – in Juris).

Nach den auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Einlassungen des Klägers war er zur Zeit des Unfallereignisses im Rahmen seiner Beschäftigung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII für die A. mbH auf dem Weg zu seinem Kraftfahrzeug, um dort Akten zu holen. Er hat damit, da der Weg in einem unmittelbaren Betriebsinteresse stand, einen grundsätzlich versicherten (Betriebs-)Weg zurückgelegt. Der durch den Hundebiss vorliegende Unfall ist jedoch kein Arbeitsunfall, weil das Abwehren des fremden Hundes, um den eigenen Hund zu schützen in keinem sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gestanden hat. Ob die Verrichtung, bei der sich der Unfall ereignet hat, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, ist wertend danach zu entscheiden, ob diese Tätigkeit noch innerhalb der Grenze liegt, bis zu der nach dem Gesetz der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (vgl. BSG, Urt. v. 10.10.2006, B 2 U 20/05 R – in Juris). Maßgebend ist dabei, ob der Versicherte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und ob diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt wird (BSG 10.10.2006, a.a.O.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat sich der Unfall nicht "infolge" der versicherten Tätigkeit ereignet sondern beruhte im Wesentlichen auf einer eigenwirtschaftlichen Handlungstendenz. Diese war, was der Senat den Einlassungen des Klägers im Termin vor dem SG am 29.01.2010 entnimmt und wonach er gebissen wurde, als er versuchte, den eigenen Hund wegzudrehen nachdem der Riesenschnauzer den eigenen Hund beißen wollte, auf die Abwehr des fremden Hundes zum Schutz des eigenen gerichtet. Es ist in diesem Zusammenhang schon kein Grund ersichtlich, weshalb der Hund des Klägers beim Verlassen des Hauses mitgeführt wurde. Eine betriebliche Veranlassung für ein Mit- oder Ausführen des Hundes bestand jedenfalls nicht, zumal für das Ausüben des konkreten Betriebes ein (Wach-)Hund weder üblich noch notwendig ist. Insoweit verwirklichte sich mit dem Angriff auf den Hund durch einen anderen keine betriebliche Gefahr sondern eine allgemeine, der jeder Hundehalter regelmäßig ausgesetzt ist. Der Kläger hat mit dem Abwehren des fremden Hundes den Schutz seines privaten Eigentums im Auge gehabt. Betriebliche Belange spielten insoweit keine Rolle, weshalb der Unfall vom Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung auch nicht umfasst ist (zum Überwiegen des Eigeninteresses vgl. BSG 07.09.2004, B 2 U 35/03 R – in Juris).

Der Kläger kann deshalb auch nicht geltend machen, es habe sich um keine erhebliche Unterbrechung der versicherten Tätigkeit gehandelt, weshalb der Versicherungsschutz fortbestanden habe. Dabei verkennt er, dass sich hier nicht ein üblicherweise bestehendes Wegerisiko verwirklicht hat, welches durch das Einschieben einer kurzen privatwirtschaftlich zu bewertenden Handlung wie ein Zigarettenziehen an einem Automaten oder dem Kauf einer Zeitung an einem Kiosk etc. nur kurz unterbrochen wird, sondern um einen Unfall, der im Wesentlichen durch das Mitführen des Hundes bedingt war. Die Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes in den genannten unerheblichen Unterbrechungen des Versicherungsschutzes findet seine Rechtfertigung gerade darin, dass die in einem sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehende Verrichtung der wesentliche Grund dafür ist, dass der Versicherte sich in dieser Situation befindet, in der er dann ganz nebenher oder im Vorbeigehen die private Verrichtung ausübt (vgl. Becker, Der Arbeitsunfall, SGb 2007, 721, 725). So liegt der Fall hier aber nicht, da nicht der Weg zum Firmenfahrzeug der wesentliche Grund für die Abwehr des Hundes gewesen ist sondern das Mitführen des eigenen Hundes ansich, wofür es aber keine betriebliche Veranlassung gab. So ist zwar grundsätzlich auch ein (Raub-)Überfall als Arbeitsunfall anzuerkennen, wenn der Überfall während der Ausübung einer versicherten Tätigkeit - sei es auf der Betriebsstätte oder auf einem versicherten Weg - erfolgt. Die Anerkennung ist jedoch zu versagen, wenn der Überfall in keiner sachlichen Verbindung mit der versicherten Tätigkeit des Verletzten steht, sondern z. B. aufgrund einer persönlichen Feindschaft erfolgt und keine der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Verhältnisse den Überfall wesentlich begünstigt haben (vgl. BSG 18.11.2008, B 2 U 27/07 R - in Juris m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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