L 9 U 4369/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 1198/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 4369/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 19. August 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger erneut Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente hat.

Der 1951 geborene Kläger, ein marokkanischer Staatsbürger, erlitt bei seiner Tätigkeit als Lagerist am 21. Dezember 1993 einen Arbeitsunfall, als er mit seiner linken Hand in einen Reißwolf geriet und sich dabei den linken Zeigefinger im Bereich des distalen Grundgliedes abriss. Dr. G., Leitender Abteilungsarzt für Hand- und Unfallchirurgie der Krankenanstalten Florence Nightingale in Düsseldorf, diagnostizierte beim Kläger, einem Rechtshänder, eine traumatische Zeigefingeramputation links sowie eine Risswunde des linken Mittelfingers mit drittgradig offener Schaftsplitterung (vgl. DA-Bericht vom 22. Dezember 1993).

Mit Bescheid vom 13. Dezember 1994 gewährte die Beklagte dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 21. Dezember 1993 ab 20. Juni 1994 (Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit) bis 31. Oktober 1994 eine vorläufige Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H. und ab 1. November 1994 bis auf weiteres um 20 v.H. Als Folgen des Arbeitsunfalls wurden anerkannt: "Verlust des zweiten Fingers links im Grundgliedbereich, knöchern fest verheilter Bruch des Mittelfingers im Bereich des Grundgliedes und verheilter Strecksehnenabriss am linken Mittelfinger mit Bewegungseinschränkung im Bereich des Stumpfes des zweiten Fingers und im Endgelenk des Mittelfingers, Muskelminderung des Armes und der Hand, Durchblutungsstörungen und Berührungsempfindlichkeit im Stumpfbereich, Kraftminderung der Hand und subjektive Beschwerden". Grundlage hierfür waren das Gutachten von Dr. W. vom 25. Oktober 1994 und die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. D. vom 23. November 1994.

Der Kläger nahm seine bisherige Tätigkeit am 20. Juni 1994 wieder auf und übte diese nach Auskunft des Arbeitgebers (29. September 1999) bis Februar 1995 (ohne Einschränkungen) wieder aus.

Nachdem der Kläger im Mai 1995 nach Marokko zurückgekehrt war, beauftragte die Beklagte Dr. W. mit der Erstattung eines Gutachtens nach Aktenlage. Dieser gelangte im Gutachten vom 20. Juni 1995 zum Ergebnis, der Unfallfolgezustand am Zeigefinger sei etwas besser einzuschätzen als der Verlust des Zeigefingers im Grundgelenk. Durch den verbliebenen Grundgliedteil sei der Handteller vollständig erhalten. Am dritten Finger entspreche der Unfallfolgezustand annähernd einem Endgliedverlust. Die MdE für die Dauerrente sei daher mit 10 v.H. einzuschätzen. Aufgrund des Zeigefingerteilverlustes und der Sehnenverletzung am dritten Finger sei eine wesentliche Änderung im Unfallfolgezustand nicht mehr zu erwarten.

Nach Anhörung des Klägers entzog die Beklagte mit Bescheid vom 15. August 1995 die vorläufige Rente mit Ablauf des Monats September 1995 und lehnte die Gewährung einer Dauerrente ab. Als Unfallfolgen stellte die Beklagte fest: "Verlust des linken Zeigefingers im Grundgliedbereich und knöchern fest verheilter Bruch des Mittelfingers mit verheiltem Strecksehnenabriss, Bewegungseinschränkung des Mittelfingers, Berührungsempfindlichkeit und Durchblutungsstörungen im Stumpfbereich des Zeigefingers sowie subjektive Beschwerden".

Hiergegen legte der Kläger am 17. August 1995 Widerspruch ein und machte geltend, seine linke Hand sei nicht gebrauchsfähig. Der Stumpf des Zeigefingers sei sehr berührungsempfindlich und der Mittelfinger versteift, so dass sich die Unfallfolgen stärker auswirkten als bei einem Totalverlust von zwei Fingern. Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme bei Dr. K. vom 29. September 1995 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 1995 zurück.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf legte der Kläger eine Bescheinigung des Chirurgen Dr. H. El O., Arzt am Krankenhaus Hassani in N., Marokko, vor, der folgende Gesundheitsstörungen bescheinigte: 1. Traumatische Amputation des 2. und 3. Phalangen des 2. Fingers der linken Hand 2. Versteifung und Ankylose des 2. und 3. Phalangen des 3. Fingers der linken Hand 3. Schmerzhaftes Neurom des Stumpfes des 2. Fingers 4. Atrophie und Osteoporose der linken Hand.

Das SG beauftragte Dr. St., Leitender Arzt der Abteilung für Plastische und Handchirurgie am St. Josef-Hospitale Kupferdreh in E., mit der Begutachtung des Klägers. Dieser gelangte in Gutachten vom 1. Mai 1997 aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Klägers zum Ergebnis, die beim Kläger vorliegenden Unfallfolgen (Teilverlust des linken Zeigefingers in Höhe des körpernahen Drittels seines Grundgliedes, knöchern in axengerechter Stellung vollständig durchbauter Mittelfingergrundgliedschaft-Splitterbruch mit Verletzung der Strecksehne und hieraus resultierender Schwanenhalsdeformität mit Versteifung des Mittelfingermittelgelenkes und Einschränkung der Beweglichkeit im Mittelfingerendgelenk, Nichtvorführbarkeit des Drei-Finger-Präzisionsgriffes infolge des Teilverlustes des Zeigefingers, Ausbildung von funktionell guten und sicher durchzuführenden Ersatz-Greifformen, die im Röntgenbefund beschriebenen Verhältnisse, durchaus glaubhafte, wenn auch ein wenig überbewertete Beschwerden) seien ab dem 1. Oktober 1995 auf Dauer mit 10 v.H. einzuschätzen.

Mit Urteil vom 11. Dezember 1997 wies das SG Düsseldorf die Klage, gestützt auf das eingeholte Sachverständigengutachten von Dr. St., ab. Die hiergegen eingelegte Berufung wies das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 15. Juli 1998 zurück.

Im September 1999 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte und bat um Auskunft über Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation. Die Beklagte teilte dem Kläger mit, derartige Leistungen könnten nicht gewährt werden, da er nicht gehindert gewesen sei, seine Tätigkeit, wie vor dem Unfall wieder aufzunehmen.

Im November 2002 wandte sich der Kläger unter Hinweis auf seinen Unfall an das Bundesversicherungsamt. Nach Weiterleitung der Unterlagen an die vom Kläger zunächst benannte Bau-Berufsgenossenschaft und schließlich an die Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft, die Rechtsvorgängerin der Beklagten, im Folgenden: Beklagte, erläuterte diese dem Kläger, warum kein Rentenanspruch mehr bestehe. Gleichzeitig fragte sie an, ob und warum der Kläger der Ansicht sei, dass sich die Unfallfolgen verschlechtert hätten. Trotz Nachfragen der Beklagten, welche Beschwerden seit 1995 aufgetreten seien und von welchen Ärzten der Kläger behandelt worden sei, hat der Kläger keine Angaben gemacht.

Die Beklagte beauftragte (mit Zustimmung des Klägers) den Chirurgen und Orthopäden Dr. EL Hassan A. mit der Begutachtung des Klägers. Dieser nahm eine röntgenologische und klinische Untersuchung vor und gab als Ergebnis der klinischen Untersuchung unter dem 8. Juli 2006 an: linke Schulter zu 50 % versteift, weicher linker Ellenbogen, weiches linkes Handgelenk und linker Finger, Amputation des linken Zeigefingers im Bereich von P 1, mangelhafter gereizter Stumpf und Anzeichen für positiven Tinnel am Ellenbogenrand. Er führte aus, das linke obere Glied könne nicht benutzt werden; es sei atrophisch schmerzend im Bereich der Schulter und des Zeigefingers. Der Patient sei im Alter von 55 Jahren mit mangelhafter Atmung wegen seines Allgemeinzustandes unfähig zu arbeiten. Eine Pension von 20 bis 30 % sei wünschenswert.

Der Beratungsarzt der Beklagten, der Orthopäde B., führte in der Stellungnahme vom 5. September 2006 aus, gegenüber den bekannten Feststellungen im Gutachten von Dr. St. vom 1. Mai 1997 ergäben sich keine neuen und weiterführenden Gesichtspunkte, insbesondere keine Hinweise auf eine Verschlimmerung. Ausgehend vom Gutachten vom 1. Mai 1997 sei eine Änderung in den Unfallfolgen auch nicht zu erwarten gewesen.

Mit Bescheid vom 14. September 2006 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls ab. Die erneute Überprüfung habe ergeben, dass die Folgen des Arbeitsunfalls weiterhin eine MdE von unter 20 v.H. bedingten. Die Beschwerden bzw. Veränderungen im Bereich der linken Schulter, des linken Ellenbogens und des linken Handgelenks stünden in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfall.

Am 21. August 2007 hat der Kläger Klage zum SG Düsseldorf erhoben. Dieses hat sich mit Beschluss vom 8. April 2008 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG Mannheim verwiesen.

Das SG Mannheim hat mit Beschluss vom 22. September 2008 das Klageverfahren zur Durchführung des Widerspruchsverfahrens ausgesetzt. Im Widerspruchsverfahren hat der Kläger eine ärztliche Bescheinigung des Orthopäden und Chirurgen Dr. Said H. vom 15. Dezember 2008 vorgelegt, in der dieser ausgeführt hat, derzeit liege eine Steifigkeit (IPP = teilweise Arbeitsunfähigkeit) des dritten Fingers (mit einem.- unleserlich -) vor. Der Stumpf des Zeigefingers befinde sich in gutem Zustand.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. April 2009 hat die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 14. September 2006 zurückgewiesen.

Nach Fortführung des Klageverfahrens hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19. August 2009 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, zur Überzeugung des Gerichts stehe aufgrund der von der Beklagten durchgeführten Ermittlungen fest, dass die Folgen des Arbeitsunfalls vom 21. Dezember 1993 weiterhin keine MdE von mindestens 20 v.H. bedingten. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen den am 3. September 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 24. September 2009 Berufung eingelegt und vorgetragen, er sei invalide und stehe in ärztlicher Behandlung, weswegen er eine Rente oder eine finanzielle Hilfe begehre. Nach Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung auf den 26. Juli 2010 hat der Kläger - nach Einschaltung seines Bevollmächtigten - erklärt, er leide seit der letzten gerichtlichen Begutachtung unter verstärkt aufgetretenen Schmerzen und Bewegungseinschränkungen der betroffenen Hand, weswegen eine erneute Begutachtung erforderlich sei. Daraufhin ist der Termin zur mündlichen Verhandlung mit Verfügung vom 6. September 2010 aufgehoben und der Kläger aufgefordert worden mitzuteilen, ob und gegebenenfalls wann bei welchem Arzt er sich seit 2002 bzw. seit der genannten gerichtlichen gutachterlichen Untersuchung in ärztlicher Behandlung befunden habe. Eine Antwort hierauf ist trotz der Erinnerung vom 3. November 2010 nicht erfolgt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 19. August 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. September 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2009 aufzuheben und ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 21. Dezember 1993 eine Verletztenrente oder eine finanzielle Hilfe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, aus der Berufungsschrift des Klägers ergäben sich keine Hinweise auf Umstände, die geeignet wären, an der Rechtmäßigkeit der ergangenen Entscheidungen zu zweifeln.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls vom 21. Dezember 1993 hat.

Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 14. September 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2009, mit dem die Beklagte die Gewährung von Rente abgelehnt hat. Soweit der Kläger alternativ eine finanzielle Hilfe begehrt, fehlt es schon an einer Verwaltungsentscheidung hierüber, so dass eine diesbezügliche Klage unzulässig wäre. Im Übrigen ist auch keine Rechtsgrundlage für einen derartigen Anspruch ersichtlich.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Verletztenrente wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls vom 21. Dezember 1993.

Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch richtet sich auch nach Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 nach den bis dahin geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO); denn nach § 212 SGB VII gilt das neue Recht grundsätzlich erst für Versicherungsfälle, die nach dem 31. Dezember 1996 eingetreten sind. Einer der Ausnahmetatbestände nach §§ 213 ff SGB VII ist nicht gegeben. Dies gilt insbesondere für § 214 Abs. 3 SGB VII. Nach dieser Regelung gelten die Vorschriften des SGB VII über Renten auch für Versicherungsfälle, die nach dem Tag des Inkrafttreten dieses Gesetzes (1. Januar 1997) erstmals festzusetzen sind. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die Beklagte bereits unter der Geltung der RVO erstmals über eine Rentengewährung (Bescheide vom 13. Dezember 1994 und 15. August 1995) entschieden hatte. Unerheblich ist dabei, ob eine Rentengewährung abgelehnt wurde (BSG, Urteil vom 20. Februar 2001 - B 2 U 1/00 - in JURIS).

Ein Arbeitsunfall ist nach § 548 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (versicherte Tätigkeit). Ein solcher Arbeitsunfall liegt mit dem Ereignis vom 21. Dezember 1993 vor und wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 13. Dezember 1994 auch anerkannt.

Voraussetzung für die Berücksichtigung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalles bei der Bemessung der MdE ist u.a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) und dem Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Einwirkung und dem Gesundheitserstschaden sowie dem Gesundheitserstschaden und fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt im Bereich in der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Auf Grund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden. Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn (vgl. hierzu das grundlegende Urteil des BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17= BSGE 96, 196-209).

Die hier vorzunehmende Kausalitätsbeurteilung hat im Übrigen auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Dies schließt die Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet war, eine bestimmte körperliche Störung hervorzurufen (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - a.a.O.).

Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wird gemäß § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO in der dem Grad der Erwerbsminderung entsprechenden Höhe gewährt, wenn und solange ein Verletzter infolge des Arbeitsunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit um wenigstens ein Fünftel gemindert ist und diese Minderung der Erwerbsfähigkeit über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert (§ 580 Abs. 1 RVO). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch einen früheren Versicherungsfall Anspruch auf Rente (§ 581 Abs. 3 Satz 1 RVO). Die Folgen eines Arbeitsunfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern (§ 581 Abs. 3 Satz 2 RVO). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (so jetzt ausdrücklich § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII, mit dessen Inkrafttreten die früheren Kriterien zur Bemessung der MdE nach der RVO übernommen worden sind, vgl. BSG, Urteil vom 18. März 2003, B 2 U 31/02 R).

Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Bei dem Arbeitsunfall vom 21. Dezember 1993 hat der Kläger den Zeigefinger (zweiter Finger) der linken Hand im Grundgliedbereich verloren sowie sich einen Bruch am linken Mittelfingergrundglied mit Strecksehnenverletzung zugezogen. Die im April 1997 - aus Anlass der erstmaligen Feststellung der Dauerrente - durchgeführte Untersuchung durch Dr. St. ergab einen Teilverlust des linken Zeigefingers in Höhe des körpernahen Drittels des Grundgliedes, wobei der knöcherne Stumpf gut abgerundet und reichlich mit Weichteilen bedeckt war. Die über der Stumpfkuppe verlaufende Narbe war reizlos und unempfindlich. Der Bruch des Mittelfingers war knöchern axengerecht verheilt. Durch die Verletzung der Strecksehne war es zu einer so genannten Schwanenhalsdeformität (d.h. das Mittelgelenk befindet sich in einer leichten Überstreckstellung von 10°, während sich das Endgelenk in einer Beugestellung von 30° befindet) gekommen, was mit einer Versteifung des Mittelfingermittelgelenks und einer Einschränkung der Beweglichkeit des Mittelfingergrundgelenks verbunden war.

Eine wesentliche Änderung in diesem Befund lässt sich aus den ärztlichen Äußerungen von Dr. El Hassan A. vom 8. Juli 2006 nicht entnehmen, wie der Beratungsarzt B. in seiner Stellungnahme vom 5. September 2006 nachvollziehbar ausführt. Er legt dar, dass sich im Vergleich zum Gutachten von Dr. St. vom 1. Mai 1997 aus den von Dr. El Hassan A. unter dem 8. Juli 2006 beschriebenen Befunden keine neuen und weiterführenden Gesichtspunkte ergeben und insbesondere keine Anhaltspunkte für eine Verschlimmerung der Unfallfolgen. Darüber hinaus weist der Orthopäde B. darauf hin, dass ausgehend von den im Gutachten vom 1. Mai 1997 beschriebenen Befunden auch keine Änderung in den Unfallfolgen mehr zu erwarten war. Dies überzeugt den Senat, zumal schon Dr. W. im Gutachten vom 20. Juni 1995 einen Dauerzustand angenommen hatte. Soweit Dr. El Hassan A. als weitere Gesundheitsstörungen eine 50%ige Versteifung der linken Schulter sowie Veränderungen des linken Ellenbogens und des linken Handgelenks nennt, ist ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Unfall, bei dem sich der Kläger Verletzungen am linken Zeiger- und Mittelfinger zugezogen hatte, nicht gegeben, da es schon an einem Erstschaden an diesen Körperteilen fehlt. Dr. El Hassan A. hat auch nicht dargelegt, dass diese Gesundheitsstörungen auf den Arbeitsunfall des Klägers vom 21. Dezember 1993 zurückzuführen seien und hat dies erst recht nicht begründet. Seine Beurteilung, eine Pension von 20 bis 30 % wäre wünschenswert, begründet er im Wesentlichen auch nicht mit den Unfallfolgen, sondern damit, dass der Kläger wegen seines Allgemeinzustandes, seiner mangelhaften Atmung, seines Alters von 55 Jahren und der Gebrauchsunfähigkeit des linken Armes nicht mehr arbeiten kann. Diese Einschätzung berücksichtigt nicht, dass maßgebend für die Beurteilung der MdE allein die Unfallfolgen sind. Eine Änderung in den Unfallfolgen, die zu einer MdE von 20 v.H. führen könnte, lässt sich aus den Darlegungen von Dr. El Hassan A. nicht entnehmen, wie der Orthopäde B. zutreffend ausgeführt hat. Seine Beurteilung wird auch durch die Ausführungen von Dr. H. vom 15. Dezember 2008 bestätigt, der - neben der bekannten Steifigkeit des dritten Fingers - einen guten Zustand des Zeigefingerstumpfes beschreibt.

Die beim Kläger vorliegenden Unfallfolgen führen zu keiner MdE um 20 v.H. Der Verlust des Zeigefingers links führt zu einer MdE um 10 v.H. (vgl. Mehrhoff, Meindl, Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Aufl., Anh. 1, Bildtafel VII, Abb. 78; Ricke in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Bd. 2, Stand April 2010, Anm. 82 Abb. 4; Der Unfallsachbearbeiter, begr. von Podzun, MdE-Erfahrungswerte, Kennzahl 500, Tafel 1, Abb. 1.4; Becker/Burchardt/Krasney/ Kruschinski, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Mai 2010, § 56 SGB VII, Erfahrungswerte bei Amputationsverletzungen an Fingern, Tafel 1 Abb. 1.4). Dabei ist beim Kläger zu berücksichtigen, dass der Zeigefinger in Höhe des körpernahen Drittels des Grundgliedes amputiert wurde, so dass Reste des Grundgliedes verblieben sind und der Handteller vollständig erhalten ist. Hinzu kommt beim Kläger allerdings eine Beweglichkeitseinschränkung des Mittelfingers links, da das Mittelgelenk des Mittelfingers versteift ist. Das Mittelfingergrundgelenk war bei der Untersuchung durch Dr. St. jedoch nahezu frei beweglich, während das Endgelenk ein Streckdefizit von 30° aufwies. Mit der Kuppe des Mittelfingers (anstelle des Zeigefingers) konnten der Spitz- und der Feingriff fest und sicher vorgeführt werden. Angesichts dessen wird die durch den Zeigefingerverlust bedingte MdE durch die Unfallfolgen am linken Mittelfinger nicht wesentlich erhöht.

Der Umstand, dass nunmehr teilweise nicht mehr zwischen einem Fingerverlust an der linken und rechten Hand unterschieden und der Verlust von Zeigefinger und Mittelfinger der linken Hand mit 25 v.H. (früher: 20 v.H. , so Gutachten Dr. St. vom 1. Mai 1997), das heißt um 5 v.H. höher, bewertet wird (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. Seite 566 Abbildung 2.23), führt beim Kläger nicht zu einer MdE um mindestens 20 v.H. Denn selbst wenn man den bisher bei ihm mit einer MdE um 10 v.H. vorliegenden Unfallfolgezustand um 5 v.H. höher bewerten würde, würde eine MdE um 20 v.H. nicht erreicht.

Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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