L 13 R 2157/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 5522/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 2157/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 23. März 2009 abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1954 geborene Kläger absolvierte von 1971 bis 1974 eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. In der Folge übte er verschiedene angelernte Tätigkeiten, u. a. als Gerüstbauer und Kurierdienstfahrer aus. Eine von der Bundesagentur für Arbeit als Kostenträger veranlasste Umschulung zum Zerspanungsmechaniker (1998 bis 2001) konnte der Kläger nicht mit Erfolg abschließen. Zuletzt war er vom 15. Juli bis 31. Dezember 2004 als Kraftfahrer beschäftigt; im Anschluss meldete er sich ab 27. Januar 2005 bei der Agentur für Arbeit Mü. arbeitslos.

Am 23. Dezember 2006 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Bei Antragstellung gab er an, er halte sich seit Januar 2000 wegen eines Sprunggelenksschadens, wegen drei Bandscheibenvorfällen, wegen Arthrose, eines Wirbelsäulenschadens, Osteoporose in der HWS und "Angiologie" für erwerbsgemindert. Die Beklagte zog zunächst einen ärztlichen Entlassungsbericht der Reha-Klinik Son. in Do. bei. Der Kläger hatte in dieser Klinik in der Zeit vom 28. September bis 19. Oktober 2005 ein stationäres Heilverfahren absolviert. Im Entlassungsbericht vom 20. Oktober 2005 hatten Dr. Ne. und Dipl. med. Wa. ausgeführt, der Kläger sei arbeitsfähig aus dem Heilverfahren entlassen worden. Er könne leichte bis mittelschwere Arbeiten unter Beachtung qualitativer Funktionseinschränkungen noch vollschichtig ausführen. Im Anschluss ließ die Beklagte den Kläger von dem Facharzt für Orthopädie und Sportmedizin Dr. Rol. begutachten. Dieser führte in seinem Gutachten vom 15. Februar 2006 aus, der Kläger leide an einem Postnukleotomiesyndrom der Lendenwirbelsäule, an einem posttraumatischen Verschleiß des linken Sprunggelenks, an einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit mit Zustand nach Stent-Angioplastik im Juni 2005 mit aktuell gutem Ergebnis, an einem medikamentös therapierten Bluthochdruck und an Adipositas. Trotz dieser Erkrankungen könne der Kläger sowohl im zuletzt ausgeübten Beruf als Fernfahrer mit ausschließlich fahrender Tätigkeit, als auch bezogen auf leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch sechs Stunden und länger arbeiten. Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 27. Februar 2006 ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei angesichts des nach den ärztlichen Untersuchungsergebnissen noch vorhandenen Leistungsvermögens weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Den seitens des Klägers gegen diesen Bescheid am 21. März 2006 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2006 zurück.

Mit der am 8. November 2006 beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Das SG hat zunächst die den Kläger behandelnden Ärzte Dr. Fin. (Orthopäde), Dr. Hof. (Orthopäde), Dr. Pre. (Arzt für innere Medizin) und Dr. Eis. (Orthopäde) als sachverständige Zeugen schriftlich vernommen. Während die Orthopäden Dr. Fin. (Aussage vom 12. Dezember 2006), Dr. Hof. (Aussage vom 9. Dezember 2006) und Dr. Eis. (Aussage vom 18. Dezember 2006) sich außer Stande gesehen haben, eine sozialmedizinische Beurteilung vorzunehmen, hat der Internist Dr. Pre. in seiner Aussage vom 11. Dezember 2006 die Auffassung vertreten, der Kläger könne wegen seines Wirbelsäulenleidens nur noch unter dreistündig arbeiten. Das SG hat daraufhin den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. Pet. zum Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Gutachtens über den Kläger beauftragt. In seinem Gutachten vom 10. April 2007 hat dieser dargelegt, der Kläger könne trotz seiner orthopädischen Erkrankungen noch vollschichtig arbeiten. In qualitativer Hinsicht müsse es sich um leichte bis maximal mittelschwere Arbeiten ohne Hebe- oder Tragebelastungen über 15 kg handeln. Wechselnde Körperhaltungen sollten möglich sein; häufiges Bücken, Arbeiten an laufenden Maschinen sowie Tätigkeiten auf Leitern oder Gerüsten müssten vermieden werden. Durch eine deutliche Reduzierung des Übergewichts könne das Leistungsvermögen mit großer Wahrscheinlichkeit noch gebessert werden.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist anschließend der Facharzt für Orthopädie Prof. Dr. Be. mit der Erstattung eines weiteren Gutachtens beauftragt worden. Dieser hat das Leistungsvermögen zwar als deutlicher eingeschränkt, als von Dr. Rol. und Dr. Pet. vertreten, angesehen, dem Kläger aber gleichwohl noch ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für "mittelschwierige Tätigkeiten geistiger Art" attestiert (Gutachten vom 16. Juli 2007). Nachdem in der Folge der Facharzt für Anästhesie Dr. Ehm. als sachverständiger Zeuge ausgesagt hatte, der Kläger könne wegen eines chronifizierten Schmerzsyndroms und einer somatoformen Schmerzstörung nur noch unter dreistündig arbeiten (schriftliche Aussage vom 1. Oktober 2007), beauftragte des SG gemäß § 109 Abs. 1 SGG die Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie Dr. Fr. mit der Erstattung eines weiteren Gutachtens. Diese führte in ihrem Gutachten vom 8. November 2008 aus, sie halte den Kläger nicht mehr für fähig überhaupt einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Ursächlich hierfür sei eine anhaltend somatoforme Schmerzstörung. Durch die Schmerzen würde ein bedeutsames Leiden hervorgerufen, das in den vergangenen Jahren zu Beeinträchtigungen in sozialen und anderen wichtigen Funktionsbereichen geführt habe. Die Schmerzen seien weder absichtlich hervorgerufen noch vorgetäuscht. Die festgestellte Einschränkung des Leistungsvermögens bestehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seit Januar 2005. Die Beklagte ist der Klage und dem Gutachten von Dr. Fr. unter Vorlage einer sozialmedizinischen Stellungnahme von Lungenarzt Dr. Hol. vom 30. Dezember 2008 entgegengetreten. Mit Urteil vom 23. März 2009 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. März 2009 bis 29. Februar 2012 zu gewähren. Der Kläger sei jedenfalls seit August 2008 voll erwerbsgemindert. Dies schließe die Kammer aus dem Gutachten von Dr. Fr. und dem persönlichen Eindruck, den sich das Gericht in der mündlichen Verhandlung vom Kläger habe machen können. Der Kläger lebe seit September 2008, nachdem seine Frau einen Suizidversuch überlebt habe, auf einem Campingplatz um auf diese Weise seiner Frau nicht zur Last zu fallen. Diese Schilderung habe jeden letzten Zweifel der Kammer ausgeräumt, dass der Kläger momentan aufgrund der Schmerzsymptomatik nicht zu einer Erwerbstätigkeit in der Lage sei. Die Kammer sei vor diesem Hintergrund davon überzeugt, dass der Kläger seit August 2008, als seine Frau den Suizidversuch unternahm, vollständig erwerbsgemindert ist.

Gegen dieses ihr gemäß Empfangsbekenntnis am 4. Mai 2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 8. Mai 2009 schriftlich beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Das SG habe sie zu Unrecht zur Rentengewährung verurteilt. Unter Zugrundelegung des vom SG angenommenen Leistungsfalls im August 2008 erfülle der Kläger bereits die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht. Darüber hinaus überzeuge auch die vom SG vorgenommene Leistungsbeurteilung nicht. Eine nachvollziehbare Begründung für das Vorliegen einer somatoformen Schmerzstörung lasse sich dem Gutachten von Dr. Fr. nicht entnehmen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 23. März 2009 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat den Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin Ma. mit der Erstattung eines Gutachtens über den Kläger beauftragt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 8. November 2009 ausgeführt, er halte den Kläger noch für fähig, eine leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche auszuüben. Der Kläger leide an einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren; eine eigenständige depressive Störung habe sich aber nicht feststellen lassen. Unter anderem hierauf beruhe die abweichende Beurteilung im Vergleich zum Gutachten von Dr. Fr ...

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird im Übrigen auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten (64 220156 M 005), die Klageakte des SG (S 6 R 5522/06) und die Berufungsakte des Senats (L 13 R 2157/09) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 des SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben.

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.

Die gemäß §§ 143, 144 Abs.1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist auch begründet; das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. März 2009 bis 29. Februar 2012 zu gewähren. Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 18. Juli 1996 - 4 RA 33/94 - SozR 3-2600 § 44 Nr. 7) ist der den Rentenantrag des Klägers vom 23. Januar 2006 ablehnende Bescheid vom 27. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Oktober 2006. Dieser erweist sich als rechtmäßig und den Kläger nicht in subjektiven Rechten verletzend. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung; dementsprechend ist die Klage insgesamt abzuweisen.

Durch das am 1. Januar 2001 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827 ff.) hat der Gesetzgeber das Recht der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit grundlegend neu geordnet. Kernstück der auch im vorliegenden Fall anwendbaren Neuregelung ist die Abschaffung der bisherigen Berufsunfähigkeitsrente für nach dem 1. Januar 1961 geborene Versicherte und die Einführung einer zweistufigen Erwerbsminderungsrente mit einer vollen Erwerbsminderungsrente bei einem Restleistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von unter drei Stunden und einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei einem Restleistungsvermögen von drei bis sechs Stunden.

Gemäß § 43 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (Satz 1 Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Satz 1 Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Satz 1 Nr. 3). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben - bei im übrigen identischen Tatbestandsvoraussetzungen - Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben darüber hinaus Versicherte, die - wie der Kläger - vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind, bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie die sonstigen Voraussetzungen erfüllen. Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist (§ 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 240 Abs. 2 Sätze 2 und 4 SGB VI).

Der Kläger ist noch in der Lage, zumindest leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Er ist damit weder erwerbsgemindert, noch berufsunfähig und hat deshalb keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung. Bei dieser Sachlage kann der Senat offen lassen, ob der Kläger ausgehend von einem im August 2008 eingetretenen Leistungsfall die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente erfüllen würde, bzw. bis zu welchem Zeitpunkt diese erfüllt wären.

Das berufliche Leistungsvermögen des Klägers wird zunächst durch Leiden des orthopädischen Fachgebiets eingeschränkt. Im Vordergrund der Beschwerdesymptomatik stehen insoweit, wie sich aus den orthopädischen Gutachten von Dr. Rol., Dr. Pet. und Prof. Dr. Be. übereinstimmend ergibt, die Folgen eines ungünstigen Krankheitsverlaufs nach zwei Bandscheibenoperationen 1986 und 2001. Der auf Antrag des Klägers nach § 109 Abs. 1 SGG im Verlauf des Klageverfahrens beauftragte Sachverständige Prof. Dr. Be. hat ergänzend auf die (auch noch) nach den Operationen aufgetretenen Bandscheibenvorfälle und die damit verbundene deutliche Spinalkanalstenose hingewiesen. Uneingeschränkte Übereinstimmung zwischen allen orthopädischen Sachverständigen - die als sachverständige Zeugen gehörten behandelnden Orthopäden haben keine sozialmedizinische Beurteilung vorgenommen - besteht aber insoweit als alle den Kläger noch für fähig gehalten haben, zumindest leichte körperliche Arbeiten über mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Vor diesem Hintergrund vermochte die abweichende Einschätzung des behandelnden Internisten Dr. Pre., der die von ihm angenommene zeitliche Limitierung des beruflichen Leistungsvermögens fachfremd mit dem Wirbelsäulenleiden begründet hat, den Senat nicht zu überzeugen. Damit steht fest, dass die orthopädischen Krankheitsbilder allenfalls (nicht rentenberechtigende) qualitative Funktionseinschränkungen bedingen, eine Einschränkung des beruflichen Restleistungsvermögens in zeitlicher Hinsicht hierdurch aber nicht verursacht wird.

Das Gleiche gilt entgegen den Feststellungen SG auch für die Leiden des neurologisch/psychiatrischen Fachgebiets. Insoweit leidet der Kläger unter einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Entgegen der Einschätzung von Dr. Fr. in ihrem gegenüber dem SG erstatteten Gutachten vom 8. November 2008 kann hingegen das Vorliegen einer eigenständigen depressiven Störung nicht festgestellt werden. Insoweit schließt sich der Senat den schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen Ma. in seinem Gutachten vom 8. November 2009 an. Der Nervenarzt Ma. hat darüber hinaus schlüssig dargelegt, dass beim Kläger eine somatoforme Schmerzstörung zwar vorhanden ist, entgegen der Annahme von Dr. Fr. aber nicht im Vordergrund der das Leistungsvermögen einschränkenden Erkrankungen steht. Beim Kläger liegt vielmehr ein multifaktoriell verursachtes Leiden vor, bei dem die Sprunggelenksfraktur, die massiven degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule, das Übergewicht, die arterielle Verschlusskrankheit, die familiären und sozialen Konflikte, der Alkoholmissbrauch und sogar das Rauchen eine mitursächliche Rolle spielen. Der Sachverständige hat der Schmerzerkrankung - für den Senat überzeugend - nicht die zentrale Bedeutung beigemessen, die Dr. Fr. und der behandelnde Anästhesist Dr. Ehm. angenommen haben. Vor diesem Hintergrund überzeugt auch die sozialmedizinische Beurteilung, dass dem Kläger trotz des Schmerzsyndroms die Verrichtung leichter Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechsstündig zugemutet werden kann. Anders als das SG misst der Senat dem Umstand, dass der Kläger nach seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung vor dem SG im September 2008 auf einen Campingplatz umgezogen ist, keine das Vorliegen einer Erwerbsminderung bestätigende Bedeutung bei. Das Verhalten des Klägers zeigt vielmehr, wie der Sachverständige Ma. überzeugend dargelegt hat, gerade die (erhaltene) Fähigkeit, aktiv häusliche Konflikte erfolgreich anzugehen und die häusliche Situation nicht nur für sich, sondern auch für die Ehefrau erfolgreich zu ändern. Belegt wird dies letztlich durch den tatsächlichen Geschehensablauf. Wie der Kläger gegenüber dem Sachverständigen Ma. angegeben hat, ist es ihm durch die (vorübergehende) Trennung gelungen, seine Frau zu einer (erfolgreichen) Entzugsbehandlung zu bewegen. Nach deren Abschluss ist der Kläger zu seiner Frau zurückgekehrt, auch weil man die im Haus lebende Schwiegermutter nicht habe allein lassen können. All dies zeigt, dass der Kläger sich gerade nicht in einer hilflos ausgelieferten Position befindet, was, wie Nervenarzt Ma. schlüssig erläutert hat, aber Voraussetzung für die Annahme einer somatoformen Schmerzstörung mit dem von Dr. Fr. und Dr. Ehm. angenommenen Schweregrad wäre. Denn ein derart schwerwiegendes Krankheitsbild zeigt sich, so der Sachverständige, gerade in der Unfähigkeit, bestehende Konflikte zu lösen, so dass der Betroffene in der Somatisierung und der Verkörperlichung innerseelischer Konflikte einen Ausweg sucht. Nachdem der Senat das Gutachten von Nervenarzt Ma. für schlüssig und überzeugend hält, besteht entgegen der Anregung des Klägers kein Anlass, eine weiteres Sachverständigengutachten einzuholen oder sonstige Ermittlungen zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts durchzuführen. Dies gilt auch für die übrigen Erkrankungen, insbesondere auf internistischem Fachgebiet (periphere arterielle Verschlusskrankheit, arterieller Hypertonus und Adipositas per magna; vgl. auch den Entlassungsbericht der Reha-Klinik Son. vom 20. Oktober 2005), die eine Einschränkung des Leistungsvermögens in zeitlicher Hinsicht ebenfalls nicht bedingen.

Auch der Ausnahmefall einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung (vgl. hierzu etwa BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 117; auch Großer Senat BSGE 80, 24, 33 ff.) ist nicht gegeben. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 110). Einschränkungen, die eine solche Annahme rechtfertigen könnten, liegen beim Kläger nicht vor. In qualitativer Hinsicht muss dieser, wie Nervenarzt Ma. in seinem Gutachten vom 8. November 2009 zusammenfassend ausgeführt hat, insbesondere schwere Arbeiten, Tätigkeiten unter ungünstigen Witterungseinflüssen, wie ungeschützte Arbeiten bei Kälte oder Nässe, Heben oder Tragen von Lasten über zehn bis in Ausnahmefällen 15 kg, Tätigkeiten in vornübergebeugter Körperhaltung und häufiges Bücken vermeiden. Wegen des Alkoholmissbrauchs in der Vergangenheit sollten zudem Tätigkeiten, die mit dem Ausschank von Alkoholika verbunden sind, nicht abverlangt werden. Letztlich muss der Kläger Arbeiten unter besonderem Zeitdruck, wie z. B. Akkordarbeit vermeiden. Diese Einschränkungen können zwar das Spektrum der für den Kläger in Betracht kommenden Tätigkeiten einschränken, sie begründen aber keine Zweifel an der normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit für leichtere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Betriebsunübliche Pausen benötigt der Kläger zur Ausübung der ihm noch möglichen Tätigkeiten nicht. Er ist auch in der Lage, die üblichen Wege von und zu einer Arbeitsstelle zu Fuß bzw. mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen. Der Kläger kann viermal täglich eine Wegstrecke von über 500 Metern in jeweils bis zu 20 Minuten zu Fuß bewältigen und zweimal arbeitstäglich öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Im Übrigen verfügt er auch über einen Führerschein und ein eigenes Kraftfahrzeug, so dass er auch auf dieses Weise einen Arbeitsplatz erreichen kann.

Letztlich liegen auch die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit im Sinne des § 240 Abs. 1 SGB VI nicht vor; der Kläger ist nicht berufsunfähig. Ausgangspunkt der Prüfung ist auch hier entsprechend der zu § 43 SGB VI in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung entwickelten Rechtsprechung des BSG der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 107 und 169). Dabei ist unter dem bisherigen Beruf in der Regel die letzte nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit jedenfalls dann zu verstehen, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten war (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 130; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr. 17). Eine (höherwertige) Beschäftigung oder Tätigkeit ist jedoch dann nicht mehr maßgebend, wenn sich der Versicherte von dieser gelöst und eine andere (geringwertigere) Tätigkeit aufgenommen hat (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 240 SGB VI, Rdnr. 21 m.w.N.). Eine solche Lösung vom früheren Beruf liegt jedoch nur dann vor, wenn der neue Beruf versicherungsrechtlich relevant ist, wenn er also die Voraussetzungen erfüllt, die unabhängig von der früheren Berufsentwicklung zum Erwerb eines versicherungsrechtlich geschützten Berufs führen. Das ist dann der Fall, wenn der Beruf mit dem Ziel aufgenommen und ausgeübt wird, ihn weiterhin bis zum Eintritt der gesundheitlichen Unfähigkeit oder bis zur Erreichung der Altersgrenze - also auf Dauer - auszuüben (BSG, Urteil vom 4. November 1998 - B 13 RJ 95/97 - veröffentlicht in Juris). Deshalb ist die nur vorübergehende Aufnahme einer anderen Tätigkeit unschädlich; sie führt nicht zum Erwerb eines neuen Dauerberufs und damit nicht zum Verlust des alten Berufs (BSG SozR 2200 § 1264 Nr. 158 m.w.N.) Weitere Voraussetzung für eine im Sinne des Rentenrechts relevante Lösung vom bisherigen Beruf ist die Freiwilligkeit des Berufswechsel. Deshalb liegt eine Lösung grundsätzlich nicht vor, wenn die Berufsaufgabe aus gesundheitlichen Gründen erfolgt. In diesem Fall bleibt der Berufsschutz erhalten, da sich insofern gerade das versicherte Risiko der gesetzlichen Rentenversicherung verwirklicht hat (vgl. BSGE 2, 182 187). Dabei ist nicht erforderlich, dass die gesundheitlichen Gründe allein ursächlich waren; ausreichend ist, dass die gesundheitlichen Umstände den Berufswechsel wesentlich mitverursacht haben (BSG SozR 2600 § 45 Nr. 6).

Kann der Versicherte diesen "bisherigen Beruf" aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten, ist zu ermitteln, ob es zumindest eine Tätigkeit gibt, die ihm sozial zumutbar ist und die er gesundheitlich wie fachlich noch bewältigen kann. Das Bundessozialgericht hat zur Feststellung des qualitativen Wertes des bisherigen Berufes und damit zur Bestimmung zumutbarer Verweisungstätigkeiten (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 55; Niesel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 240 SGB VI Rdnr. 24 ff. m.w.N.) ein Mehrstufenschema entwickelt, das die Arbeiterberufe - für die in Angestelltenberufe gilt ein entsprechendes Schema - in Gruppen untergliedert. Diese werden durch die Leitberufe eines Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion (und diesem gleichgestellten besonders hoch qualifizierten Facharbeiters), eines Facharbeiters, der einen anerkannten Ausbildungsberuf mit einer anerkannten Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren, regelmäßig drei Jahren ausübt, eines angelernten Arbeiters, der einen Ausbildungsberuf mit einer vorgeschriebenen Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren ausübt, und eines ungelernten Arbeiters charakterisiert. Dabei wird die Gruppe der angelernten Arbeiter nochmals in die Untergruppen der "oberen Angelernten" (Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf bis zu 24 Monaten) und "unteren Angelernten" (Ausbildungs- oder Anlernzeit von mindestens drei bis zu zwölf Monaten) unterteilt. Kriterien für eine Einstufung in dieses Schema sind dabei die Ausbildung, die tarifliche Einstufung, die Dauer der Berufsausbildung, die Höhe der Entlohnung und insbesondere die qualitativen Anforderungen des Berufs. Eine Verweisung ist grundsätzlich nur auf eine Tätigkeit der jeweils niedrigeren Gruppe möglich. Ferner ist erforderlich, dass der Versicherte die für die Verweisungstätigkeit notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb einer bis zu drei Monaten dauernden Einarbeitung und Einweisung erwerben kann (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 23).

Ausgehend von diesem Schema ist der Kläger allenfalls der Gruppe der unteren Angelernten mit einer Ausbildungs- oder Anlernzeit von höchstens zwölf Monaten zuzuordnen. Der Kläger hat nach Abschluss seiner Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann nur noch versicherungspflichtige Beschäftigungen ausgeübt, die eine Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf Monaten nicht erfordert haben. Nachdem die Aufgabe des erlernten Berufs nicht aus gesundheitlichen Gründen erfolgt ist und der Kläger sich damit von dem Berufsbild des Einzelhandelskaufmanns gelöst hat, genießt er keinen qualifizierten Berufsschutz. Er kann dementsprechend auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden, ohne dass es der Benennung einer konkreten Tätigkeit bedarf. Da er jedenfalls noch im Stande ist, leichte körperliche Arbeiten sechs Stunden täglich auszuüben, kann der Senat offen lassen, ob gesundheitsbedingte Einschränkungen des beruflichen Leistungsvermögens einer Wiederaufnahme der zuletzt verrichteten Tätigkeit entgegenstehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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