Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 10 RA 470/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 17/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 22. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung zu zahlen hat.
Der 1962 geborene Kläger übt seit September 1990 die selbständige Tätigkeit eines Handelsvertreters für Finanzdienstleistungen und Versicherungen aus.
Im Mai 1999 sandte er einen ausgefüllten Formantrag "Befreiung für arbeitnehmerähnliche Selbständige" an die Bahnversicherungsanstalt (Eingang dort am 1. Juni 1999). Dabei bat er um eine Bestätigung, dass er bereits von der Rentenversicherungspflicht befreit sei. Die Bahnversicherungsanstalt gab den Vorgang an die Beklagte ab, die vom Kläger weitere Unterlagen anforderte. Der Kläger wies nochmals darauf hin, dass er nach seiner Ansicht bereits von der Versicherungspflicht befreit sei. 1991 habe es die Möglichkeit gegeben, sich befreien zu lassen, wenn eine private Rentenversicherung nachgewiesen sei. Mit einem Versicherungsmakler habe er nach Erhalt des Versicherungsscheines sofort den Antrag auf "Rentenbefreiung" gestellt. Der Versicherungsmakler habe ihm bestätigt, den Antrag im Januar 1992 bei der Bahnversicherungsanstalt gestellt zu haben. Die Beklagte befragte daraufhin die Bahnversicherungsanstalt, die das Vorliegen eines Antrages des Klägers nicht bestätigen konnte.
Mit Bescheid vom 25. Oktober 2000 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger gem. § 229 a Abs. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) ab 1. Januar 1992 in seiner selbständigen Tätigkeit der Versicherungspflicht unterliege, da er am 31. Dezember 1991 im Beitrittsgebiet versicherungspflichtig gewesen sei. Einen Antrag auf Befreiung von dieser Versicherungspflicht, der bis zum 31. Dezember 1994 habe gestellt werden können, sei nicht gestellt worden. Außerdem stellte die Beklagte in dem Bescheid die für den Zeitraum vom 1. Januar 1996 bis zum 31. Oktober 2000 zu zahlenden Beiträge fest. Gegen den Bescheid erhob der Kläger am 7. November 2000 Widerspruch, den er mit Schreiben vom 14. November 2000 u. a. damit begründete, er habe sofort nach Erhalt des Versicherungsscheins der privaten Rentenversicherung den Antrag auf Befreiung bei der Bahnversicherungsanstalt, F., gestellt. Da in der Folgezeit keine Aufforderung oder Nachfrage vom Rentenversicherungsträger erfolgt sei, sei er davon ausgegangen, dass alles für ihn "in Ordnung wäre".
Die Beklagte sah die Voraussetzungen des § 231 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 SGB VI als erfüllt an (Glaubhaftmachung der Unkenntnis von der Versicherungspflicht nach § 229 a Abs. 1 SGB VI am 31. Dezember 1998) und übersandte an den Kläger Antragsvordrucke zur Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 231 Abs. 6 SGB VI. Am 12. November 2001, 29. April 2002, 3. Dezember 2002 und 20. Januar 2003 erinnerte die Beklagte den Kläger an die einzureichenden Vordrucke. Der Kläger reagierte nicht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2003 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 25. Oktober 2000 zurück. Da dieser die erforderlichen Vordrucke nicht ausgefüllt und keine Nachweise über die Lebensversicherung vorlegt habe, habe sich der Widerspruchsausschuss nicht davon überzeugen können, dass der angefochtene Bescheid zu beanstanden sei. Der Widerspruchsbescheid enthielt eine Rechtsmittelbelehrung, in der auf die Möglichkeit der Klageerhebung hingewiesen wurde. Klage erhob der Kläger nicht.
Mit zwei Bescheiden vom 17. September 2003 stellte die Beklagte nochmals die Versicherungspflicht des Klägers seit 1. Januar 1992 und die vom 1. Januar 1996 bis zum 30. September 2003 zu zahlenden Beiträge fest.
Mit einem weiteren Bescheid vom 29. Oktober 2003 stellte die Beklagte wiederum die vom Kläger zu zahlenden Beiträge für den Zeitraum vom 1. Januar 1996 bis zum 30. September 2003 und (neu) die zu zahlenden Säumniszuschläge fest. Wörtlich führte sie in dem Bescheid auf Seite 4 nach der Aufstellung der Beiträge und der Säumniszuschläge aus: "Sie unterliegen als Selbständiger der Versicherungspflicht (§§ 2, 4 Abs. 2 bzw. 229a SGB VI) in der gesetzlichen Rentenversicherung und haben demgemäß den genannten Betrag an uns abzuführen." Am 12. November 2003 erhob der Kläger ("gegen Ihren Bescheid vom 29.10.2003") Widerspruch. Zur Begründung führte er mit Schreiben vom 16. Dezember 2003 aus, sein Status als vermeintliches Pflichtmitglied sei nach wie vor ungeklärt, da sein Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. Oktober 2000 nicht beschieden worden sei. Er habe nur eine Eingangsmitteilung erhalten und warte auf eine abschließende Bearbeitung. Er habe im Januar 1992 einen Befreiungsantrag gestellt. Wenn keine korrekte Weitergabe erfolgt sei, gehe dies nicht zu seinen Lasten. Für eine ordnungsgemäße Weitergabe habe er nicht einzustehen. Die Bahnversicherungsanstalt habe nicht ausgeschlossen, dass ein solcher Antrag gestellt worden sei. Sie habe lediglich darauf hingewiesen, dass Unterlagen aus dem Jahre 1992 nicht mehr vorlägen. Auch dies gehe nicht zu seinen Lasten. Im Wege der Amtsermittlung sei zu klären, wo der Antrag verblieben sei. Eine bindende Feststellung, dass sein Antrag nicht eingegangen sei, sei nicht getroffen worden. Hilfsweise müsse der Versicherungsmakler als Zeuge vernommen werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 4. November 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Bescheid vom 25. Oktober 2000 sei bestandskräftig geworden, da gegen den Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2003 Rechtsmittel nicht eingelegt worden seien. Ebenso sei der Bescheid vom 17. September 2003 bestandskräftig geworden. Ein Antrag sei rechtswirksam gestellt, wenn er bei dem Leistungsträger eingegangen sei. Der Absender trage das Risiko des Postwegs. Der Antragseingang sei nicht nachgewiesen und könne auch durch Zeugenaussagen nicht nachgewiesen werden.
Am 8. Dezember 2004 hat der Kläger Klage bei dem Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2004 hat das SG dem Klägervertreter die Verwaltungsakte der Beklagten zur Akteneinsicht übersandt. Mit Schreiben vom 1. März 2005, 4. April 2005 und 25. Mai 2005 hat das SG an die Übersendung der Verwaltungsakte erinnert und in dem Schreiben vom 25. Mai 2005 wörtlich ausgeführt: "Sollten uns bis spätestens 20.6.2005 die Verwaltungsakte und die Klagebegründung nicht vorliegen, sehen wir eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid vor." Das Schreiben ist dem Klägervertreter mit Zustellungsauftrag zugestellt worden. Der Klägervertreter hat nicht reagiert. Das SG hat von der Beklagten Kopien des Bescheides vom 29. Oktober 2003 und des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2004 angefordert und, nach Vorliegen dieser Bescheide, mit Gerichtsbescheid vom 22. Juli 2005 die Klage abgewiesen. Auf richterliche Anordnung ist der Gerichtsbescheid dem Klägervertreter mit Zustellungsauftrag gem. § 63 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 176 der Zivilprozessordnung (ZPO) zugestellt worden.
Mit weiteren Schreiben vom 1. August 2005 und vom 2. Dezember 2005 hat das SG bei dem Klägervertreter nach dem Verbleib der Verwaltungsakte der Beklagten gefragt. Mit Schreiben vom 18. Januar 2006 hat der Klägervertreter die Verwaltungsakte an das SG zurück übersandt, nachdem der Kammervorsitzende persönlich mit diesem gesprochen hatte. Am 17. November 2006 hat der Klägervertreter das SG um Akteneinsicht gebeten, da die Beklagte Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Kläger eingeleitet habe. Mit Schreiben vom 21. November 2006 hat das SG den Klägervertreter darauf hingewiesen, dass der Gerichtsbescheid vom 22. Juli 2005 am 27. Juli 2005 zugestellt worden sei und die Gerichtsakte am 29. November 2006 an das Amtsgericht Hamburg zur Akteneinsicht in den Gerichtsräumen übersandt.
Am 28. November 2006 hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Zustellung am 27. Juli 2005 sei nicht erfolgt, was eidesstattlich versichert werde. Der 27. Juli 2005 sei ein Donnerstag, also normaler Werktag, gewesen. Der Klägervertreter befinde sich seit Anfang 2005 in einer größeren Bürogemeinschaft mit einer Sozietät und einem weiteren Rechtsanwalt. Es werde ein gemeinsames Sekretariat benutzt. Zu den üblichen Geschäfts-/Bürozeiten zwischen 8.00 und 18.00 Uhr sei an Werktagen das Sekretariat immer mit mindestens zwei Mitarbeiterinnen besetzt, während der Kernzeiten zwischen 9.00 und 17.00 Uhr sogar mit mindestens vier Mitarbeiterinnen. Zudem gebe es im Büro durch die Bürogemeinschaft sechs Rechtsanwälte. Der Hinweis der Postbediensteten darauf, dass angeblich niemand angetroffen und das Poststück deshalb eingeworfen worden sei, sei absurd. Die Post werde im Innenstadtbezirk von H. auch regelmäßig, d. h. ohne Ausnahme, vormittags zugestellt, also niemals vor 8.00 Uhr und auch nicht nach 18.00 Uhr. Die Postbedienstete müsse also jemanden angetroffen haben oder habe falsche Angaben auf der Zustellungsurkunde gemacht. Insbesondere im Jahre 2005 hätten mehrfach falsche Poststücke im Briefkasten des Klägervertreters gelegen. Eine Zustellung sei jedenfalls nicht erfolgt. Außerdem sei der Zugang erst erfolgt, wenn er als Rechtsanwalt inhaltlich von dem zuzustellenden Schriftstück Kenntnis genommen habe. Deshalb sei durch die Rechtsprechung aller Verfahrensarten bestätigt, dass ein Empfangsbekenntnis nicht zwingend auf den Tag des Briefkasteneinwurfs abzugeben sei, sondern unter Umständen später. Erst mit der inhaltlichen Kenntnisnahme gelte das Schriftstück als zugegangen. Sollte eine ordnungsgemäße Zustellung des Gerichtsbescheids vorliegen, so habe aber eine inhaltliche Kenntnisnahme nicht stattgefunden. Der Gerichtsbescheid sei nämlich nicht zur Akte gelangt und auch sonst nicht vorgelegt worden.
Am 22. Dezember 2006 hat der Klägervertreter Einsicht in die Gerichtsakte genommen. Am selben Tag hat der Kläger bei dem Sozialgericht Magdeburg Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 22. Juli 2005 eingelegt. Zur Begründung führt er u. a. aus, die Beklagte habe ihn jahrelang im Unklaren darüber gelassen, dass er noch der Versicherungspflicht unterliege. Durch diese Untätigkeit sei er in seiner Dispositionsfreiheit eingeschränkt gewesen und habe seine Mittel für die private Lebensversicherung aufgewandt. Außerdem habe er gegen den Bescheid aus dem Jahre 2000 Widerspruch erhoben und diesen begründet. Er hat außerdem eine schriftliche Bestätigung seines Versicherungsmaklers vom 13. Dezember 2006 vorgelegt, in der dieser bestätigt, dass er im Januar 1992 den Befreiungsantrag an die zuständige Versicherungsanstalt weitergeleitet habe. Eine Kopie habe er leider nicht gefertigt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
für den Fall, das die Berufungsfrist gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 22. Juli 2005 nicht eingehalten wurde, Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist zu gewähren und
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 22. Juli 2005 sowie den Bescheid vom 29. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2004 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 22. Juli 2005 zurückzuweisen.
Die Beklagte hält den Gerichtsbescheid für zutreffend.
Das Gericht hat sich mit Schreiben vom 29. Juni 2007 und 12. Juli 2007 an die Deutsche Post AG gewandt und Erkundigungen zur Zustellung eingeholt.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 105 Abs. 2 Satz 1 SGG gegen den Gerichtsbescheid statthafte Berufung ist unzulässig, da sie verfristet ist. Auch Wiedereinsetzung war nicht zu gewähren.
Der Gerichtsbescheid ist nicht nichtig. Insoweit gelten die Anforderungen an Urteile entsprechend (§ 105 Abs. 1 Satz 3 SGG). Der Umstand, dass das SG hier ohne Vorliegen der Verwaltungsakte der Beklagten entscheiden hat und die gedrängte Begründung des Gerichtsbescheides führen jedenfalls nicht zur Nichtigkeit des Gerichtsbescheides. Nichtig ist ein Gerichtsbescheid nur, wenn er an einem schweren Mangel leidet (Keller in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 9. Aufl., § 125, Rdnr. 5 b). Sofern in dem Nichtvorliegen der Akte der Beklagten im Zeitpunkt der Entscheidung ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht des Gerichtes aus § 103 Satz 1 SGG zu sehen sein könnte, läge darin nur ein wesentlicher Verfahrensmangel, der jedoch nicht zur Nichtigkeit der Entscheidung führen würde (Keller, a. a. O., § 103, Rdnr. 20). Eine fehlerhafte Begründung bzw. eine Nichtbegründung führen auch nicht zur Nichtigkeit eines Gerichtsbescheides, wie § 202 SGG i. V. m. § 547 Nr. 6 ZPO zeigt. Danach ist bei einer Entscheidung, die ohne Gründe versehen ist, ein absoluter Revisionsgrund gegeben. Die Entscheidung ist aber nicht aus diesem Grund nichtig, da es sonst dieses absoluten Revisionsgrundes nicht bedürfte.
Nach §§ 151 Abs. 1, 105 Abs. 1 Satz 3 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Nach § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG ist die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Nach §§ 105 Abs. 1 Satz 3, 135 SGG ist der Gerichtsbescheid zuzustellen. Zugestellt wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (§ 63 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Auswahl der Zustellungsart liegt im Ermessen der Geschäftsstelle, es sei denn, der Richter hat eine Zustellungsart angeordnet (Keller, a. a. O., § 63, Rdnr. 6 unter Verweis auf den Wortlaut des § 168 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Angesichts des mehrmaligen erfolglosen Anforderns der Verwaltungsakte ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn sich das SG hier für eine Zustellung nach § 176 ZPO (Zustellung durch Zustellungsauftrag) entschieden hat.
Bei der Zustellung durch Zustellungsauftrag kann das Schriftstück der Person, der zugestellt werden soll, an jedem Ort übergeben werden, an dem sie angetroffen wird (§ 177 ZPO). Wird die Person, der zugestellt werden soll, in dem Geschäftsraum nicht angetroffen, kann das Schriftstück in Geschäftsräumen einer dort beschäftigten Person zugestellt werden (§ 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Ist diese Zustellung nicht ausführbar, kann das Schriftstück in einen zu dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist (§ 180 Satz 1 ZPO).
Nach § 182 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist zum Nachweis der Zustellung nach §§ 177 bis 181 ZPO eine Urkunde anzufertigen. Für diese Zustellungsurkunde gilt § 418 ZPO (§ 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Gem. § 418 ZPO Abs. 1 ZPO begründet danach die Zustellungsurkunde vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO).
In der Zustellungsurkunde vom 27. Juli 2005 bezeugt die Zustellerin, dass sie versucht hat, den Umschlag mit dem Gerichtsbescheid vom 22. Juli 2005 an den Adressaten zu übergeben und den Umschlag dann in den Briefkasten eingelegt hat. Damit steht mit Vollbeweis fest, dass die Voraussetzungen der Ersatzzustellung vorgelegen haben.
Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen erfordert den Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehensablaufes, der damit ein Fehlverhalten des Zustellers oder eine Falschbeurkundung in der Zustellungsurkunde belegt. Gefordert wird der volle Gegenbeweis in der Weise, dass die Beweiswirkung in der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr bezeugten Tatsache ausgeschlossen wird (BSG, Beschluss vom 24. November 2009, Az: B 12 KR 27/09 B, dokumentiert in juris, Rdnr. 9).
Diesen Gegenbeweis erbringt der Kläger nicht. Dabei kann als wahr unterstellt werden, dass das Sekretariat bzw. die Büroräume am 27. Juli 2005 von 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr durchgängig besetzt waren, wie der Kläger behauptet. Es kann nämlich auch dann nicht ausgeschlossen werden, dass die Mitarbeiterinnen bzw. die anderen in der Bürogemeinschaft Tätigen zwar körperlich anwesend, aber durch andere Arbeiten abgelenkt waren und zum Zeitpunkt des Zustellungsversuchs nicht auf diesen reagiert haben.
Damit gilt der Gerichtsbescheid am 27. Juli 2005 als zugestellt (§ 180 Satz 2 ZPO). Es kommt entgegen der Ansicht des Klägers nicht darauf an, wann der Klägervertreter tatsächlich von dem Gerichtsbescheid Kenntnis genommen hat (BSG, a. a. O.). Die Kenntniserlangung spielt nur bei der Zustellung durch Empfangsbekenntnis nach § 174 ZPO eine Rolle. Dort ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Empfänger von dem Zugang des zuzustellenden Schriftstücks Kenntnis erlangt und bereit ist, die Zustellung entgegenzunehmen (z. B. BSG, Urteil vom 21. Dezember 2009, Az: B 14 AS 63/08 B, 3. Orientierungssatz zu § 5 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG), dokumentiert in juris).
Die Berufungsfrist begann daher nach § 64 Abs. 1 SGG am 28. Juli 2005 und endete, da der 27. August 2005 ein Sonnabend war, nach § 64 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 SGG am 29. August 2005. Die Berufungseinlegung am 22. Dezember 2006 bei dem SG war daher verfristet.
Die Wiedereinsetzung ist wegen § 67 Abs. 3 SGG ausgeschlossen. Danach ist der Antrag auf Wiedereinsetzung nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Die Jahresfrist lief vom 30. August 2005 bis zum 29. August 2006 (§ 64 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGG). Für das Vorliegen höherer Gewalt ist nichts ersichtlich und wird vom Kläger auch nichts vorgetragen. Die Beantragung der Wiedereinsetzung am 28. November 2006 war daher bereits unzulässig.
Im Übrigen wäre die Berufung, ohne dass es hier darauf ankäme, auch unbegründet, da der Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2004 rechtmäßig ist und den Kläger nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Die Beklagte hat zu Recht die zu zahlenden Beiträge und die Säumniszuschläge festgestellt (siehe §§ 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 157 SGB VI; § 24 Abs. 1 SGB IV), deren Berechnung der Kläger auch nicht angezweifelt hat. Soweit der Kläger einwendet, nicht als Selbständiger versicherungspflichtig zu sein, war dies nicht mehr Regelungsgegenstand des Bescheides vom 29. Oktober 2003. Maßstab der Auslegung des Verwaltungsaktes ist dabei der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989, Az: 4 RA 19/88, dokumentiert in juris). Wegen der Formulierung "Sie haben zu zahlen:" am Anfang des Bescheides vom 29. Oktober 2003 konnte der Kläger den Bescheid nur so verstehen, dass damit dessen Zahlungsverpflichtung geregelt werden sollte. Die Formulierung "Sie unterliegen der Versicherungspflicht und haben demgemäß den genannten Betrag abzuführen" auf Seite 4 des Bescheides ist nur Begründungselement für die Zahlungspflicht, was sich aus der Ursache-Folge-Formulierung ergibt. Die Beklagte wollte damit nicht erneut über die Versicherungspflicht des Klägers entscheiden. Dass der Kläger den Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2003 nicht erhalten hat, erscheint nach dem gesamten Verfahrensablauf nicht glaubhaft. Letztendlich würde auch in diesem Fall der Kläger materiell-rechtlich der Versicherungspflicht nach § 229 a Abs. 1 SGB VI unterliegen. Den Zugang eines Befreiungsantrags hat er nämlich nicht bewiesen. Dafür trägt er aber, worauf die Beklagte zu Recht hingewiesen hat, die objektive Beweislast (siehe z. B. Einsele in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), 5. Aufl., § 130, Rdnr. 46).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG bestehen nicht.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung zu zahlen hat.
Der 1962 geborene Kläger übt seit September 1990 die selbständige Tätigkeit eines Handelsvertreters für Finanzdienstleistungen und Versicherungen aus.
Im Mai 1999 sandte er einen ausgefüllten Formantrag "Befreiung für arbeitnehmerähnliche Selbständige" an die Bahnversicherungsanstalt (Eingang dort am 1. Juni 1999). Dabei bat er um eine Bestätigung, dass er bereits von der Rentenversicherungspflicht befreit sei. Die Bahnversicherungsanstalt gab den Vorgang an die Beklagte ab, die vom Kläger weitere Unterlagen anforderte. Der Kläger wies nochmals darauf hin, dass er nach seiner Ansicht bereits von der Versicherungspflicht befreit sei. 1991 habe es die Möglichkeit gegeben, sich befreien zu lassen, wenn eine private Rentenversicherung nachgewiesen sei. Mit einem Versicherungsmakler habe er nach Erhalt des Versicherungsscheines sofort den Antrag auf "Rentenbefreiung" gestellt. Der Versicherungsmakler habe ihm bestätigt, den Antrag im Januar 1992 bei der Bahnversicherungsanstalt gestellt zu haben. Die Beklagte befragte daraufhin die Bahnversicherungsanstalt, die das Vorliegen eines Antrages des Klägers nicht bestätigen konnte.
Mit Bescheid vom 25. Oktober 2000 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger gem. § 229 a Abs. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) ab 1. Januar 1992 in seiner selbständigen Tätigkeit der Versicherungspflicht unterliege, da er am 31. Dezember 1991 im Beitrittsgebiet versicherungspflichtig gewesen sei. Einen Antrag auf Befreiung von dieser Versicherungspflicht, der bis zum 31. Dezember 1994 habe gestellt werden können, sei nicht gestellt worden. Außerdem stellte die Beklagte in dem Bescheid die für den Zeitraum vom 1. Januar 1996 bis zum 31. Oktober 2000 zu zahlenden Beiträge fest. Gegen den Bescheid erhob der Kläger am 7. November 2000 Widerspruch, den er mit Schreiben vom 14. November 2000 u. a. damit begründete, er habe sofort nach Erhalt des Versicherungsscheins der privaten Rentenversicherung den Antrag auf Befreiung bei der Bahnversicherungsanstalt, F., gestellt. Da in der Folgezeit keine Aufforderung oder Nachfrage vom Rentenversicherungsträger erfolgt sei, sei er davon ausgegangen, dass alles für ihn "in Ordnung wäre".
Die Beklagte sah die Voraussetzungen des § 231 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 SGB VI als erfüllt an (Glaubhaftmachung der Unkenntnis von der Versicherungspflicht nach § 229 a Abs. 1 SGB VI am 31. Dezember 1998) und übersandte an den Kläger Antragsvordrucke zur Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 231 Abs. 6 SGB VI. Am 12. November 2001, 29. April 2002, 3. Dezember 2002 und 20. Januar 2003 erinnerte die Beklagte den Kläger an die einzureichenden Vordrucke. Der Kläger reagierte nicht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2003 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 25. Oktober 2000 zurück. Da dieser die erforderlichen Vordrucke nicht ausgefüllt und keine Nachweise über die Lebensversicherung vorlegt habe, habe sich der Widerspruchsausschuss nicht davon überzeugen können, dass der angefochtene Bescheid zu beanstanden sei. Der Widerspruchsbescheid enthielt eine Rechtsmittelbelehrung, in der auf die Möglichkeit der Klageerhebung hingewiesen wurde. Klage erhob der Kläger nicht.
Mit zwei Bescheiden vom 17. September 2003 stellte die Beklagte nochmals die Versicherungspflicht des Klägers seit 1. Januar 1992 und die vom 1. Januar 1996 bis zum 30. September 2003 zu zahlenden Beiträge fest.
Mit einem weiteren Bescheid vom 29. Oktober 2003 stellte die Beklagte wiederum die vom Kläger zu zahlenden Beiträge für den Zeitraum vom 1. Januar 1996 bis zum 30. September 2003 und (neu) die zu zahlenden Säumniszuschläge fest. Wörtlich führte sie in dem Bescheid auf Seite 4 nach der Aufstellung der Beiträge und der Säumniszuschläge aus: "Sie unterliegen als Selbständiger der Versicherungspflicht (§§ 2, 4 Abs. 2 bzw. 229a SGB VI) in der gesetzlichen Rentenversicherung und haben demgemäß den genannten Betrag an uns abzuführen." Am 12. November 2003 erhob der Kläger ("gegen Ihren Bescheid vom 29.10.2003") Widerspruch. Zur Begründung führte er mit Schreiben vom 16. Dezember 2003 aus, sein Status als vermeintliches Pflichtmitglied sei nach wie vor ungeklärt, da sein Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. Oktober 2000 nicht beschieden worden sei. Er habe nur eine Eingangsmitteilung erhalten und warte auf eine abschließende Bearbeitung. Er habe im Januar 1992 einen Befreiungsantrag gestellt. Wenn keine korrekte Weitergabe erfolgt sei, gehe dies nicht zu seinen Lasten. Für eine ordnungsgemäße Weitergabe habe er nicht einzustehen. Die Bahnversicherungsanstalt habe nicht ausgeschlossen, dass ein solcher Antrag gestellt worden sei. Sie habe lediglich darauf hingewiesen, dass Unterlagen aus dem Jahre 1992 nicht mehr vorlägen. Auch dies gehe nicht zu seinen Lasten. Im Wege der Amtsermittlung sei zu klären, wo der Antrag verblieben sei. Eine bindende Feststellung, dass sein Antrag nicht eingegangen sei, sei nicht getroffen worden. Hilfsweise müsse der Versicherungsmakler als Zeuge vernommen werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 4. November 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Bescheid vom 25. Oktober 2000 sei bestandskräftig geworden, da gegen den Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2003 Rechtsmittel nicht eingelegt worden seien. Ebenso sei der Bescheid vom 17. September 2003 bestandskräftig geworden. Ein Antrag sei rechtswirksam gestellt, wenn er bei dem Leistungsträger eingegangen sei. Der Absender trage das Risiko des Postwegs. Der Antragseingang sei nicht nachgewiesen und könne auch durch Zeugenaussagen nicht nachgewiesen werden.
Am 8. Dezember 2004 hat der Kläger Klage bei dem Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2004 hat das SG dem Klägervertreter die Verwaltungsakte der Beklagten zur Akteneinsicht übersandt. Mit Schreiben vom 1. März 2005, 4. April 2005 und 25. Mai 2005 hat das SG an die Übersendung der Verwaltungsakte erinnert und in dem Schreiben vom 25. Mai 2005 wörtlich ausgeführt: "Sollten uns bis spätestens 20.6.2005 die Verwaltungsakte und die Klagebegründung nicht vorliegen, sehen wir eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid vor." Das Schreiben ist dem Klägervertreter mit Zustellungsauftrag zugestellt worden. Der Klägervertreter hat nicht reagiert. Das SG hat von der Beklagten Kopien des Bescheides vom 29. Oktober 2003 und des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2004 angefordert und, nach Vorliegen dieser Bescheide, mit Gerichtsbescheid vom 22. Juli 2005 die Klage abgewiesen. Auf richterliche Anordnung ist der Gerichtsbescheid dem Klägervertreter mit Zustellungsauftrag gem. § 63 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 176 der Zivilprozessordnung (ZPO) zugestellt worden.
Mit weiteren Schreiben vom 1. August 2005 und vom 2. Dezember 2005 hat das SG bei dem Klägervertreter nach dem Verbleib der Verwaltungsakte der Beklagten gefragt. Mit Schreiben vom 18. Januar 2006 hat der Klägervertreter die Verwaltungsakte an das SG zurück übersandt, nachdem der Kammervorsitzende persönlich mit diesem gesprochen hatte. Am 17. November 2006 hat der Klägervertreter das SG um Akteneinsicht gebeten, da die Beklagte Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Kläger eingeleitet habe. Mit Schreiben vom 21. November 2006 hat das SG den Klägervertreter darauf hingewiesen, dass der Gerichtsbescheid vom 22. Juli 2005 am 27. Juli 2005 zugestellt worden sei und die Gerichtsakte am 29. November 2006 an das Amtsgericht Hamburg zur Akteneinsicht in den Gerichtsräumen übersandt.
Am 28. November 2006 hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Zustellung am 27. Juli 2005 sei nicht erfolgt, was eidesstattlich versichert werde. Der 27. Juli 2005 sei ein Donnerstag, also normaler Werktag, gewesen. Der Klägervertreter befinde sich seit Anfang 2005 in einer größeren Bürogemeinschaft mit einer Sozietät und einem weiteren Rechtsanwalt. Es werde ein gemeinsames Sekretariat benutzt. Zu den üblichen Geschäfts-/Bürozeiten zwischen 8.00 und 18.00 Uhr sei an Werktagen das Sekretariat immer mit mindestens zwei Mitarbeiterinnen besetzt, während der Kernzeiten zwischen 9.00 und 17.00 Uhr sogar mit mindestens vier Mitarbeiterinnen. Zudem gebe es im Büro durch die Bürogemeinschaft sechs Rechtsanwälte. Der Hinweis der Postbediensteten darauf, dass angeblich niemand angetroffen und das Poststück deshalb eingeworfen worden sei, sei absurd. Die Post werde im Innenstadtbezirk von H. auch regelmäßig, d. h. ohne Ausnahme, vormittags zugestellt, also niemals vor 8.00 Uhr und auch nicht nach 18.00 Uhr. Die Postbedienstete müsse also jemanden angetroffen haben oder habe falsche Angaben auf der Zustellungsurkunde gemacht. Insbesondere im Jahre 2005 hätten mehrfach falsche Poststücke im Briefkasten des Klägervertreters gelegen. Eine Zustellung sei jedenfalls nicht erfolgt. Außerdem sei der Zugang erst erfolgt, wenn er als Rechtsanwalt inhaltlich von dem zuzustellenden Schriftstück Kenntnis genommen habe. Deshalb sei durch die Rechtsprechung aller Verfahrensarten bestätigt, dass ein Empfangsbekenntnis nicht zwingend auf den Tag des Briefkasteneinwurfs abzugeben sei, sondern unter Umständen später. Erst mit der inhaltlichen Kenntnisnahme gelte das Schriftstück als zugegangen. Sollte eine ordnungsgemäße Zustellung des Gerichtsbescheids vorliegen, so habe aber eine inhaltliche Kenntnisnahme nicht stattgefunden. Der Gerichtsbescheid sei nämlich nicht zur Akte gelangt und auch sonst nicht vorgelegt worden.
Am 22. Dezember 2006 hat der Klägervertreter Einsicht in die Gerichtsakte genommen. Am selben Tag hat der Kläger bei dem Sozialgericht Magdeburg Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 22. Juli 2005 eingelegt. Zur Begründung führt er u. a. aus, die Beklagte habe ihn jahrelang im Unklaren darüber gelassen, dass er noch der Versicherungspflicht unterliege. Durch diese Untätigkeit sei er in seiner Dispositionsfreiheit eingeschränkt gewesen und habe seine Mittel für die private Lebensversicherung aufgewandt. Außerdem habe er gegen den Bescheid aus dem Jahre 2000 Widerspruch erhoben und diesen begründet. Er hat außerdem eine schriftliche Bestätigung seines Versicherungsmaklers vom 13. Dezember 2006 vorgelegt, in der dieser bestätigt, dass er im Januar 1992 den Befreiungsantrag an die zuständige Versicherungsanstalt weitergeleitet habe. Eine Kopie habe er leider nicht gefertigt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
für den Fall, das die Berufungsfrist gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 22. Juli 2005 nicht eingehalten wurde, Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist zu gewähren und
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 22. Juli 2005 sowie den Bescheid vom 29. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2004 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 22. Juli 2005 zurückzuweisen.
Die Beklagte hält den Gerichtsbescheid für zutreffend.
Das Gericht hat sich mit Schreiben vom 29. Juni 2007 und 12. Juli 2007 an die Deutsche Post AG gewandt und Erkundigungen zur Zustellung eingeholt.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 105 Abs. 2 Satz 1 SGG gegen den Gerichtsbescheid statthafte Berufung ist unzulässig, da sie verfristet ist. Auch Wiedereinsetzung war nicht zu gewähren.
Der Gerichtsbescheid ist nicht nichtig. Insoweit gelten die Anforderungen an Urteile entsprechend (§ 105 Abs. 1 Satz 3 SGG). Der Umstand, dass das SG hier ohne Vorliegen der Verwaltungsakte der Beklagten entscheiden hat und die gedrängte Begründung des Gerichtsbescheides führen jedenfalls nicht zur Nichtigkeit des Gerichtsbescheides. Nichtig ist ein Gerichtsbescheid nur, wenn er an einem schweren Mangel leidet (Keller in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 9. Aufl., § 125, Rdnr. 5 b). Sofern in dem Nichtvorliegen der Akte der Beklagten im Zeitpunkt der Entscheidung ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht des Gerichtes aus § 103 Satz 1 SGG zu sehen sein könnte, läge darin nur ein wesentlicher Verfahrensmangel, der jedoch nicht zur Nichtigkeit der Entscheidung führen würde (Keller, a. a. O., § 103, Rdnr. 20). Eine fehlerhafte Begründung bzw. eine Nichtbegründung führen auch nicht zur Nichtigkeit eines Gerichtsbescheides, wie § 202 SGG i. V. m. § 547 Nr. 6 ZPO zeigt. Danach ist bei einer Entscheidung, die ohne Gründe versehen ist, ein absoluter Revisionsgrund gegeben. Die Entscheidung ist aber nicht aus diesem Grund nichtig, da es sonst dieses absoluten Revisionsgrundes nicht bedürfte.
Nach §§ 151 Abs. 1, 105 Abs. 1 Satz 3 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Nach § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG ist die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Nach §§ 105 Abs. 1 Satz 3, 135 SGG ist der Gerichtsbescheid zuzustellen. Zugestellt wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (§ 63 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Auswahl der Zustellungsart liegt im Ermessen der Geschäftsstelle, es sei denn, der Richter hat eine Zustellungsart angeordnet (Keller, a. a. O., § 63, Rdnr. 6 unter Verweis auf den Wortlaut des § 168 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Angesichts des mehrmaligen erfolglosen Anforderns der Verwaltungsakte ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn sich das SG hier für eine Zustellung nach § 176 ZPO (Zustellung durch Zustellungsauftrag) entschieden hat.
Bei der Zustellung durch Zustellungsauftrag kann das Schriftstück der Person, der zugestellt werden soll, an jedem Ort übergeben werden, an dem sie angetroffen wird (§ 177 ZPO). Wird die Person, der zugestellt werden soll, in dem Geschäftsraum nicht angetroffen, kann das Schriftstück in Geschäftsräumen einer dort beschäftigten Person zugestellt werden (§ 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Ist diese Zustellung nicht ausführbar, kann das Schriftstück in einen zu dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist (§ 180 Satz 1 ZPO).
Nach § 182 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist zum Nachweis der Zustellung nach §§ 177 bis 181 ZPO eine Urkunde anzufertigen. Für diese Zustellungsurkunde gilt § 418 ZPO (§ 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Gem. § 418 ZPO Abs. 1 ZPO begründet danach die Zustellungsurkunde vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO).
In der Zustellungsurkunde vom 27. Juli 2005 bezeugt die Zustellerin, dass sie versucht hat, den Umschlag mit dem Gerichtsbescheid vom 22. Juli 2005 an den Adressaten zu übergeben und den Umschlag dann in den Briefkasten eingelegt hat. Damit steht mit Vollbeweis fest, dass die Voraussetzungen der Ersatzzustellung vorgelegen haben.
Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen erfordert den Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehensablaufes, der damit ein Fehlverhalten des Zustellers oder eine Falschbeurkundung in der Zustellungsurkunde belegt. Gefordert wird der volle Gegenbeweis in der Weise, dass die Beweiswirkung in der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr bezeugten Tatsache ausgeschlossen wird (BSG, Beschluss vom 24. November 2009, Az: B 12 KR 27/09 B, dokumentiert in juris, Rdnr. 9).
Diesen Gegenbeweis erbringt der Kläger nicht. Dabei kann als wahr unterstellt werden, dass das Sekretariat bzw. die Büroräume am 27. Juli 2005 von 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr durchgängig besetzt waren, wie der Kläger behauptet. Es kann nämlich auch dann nicht ausgeschlossen werden, dass die Mitarbeiterinnen bzw. die anderen in der Bürogemeinschaft Tätigen zwar körperlich anwesend, aber durch andere Arbeiten abgelenkt waren und zum Zeitpunkt des Zustellungsversuchs nicht auf diesen reagiert haben.
Damit gilt der Gerichtsbescheid am 27. Juli 2005 als zugestellt (§ 180 Satz 2 ZPO). Es kommt entgegen der Ansicht des Klägers nicht darauf an, wann der Klägervertreter tatsächlich von dem Gerichtsbescheid Kenntnis genommen hat (BSG, a. a. O.). Die Kenntniserlangung spielt nur bei der Zustellung durch Empfangsbekenntnis nach § 174 ZPO eine Rolle. Dort ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Empfänger von dem Zugang des zuzustellenden Schriftstücks Kenntnis erlangt und bereit ist, die Zustellung entgegenzunehmen (z. B. BSG, Urteil vom 21. Dezember 2009, Az: B 14 AS 63/08 B, 3. Orientierungssatz zu § 5 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG), dokumentiert in juris).
Die Berufungsfrist begann daher nach § 64 Abs. 1 SGG am 28. Juli 2005 und endete, da der 27. August 2005 ein Sonnabend war, nach § 64 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 SGG am 29. August 2005. Die Berufungseinlegung am 22. Dezember 2006 bei dem SG war daher verfristet.
Die Wiedereinsetzung ist wegen § 67 Abs. 3 SGG ausgeschlossen. Danach ist der Antrag auf Wiedereinsetzung nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Die Jahresfrist lief vom 30. August 2005 bis zum 29. August 2006 (§ 64 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGG). Für das Vorliegen höherer Gewalt ist nichts ersichtlich und wird vom Kläger auch nichts vorgetragen. Die Beantragung der Wiedereinsetzung am 28. November 2006 war daher bereits unzulässig.
Im Übrigen wäre die Berufung, ohne dass es hier darauf ankäme, auch unbegründet, da der Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2004 rechtmäßig ist und den Kläger nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Die Beklagte hat zu Recht die zu zahlenden Beiträge und die Säumniszuschläge festgestellt (siehe §§ 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 157 SGB VI; § 24 Abs. 1 SGB IV), deren Berechnung der Kläger auch nicht angezweifelt hat. Soweit der Kläger einwendet, nicht als Selbständiger versicherungspflichtig zu sein, war dies nicht mehr Regelungsgegenstand des Bescheides vom 29. Oktober 2003. Maßstab der Auslegung des Verwaltungsaktes ist dabei der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989, Az: 4 RA 19/88, dokumentiert in juris). Wegen der Formulierung "Sie haben zu zahlen:" am Anfang des Bescheides vom 29. Oktober 2003 konnte der Kläger den Bescheid nur so verstehen, dass damit dessen Zahlungsverpflichtung geregelt werden sollte. Die Formulierung "Sie unterliegen der Versicherungspflicht und haben demgemäß den genannten Betrag abzuführen" auf Seite 4 des Bescheides ist nur Begründungselement für die Zahlungspflicht, was sich aus der Ursache-Folge-Formulierung ergibt. Die Beklagte wollte damit nicht erneut über die Versicherungspflicht des Klägers entscheiden. Dass der Kläger den Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2003 nicht erhalten hat, erscheint nach dem gesamten Verfahrensablauf nicht glaubhaft. Letztendlich würde auch in diesem Fall der Kläger materiell-rechtlich der Versicherungspflicht nach § 229 a Abs. 1 SGB VI unterliegen. Den Zugang eines Befreiungsantrags hat er nämlich nicht bewiesen. Dafür trägt er aber, worauf die Beklagte zu Recht hingewiesen hat, die objektive Beweislast (siehe z. B. Einsele in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), 5. Aufl., § 130, Rdnr. 46).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG bestehen nicht.
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