L 6 U 54/05

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 11 U 119/03
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 54/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Verschmächtigung des Kleinhirnoberwurms und der Kleinhirnhemisphären als Folgen eines Schulunfalls vom 16. November 1999 sowie die Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vom Hundert (v. H.).

Der 1988 geborene Kläger stieß am 16. November 1999 nach der sechsten Kursstunde in der Sekundarschule L. auf dem Weg in den Klassenraum mit seinem Ranzen gegen eine im Flur abgestellte Schultafel, die umfiel und gegen seine rechte Kopfseite schlug. Der Durchgangsarzt und Chefarzt der Chirurgischen Klinik des C.-v.-B.-Klinikums M. Dr. K. berichtete, der Kläger habe an das Unfallgeschehen keine Erinnerungslücken, die Pupillen seien klein, seitengleich und reagierten auf Lichteinfall. Er stellte bei dem Kläger eine arterielle Blutung aus dem rechten Gehörgang, die nicht durch Austupfen zu stoppen gewesen sei, sowie Blutkrusten beiderseits am Naseneingang fest. Nach Anfertigung von Röntgenaufnahmen diagnostizierte er einen Schädelbasisbruch rechts und wies den Kläger zur stationären Aufnahme in das Klinikum ein. In dem Begleitblatt der Klinik zur Verlaufskontrolle für Schädel-Hirn-Verletzte ist vermerkt, der Kläger sei ansprechbar, aber leicht verlangsamt gewesen ohne Liquorfluss. Unter dem 26. November 1999 berichtete Dr. K., im Computertomogramm (CT) des Schädels des Klägers zeigten sich Pyramidenlängsfrakturen beidseits, rechts größer als links, mit vollständiger Einblutung in das Tympanum (Hohlraum des Mittelohres) rechts und kleinen Einblutungen in das Tympanum links. Ein Anhalt für eine Gehörknöchelluxation bestehe nicht. Intracerebrale Blutungen seien auszuschließen. Mit Datum vom 30. Dezember 1999 teilte er der Beklagten mit, der Kläger werde aus der ambulanten Behandlung entlassen, eine ärztliche Behandlung sei nicht mehr erforderlich. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bestehe nicht. Die Mutter des Klägers bezog von der Beklagten bis zum 21. Dezember 1999 Kinderpflege-Verletztengeld.

Unter Berücksichtigung der Einschätzung der den Kläger unterrichtenden Lehrer zum Erfordernis einer Nachhilfe erhielt der Kläger vom 25. Januar bis 21. März 2000 im Schulfach Englisch (8 x), vom 9. März bis 22. Juni 2000 im Schulfach Deutsch (6 x) und vom 6. April bis 6. Juli 2000 im Schulfach Mathematik (8 x) zu Lasten der Beklagten Förderunterricht.

Unter dem 26. Oktober 2000 teilte der nunmehr anwaltlich vertretene Kläger der Beklagten mit, es sei mit einer dauerhaften Schwerhörigkeit des rechten Ohres als Folge des Unfalls zu rechnen.

Die Beklagte holte Befundberichte ein: Unter dem 5. Januar 2001 berichtete die Fachärztin für HNO-Heilkunde Dr. G., das Tonaudiogramm vom 29. November 1999 habe eine pancochleäre Schwerhörigkeit rechts zwischen 20 und 30 dB und links zwischen 20 und 45 dB ergeben. Das Tonaudiogramm vom 9. Mai 2000 zeige eine Normakusis rechts und einen geringgradigen Schallleitungsanteil von 5 bis maximal 15 dB links sowie einen Tinnitus links. Das Sprachaudiogramm vom 22. August 2000 zeige einen Hörverlust für Einsilber bei 65 dB: rechts 10 Prozent, links 25 Prozent. Sie fügte eine Auswertung eines Schädel-CTs des Chefarztes der Radiologie des C.-v.-B.-Klinikums M. Dr. G. vom 19. November 1999 bei, der ausführte, das CT zeige eine Pyramidenlängsfraktur beidseits mit vollständiger Einblutung in das Tympanon rechts und kleinen Einblutungen in das Tympanon links. Intracerebrale Blutungen seien nicht nachzuweisen.

Unter dem 26. März 2001 berichtete die Oberärztin des Klinikums der Medizinischen Fakultät der M.-L.-Universität H.-W Dr. R., der Kläger habe bei dem Schulunfall eine Felsenbeinfraktur beidseits erlitten. Die Schwindelbeschwerden seien nicht eindeutig auf eine otogene Ursache zurückzuführen. Da die Beschwerden jedoch anamnestisch vor dem Unfall nicht bestanden hätten, seien diese am ehesten als unfallbedingt anzusehen. Der Hörverlust liege beidseits bei Null.

Auf Veranlassung der Beklagten erstattete der kommissarische Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Kinderchirurgie der M.-L.-Universität H.-W. Privatdozent (PD) Dr. F. das 1. Rentengutachten vom 13. Mai 2002 nach Untersuchung des Klägers am 25. September 2001 und veranlasste weitere Zusatzgutachten. PD Dr. F. führte aus, der Kläger gebe als Beschwerden nach dem Unfall situationsabhängige Gleichgewichtsstörungen, gelegentliche Ohrschmerzen, Einschränkung der Bewegungsabläufe und Schulschwierigkeiten an. Wesentliche Unfallfolgen seien eine posttraumatische vestibuläre Störung der Gleichgewichtsreaktion, eine minimale posttraumatische Hirnleistungseinschränkung und ein kleinhirnbedingtes Koordinierungsdefizit. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei vom 16. November bis 1. Dezember 1999 auf 100 v. H., vom 1. bis 29. Dezember 1999 auf 60 v. H., vom 30. Dezember 1999 bis 26. März 2001 auf 25 v. H. und seit 26. März 2001 auf 20 v. H. einzuschätzen.

In dem neurologischen Zusatzgutachten vom Facharzt für Kinderheilkunde und Kinder- und Jugendpsychiatrie und Oberarzt der Universitätsklinik Dr. H. vom 9. Januar 2002 berichtete dieser, das Gangbild des Klägers, Romberg-, Unterberger- und Finger-Nasen-Versuch seien am 22. August 2001 unauffällig gewesen. Der Knie-Hackenversuch sei links diskret unsicher. Am 14. November 2001 zeigte sich bei der Prüfung der Koordination ein diskret unsicherer Einbeinstand, Romberg, Unterberger und Finger-Nasen-Versuch seien unauffällig. Die Diadochokinese (die Fähigkeit, einander entgegen gesetzte Bewegungen rasch hintereinander geordnet auszuführen) sei leicht gestört. Er führte aus, der Schulunfall habe zu einer Schädelverletzung des Klägers geführt. Die im Schädel-CT vom 19. November 1999 nachweisbaren Felsenbeinlängsfrakturen beidseits mit vollständiger Einblutung in das Tympanon rechts und kleiner Einblutung auch in das Tympanon links sprächen zweifelsfrei für eine schwere Gewalteinwirkung im Sinne eines Berstungsbruches. Aufgrund des schweren Schädeltraumas sei es zu einer dauernden Beeinträchtigung der normalen körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit gekommen. Die dauernde Gesundheitsbeeinträchtigung werde überwiegend durch eine vestibuläre Störung bedingt. Am 19. Februar 2001 habe der Stapediusreflex links nicht und rechts ab 85 dB bei 1000 Hz ausgelöst werden können. Die klinische Beschwerdesymptomatik werde von einem spezifischen Belastungsschwindel bestimmt. Die hierdurch bedingten Funktionsausfälle lägen bei 15 Prozent. Bei der ausgeprägten Kleinhirnwurmhypoplasie handele es sich mit großer Sicherheit um eine Störung, die schon vor dem Unfall bestanden habe. Dafür spreche das unmittelbar nach dem Unfall gefertigte CT, auf dem die Wurmhypoplasie ein nahezu identisches Ausmaß gezeigt habe. Es sei wahrscheinlich, dass die Kleinhirnwurmhypoplasie die Kompensation der Gleichgewichtsstörungen erschwere. Dies erkläre die leichte kleinhirnbedingte Koordinationsstörung. Die eingeschränkte Lernfähigkeit des Klägers bei einem IQ von 76 stelle nicht mit Sicherheit eine posttraumatische Veränderung dar. Es könne aber mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass es bei dem Unfall zu einer vokalen kontusionellen Hirnschädigung gekommen sei. Die deutlichen Defizite des Klägers im Kombinations- und Abstraktionsvermögen sowie im sprachlogischen Denkvermögen seien als Korrelat eines posttraumatischen chronischen hirnorganischen Psychosyndroms sehr nahe liegend. Die vestibulären Störungen, das kleinhirnbedingte Koordinationsdefizit und die minimale posttraumatische Hirnleistungseinschränkung bedingten eine Beeinträchtigung der normalen, körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit des Klägers um 20 v. H ...

In dem HNO-fachärztlichen Zusatzgutachten vom 29. Januar 2002 führten der Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde der M.-L.-Universität H.-W. Prof. Dr. B. unter Mitarbeit der Oberärztin Dr. R. aus, bei dem Kläger liege rechts und links kein Hörverlust vor. Die Schwindelbeschwerden des Klägers seien zum Teil objektivierbar. So ergebe die thermische Reizung eine leichte Untererregbarkeit links. Die verzögerte Frequenzzunahme bei der Nystagmusprüfung und der leicht pathologische eyetracking-Test wiesen auf eine zusätzliche zentrale Schwindelkomponente hin. Nach den Tabellen von Stoll (1979/1982) erreichten die Beschwerden die Intensitätsstufe 1 sowie die Belastungsstufe 3. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit betrage 10 v. H ...

In dem psychologischen Zusatzgutachten der Dipl.-Psych. Dr. B. (Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin) vom 4. Oktober 2001 führte diese aus, es sei anzunehmen, dass der Kläger infolge seiner Minderbegabung bereits vor dem Unfall schulische Schwierigkeiten gehabt habe. Es könne nicht bestätigt werden, dass der Unfall für sein Schulversagen ursächlich sei.

In dem Zusatzgutachten vom 12. Oktober 2001 führte der Chefarzt des Instituts für Radiologie des Städtischen Krankenhauses M.-M. H.-D. Dr. J. aus, das MRT (Magnetresonanztomogramm) des Kopfes vom 11. Oktober 2001 zeige eine Kleinhirnwurmhypoplasie mit geringer Hypoplasie auch der Kleinhirnhemisphären sowie eine Megazisterna magna bei Kleinhirnhypoplasie; eine Arachnoidalzyste sei weniger wahrscheinlich. Die Seitenventrikel seien anlagebedingt über die Altersnorm hinaus erweitert.

Auf Veranlassung der Beklagten erstattete der Arzt für Psychiatrie und Neurologie des Instituts für Medizinische Begutachtung K. Dr. S. die gutachtliche Stellungnahme vom 27. Juni 2002: Darin kommt er zu dem Ergebnis, dass ein unfallbedingter Körperschaden auf neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet nicht nachweisbar sei. Eine unfallbedingte hirnorganische Leistungseinschränkung liege nicht vor. Die schulischen Defizite seien auf anlagebedingte Intelligenzdefizite zurückzuführen. Die Einschränkungen in seinem beruflichen Werdegang seien nicht Folgen des Schulunfalls, sondern Folgen der unfallunabhängigen Kleinhirnmissbildung und der wahrscheinlich anlagebedingten Intelligenzminderung. Die Bewertung des HNO-ärztlichen Zusatzgutachtens liege außerhalb seiner Kompetenz. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 v. H. erscheine plausibel. Die Gesamt-MdE sei damit auf 10 v. H. einzuschätzen.

Mit Bescheid vom 1. August 2002 erkannte die Beklagte den Unfall vom 16. November 1999 als Arbeitsunfall an, lehnte es jedoch ab, eine Verletztenrente zu gewähren. Als Folgen des Arbeitsunfalls erkannte sie Störungen der Gleichgewichtsregulation nach Felsenbeinbruch beidseits an. Die Kleinhirnmissbildungen (Verschmächtigung des Kleinhirnoberwurms und der Kleinhirnhemisphären) mit sich daraus ergebenden Koordinationsstörungen seien demgegenüber anlagebedingt. Die verbliebenen Unfallfolgen ergäben keine messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit. Hiergegen erhob der Kläger am 13. August 2002 Widerspruch und bezog sich im Wesentlichen auf das Gutachten von Prof. F., der die Minderung der Erwerbsfähigkeit ab 25. September 2001 um 20 v. H. eingeschätzt hatte. Diesen Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit habe auch der Dr. H. angegeben.

Die Beklagte ließ sich die Zeugnisse des Klägers aus den Schuljahren 1998/1999 bis 2000/2001 vorlegen. In dem Zeugnis der Klasse 4 b vom 21. Juli 1999 ist vermerkt: "Frank fällt das Lernen immer noch schwer. Da er sich nicht für längere Zeit konzentrieren kann, erfüllte er seine Aufgaben oft unvollständig und fehlerhaft". Unter dem 20. Januar 2003 überließ die Sekundarschule L. der Beklagten eine Zusammenstellung des Leistungsstandes und des Verhaltens des Klägers vor und nach dem Unfall.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. April 2003 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, im ersten Schädel-CT drei Tage nach dem Unfallereignis seien keine Hirnsubstanzverletzungen nachgewiesen. Allein die Tatsache einer erheblichen Gewalteinwirkung, die zu einer Schädelbasisfraktur geführt habe, lasse noch nicht den Rückschluss auf das Vorliegen eines posttraumatisch bedingten hirnorganischen Psychosyndroms zu. Bei dem Kläger liege eine unfallunabhängige anlagebedingte Verschmächtigung des Kleinhirnoberwurms und der Kleinhirnhemisphären vor, die die Koordinationsstörung bedingten. Die genetisch bedingte Hypoplasie des Kleinhirns spreche für anlagebedingte Leistungseinbußen. Die allgemeine Leistungsfähigkeit des Klägers sei durch die Pädagogen der Grundschule L. nach dem Unfall nicht anders beurteilt worden als vor dem Unfall. Die verminderte Leistungsfähigkeit könne nicht auf den unfallbedingten Schulausfall zurückgeführt werden, weil der versäumte Stoff im Förderunterricht nachgearbeitet worden sei. Auch im MRT vom 11. Oktober 2001 sei keine Hirnsubstanzverletzung nachgewiesen. Die Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund der verbliebenen Unfallfolgen auf HNO-fachärztlichem Gebiet unter 20 v. H. stehe im Einklang mit den in der Literatur genannten und von der Wissenschaft und Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen.

Mit der am 16. Mai 2003 vor dem Sozialgericht Halle erhobenen Klage hat der Kläger die Anerkennung der Störungen der Gleichgewichtsregulation und der Koordination als Folgen des Arbeitsunfalls vom 16. November 1999 sowie die Gewährung einer Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 v. H. weiter verfolgt und seinen bisherigen Vortrag vertieft. Er habe nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus stechende Schmerzen im rechten Ohr und häufig auftretende Schwindelanfälle gehabt und dem Schulunterricht nicht mehr in der gewohnten Form folgen können. Es sei zu einem rapiden Abfall seiner Leistungen gekommen.

Das Sozialgericht hat den Leitenden Oberarzt der Neurochirurgischen Klinik des Klinikums B. Dr. G. mit der Erstattung des Gutachtens vom 20. Mai 2004 nach Aktenlage beauftragt. Dr. G. hat ausgeführt, auf den Unfall vom 16. November 1999 seien geringe Störungen des Hörvermögens und ein nicht dauerhafter Schwindel des Klägers zurückzuführen, die nach HNO-ärztlicher Begutachtung eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 v. H. begründeten. Gegen eine durch den Unfall eingetretene Gehirnschädigung spreche der neurologische Status des Klägers in den Tagen nach dem Unfall, das Ergebnis der späteren kernspintomographischen Untersuchung, die neuropsychologischen Testergebnisse und Beurteilungen sowie die schulischen Leistungen vor dem Unfall und die Einschätzung der Lehrer. Eine durch den Unfall verursachte relevante motorische Störung sei den Unterlagen nicht zu entnehmen. Das erste Rentengutachten sei in wesentlichen Punkten spekulativ bzw. nicht schlüssig. Eine dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit über diejenige, die sich aus den Gesundheitsstörungen auf dem Gebiet der HNO-Heilkunde ergäbe, bestehe nicht.

Mit Urteil vom 17. März 2005 hat das Sozialgericht Halle die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, entgegen der Auffassung des Klägers könnten die Kleinhirnmissbildungen und die daraus sich ergebenden Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen nicht als Folgen des Schulunfalls vom 16. November 1999 anerkannt werden. Es sei nicht hinreichend wahrscheinlich, dass diese Verletzungen bzw. Störungen im Hirnbereich kausale Folgen des Schulunfalls gewesen seien. Zwar gehe PD Dr. F. in seinem ersten Rentengutachten von einer posttraumatischen vestibulären Störung der Gleichgewichtsreaktion, einer minimalen posttraumatischen Hirnleitungseinschränkung sowie einem kleinhirnbedingten Koordinationsdefizit als Unfallfolgen aus. Dem sei auch Dr. H. gefolgt, der eine unfallbedingte vokale kontusionelle Hirnschädigung für wahrscheinlich gehalten habe. Diese Bewertungen genügten jedoch nicht, um mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einer durch den Schulunfall bedingten Hirnverletzung einschließlich der damit zusammenhängenden Gleichgewichts- und Koordinationsproblemen auszugehen. Selbst Dr. H. räume in seiner Stellungnahme ein, bei dem Kläger bestehe eine ausgeprägte Kleinhirnwurmhypoplasie, die vor dem Unfall bereits vorhanden gewesen sein müsse. Dr. J. und Dr. S. gingen von einer anlagenbedingten Verschmächtigung des Kleinhirnoberwurms und der Kleinhirnhemisphären aus. Die grundlegende Schwäche der Stellungnahmen von PD Dr. F. und Dr. H. seien darin zu sehen, dass sie eine klare Differenzierung zwischen den unfallbedingten und den anlagebedingten hirnorganischen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit des Klägers nicht vorgenommen hätten. Auch hätten PD Dr. F. und Dr. H. ihre Feststellung der unfallbedingten Verletzungen und Störungen im Hirnbereich nicht mit entsprechenden Befunden und Begründungen unterlegt. Dem gegenüber weise Dr. S. in nachvollziehbarer Weise darauf hin, dass Anhaltspunkte für eine unfallbedingte Hirnsubstanzverletzung beim Kläger gerade nicht nachgewiesen seien. In dem in sich stimmigen Sachverständigengutachten von Dr. G. weise dieser überzeugend darauf hin, dass gegen eine unfallbedingte Hirnschädigung des Klägers erhebliche Gründe sprächen. Befundgesicherte Anhaltspunkte für eine vokale kontusionelle Hirnschädigung würden weder von PD Dr. F. und Dr. H. angegeben. In diesem Falle wäre beim Kläger auch eine entsprechende Bewusstseinstrübung zu erwarten gewesen. Dies gelte insbesondere bei Kindern, bei denen selbst bei unkomplizierten Gehirnerschütterungen typischerweise nachhaltigere Symptome aufträten. Die Verschlechterung der schulischen Leistungen des Klägers stehe zwar zeitlich im Zusammenhang mit dem Unfall, müsse jedoch nicht automatisch durch den Unfall verursacht worden sein. Überzeugend weise Dr. G. auch darauf hin, dass der Kläger bereits vor dem Unfall im Kombinations- und Abstraktionsvermögen sowie im sprachlogischen Denkvermögen nur schwache Bewertungen hatte erreichen können. Auch Dr. B. habe die Konzentrationsschwankungen des Klägers auf eine mangelnde willentliche Konzentration bei schulischer Überforderung zurückgeführt. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Verletztenrente, weil die Erwerbsfähigkeit infolge des Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Unfall hinaus nicht um wenigstens 20 v. H. gemindert gewesen sei.

Gegen das am 1. April 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29. April 2005 vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er sich auf das erste Rentengutachten von Dr. F. und das Gutachten von Oberarzt Dr. H. bezogen. Dr. F. habe eine posttraumatische vestibuläre Störung der Gleichgewichtsreaktion, eine minimale posttraumatische Hirnleistungseinschränkung sowie ein kleinhirnbedingtes Koordinierungsdefizit als wesentliche Folgen des Unfalls vom 16. November 1999 bezeichnet. Dr. H. habe ausgeführt, durch das schwere Schädelhirntrauma sei es zu einer dauernden Beeinträchtigung der normalen körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit gekommen. Die Gesundheitsbeeinträchtigung sei überwiegend durch eine vestibuläre Störung bedingt. Das Sozialgericht habe die schulischen Leistungen vor und nach dem Unfall nicht ausreichend berücksichtigt. Es sei zutreffend, dass er auch vor dem Unfall kein leistungsstarker Schüler gewesen sei. Nach dem Unfall hätten sich die schulischen Leistungen jedoch dramatisch verschlechtert. Er sei nach dem Unfall in verschiedenen Fächern mit der Note "5" bewertet worden, wo er vorher die Note "3" oder "4" gehabt habe. Der deutliche Abfall in den schulischen Leistungen belege, dass das schwere Schädelhirntrauma als Folge des Unfalls zu einer dauernden und erheblichen Beeinträchtigung der normalen körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit geführt habe. Ferner sei es nach dem Unfall zu einer erheblichen Verschlechterung seines Koordinationsvermögens gekommen. Beleg hierfür seien eine Vielzahl von Verletzungen, die er sich nach dem Schulunfall zugezogen habe. Die Beschwerden auf HNO-fachärztlichem Gebiet hätten sich nach dem Gutachten vom 29. Januar 2002 weiter verstärkt.

Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 17. März 2005 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 1. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2003 abzuändern,

festzustellen, dass die Verschmächtigung des Kleinhirnoberwurms und der Kleinhirnhemisphären Folgen des Schulunfalls vom 16. November 1999 sind und die Beklagte zu verurteilen, eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf den Bescheid vom 1. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2003 sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte.

Der Berichterstatter hat weitere Befundberichte für die Zeit ab dem 29. Januar 2002 von Frau Dr. G., Prof. Dr. L. und Dr. S. eingeholt; auf Blatt 214 - 218, 220, 221, 243 und 244 wird verwiesen. Auf Anfrage des Berichterstatters haben weder der Kläger noch die Verwaltungsberufsgenossenschaft weitere Arbeitsunfälle mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 10 v. H. bestätigt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Dem Senat hat bei der Beratung und Entscheidungsfindung ein Ausdruck der digitalen Verwaltungsakte der Beklagten mit dem Az. vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat war nach § 124 Abs. 2 SGG berechtigt, in der Sache ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, weil die Beteiligten dieser Vorgehensweise zugestimmt haben.

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung hat keinen Erfolg.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 1. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2003 ist nicht rechtswidrig und beschwert den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 SGG: Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die Verschmächtigung des Kleinhirnoberwurms und der Kleinhirnhemisphäre als Folgen des Schulunfalls vom 16. November 1999 anzuerkennen und dem Kläger eine Verletztenrente zu gewähren.

Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte Anspruch auf eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles (Arbeitsunfall oder Berufskrankheit) über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um mindestens 20 v. H. gemindert ist. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern (§ 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Dabei wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit durch eine abstrakte Bemessung des Unfallschadens bewertet und beruht auf freier richterlicher Beweiswürdigung unter Berücksichtigung der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung etablierten allgemeinen Erfahrungssätze aus der Rechtsprechung und dem einschlägigen Schrifttum (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 18. März 2003 - B 2 U 31/02 R - Breithaupt 2003, 565 ff.; Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1). Voraussetzung der hier geltend gemachten Ansprüche ist demnach einerseits, dass zwischen dem Unfallereignis und einer nachgewiesenen Gesundheitsstörung entweder direkt oder vermittelt durch den Gesundheitserstschaden ein Ursachenzusammenhang nach § 8 Abs. 1 SGB VII besteht, und dass andererseits die Minderung der Erwerbsfähigkeit durch die arbeitsunfallbedingten Gesundheitsstörungen einen Grad um mindestens 20 v. H., bei mehreren Versicherungsfällen unter Umständen mindestens 10 v. H., erreicht (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 ff.; Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).

Ausgehend hiervon kann der Kläger von der Beklagten vom 30. Dezember 1999 an keine Verletztenrente beanspruchen. Die als zusätzliche Unfallfolge geltend gemachte Verschmächtigung des Kleinhirnoberwurms und der Kleinhirnhemisphären sind bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht heranzuziehen. Diese Gesundheitsschäden erfüllen nicht die Voraussetzungen für die Anerkennung als Unfallfolge (unten 1.). Aus der unstreitigen und mit Bescheid vom 1. August 2002 anerkannten Unfallfolge einer Störung der Gleichgewichtsregulation sowie aus der geringen Störung des Hörvermögens sowie eines Tinnitus ist keine Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigender Höhe um mindestens 20 v. H. herzuleiten (unten 2.). Eine Verschlimmerung der Unfallfolgen ist nicht gesichert (3.). Schließlich ist auch keine sogenannte Stützrente mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 10 v. H. zu gewähren (4.).

1.

Dr. J. hat in Auswertung des MRT des Kopfes des Klägers vom 11. Oktober 2001 Verschmächtigungen des Kleinhirnwurms und in geringerem Maße auch der Kleinhirnhemisphären beschrieben. Diese Verschmächtigungen sind aber keine Folgen des angeschuldigten Schulunfalls vom 16. November 1999, weil es am Ursachenzusammenhang zwischen dem Schulunfall und den Verschmächtigungen fehlt.

Für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen einem Unfall und der geltend gemachten Gesundheitsstörung gilt der Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Dies bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller Umstände, insbesondere unter Berücksichtigung der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung, mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Die bloße Möglichkeit einer Verursachung genügt nicht.

Eine Schädigung der Hirnsubstanz ist neben dem Felsenbeinbruch mit Einblutung in den Gehörgang in den Befundberichten nicht dokumentiert. Liquorfluss bestand nach dem Begleitblatt der Klinik zur Verlaufskontrolle für Schädel-Hirn-Verletzte nicht. Veränderungen der Hirnsubstanz sind keine berichtet. Anzeichen für eine Hirnprellung oder Hirnquetschung bestehen nicht. Diese gehen mit erheblichen Bewusstseinsstörungen einher (Kügelgen/Naujokat in Ludolph/Schürmann/Gaidzik, Kursbuch der ärztlichen Begutachtung, Stand 2000, VI-2.2, S. 2). Der Kläger war 50 Minuten nach dem Unfall bei Einlieferung in das Krankenhaus ansprechbar und nur leicht verlangsamt und hatte keine Erinnerungslücken an das Unfallgeschehen. Von einer Bewusstlosigkeit wird nicht berichtet. Zwar war ihm übel. Dies ist aber, worauf Dr. G. hingewiesen hat, kein Anzeichen für eine Hirnsubstanzverletzung, Hirnprellung oder Hirnquetschung, sondern tritt bei Kindern häufig im Zusammenhang mit einer Gehirnerschütterung auf. Bei einer Hirnquetschung wären zudem Einblutungen zu erwarten gewesen (Kügelgen/Naujokat, a.a.O. S. 2). Dr. G. hat nach Auswertung des Schädel-CTs vom 19. November 1999 intracerebrale Blutungen ausgeschlossen. Auch Dr. J. hat im MRT vom 11. Oktober 2001 keine intracerebralen Blutungsresiduen nachgewiesen. Bei einer Hirnquetschung hätten aber nach den Ausführungen von Dr. G. noch langfristig Veränderungen im CT erkennbar sein müssen. Die Annahme von Dr. H., bei der Schwere der Schädelfraktur sei es auch zu einer fokalen kontusionellen Hirnschädigung gekommen, findet in den Befunden keinen Anhaltspunkt. Die Schwere der Schädelfraktur allein hat nicht zwangsläufig zur Folge, dass auch eine Hirnverletzung eintritt. Hier folgt der Senat den überzeugenden Ausführungen von Dr. G ...

Zudem hatte bereits Dr. G. die Verschmächtigungen des Kleinhirnwurms und die abgeflachten Kleinhirnsulci nach Auswertung des am 19. November 1999 gefertigten Schädel-CTs beschrieben. In der kurzen Zeit zwischen Unfall und Fertigung des CT ist es nicht denkbar, dass das Wachstum des Kleinhirns bereits sichtbar zurückgeblieben wäre. Hierauf hat Dr. H. zu Recht hingewiesen. Es besteht daher keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die Verschmächtigungen des Kleinhirnwurms und der Kleinhirnhemisphären ursächlich auf den Unfall zurückgehen.

Folglich beruht auch die Koordinationsschwäche des Klägers nicht auf dem Schulunfall, weil diese Folge der Verschmächtigungen des Kleinhirnwurms und der Kleinhirnhemisphären ist, worauf Dr. H. hingewiesen hat.

2.

Die durch den Unfall verursachten Gesundheitsschäden bedingen keine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H ...

a.

Die von der Beklagten als Unfallfolge anerkannte Gleichgewichtsstörung bedingt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 10 v. H ... Prof. Dr. B. und Dr. R. haben bei der Untersuchung des Klägers im Romberg- und Unterbergertest sowie im Rotationstest keine Abweichung von der Norm erkannt. Dies entspricht auch den Feststellungen von Dr. H ... Ebenso wenig konnten Prof. Dr. B. und Dr. R. einen Spontan- und Provokationsnystagmus auslösen. Demgegenüber hat die thermische Prüfung eine Untererregbarkeit links bei Warm- und Kaltspülung ergeben. Die optokinetische Nystagmusprüfung zeigte eine verzögerte Frequenzzunahme beidseits, der Eye-Tracking-Test war diskret gestört. Dr. H. hat zudem eine leicht gestörte Diadochokinese ergeben. Hieraus lässt sich eine Gleichgewichtstörung des Klägers ableiten.

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit wird bei Gleichgewichtsstörungen in der Kombination von Intensitätsstufen 0 bis 4 nach Stoll 1979/1982 und Belastungsstufen 0 bis 4 nach Stoll 2004 gebildet (vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand September 2010, Anhang 12, J 012, J013; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, Abschnitt 7.2.4, S. 319 f.). Die Bewertung der Beschwerden des Klägers durch Prof. Dr. B. und Dr. R. mit der Intensitätsstufe 1 (leichte Unsicherheit, geringe Schwindelbeschwerden) und der Belastungsstufe 3 (hohe Belastung - nicht alltäglich, selten, vermeidbar) ist nicht zu beanstanden. Die Angaben des Klägers, er empfinde einen Drehschwindel anfallsweise beim Aufstehen, beim Aufrichten sowie beim Rennen von einer Dauer bis zu einer Minute, betreffen nur seltene Ereignisse, die hinsichtlich des Rennens auch vermeidbar sind. Daher ist die Belastungsstufe 3 gerechtfertigt. Die nächste Stufe wäre die 2 (alltäglich, häufig, schwer vermeidbar). Derartige Beschwerden hat der Kläger aber gegenüber Prof. Dr. B. und Dr. R. nicht geäußert. Hier fehlt es an der Häufigkeit und der schweren Vermeidbarkeit der Beschwerden. Die Bewertung der Beschwerden mit einer höheren Intensitätsstufe - der Intensitätsstufe 2 (deutliche Unsicherheit, starke Schwindelbeschwerden) deckt sich weder mit den Angaben des Klägers noch ist diese Intensität nachweisbar. Denn die üblichen Tests zur Feststellung einer Gleichgewichtsstörung wie Romberg, Unterberger und Spontan- und Nystagmusprovokation haben keine Auffälligkeiten ergeben. Prof. Dr. B. und Dr. R. haben daher die subjektiven Beschwerden des Klägers nur zum Teil als objektivierbar angesehen.

Bei einer Bewertung der Beschwerden des Klägers mit der Intensitätsstufe 1 und der Belastungsstufe 3 ergibt sich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit nach der Tabelle von Stoll (1979/1982) um 10 v. H ...

b.

Die geringe Störung des Hörvermögens des Klägers ergibt keine messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit wird nach der Tabelle von Feldmann (1995) ermittelt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Abschnitt 7.3.3.3.1, S. 345 f.). Dazu wird anhand des Sprachaudiogramms der prozentuale Hörverlust beider Ohren nach der Tabelle Boenninghaus und Rösner (1973) ermittelt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. Abschnitt 7.3.3.2.9, S. 339 f.). Prof. Dr. B. und Dr. R. haben in Anwendung dieser Tabelle auf beiden Ohren keinen Hörverlust ermittelt. Daraus resultiert keine Minderung der Erwerbsfähigkeit. Demgegenüber hat zwar Dr. G. einen Hörverlust rechts mit 10 % und links mit 25 % angegeben. Aber auch aus diesen Werten resultiert nach der Tabelle von Feldmann (1995) keine Minderung der Erwerbsfähigkeit.

c.

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit erhöht sich nicht durch einen Tinnitus. Ob dieser überhaupt vorliegt, ist zweifelhaft. Dr. G. hat zwar am 9. Mai 2000 einen Tinnitus im linken Ohr festgestellt. Gegenüber Dr. R. hat der Kläger bei der weitergehenden Behandlung hingegen über ein gelegentliches Pfeifen im rechten Ohr geklagt. Bei der Begutachtung durch Prof. Dr. B./Dr. R. wird ein Ohrpfeifen nicht mehr erwähnt.

Ob der Kläger tatsächlich an einem gelegentlichen Ohrpfeifen leidet, kann allerdings dahingestellt bleiben. Denn nach den Erfahrungswerten bedingt ein ständig vorhandener Tinnitus nur eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 v. H ... Gelegentliche Ohrgeräusche ergeben demgegenüber keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., J 009).

d.

Ein posttraumatisches chronisches hirnorganisches Psychosyndrom ist nicht nachgewiesen und führt daher auch nicht zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit. Dr. H. hält ein Psychosyndrom aufgrund der in der psychologischen Untersuchung festgestellten Defizite des Klägers im Kombinations-Abstraktionsvermögen sowie im sprachlogischen Denken für naheliegend. Damit ist aber der Vollbeweis dieser Erkrankung nicht erbracht. Denn der Vollbeweis setzt eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Erkrankung voraus.

Dr. B. hat die bei ihrer psychologischen Untersuchung des Klägers festgestellten Defizite im flexiblen Denken, im Kombinieren und Abstrahieren und im sprachlogischen Denken auf die Minderbegabung des Klägers zurück geführt. Sie sieht die Unfallfolgen nicht als ursächlich für das Schulversagen. Dem folgt der Senat. Denn der Kläger erfasste nach Auskunft der Lehrer auch schon vor dem Unfall neuen Lehrstoff langsam, konnte sich neue Inhalte nur kurzzeitig merken, verstand abstrakte Probleme/Begriffe kaum, verstand im Deutschunterricht kaum, was er las, war in der Textanalyse mangelhaft, konnte die Grundrechenarten mit leichten Schwächen, war im Kopfrechnen unsicher, hatte im Erfassen logischer Zusammenhänge bei Textaufgaben große Schwierigkeiten, kam mit geometrischen Formen nicht zurecht, konnte die Formen schlecht erfassen und längere Rechenoperationen gelangen ihm kaum. Eine entsprechende Einschätzung haben die Lehrer für die Zeit nach dem Unfall abgegeben. Hieran wird deutlich, dass die in der psychologischen Untersuchung festgestellten Befunde nicht ursächlich auf den Unfall zurück zu führen sind. Bei einem IQ von 76 ist eine Leistungsminderung des Klägers durchaus zu erwarten. Die Lernschwierigkeiten des Klägers sind daher auch nicht Ausdruck eines posttraumatischen Psychosyndroms, sondern eher anlagebedingt. Hierauf hat auch Dr. G. hingewiesen.

3.

Eine Verschlimmerung der unfallbedingten Gesundheitsschäden des Klägers seit der Begutachtung durch Dr. B./Dr. R. am 10. Dezember 2001 ist nicht nachgewiesen. Der Kläger hat sich zur Verschlechterung seines Zustands auf die Auskunft von Dr. S. und Dr. S. berufen. Dr. S. hat unter dem 22. Dezember 2009 mitgeteilt, dass der Kläger nicht in seiner Behandlung gewesen sei. Dr. S. hat angegeben, der Kläger sei bei ihm wegen des Schulunfalls nicht in Behandlung gewesen. Auch die weiteren Befundberichte behandelnder Ärzte haben keine unfallbedingte Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers ergeben. Der Facharzt für HNO-Heilkunde Prof. Dr. L. hat in seinem Befundbericht vom 4. Mai 2009 angegeben, den Kläger aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 16. August 2007 wegen einer Nasenbeinfraktur behandelt zu haben. Dabei hat es sich allerdings um eine Personenverwechslung gehandelt, wie sich aus der Auswertung der Unfallakte der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft ergibt. Zu Gleichgewichtsstörungen des Klägers hat er keinen Befund erhoben. Frau Dr. G. hatte der Kläger nach dem 12. Oktober 2000 nicht erneut aufgesucht. Bei Dipl.-Med. P. war der Kläger lediglich am 15. Juni 1999 und 3. November 2000 wegen des Schulunfalls in Behandlung.

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit liegt nach alledem unter 20 v. H ...

4.

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit erreicht infolge mehrerer Versicherungsfälle zusammengerechnet keinen Grad um 20 v. H ... Der Kläger hat zwar mehrere Arbeitsunfälle erlitten. Keiner von diesen bedingt aber eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 v. H., was Voraussetzung der Zusammenrechnung in Hinsicht auf eine Stützrentenzahlung ist. Daher hat der Klägerin im vorliegenden Fall keinen Anspruch auf die Gewährung einer sogenannten Stützrente mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 10 v. H ...

Die Kostenfolge beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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