Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 1226/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 3968/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 29. Juli 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger wegen des Arbeitsunfalls vom 26.06.2008 Verletztenrente zusteht.
Der 1946 geborene Kläger schnitt sich am 26.06.2008 beim Arbeiten mit einem Winkelschleifer in den linken Daumen. Am Unfalltag erfolgte unter der Diagnose: Schnittwunde mit Streckverletzung linker Daumen eine Strecksehnenrekonstruktion und die Ruhigstellung mit Daumen- und Unterarmkunststoffschiene (Bericht von Dr. H. vom 14.08.2008). Arbeitsfähigkeit trat am 01.09.2008 wieder ein (Mitteilung von Dr. H. vom 22.08.2008).
Wegen Schmerzen und Kältegefühl am linken Daumen stellte der Klägers sich am 15.12.2008 erneut bei Dr. H. vor, der eine ambulante Behandlung über die Berufsgenossenschaftliche Klinik T. (BG-Klinik) empfahl (Nachschaubericht von Dr. H. vom 15.12.2008). Die BG-Klinik diagnostizierte am 26.01.2009 eine ausgeprägte Bewegungseinschränkung des linken Daumens und sah eine stationäre Behandlung indiziert (Zwischenbericht vom 26.01.2009). Vom 02.02.2009 bis 20.02.2009 wurde der Kläger stationär in der BG-Klinik behandelt. Nach intensiver Krankengymnastik und Ergotherapie wurde der Kläger bei guter Beweglichkeitszunahme des linken Daumen sowie Verminderung der Schmerzhaftigkeit und Zunahme der Kraft in der linken Hand mit Arbeitsfähigkeit ab 23.02.2009 entlassen (Entlassungsbericht der BG-Klinik vom 18.02.2009). Die Berufsgenossenschaft Metall N. S., eine Rechtsvorgängerin der Beklagten (im folgenden Beklagte), veranlasste nach fortbestehenden Beschwerden des Klägers eine handchirurgische Untersuchung. Prof. Dr. S. kam in seinem Untersuchungsbericht mit fachärztlicher Stellungnahme vom 11.09.2009 zu dem Ergebnis, eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Ausmaße bestehe nicht. Beim Kläger liege am linken Daumen eine reizlose Narbe ohne Anhalt für eine Infektion oder ein Hämatom vor. Anzeichen einer Dystrophie bestünden nicht. Im Bericht der interdisziplinären Schmerztherapie vom 16.10.2009 wurde die Schmerzdiagnose eines Mixed Pain mit führender neuropathischer Schmerzkomponente des linken Daumens bei leicht eingeschränkter Daumenbeweglichkeit angegeben.
Mit Bescheid vom 11.01.2010 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente ab. Der Unfall habe keine MdE um mindestens 20 v.H. verursacht. Unfallbedingt bestehe eine endgradige Bewegungseinschränkung des Daumens und Schmerzen im Bereich des Daumens streckseitig nach Flexverletzung mit Durchtrennung der Strecksehne. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 09.03.2010 zurückgewiesen.
Hiergegen erhob der Kläger am 07.04.2010 beim Sozialgericht Ulm Klage und verwies auf die Kernspintomographie des linken Daumens vom 09.06.2010, wonach eine deutliche Arthrose im Daumengelenk und geringer ausgeprägt im Grundgelenk bestehe (Befundbericht von Dr. O. vom 10.06.2010).
Mit Urteil vom 29.07.2010 wies das Sozialgericht die Klage ab. Nach den Erfahrungswerten der unfallmedizinischen Literatur bedinge ein vollständiger Verlust des Daumens eine MdE um 20 v.H. Beim Kläger lägen mit einer lediglich eingeschränkten Beweglichkeit des unfallverletzten Daumens deutlich bessere Verhältnisse vor, eine Vergleichbarkeit mit dem vollständigen Verlust eines Daumens sei nicht gegeben.
Gegen das Urteil hat der Kläger am 20.08.2010 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung führt der Kläger aus, er sei nicht in der Lage, die linke Hand zu gebrauchen. Sein linker Daumen sei ständig mit einem Salbenverband bandagiert. Die Schmerzen strahlten in den gesamten Arm aus. Die Tatsache, dass der Daumen lediglich leicht eingeschränkt beweglich sei, sei nicht aussagekräftig, da er gleichwohl unter starken Schmerzen leide.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 29.07.2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11.01.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.03.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtenen Bescheide und das Urteil des Sozialgerichts.
Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 01.04.2011 haben die Beteiligten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und die vor dem Senat angefallene Akte wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthaft und auch im übrigen zulässig.
Die Berufung ist aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Urteil zutreffend die Klage abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Unfalls vom 26.06.2008.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern (§ 56 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII ). Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger die Rente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann (§ 62 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung kann der Vomhundertsatz der MdE abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben (§ 62 Abs. 2 SGB VII). Die Bemessung der MdE nach § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII ist eine Tatsachenfeststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG SozR 4 2700 § 56 Nr. 2; BSG SozR 3 2200 § 581 Nr. 8, S 36 mwN). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3 2200 § 581 Nr. 5). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG SozR 3 2200 § 581 Nr. 8).
Neben diesen auf tatsächlichem Gebiet liegenden Umständen für die Bemessung der MdE sind aus der gesetzlichen Definition der MdE sowie den Grundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung fließende rechtliche Vorgaben zu beachten (BSG, Urt. v. 05.09.2006 B 2 U 25/05 R = SozR 4-2700 § 56 Nr. 2). Bestanden bei dem Versicherten vor dem Versicherungsfall bereits gesundheitliche, auch altersbedingte Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit (sog Vorschäden), werden diese nach der ständigen Rechtsprechung des BSG und der einhelligen Auffassung in der Literatur für die Bemessung der MdE berücksichtigt, wenn die Folgen des Versicherungsfalles durch die Vorschäden beeinflusst werden. Denn Versicherte unterliegen mit ihrem individuellen Gesundheitszustand vor Eintritt des Versicherungsfalls dem Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung (BSG, Urt. v. 05.09.2006, a.a.O. m.H.a.: BSGE 63, 207, 211, 212 = SozR 2200 § 581 Nr 28). Dies verlangt § 56 Abs. 2 Satz 1 iVm Abs. 1 Satz 1 SGB VII, wonach die "infolge" des Versicherungsfalls eingetretene Beeinträchtigung des Leistungsvermögens und die dadurch verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens maßgeblich sind.
Nach diesen Grundsätzen liegen ab dem 01.09.2008 keine Unfallfolgen mehr vor, die eine MdE um 20 v.H. rechtfertigen. Dies entnimmt der Senat ebenso wie das Sozialgericht den im Verwaltungsverfahren von der Beklagten beigezogenen ärztlichen Befundberichten, wonach die Verletzung mit Durchtrennung der Strecksehne am linken Daumen folgenlos ausgeheilt ist. Die gutachtliche Äußerung von Prof. Dr. S. vom 11.09.2009 und die Stellungnahme der interdisziplinären Schmerztherapie der BG-Klinik vom 16.10.2009 haben funktionell auch keine wesentlichen Beeinträchtigungen ergeben. Beim Kläger liegt lediglich eine endgradige Bewegungseinschränkung am linken Daumen vor, die nach den Erfahrungswerten der unfallmedizinischen Literatur keine MdE um mindestens 10 v.H. begründet. Hierauf hat bereits das Sozialgericht in seinem Urteil zutreffend hingewiesen, weshalb der Senat nach eigener Prüfung darauf Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG). Die vom Kläger geltend gemachten Schmerzen rechtfertigen keine höhere MdE. Anhaltspunkte für eine gravierende, schmerzbedingte Funktionsbeeinträchtigung sind den erhobenen ärztlichen Befunden nicht zu entnehmen. Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. S. fand sich eine reizlose Narbe an der Streckseite des linken Daumens. Schmerzbedingte Schonungszeichen lagen nicht vor. Eine Dystrophie bestand nicht, Hautkolorit, Trophik und Beschwielung sowie Schweißneigung waren seitengleich. Für die vom Kläger bei der Untersuchung angegebene große Schmerzempfindlichkeit bereits bei Berührung des Daumens oder der Hand ergab sich unter Ablenkung durch den Untersucher keine Bestätigung, wie in der ärztlichen Stellungnahme vom 11.09.2009 mitgeteilt wird. Diese Beobachtung deckt sich mit dem beschriebenen Befund fehlender Schonungszeichen am Daumen und an der linken Hand. Der Bericht der Schmerzambulanz der BG-Klinik vom 16.10.2009 enthält teilweise widersprüchliche Befunde, da einerseits eine leichte Schwellung des Daumens dorsal bei sonst fehlenden Dystrophiezeichen und andererseits bei der symptomorientierten Untersuchung die linke Hand als verschmächtigt angegeben wird. Dies mag dahinstehen, da auch hieraus sich keine Einschränkungen ergeben, die eine MdE um 20 v.H. begründen würde.
Dass in Abweichung von den MdE-Erfahrungswerten, die grundsätzlich die Verhältnisse für eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit abbilden, vorübergehend unter dem Gesichtspunkt der Anpassung und Gewöhnung von einer MdE um 20 v.H. bis zum Ende der stationären Behandlung im Februar 2009 in der BG-Klinik auszugehen ist, war nicht zur sicheren Überzeugung des Senats festzustellen. Bei der Untersuchung in der BG-Klinik am 26.01.2009 war der Kläger als deutlich schmerzgeplagter Patient mit starker Bewegungseinschränkung am linken Daumen aufgefallen (Bericht vom 26.01.2009), was aber mit dem nur wenige Wochen zuvor am 15.12.2008 von Dr. H. erhobenen Befund nicht zu vereinbaren ist. Es bestand damals eine volle Streckfähigkeit am linken Daumen. Eine diffuse hochgradige Druckempfindlichkeit war angegeben worden, aber ohne jegliche Rötung und ohne jegliche Schwellung. Röntgenologisch ergab sich eine regelrechte Darstellung der Gelenkstrukturen mit regelrechtem Kalksalzgehalt und ohne Hinweis auf eine knöcherne Verletzung (Nachschaubericht von Dr. H. vom 15.12.2008). Nach Ende der stationären Behandlung am 20.02.2009 war eine Bewegungszunahme und eine deutliche Schmerzminderung eingetreten (Entlassungsbericht der BG-Klinik vom 18.02.2009), weshalb allenfalls eine nur kurzfristige Verschlechterung bei ansonsten stabilem Unfallfolgezustand naheliegt.
Die vom Kläger im Erörterungstermin am 01.04.2011 geltend gemachte Ausweitung der Schmerzen vom Handgelenk bis in den Unterarm gab keine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen. Eine vergleichbare Schmerzausstrahlung hatte der Kläger bereits bei der Untersuchung am 15.10.2009 in der Schmerzambulanz der BG-Klinik vorgetragen, die von psychologischer Seite keinen Handlungsbedarf gesehen hatte (Bericht der interdisziplinären Schmerztherapie vom 16.10.2009). Neue ärztliche Befunde hat der Kläger nicht vorgelegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger wegen des Arbeitsunfalls vom 26.06.2008 Verletztenrente zusteht.
Der 1946 geborene Kläger schnitt sich am 26.06.2008 beim Arbeiten mit einem Winkelschleifer in den linken Daumen. Am Unfalltag erfolgte unter der Diagnose: Schnittwunde mit Streckverletzung linker Daumen eine Strecksehnenrekonstruktion und die Ruhigstellung mit Daumen- und Unterarmkunststoffschiene (Bericht von Dr. H. vom 14.08.2008). Arbeitsfähigkeit trat am 01.09.2008 wieder ein (Mitteilung von Dr. H. vom 22.08.2008).
Wegen Schmerzen und Kältegefühl am linken Daumen stellte der Klägers sich am 15.12.2008 erneut bei Dr. H. vor, der eine ambulante Behandlung über die Berufsgenossenschaftliche Klinik T. (BG-Klinik) empfahl (Nachschaubericht von Dr. H. vom 15.12.2008). Die BG-Klinik diagnostizierte am 26.01.2009 eine ausgeprägte Bewegungseinschränkung des linken Daumens und sah eine stationäre Behandlung indiziert (Zwischenbericht vom 26.01.2009). Vom 02.02.2009 bis 20.02.2009 wurde der Kläger stationär in der BG-Klinik behandelt. Nach intensiver Krankengymnastik und Ergotherapie wurde der Kläger bei guter Beweglichkeitszunahme des linken Daumen sowie Verminderung der Schmerzhaftigkeit und Zunahme der Kraft in der linken Hand mit Arbeitsfähigkeit ab 23.02.2009 entlassen (Entlassungsbericht der BG-Klinik vom 18.02.2009). Die Berufsgenossenschaft Metall N. S., eine Rechtsvorgängerin der Beklagten (im folgenden Beklagte), veranlasste nach fortbestehenden Beschwerden des Klägers eine handchirurgische Untersuchung. Prof. Dr. S. kam in seinem Untersuchungsbericht mit fachärztlicher Stellungnahme vom 11.09.2009 zu dem Ergebnis, eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Ausmaße bestehe nicht. Beim Kläger liege am linken Daumen eine reizlose Narbe ohne Anhalt für eine Infektion oder ein Hämatom vor. Anzeichen einer Dystrophie bestünden nicht. Im Bericht der interdisziplinären Schmerztherapie vom 16.10.2009 wurde die Schmerzdiagnose eines Mixed Pain mit führender neuropathischer Schmerzkomponente des linken Daumens bei leicht eingeschränkter Daumenbeweglichkeit angegeben.
Mit Bescheid vom 11.01.2010 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente ab. Der Unfall habe keine MdE um mindestens 20 v.H. verursacht. Unfallbedingt bestehe eine endgradige Bewegungseinschränkung des Daumens und Schmerzen im Bereich des Daumens streckseitig nach Flexverletzung mit Durchtrennung der Strecksehne. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 09.03.2010 zurückgewiesen.
Hiergegen erhob der Kläger am 07.04.2010 beim Sozialgericht Ulm Klage und verwies auf die Kernspintomographie des linken Daumens vom 09.06.2010, wonach eine deutliche Arthrose im Daumengelenk und geringer ausgeprägt im Grundgelenk bestehe (Befundbericht von Dr. O. vom 10.06.2010).
Mit Urteil vom 29.07.2010 wies das Sozialgericht die Klage ab. Nach den Erfahrungswerten der unfallmedizinischen Literatur bedinge ein vollständiger Verlust des Daumens eine MdE um 20 v.H. Beim Kläger lägen mit einer lediglich eingeschränkten Beweglichkeit des unfallverletzten Daumens deutlich bessere Verhältnisse vor, eine Vergleichbarkeit mit dem vollständigen Verlust eines Daumens sei nicht gegeben.
Gegen das Urteil hat der Kläger am 20.08.2010 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung führt der Kläger aus, er sei nicht in der Lage, die linke Hand zu gebrauchen. Sein linker Daumen sei ständig mit einem Salbenverband bandagiert. Die Schmerzen strahlten in den gesamten Arm aus. Die Tatsache, dass der Daumen lediglich leicht eingeschränkt beweglich sei, sei nicht aussagekräftig, da er gleichwohl unter starken Schmerzen leide.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 29.07.2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11.01.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.03.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtenen Bescheide und das Urteil des Sozialgerichts.
Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 01.04.2011 haben die Beteiligten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und die vor dem Senat angefallene Akte wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthaft und auch im übrigen zulässig.
Die Berufung ist aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Urteil zutreffend die Klage abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Unfalls vom 26.06.2008.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern (§ 56 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII ). Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger die Rente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann (§ 62 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung kann der Vomhundertsatz der MdE abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben (§ 62 Abs. 2 SGB VII). Die Bemessung der MdE nach § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII ist eine Tatsachenfeststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG SozR 4 2700 § 56 Nr. 2; BSG SozR 3 2200 § 581 Nr. 8, S 36 mwN). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3 2200 § 581 Nr. 5). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG SozR 3 2200 § 581 Nr. 8).
Neben diesen auf tatsächlichem Gebiet liegenden Umständen für die Bemessung der MdE sind aus der gesetzlichen Definition der MdE sowie den Grundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung fließende rechtliche Vorgaben zu beachten (BSG, Urt. v. 05.09.2006 B 2 U 25/05 R = SozR 4-2700 § 56 Nr. 2). Bestanden bei dem Versicherten vor dem Versicherungsfall bereits gesundheitliche, auch altersbedingte Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit (sog Vorschäden), werden diese nach der ständigen Rechtsprechung des BSG und der einhelligen Auffassung in der Literatur für die Bemessung der MdE berücksichtigt, wenn die Folgen des Versicherungsfalles durch die Vorschäden beeinflusst werden. Denn Versicherte unterliegen mit ihrem individuellen Gesundheitszustand vor Eintritt des Versicherungsfalls dem Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung (BSG, Urt. v. 05.09.2006, a.a.O. m.H.a.: BSGE 63, 207, 211, 212 = SozR 2200 § 581 Nr 28). Dies verlangt § 56 Abs. 2 Satz 1 iVm Abs. 1 Satz 1 SGB VII, wonach die "infolge" des Versicherungsfalls eingetretene Beeinträchtigung des Leistungsvermögens und die dadurch verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens maßgeblich sind.
Nach diesen Grundsätzen liegen ab dem 01.09.2008 keine Unfallfolgen mehr vor, die eine MdE um 20 v.H. rechtfertigen. Dies entnimmt der Senat ebenso wie das Sozialgericht den im Verwaltungsverfahren von der Beklagten beigezogenen ärztlichen Befundberichten, wonach die Verletzung mit Durchtrennung der Strecksehne am linken Daumen folgenlos ausgeheilt ist. Die gutachtliche Äußerung von Prof. Dr. S. vom 11.09.2009 und die Stellungnahme der interdisziplinären Schmerztherapie der BG-Klinik vom 16.10.2009 haben funktionell auch keine wesentlichen Beeinträchtigungen ergeben. Beim Kläger liegt lediglich eine endgradige Bewegungseinschränkung am linken Daumen vor, die nach den Erfahrungswerten der unfallmedizinischen Literatur keine MdE um mindestens 10 v.H. begründet. Hierauf hat bereits das Sozialgericht in seinem Urteil zutreffend hingewiesen, weshalb der Senat nach eigener Prüfung darauf Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG). Die vom Kläger geltend gemachten Schmerzen rechtfertigen keine höhere MdE. Anhaltspunkte für eine gravierende, schmerzbedingte Funktionsbeeinträchtigung sind den erhobenen ärztlichen Befunden nicht zu entnehmen. Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. S. fand sich eine reizlose Narbe an der Streckseite des linken Daumens. Schmerzbedingte Schonungszeichen lagen nicht vor. Eine Dystrophie bestand nicht, Hautkolorit, Trophik und Beschwielung sowie Schweißneigung waren seitengleich. Für die vom Kläger bei der Untersuchung angegebene große Schmerzempfindlichkeit bereits bei Berührung des Daumens oder der Hand ergab sich unter Ablenkung durch den Untersucher keine Bestätigung, wie in der ärztlichen Stellungnahme vom 11.09.2009 mitgeteilt wird. Diese Beobachtung deckt sich mit dem beschriebenen Befund fehlender Schonungszeichen am Daumen und an der linken Hand. Der Bericht der Schmerzambulanz der BG-Klinik vom 16.10.2009 enthält teilweise widersprüchliche Befunde, da einerseits eine leichte Schwellung des Daumens dorsal bei sonst fehlenden Dystrophiezeichen und andererseits bei der symptomorientierten Untersuchung die linke Hand als verschmächtigt angegeben wird. Dies mag dahinstehen, da auch hieraus sich keine Einschränkungen ergeben, die eine MdE um 20 v.H. begründen würde.
Dass in Abweichung von den MdE-Erfahrungswerten, die grundsätzlich die Verhältnisse für eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit abbilden, vorübergehend unter dem Gesichtspunkt der Anpassung und Gewöhnung von einer MdE um 20 v.H. bis zum Ende der stationären Behandlung im Februar 2009 in der BG-Klinik auszugehen ist, war nicht zur sicheren Überzeugung des Senats festzustellen. Bei der Untersuchung in der BG-Klinik am 26.01.2009 war der Kläger als deutlich schmerzgeplagter Patient mit starker Bewegungseinschränkung am linken Daumen aufgefallen (Bericht vom 26.01.2009), was aber mit dem nur wenige Wochen zuvor am 15.12.2008 von Dr. H. erhobenen Befund nicht zu vereinbaren ist. Es bestand damals eine volle Streckfähigkeit am linken Daumen. Eine diffuse hochgradige Druckempfindlichkeit war angegeben worden, aber ohne jegliche Rötung und ohne jegliche Schwellung. Röntgenologisch ergab sich eine regelrechte Darstellung der Gelenkstrukturen mit regelrechtem Kalksalzgehalt und ohne Hinweis auf eine knöcherne Verletzung (Nachschaubericht von Dr. H. vom 15.12.2008). Nach Ende der stationären Behandlung am 20.02.2009 war eine Bewegungszunahme und eine deutliche Schmerzminderung eingetreten (Entlassungsbericht der BG-Klinik vom 18.02.2009), weshalb allenfalls eine nur kurzfristige Verschlechterung bei ansonsten stabilem Unfallfolgezustand naheliegt.
Die vom Kläger im Erörterungstermin am 01.04.2011 geltend gemachte Ausweitung der Schmerzen vom Handgelenk bis in den Unterarm gab keine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen. Eine vergleichbare Schmerzausstrahlung hatte der Kläger bereits bei der Untersuchung am 15.10.2009 in der Schmerzambulanz der BG-Klinik vorgetragen, die von psychologischer Seite keinen Handlungsbedarf gesehen hatte (Bericht der interdisziplinären Schmerztherapie vom 16.10.2009). Neue ärztliche Befunde hat der Kläger nicht vorgelegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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