L 20 AY 13/11 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 12 AY 232/10
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 AY 13/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Kläger zu 1) und 2) wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 13.1.2011 geändert. Den Klägern zu 1) und 2) wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Münster - S 12 AY 232/10 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S, I beigeordnet. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

In der Hauptsache begehren die Kläger eine höhere Nachzahlung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Der am 00.00.1955 geborene Kläger zu 1) ist verheiratet mit der am 00.00.1953 geborenen Klägerin zu 2). Aus der Ehe gingen die am 00.00.1980 geborene Klägerin zu 3) und der am 00.00.1976 geborene Kläger zu 4) hervor. Die Kläger reisten im Jahr 1999 aus dem ehemaligen Jugoslawien (Kosovo) in das Bundesgebiet ein. Sie hielten sich danach durchgängig hier auf und erhielten Leistungen nach § 3 AsylbLG.

Am 16.12.2009 beantragten die Kläger unter Bezugnahme auf die Vorschrift des § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) die Rücknahme früherer Leistungsbescheide der Beklagten für den Zeitraum der vergangenen vier Jahre, die Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG und die Nachzahlung der für diesen Zeitraum nicht in voller Höhe gewährten Leistungen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit mit jeweils gleichlautenden Bescheiden vom 28.1.2010 gegenüber den Klägern ab. Diese hätten zwar länger als 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen. Leistungen nach § 2 AsylbLG kämen jedoch nicht in Betracht, weil sie die Dauer ihres Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich beeinflusst hätten. Nach Mitteilung des Ausländeramtes hätten sie dessen Aufforderung, freiwillig auszureisen, nicht Folge geleistet. Die Widersprüche der Kläger blieben erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 1.4.2010).

Mit ihrer dagegen am 13.4.2010 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Am 9.6.2010 haben sie einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten gestellt. Diesem Antrag ist ein Bescheid der Beklagten vom 7.6.2010 beigefügt gewesen, in dem diese den Klägern zu 1) und 2) für den Zeitraum ab dem 1.6.2010 bis auf weiteres laufende Leistungen nach dem AsylbLG bewilligt hatte.

Dem Antrag des Klägers zu 4) hat das Sozialgericht stattgegeben (Beschluss vom 22.11.2010). Die Klägerin zu 3) hat ihren Antrag nach Überprüfung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zurückgenommen.

Die Kläger zu 1) und 2) reisten am 27.6.2010 aus der Bundesrepublik aus und übersiedelten wieder in den Kosovo (Serbien), wo sie seitdem bei Verwandten und zum Teil von deren geringen Zuwendungen und den Zuwendungen der Klägerin zu 3) leben.

Die Klägerin zu 3) teilte in diesem Zusammenhang mit, sie unterstütze ihre Eltern mit ca. 200,00 bis 300,00 EUR monatlich, da diese noch nicht gemeldet seien und dementsprechend keinerlei Unterstützung vom Staat bekämen.

In der Sache tragen die Kläger zur Begründung der Klage vor, sie hätten die Dauer ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst. Es sei durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) geklärt, dass gerade bei Roma aus dem Kosovo in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum eine freiwillige Ausreise - unabhängig von ihrer faktischen Möglichkeit - jedenfalls nicht zumutbar gewesen sei. Die Aufhebung des generellen Abschiebestopps für Roma aus dem Kosovo, der in der Unzumutbarkeit der Abschiebung gerade seinen Grund gehabt habe, sei erst kürzlich erfolgt.

Die Beklagte hat demgegenüber ergänzend zu den Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden eingewandt, die Klägerin zu 2) habe bei einer Zeugenvernehmung im Jahr 2006 angegeben, dass die gesamte Familie unter falschen Angaben nach Deutschland eingereist sei und man die Passpapiere versteckt habe. Damit habe die Familie aktiv an einer rechtsmissbräuchlichen Aufenthaltsverlängerung mitgewirkt.

Mit Beschluss vom 13.1.2011 hat das Sozialgericht die Anträge der Kläger zu 1) und 2) auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie Beiordnung ihres Bevollmächtigten abgelehnt. Es fehle an hinreichenden Erfolgsaussichten für die Rechtsverfolgung. Die Kläger zu 1) und 2) hätten schon deshalb keinen Anspruch mehr auf die rückwirkende Gewährung höherer Leistungen gemäß § 44 SGB X i.V.m. mit § 2 AsylbLG, weil sie sich seit dem 26.6.2010 nicht mehr im Bundesgebiet aufhielten. Leistungsansprüche nach dem AsylbLG bestünden gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 erster Halbsatz AsylbLG unter anderem nur für die Dauer des tatsächlichen Aufenthaltes im Bundesgebiet. Dies sei zwar für den zur Überprüfung stehenden Zeitraum, jedoch inzwischen nicht mehr der Fall. Ihnen gleichwohl noch Leistungen nach dem AsylbLG zu gewähren, würde dem in § 1 AsylbLG zum Ausdruck kommenden Territorialitätsprinzip ebenso widersprechen wie dem in § 30 Abs. 1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) zum Ausdruck gekommenen Territorialitätsprinzip für Sozialleistungen im Allgemeinen. Dies gelte gerade deshalb, weil die Rechtsprechung des BSG für den Fall der nachträglichen Gewährung von Leistungen, die bereits bestandskräftig abgeschlossene Zeiträume betreffen, voraussetze, dass der Bedarf für diese Leistungen weiterhin jedenfalls bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in einer Tatsacheninstanz bestehe. Es könne aber schlechterdings kein gegenwärtiger Bedarf an Sozialleistungen bestehen, die für ein Leben in der Bundesrepublik Deutschland bestimmt seien, wenn der Ausländer sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalte. Prozesskostenhilfe wäre nur dann zu bewilligen, wenn sich die Kläger zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrages noch im Bundesgebiet aufgehalten hätten. Dies sei jedoch nicht der Fall, da der Prozesskostenhilfeantrag erst am 9.6.2010 gestellt worden sei. Hierzu hätte der Beklagten zunächst gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden müssen. Die Kläger seien jedoch schon vor Ablauf der der Beklagten mit gerichtlichem Schreiben vom 10.6.2010 eingeräumten Stellungnahmefrist von drei Wochen ausgereist. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob die Kläger aufgrund ihrer derzeitigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage seien, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.

Hiergegen richtet sich die am 18.1.2011 erhobene Beschwerde, mit der die Kläger zu 1) und 2) geltend machen, sie seien im Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bedürftig gewesen und seien dies auch immer noch. Finanzielle Unterstützung erhielten sie lediglich von ihren Kindern in Deutschland. Somit könne durch die nachträglich zu gewährenden Leistungen nach wie vor eine Notlage behoben werden. Dies könne nicht davon abhängig sein, ob Betroffene irgendwann nach Klageerhebung die Bundesrepublik Deutschland verlassen müssten. Eine solche Auffassung wäre mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar. Immerhin seien ihnen für zurückliegende Zeiträume rechtswidrig Leistungen vorenthalten worden, die ihnen bei rechtzeitiger Gewährung geholfen hätten, die Notlage zu vermeiden. Im Übrigen sei schon bei Stellung des Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe Entscheidungsreife gegeben gewesen. Es sei offenkundig gewesen, dass die völlig mittellosen Kläger durch die Ausreise nach Serbien kein Einkommen erzielen würden.

Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Prozesskostenhilfe wird nach § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO gewährt, wenn der Betroffene nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dies gilt auch für Ausländer, die wie die Kläger zu 1) und 2) im Ausland leben und den Prozess von dort aus führen (vgl. Schuster/Streinz, Probleme der Prozesskostenhilfe für im Ausland wohnende Ausländer, SGb 1988, 534 ff.). Besonderheiten, die sich aus dem Aufenthalt der Kläger im Ausland ergeben, sind lediglich auf der Ebene der Bedürftigkeitsprüfung zu berücksichtigen.

Maßgebend für die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist grundsätzlich der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, ausnahmsweise auch ein früherer Zeitpunkt, der aber nicht vor dem Zeitpunkt der Einreichung des vollständigen Antrages liegen kann (vgl. dazu Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe Beratungshilfe, 5. Auflage 2010, Rn. 501 ff.; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 12.1.2011 - L 20 AY 145/10 B, 28.12.2010 - L 19 AS 1954/10 B und vom 4.3.2010 - L 6 B 158/09 AS).

Selbst wenn man dem Sozialgericht folgend hier davon ausgeht, dass für die Prüfung der Voraussetzungen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe von einem Zeitpunkt nach der Ausreise der Kläger zu 1) und 2) auszugehen ist, liegen die genannten Voraussetzungen vor.

Hinreichende Erfolgsaussichten können der Rechtsverfolgung nicht von vornherein abgesprochen werden.

Sofern es um die Frage geht, ob die Kläger zu 1) und 2) ab dem Jahr 2005 dem Grunde nach die Voraussetzungen des § 2 AsylbLG erfüllten, bedarf es zur abschließenden Klärung, ob sie ihren Aufenthalt durch falsche Angaben zu ihren Personalien bzw. ihrer Herkunft rechtsmissbräuchlich verlängert haben, weiterer Ermittlungen. Vor diesem Hintergrund hat das Sozialgericht offenbar auch dem Kläger zu 4) zwischenzeitlich Prozesskostenhilfe bewilligt.

Desweiteren sind hinreichende Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung auch nicht deswegen zu verneinen, weil die Kläger zu 1) und 2) nach der Klageerhebung aus dem Bundesgebiet ausgereist sind und deswegen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 AsylbLG seit Ende Juni 2010 nicht mehr vorliegen. Es spricht zwar einiges für die in dem angefochtenen Beschluss geäußerte Rechtsauffassung des Sozialgerichts, wonach die Leistungen nach AsylbLG als solches, jedenfalls aber wenn es sich um Nachzahlungsansprüche aus einem Überprüfungsverfahren handelt, nicht "exportierbar" sein sollen. Es handelt sich insoweit jedoch um eine nicht einfache Rechtsfrage, zu der es bisher weder (gefestigte) Rechtsprechung der Instanzen geschweige denn höchstrichterliche Rechtsprechung des BSG bzw. des Bundesverwaltungsgerichts gibt. Insbesondere aus der Entscheidung des BSG vom 19.9.2009 (B 8 SO 16/08 R), deren Grundsätze auf die Rechtslage nach dem AsylbLG übertragbar sein dürften, lassen sich keine Rückschlüsse dahingehend ziehen, dass es einem Bedarfswegfall gleichkommt, wenn man den Geltungsbereich des Gesetzes verlässt.

Vor diesem Hintergrund ist die Rechtsverfolgung auch nicht mutwillig.

Nachdem die Kläger zu 1) und 2) (nochmals) das Formular zur Erklärung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht haben, sieht der Senat es als glaubhaft gemacht an, dass sie nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung selber zu tragen. Es erscheint - jedenfalls derzeit noch - nachvollziehbar, dass die Kläger zu 1) und 2) von der sächlichen Unterstützung Verwandter vor Ort und ansonsten im Wesentlichen von der finanziellen Unterstützung der Klägerin zu 3) in Höhe von monatlich etwa 200,00 bis 300,00 EUR leben. Nach den letzten verfügbaren Angaben zur Verbrauchergeldparität (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Gesichtspunktes Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 18.8.2010 - 5 WF 122/10 Rn. 12; Landgericht Potsdam, Beschluss vom 26.11.2003 - 633/03 sowie im Übrigen zur Anpassung bei der Prüfung der wirtschaftlichen Voraus-setzungen Schuster/Streinz a.a.O.) des Statistischen Bundesamtes (abrufbar unter: www.genesis.destatis.de) ist die Kaufkraft von 1,00 EUR in Serbien um den Faktor von etwa 1,2 erhöht. Vor diesem Hintergrund kommt unter Zugrundelegung der Angaben der Klägerin zu 3), sie unterstütze ihre Eltern mit einem Betrag von 200,00 bis 300,00 EUR monatlich, und den Werten der Tabelle nach § 115 ZPO eine Beteiligung der Kläger zu 1) und 2) an den Kosten der Prozessführung - derzeit - nicht in Betracht.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved