S 19 AS 2423/10 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 19 AS 2423/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich mit seinem einstweiligen Rechtsschutzbegehren gegen eine Ablehnungsentscheidung der Antragsgegnerin bzgl. seines Antrags auf Übernahme von Kosten für Grabschmuck.

Der am 00.00.1950 geborene und allein stehende Antragsteller bezieht laufend Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhaltes nach dem zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Am 04.11.2009 beantragte er bei der Antragsgegnerin schriftlich die Bewilligung einer angemessenen Sonderzahlung für Grabpflege ..."und zwar aktuell für Grabschmuck anlässlich des diesjährigen Totensonntags.". Das Geld werde für die Familiengrabstätte auf dem Friedhof J benötigt, wo seine Mutter ihre letzte Ruhe gefunden habe. Die vorgenannten Ausgaben seien aus sittlichen Gründen geboten. Er wies mit seinem Antrag vorsorglich darauf hin, dass solche Art von notwendigen Ausgaben nicht in den Regelleistungen eingerechnet worden seien. Er bitte deshalb, einen angemessenen Betrag für einen Kranz kurzfristig anzuweisen.

Die Antragsgegnerin lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 16.11.2009 mit der Begründung ab, dass die beantragte Sonderleistung durch die gewährte Regelleistung i. H. v. 359,00 EUR abgedeckt werde und nach den vorliegenden Unterlagen keinen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes darstelle.

Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein und wies darauf hin, dass die Regelleistung nicht das Existenzminimum abdecke. Es sei auf den besonderen Schutz des Ewigkeitssonntags hinzuweisen. Dieser stünde unter besonderem Schutz von gesetzlichen Bestimmungen aller deutschen Bundesländer. Ferner sei auf die allgemein anerkannte Sittlichkeitspflicht im Umgang mit Verstorbenen aufmerksam zu machen. Im Übrigen gehe aus der Expertise "Regelvorschlagsberechnungvorschlag 2006" von Dr. N vom paritätischen Wohlfahrtsverband eindeutig hervor, dass Grabpflegekosten nicht im Regelsatz enthalten seien.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2009 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch des Antragstellers als unbegründet zurück. Hierzu führte sie u.a. aus, dass das SGB II den Leistungskatalog zur Sicherung des Lebensunterhaltes abschließend in den §§ 20, 21, 22 und 23 SGB II regele. § 3 Abs. 3 S. 2 SGB II schließe eindeutig eine davon abweichende Festlegung der Bedarfe aus. Individuelle Besonderheiten eines Bedarfes könnten nach dem SGB II, anders als in der früheren Regelung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), nicht berücksichtigt werden. Um besonderen unvorhersehbaren Lebens- und Bedarfssituationen zu begegnen, räume der Gesetzgeber mit dem § 23 Abs. 1 SGB II die Möglichkeit ein, im Einzelfall einen von den Regelleistungen umfassten und nach den Umständen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes als Sach- oder Geldleistung in Form eines entsprechenden Darlehens zu gewähren. Diese Regelung sei auf eng begrenzte Einzelfälle zu beschränken. Vorliegend sei eine unaufschiebbare Notlage im Sinne des § 23 Abs. 1 SGB II nicht erkennbar. Eine von der darlehensweisen Gewährung unaufschiebbarer Bedarfe abweichende weitergehende Leistungsgewährung sei nach § 23 Abs. 1 S. 4. SGB II ausgeschlossen.

Hiergegen hat der Antragsteller am 02.02.2010 Klage erhoben. Die Klage wird unter dem Aktenzeichen S 19 (8) AS 247/10 geführt.

Mit seinem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 28.10.2010 ersucht er nunmehr um eine Eilentscheidung, weil demnächst der Totensonntag "vor der Tür stehe". Er sei in die Lage zu versetzen, wenigstens in diesem Jahr seine sittliche Pflicht - wie es sich für einen anständigen Christenmenschen gehöre - zu erfüllen.

Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich sinngemäß, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, Kosten für Grabschmuck entsprechend seines Leistungsantrags vom 04.11.2009 zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abzulehnen.

Sie trägt ergänzend zu ihrem Vorbringen aus dem Widerspruchsbescheid vom 30.11.2009 vor, dass auch kein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II vorliege, da es sich bei den Kosten der Grabpflege nicht um einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarf handele. Kosten der Grabpflege würden vielmehr einen durchschnittlichen, mit der Regelleistung abgedeckten Bedarf darstellen. Ein Anordnungsanspruch sei insoweit nicht erkennbar. Ferner habe der Antragsteller einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft machen können. Aufgrund des Streitgegenstandes (Kosten der Grabpflege) sei nicht erkennbar, dass dem Antragsteller existenzielle Nachteile drohen würden, die eine sofortige gerichtliche Entscheidung erfordern. Ferner begehre er eine Entscheidung in dem vor dem Sozialgericht anhängigen Hauptsacheverfahren S 19 (8) AS 247/10, in dem die Ablehnung der Gewährung der Kosten eines Kranzes für das Grab der Mutter, die er anlässlich des Totensonntags 2009 beantragt habe, begehre. Es handele sich insoweit um eine einmalige Leistung für einen zurückliegenden Leistungszeitraum. Da die Nichtgewährung in der Vergangenheit nicht in die Gegenwart fortwirke und insoweit ein Nachholbedarf nicht gegeben sei, sei eine einstweilige Anordnung bei Leistungen vor dem Zeitpunkt des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz ausgeschlossen.

Im Hinblick auf die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin.

II.

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist statthaft, jedoch nicht begründet.

Im Hinblick auf das einstweilige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist das Verfahren nach § 86 b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einschlägig.

Gemäß § 86 b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht in der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch als einen materiellrechtlichen Anspruch auf Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung derart, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch zunehmende Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (den Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Meyer-Ladewig, SGG, § 86 b, Randnummern 27 und 29 m. w. N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Nach offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren möglich ist, ist im Wege eine Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich die Gerichte stützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005, Aktenzeichen: 1 BvR 569/05).

Sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte. Die Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes erfordert nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit (vgl. Meyer-Ladewig, a. a. O, Randnummern 16 b, 16 c ).

Der Antragsteller hat nach diesen Grundsätzen in Bezug auf seinen Antrag einen Anordnungsanspruch sowie auch einen Anordnungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht.

Nach summarischer Prüfung hat die Antragsgegnerin zu Recht die Übernahme für die Kosten eines Grabschmucks (Kranz) anlässlich des Totensonntags im Jahre 2009 abgelehnt.

Gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 SGB II umfasst die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile, Bedarfe des täglichen Lebens, sowie im vertretbaren Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Hierzu zählen auch Bedarfe für die Kosten einer Grabpflege bzw. für die Anschaffung von Grabschmuck (siehe auch Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 2. Auflage, § 20, Rdnr. 24; Behrends in Juris- Praxiskommentar - SGB II, § 20, Rdnr. 51), d. h., die insofern anfallenden Kosten sind von dem Antragsteller grundsätzlich aus der Regelleistung abzudecken.

Der Antragsteller kann sich im Hinblick auf die Übernahme der Kosten für Grabschmuck auch nicht auf eine darlehensweise Verpflichtung der Antragsgegnerin berufen, denn die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür liegen ebenfalls nicht vor. Gemäß § 23 Abs. 1 SGB II ist eine von den §§ 20, 21 SGB II abweichende Erbringung von Leistungen möglich, wenn im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes weder durch das Vermögen (§ 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II) noch auf andere Weise abgedeckt werden kann. Im Hinblick auf das Begehren des Antragstellers liegt ein unabweisbarer Bedarf aus der Sicht des Gerichts nicht vor, denn ein solcher ist nach der gesetzlichen Formulierung und bei restriktiver Auslegung nur auf das absolut Unerlässliche zu beschränken (vgl. hierzu Lang in Eicher /Spellbrink, a. a. O., § 23, Rdnrn. 24 und 32). Mit dieser gesetzlichen Bestimmung will der Gesetzgeber unvorhersehbaren Notfällen Rechnung tragen.

Der Antragsteller hat nicht dargelegt, dass die Anschaffung von Grabschmuck (hier ein Kranz) das Kriterium des absolut Unerlässlichen erfüllt. Sicherlich ist sein Anliegen, seiner Mutter am Totensonntag in angemessener Weise besonders zu gedenken, dem Gericht nachvollziehbar, hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine unvorhersehbare, ggf. existenzgefährdende Notfallsituation, die durch eine Leistungserbringung auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 SGB II aufzulösen ist. Vielmehr ist der Antragsteller darauf zu verweisen, dass durchaus alternative Möglichkeiten bestehen, z.B. günstigeren Grabschmuck als einen Kranz anzuschaffen oder einen solchen selbst, z.B. mit Tannenzweigen, Zapfen oder Ähnlichem, herzustellen.

Darüber hinaus kommt eine Leistungserbringung auch nicht nach den Vorschriften des § 21 Abs. 1 SGB II in Betracht, denn die danach zu berücksichtigenden Mehrbedarfe, umfassen Bedarfe, die nicht durch die Regelleistung abgedeckt sind und eine laufende Leistung darstellen (siehe Funk in Eicher/Spellbrink, a. a. O., § 21, Rdnr. 5). Der vorliegende Streitgegenstand ist jedoch auf eine einmalige Leistung, nämlich die Übernahme der Kosten für Grabschmuck anlässlich des Totensonntags, gerichtet. Ferner handelt es sich hierbei um einen Bedarf, der von der Regelleistung abgedeckt ist.

Darüber hinaus hat der Antragsteller auch keinen Anordnungsgrund glaubhaft machen können. Insofern trifft die Auffassung der Antragsgegnerin zu, dass sich der zugrunde liegende Streitgegenstand auf die Ablehnung des Leistungsantrags des Antragstellers vom 04.11.2009 bezieht, der auf eine einmalige Leistung für die Anschaffung von Grabschmuck bezogen auf den Totensonntag im Jahre 2009 gerichtet ist. Der Antragsteller begehrt damit eine Leistung für die Vergangenheit, deren Gewährung grundsätzlich im Rahmen einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht kommt. Ein wesentlicher Nachteil, der durch die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzuwenden wäre, kann in der Vergangenheit regelmäßig nicht mehr entstehen.

Sofern das Antragsbegehren des Antragstellers dahingehend auszulegen wäre, dass er nunmehr Leistungen für die Übernahme der Kosten für Grabschmuck anlässlich des diesjährigen Totensonntags begehrt, ist er darauf zu verweisen, dass er einen solchen Antrag bei der Antragsgegnerin bisher nicht gestellt hat. Gemäß § 37 Abs. 1 SGB II werden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nur auf Antrag erbracht. An einem solchen Antrag fehlt es hier. Insofern ist auch nicht von einer "Fortwirkung" des Antrags vom 04.11.2009 auszugehen, denn dieser ist zum einen konkretisiert auf eine Übernahme der Kosten für Grabschmuck anlässlich des Totensonntags im Jahre 2009 und zum anderen handelt es sich hierbei um eine einmalige Leistungserbringung. Mangels durchgeführten Verwaltungsverfahrens wäre bei einer solchen Auslegung des Antragsbegehrens des Antragstellers schon ein Rechtsschutzbefürfnis nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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