S 16 AY 47/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
16
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 16 AY 47/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L20 AY 67/11
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Kläger begehren Leistungen nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) anstelle der gewährten niedrigeren Leistungen nach § 3 AsylbLG.

Der 1965 geborene Kläger zu 1) ist nach eigenen Angaben albanischer Volkszugehöriger. Er und seine Ehefrau, die 19xx geborene Klägerin zu 2), gehören dem Volk der Roma an. Erstmals reisten die Eheleute mit dem gemeinsamen Kind, der 1990 geborenen Klägerin zu 3), am 25.11.1990 und erneut im August 1991 von Serbien und Montenegro nach Deutschland ein. Das weitere gemeinsame Kind, der Kläger zu 4), ist 1992 in Deutschland geboren.

Die Kläger zu 1) bis 3) stellten 1990 einen Asylantrag sowie nach ihrer erneuten Einreise im August 1991 einen Asylfolgeantrag. Hierbei gab der Kläger zu 1) jeweils an, in Lucani, in Süd-Serbien geboren worden zu sein. Dies wird bestätigt durch eine Kopie seines Personalausweises. Der Kläger zu 4) stellte erstmals 1992 einen Asylantrag. 1995 stellten die Kläger einen weiteren Asylfolgeantrag. Sämtliche Anträge wurden negativ beschieden. Die Kläger waren seither im Besitz von Duldungen.

Mit Schreiben vom 11.08.2004 informierte die Ausländerbehörde die Kläger darüber, dass ihre Abschiebung für den 24.08.2004 angesetzt sei. Die Kläger sind jedoch zum Abschiebungstermin nicht erschienen, sodass die Abschiebung nicht durchgeführt wurde und die Flüge storniert werden mussten. Die Beklagte fertigte über die weiteren Ermittlungen zum Aufenthalt der Kläger am 25.08.2004 folgenden Aktenvermerk an:

"Familie R. kam gestern nicht zum Abschiebungstermin. Bei der Überprüfung der Wohnanschrift konnte keiner der Familie angetroffen werden. An den Fenstern befanden sich keine Gardinen. Der direkte Nachbar ( ) teilte auf befragen mit, dass die Familie R. am Montag, den 23.08.2004, mit Gepäck in einem weißen Kleinbus mit Klever Kennzeichen und einem roten PKW abgereist sind."

Mit Datum vom 20.08.2004 haben die Kläger einen Asylfolgeantrag gestellt, mit dem sie unter anderem geltend machen, dass der Kläger zu 1) im Kosovo geboren sei. Der Antrag dürfte vor dem 24.08.2004 noch beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge eingegangen sein. Den Antrag lehnte das Bundesamtes mit Bescheid vom 03.11.2004 unter anderem mit der Begründung ab, dass der Vortrag des Klägers zu 1) er sei im Kosovo geboren, nachweislich falsch sei. Gegen die ablehnenden Entscheidungen waren beim Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf unter den Az: 14 K 7133/04 und 10 K 7132/04 Klageverfahren anhängig. Das VG hat die Klagen abgewiesen. In einem weiteren Klageverfahren, in dem sich die Kläger gegen die Ablehnung ihres Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wenden (Az: 7 K 4923/03) hat das VG Düsseldorf mit Urteil vom 29.06.2005 die Klage abgewiesen und zu dem Asylfolgeantrag vom 20.08.2004 folgendes ausgeführt:

"Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass gegen die Annahme der Unzumutbarkeit der Rückkehr auch spricht, dass die Kläger nicht alles ihnen Zumutbare unternommen haben, ihren Aufenthalt im Bundesgebiet zu beenden. Zumindest in der Verhinderung der für den 24. August 2004 geplanten Abschiebung durch die Stellung von Asylfolgeanträgen mit Schriftsatz vom 20. August 2004 haben sie ihren Aufenthalt vorsätzlich hinausgezögert."

Die Kläger erhielten von der Beklagten seit ihrer Einreise zunächst Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und sodann Leistungen nach § 3 AsylbLG. In der Zeit vom 15.09.2006 bis 30.04.2007 bezogen die Kläger wegen Erwerbseinkommens der Kläger zu 1) und 2) keine Leistungen. Auf ihren Antrag vom 03.05.2007 bewilligte die Beklagte sodann mit bestandskräftigen Bescheiden vom 22.05.2007, 21.06.2007, 24.07.2007 und 27.07.2007 für die Zeit von Mai bis Juli 2007 Leistungen nach § 3 AsylbLG.

Mit Bescheid vom 04.09.2007 bewilligte die Beklagte für August 2007 erneut Leistungen nach § 3 AsylbLG. Hiergegen richtet sich der Widerspruch der Kläger vom 14.09.2007 mit dem sie sich gegen die aktuelle Bewilligung sowie gegen die nicht schriftlich ergangenen Bescheide der letzen 12 Monate wenden und Leistungen nach § 2 AsylbLG begehren.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2007 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet mit der Begründung zurück, dass die Kläger sich im August 2004 der Abschiebung entzogen und dadurch ihren weiteren Aufenthalt rechtmissbräuchlich verlängert haben.

Mit weiteren Bescheiden vom 20.09.2007, 18.10.2007 und 21.11.2007 bewilligte die Beklagte für die Zeit von September 2007 bis November 2007 weiterhin Leistungen nach § 3 AsylbLG. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 13.12.2007 stellte sie die Leistungen wegen übersteigenden Einkommens ab 01.12.2007 ein

Zur Begründung ihrer am 21.12.2007 erhobenen Klage machen die Kläger über ihren Bevollmächtigten geltend, dass keine rechtsmissbräuchliche Verlängerung der Aufenthaltsdauer vorliege. Zwar hätten sie im August 2004 abgeschoben werden sollen. Sie hätten jedoch rechtzeitig einen Asylfolgeantrag gestellt mit der Folge, dass die Abschiebung nach § 71 Abs. 5 Ausländergesetz nicht hätte vollzogen werden können. Erst am 03.11.2004 sei der Ablehnungsbescheid erteilt worden. Bis dahin sei eine Abschiebung nicht möglich gewesen. Außerdem habe die Beklagte ihnen Aufenthaltserlaubnisse erteilt. Dies spreche dafür, dass kein rechtmissbräuchliches Verhalten vorliege. Darüber hinaus sei die Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 2) ungeklärt, was ein ausreichender Grund dafür sei, nicht freiwillig auszureisen. Die Klägerin zu 2) habe über einen Zeitraum von acht Jahren erfolglos versucht, einen serbischen oder makedonischen Nationalpass zu erhalten. Ohne Klärung der Staatsangehörigkeit und eines eventuellen Aufenthaltsrechts in Serbien oder Mazedonien sei eine freiwillige Ausreise nicht zumutbar. Die Ausführungen des VG Düsseldorf seien in einem anderen Zusammenhang gemacht worden und daher für das vorliegende Verfahren nicht entscheidend. Dort sei seinerzeit eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund eines Härtefallerlasses Gegenstand des Verfahrens gewesen. In dem Erlass sei ausdrücklich geregelt gewesen, dass eine wiederholte Asylfolgeantragstellung ein Grund sei, den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abzulehnen.

Die Kläger beantragen schriftsätzlich sinngemäß,

die Beklagte unter Änderung der Bescheide vom 04.09.2007, 20.09.2007, 18.10.2007 und 21.11.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.11.2007 zu verurteilen, ihnen für die Zeit von August bis November 2007 Leistungen nach § 2 AsylbLG unter Anrechnung der bereits erbrachten Leistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung aus den im Widerspruchsbescheid genannten Gründen für rechtmäßig. Das Verhalten der Kläger seit der Androhung der Abschiebung im August 2004 stelle sich von seinem zeitlichen Ablauf her als rechtsmissbräuchlich dar.

Zur Aufklärung des Sachverhalts hat am 26.11.2010 ein Erörterungstermin stattgefunden. Bezüglich des Inhalts wird auf das Protokoll des Termins Bezug genommen.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich alle Beteiligten übereinstimmend mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben.

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Streitig ist die Zeit von August 2007 bis November 2007. Der Widerspruch bezog sich zunächst auf den Bewilligungsbescheid vom 04.09.2007, der Leistungen für den Monat August 2007 bewilligt. Gegenstand des Verfahrens sind auch die noch während der Dauer des Widerspruchsverfahrens ergangenen weiteren Bescheide für die Zeit von September 2007 bis November 2007 (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 17.06.2008, Az: B 8 AY 11/07 R). Zwar ist der Bewilligungsbescheid für den Monat November 2007 erst am 21.11.2007 und damit nach Erlass des Widerspruchsbescheids am 19.11.2007 ergangen. Da er jedoch den Monat des Erlasses des Widerspruchsbescheids regelt, war auch er einzubeziehen. Nicht Gegenstand des Verfahrens sind die mit dem Widerspruch vom 14.09.2007 ebenfalls noch geltend gemachten vorangegangenen 12 Monate (ab 15.09.2006), in denen keine bestandskräftige Bescheide vorliegen, denn in diesem Zeitraum haben die Kläger zum einen bis 30.04.2007 wegen Erwerbseinkommens keine Leistungen nach dem AsylbLG bezogen und zum anderen liegen sodann für die Zeit von Mai bis Juli 2007 bestandskräftige Bescheide vor.

Die Kläger haben im o.g. streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG.

Gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG in der Fassung ab 20.08.2007 ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch (SGB XII) auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

Diese Voraussetzungen treffen auf die Kläger zu 1) und 2) in dem streitigen Zeitraum nicht zu. Zwar haben sie insgesamt über eine Dauer von 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen. Sie haben jedoch die Dauer ihres Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst.

Das BSG führt ihn seinem Urteil vom 17.06.2008 (Az: B 8/9b AY 1/07 R) zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen von Rechtsmissbräuchlichkeit auszugehen ist, wie folgt aus:

"b) Der Begriff des Rechtsmissbrauchs wird im AsylbLG an keiner Stelle definiert. Er wurzelt in dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben - § 242 Bürgerliches Gesetzbuch - (Hohm, AsylbLG, § 2 RdNr 81, Stand März 2007). Als vorwerfbares Fehlverhalten beinhaltet er eine objektive - den Missbrauchstatbestand - und eine subjektive Komponente - das Verschulden - (Hohm, aaO, RdNr 82, 83). Der Vorschrift des § 2 und damit dem - die Beeinflussung der Aufenthaltsdauer dienenden - Rechtsmissbrauch liegt der Gedanke zu Grunde, dass niemand sich auf eine Rechtsposition berufen darf, die er selbst treuwidrig herbeigeführt hat. Demgegenüber genügt - anders als bei § 1a AsylbLG (dazu nur: Herbst, aaO, § 1a RdNr 15; Hohm, aaO, § 1a RdNr 101, Stand Dezember 2006) - nicht, dass die Dauer des Aufenthalts auf Gründen beruht, die in der Verantwortungssphäre des Hilfesuchenden liegen (so aber Decker in Oestreicher, SGB XII/SGB II, § 2 AsylbLG RdNr 16, Stand Juni 2005; siehe auch unter c).

c) In objektiver Hinsicht setzt der Rechtsmissbrauch ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus (Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 2 AsylbLG RdNr 17, Stand Oktober 2007: "hohe Hürde"). Der Ausländer soll danach von Analog-Leistungen ausgeschlossen sein, wenn die von § 2 AsylbLG vorgesehene Vergünstigung andernfalls auf gesetzwidrige oder sittenwidrige Weise erworben wäre. Der Ausländer darf sich also nicht auf einen Umstand (Aufenthaltsdauer von 36 bzw 48 Monaten mit Leistungsbezug nach § 3 AsylbLG) berufen, den er selbst treuwidrig herbeigeführt hat (vgl zum Rechtsmissbrauch nur: Palandt, BGB, 64. Aufl, § 242 RdNr 38 ff). Dabei genügt angesichts des Sanktionscharakters des § 2 AsylbLG nicht schon jedes irgendwie zu missbilligende Verhalten. Art, Ausmaß und Folgen der Pflichtverletzung wiegen für den Ausländer sowie über die Regelung des § 2 Abs 3 AsylbLG für dessen minderjährige Kinder so schwer, dass auch der Pflichtverletzung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein erhebliches Gewicht zukommen muss (vgl Adolph, aaO). Daher führt nur ein Verhalten, das unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit), zum Ausschluss von Analog-Leistungen; nur dann ist es gerechtfertigt, auch die minderjährigen Kinder mit den Folgen dieses Verhaltens zu belasten.

Die Gesetzesbegründung führt insoweit beispielhaft die Vernichtung des Passes und Angabe einer falschen Identität (BT-Drucks 15/420, S 121) als typische Fallgestaltungen eines Rechtsmissbrauchs an, es sei denn, sie wären ihrerseits eine Reaktion auf oder eine vorbeugende Maßnahme gegen objektiv zu erwartendes Fehlverhalten des Staates, bei dem um Asyl nachgesucht wird - wie etwa eine rechtswidrige Zurückweisung bei der Einreise oder eine rechtswidrige Verweigerung der Einreise. Auf Rechtsmissbrauch kann sich der Staat dann nicht berufen, wenn er sich selbst rechtswidrig oder rechtsmissbräuchlich verhält. ( ...)

d) Ausgehend von diesem Maßstab ist für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs nicht schon die zur Aufenthaltsverlängerung führende Nutzung der Rechtsposition ausreichend, die der Ausländer durch vorübergehende Aussetzung der Abschiebung erlangt hat, wenn es ihm möglich und zumutbar wäre, auszureisen (so noch BSG SozR 4-3520 § 2 Nr 1 RdNr 16). ( ...) e) Wird mithin das LSG zu ermitteln haben, ob sich die Kläger in anderer Weise als durch Nichtausreise rechtsmissbräuchlich verhalten haben, wird es auch zu beachten haben, dass das rechtlich missbilligte Verhalten mit der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes kausal verknüpft sein muss (dazu unter g). Ein Rechtsmissbrauch im oben genannten Sinn kann deshalb nur vorliegen, wenn der Ausländer sich hierüber auch bewusst ist; ein bloß fahrlässiges Verhalten für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs genügt nicht (vgl auch § 104a Abs 1 Satz 1 Nr 4 AufenthG). Vielmehr setzt der Vorwurf sowohl Vorsatz bezüglich der tatsächlichen Umstände als auch der Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts voraus. In der bloß fahrlässig herbeigeführten Verlängerung der Aufenthaltsdauer liegt - anders als bei § 1a AsylbLG (dazu unter i) - kein so schwer wiegender Verstoß gegen die Rechtsordnung, dass eine - nicht nur zeitlich begrenzte (dazu unter f) - Absenkung der Leistungen gerechtfertigt wäre; ein bloß fahrlässiges Verhalten kann unter Berücksichtigung der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland nicht als sozialwidrig eingestuft werden. ( ...)

f) Soweit es das Tatbestandsmerkmal "Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts" betrifft, ist auf den gesamten Zeitraum des Leistungsberechtigten in Deutschland abzustellen (Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl 2008, § 2 AsylbLG RdNr 4; Hohm, AsylbLG, § 2 RdNr 72, Stand März 2007). Ob der Rechtsmissbrauch (eine etwaige Vernichtung der Pässe) selbst in diesen Zeitraum fällt, ist hingegen nicht entscheidend. ( ...) Ebenso wenig ist es in diesem Zusammenhang entscheidend, ob der Missbrauchstatbestand aktuell andauert oder die Annahme rechtfertigt, er sei noch kausal (zur Kausalität siehe unter g) für den derzeitigen Aufenthalt des Ausländers. ( ...) Ob die Ausreise aktuell zumutbar ist, ist nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Vorschrift des § 2 AsylbLG ohne Bedeutung. Maßgebend ist allein der Zusammenhang zwischen der gesamten Dauer des Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland und dem Fehlverhalten des Ausländers, gleichgültig, ob dieses Fehlverhalten einmalig oder auf Dauer angelegt ist bzw. war oder ob es sich wiederholt hat. ( ...) g) Zwischen dem Verhalten des Ausländers und der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut zwar einer kausalen Verknüpfung. Allerdings zeigen bereits Gesetzeswortlaut ("Beeinflussung", nicht Verlängerung) und Gesetzesbegründung, die ua in ihrer beispielhaften Aufzählung die Vernichtung eines Passes nennt, dass eine typisierende, also generell-abstrakte Betrachtungsweise hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen dem vorwerfbaren Verhalten und der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes ausreicht, also kein Kausalzusammenhang im eigentlichen Sinn erforderlich ist (Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 2 AsylbLG RdNr 18b, Stand Oktober 2007; aA, ohne dies jedoch zu problematisieren, Hohm, AsylbLG, § 2 RdNr 77, Stand März 2007, und Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 2 AsylbLG RdNr 28, Stand August 2007). Dies bedeutet, dass jedes von der Rechtsordnung missbilligte Verhalten, das - typisierend - der vom Gesetzgeber missbilligten Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes dienen kann, ausreichend ist, um die kausale Verbindung zu bejahen. Ob etwa das Asylverfahren tatsächlich verzögert wurde (so Herbst, aaO) und eine frühere Abschiebung der Kläger erfolgt und deshalb in einem ggf "kleineren Zeitfenster" möglich gewesen wäre, bedarf im Hinblick auf die typisierende Betrachtung keiner Entscheidung. ( ...) Eine Ausnahme von der typisierenden Betrachtungsweise muss allerdings dann gemacht werden, wenn eine etwaige Ausreisepflicht des betroffenen Ausländers unabhängig von seinem Verhalten ohnehin in dem gesamten Zeitraum ab dem Zeitpunkt des Rechtsmissbrauchs nicht hätte vollzogen werden können (so im Ergebnis auch Herbst, aaO, RdNr 28), etwa weil die Erlasslage des zuständigen Innenministeriums eine Abschiebung ohnehin nicht zugelassen hätte. In diesen Fällen ist eine typisierende Betrachtungsweise nicht mehr zulässig; sie entsprechen nicht der oben geschilderten Typik. Lässt es sich nicht feststellen, ob eine solche Ausnahme vorliegt, geht dies zu Lasten des Ausländers."

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung, der das Gericht nach eigener Prüfung umfassend folgt, begründet das Verhalten der Kläger im August 2004 die rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des (folgenden) Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland i.S.v. § 2 Abs. 1 AsylbLG.

Das Gericht folgt der Ansicht der Beklagten, dass das gesamte Verhalten der Kläger im August 2008 seit Erhalt der Mitteilung über die geplante Abschiebung, sich als rechtsmissbräuchlich darstellt. Die Kläger sind untergetaucht und haben vier Tage vor der Abschiebung einen weiteren Asylfolgeantrag mit falschen Angaben gestellt, um auf diese Weise einen weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zu erreichen. Unklar ist dabei, wann genau der Asylfolgeantrag beim Bundesamt eingegangen ist.

Bereits das Untertauchen und damit die Unmöglichmachung der Abschiebung stellen grundsätzlich für sich genommen ein rechtmissbräuchliches Verhalten dar. Wären die Kläger nicht untergetaucht, wären sie am 24.08.2004 abgeschoben worden. Wesentliche Ursache für ihren weiteren Aufenthalt in Deutschland war deshalb das eigene - beanstandungswürdige - Verhalten der Kläger, sich der Abschiebung zu entziehen. Wie das BSG bereits ausgeführt hat, sind keine Feststellungen darüber zu treffen, in welchem zeitlichen Umfang das beanstandete Verhalten die Dauer des Aufenthalts tatsächlich verlängert hat. Hierzu reicht es aus, wenn das Verhalten generell geeignet ist, eine Verlängerung der Aufenthaltsdauer herbeizuführen, was bei einem Untertauchen der Fall ist.

Entgegen der Ansicht der Kläger war das Untertauchen auch nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil ein Asylfolgeantrag gestellt und damit die Abschiebung nicht hätte vollzogen werden dürften. Nach Ansicht des Gerichts stellt der annährend zeitgleich mit der geplanten Abschiebung gestellte Asylfolgeantrag ebenfalls ein rechtmissbräuchliches Verhalten dar, denn er diente einzig dem Zweck, sich den Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland weiter zu sichern. Den Klägern war zu diesem Zeitpunkt nach Ansicht des Gerichts klar, dass dieser erneute Asylfolgeantrag – wie auch bei den in der Vergangenheit gestellten – mangels neuer Tatsachen keinen Erfolg haben wird. Aus diesem Grund dürfte der Kläger zu 1) auch erstmalig in dem Antrag angegeben haben, aus dem Kosovo zu stammen, um so dem Antrag zum Erfolg zu verhelfen. Gegen die Richtigkeit dieser Angaben spricht jedoch, dass als Geburtsort des Klägers zu 1) in sämtlichen vorangegangenen Asylanträgen und in seinem Personalausweis der Ort Lucani angegeben ist, welcher zwar nahe der Grenze zum Kosovo, jedoch in Süd-Serbien liegt. Bestätigt wird die Erfolglosigkeit der Asylfolgeantragstellung durch die ablehnende Entscheidung des Bundesamtes sowie die Abweisung der hiergegen gerichteten Klage durch das VG Düsseldorf.

Soweit die Kläger geltend machen, dass eine freiwillige Ausreise wegen der ungeklärten Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 2) unzumutbar sei, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Dies beruht zum einen darauf, dass die Kläger vor ihrer Einreise in Serbien gewohnt haben und auch dort die Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 2) ungeklärt gewesen sein dürfte. Warum dies eine freiwillige Ausreise unzumutbar macht, ist daher unklar. Darüber hinaus liegt das rechtsmissbräuchliche Verhalten nicht in der fehlenden freiwilligen Ausreise, sondern in dem Verhalten der Kläger im August 2004.

Nach der Rechtsprechung des BSG ist es unerheblich, ob aktuell der Missbrauchstatbestand noch andauert oder noch kausal ist. Unerheblich ist daher auch, ob die Kläger mittlerweile Aufenthaltserlaubnisse erhalten haben. Darüber hinaus wurden diese, ausweislich der vorliegenden Ausländerakten, wegen der Besonderheit des Einzelfalls und unter Zurückstellung von weiteren Bedenken lediglich ausnahmsweise erteilt.

Die Kläger handelten auch vorsätzlich was ihr Verhalten im August 2004 und die daran anknüpfenden Folgen anbelangt, denn ihnen war bekannt, dass sie abgeschoben werden und ihr Untertauchen sowie die kurzfristige Asylfolgeantragstellung genau dies verhindern wird. Auch war ihnen bewusst, dass ihr Verhalten Auswirkungen auf ihren Aufenthalt haben wird, denn dies hatte zwangsläufig zur Folge, dass die für die Kläger gebuchten Flüge storniert werden und zunächst das Ergebnis des weiteren Asylfolgeverfahrens abgewartet werden muss.

Die im Jahr 2007 noch minderjährigen Kläger zu 3) und 4) haben bereits deshalb keinen Anspruch auf höhere Leistungen nach § 2 AsylbLG weil ihre Eltern diese Leistungen im streitigen Zeitraum ebenfalls nicht erhalten. Gemäß § 2 Abs. 3 AsylbLG erhalten nämlich minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Haushaltsgemeinschaft leben, Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG nur, wenn mindestens ein Elternteil in der Haushaltsgemeinschaft Leistungen nach Abs. 1 erhält (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2008, Az: B 8/9b AY 1/07 R).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Das Verfahren ist berufungsfähig, denn die Kläger machen für vier Monate Leistungen geltend. Ausgehend von den bewilligten Regelsätzen von 823,17 Euro (224,97 Euro für den Kläger zu 1) und jeweils 199,40 Euro für die Kläger zu 2) bis 4)) und den begehrten Leistungen nach § 2 AsylbLG (ohne Kosten der Unterkunft) von 1.180,00 Euro (312,00 Euro für die Kläger zu 1) und 2) und 278,00 Euro für die Kläger zu 3) und 4)) ergibt sich eine Differenz von 356,83 Euro monatlich, so dass die Berufungssumme von 750,00 Euro überschritten wird.
Rechtskraft
Aus
Saved