L 10 AS 2324/10 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 53 AS 29348/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 2324/10 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

Mit der noch anhängigen Beschwerde wendet sich der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Berlin vom 15. November 2010, soweit mit diesem sein Antrag abgelehnt worden ist, für seinen am 22. September 2010 beim SG gestellten Eilantrag Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung der im Rubrum bezeichneten Verfahrensbevollmächtigten zu gewähren.

Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens erster Instanz war bei verständiger Würdigung (§ 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) das Begehren, den Antragsgegner im Wege einer Regelungsanordnung iS von § 86b Abs 2 Satz 2 SGG zu verpflichten, dem Antragsteller für die Zeit vom 01. September 2010 bis zum 28. Februar 2011 Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren. Nachdem der Antragsgegner dem Antragsteller für die Zeit vom 22. September 2010 bis zum 31. März 2011 (Bescheide vom 22. Oktober 2010 und 02. November 2010) Arbeitslosengeld II gewährt hatte, hat das SG durch Beschluss vom 15. November 2010 sowohl den Eilantrag als auch den PKH- und Beiordnungs-Antrag abgewiesen.

Mit Beschluss vom 12. Januar 2011 (L 10 AS 2323/10 B ER) hat der Senat die auf die Zeit vom 22. September 2010 bis zum 21. Oktober 2010 und damit auf einen Arbeitslosengeld II-Anspruch von 694,00 EUR beschränkte Beschwerde, die offenbar in Verkennung des Umstandes eingelegt worden war, dass für diesen Zeitraum bereits bewilligt und geleistet worden war, mangels Statthaftigkeit als unzulässig verworfen, da der Antragsteller durch die Beschränkung seiner Beschwerde nicht mehr in dem durch § 172 Abs 3 Nr 1 1. HS SGG iVm § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG vorausgesetzten Maße beschwert war.

Die vorliegende Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft. Nach § 172 Abs 1 SGG sind gegen Beschlüsse des SG Beschwerden grundsätzlich statthaft. Anderes gilt nur, wenn der Gesetzgeber die Beschwerde ausdrücklich ausgeschlossen hat; einen Grundsatz, wonach im Nebenverfahren der PKH der Rechtszug nicht weiterreichen dürfe als im dazugehörigen "Hauptsacheverfahren", gibt es nicht. Für die vorliegende Konstellation enthalten § 172 Abs 3 Nrn 1 – 4 SGG keinen entsprechenden Ausschlussgrund; insbesondere ist § 172 Abs 3 Nr 1 2. HS SGG nicht einschlägig, der durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 05. August 2010 (BGBl I 1127) ab dem 11. August 2010 eingefügt worden ist, und der bestimmt, dass § 172 Abs 3 Nr 1 1. HS SGG, wonach die Beschwerde im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen ist, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre, auch für Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag im Rahmen dieses Verfahrens gilt. Der in § 172 Abs 3 Nr 1 2. HS SGG formulierte Beschwerdeausschluss liegt nicht vor. Mit dem Wort "wäre" knüpft das Gesetz allein an die bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten (Betonung auf "Möglichkeiten") an, die sich nur danach bestimmen, was Verfahrensgegenstand des erstinstanzlichen einstweiligen Rechtsschutzverfahrens war. Das vorliegende PKH- Beschwerdeverfahren wäre danach nur dann nicht statthaft, wenn auch dann die Beschwerde gegen den einstweiligen Rechtsschutz versagenden Teil des Beschlusses des SG vom 15. November 2010 - als Berufung gedacht - nicht zulassungsfrei gewesen wäre, wenn der Antragsteller sein einstweiliges Rechtschutzbegehren im Beschwerdeverfahren (L 10 AS 2323/10 B ER) nicht beschränkt hätte, sondern vollumfänglich weiterverfolgt hätte. Dies ist aber nicht der Fall, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes, der sich aus dem ergibt, was das SG dem Rechtsmittelführer ausgehend von dessen Begehren versagt hat und von ihm in der Rechtsmittelinstanz weiterverfolgt wird (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, RdNr 14 zu § 144 mwN), in einem solchen Fall den in § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG maßgeblichen Schwellenwert von 750,00 EUR überstiegen hätte.

Dass diese am Wortlaut orientierte Auslegung dem Willen des Gesetzgebers entspricht, zeigen auch die Gesetzesmaterialien zu § 172 Abs 3 Nr 1 2. HS SGG. Nach der Begründung des Entwurfes der Bundesregierung soll mit der Ergänzung des § 172 Abs 3 Nr 1 SGG um den 2. HS nur verhindert werden, dass gegen die Ablehnung eines Antrags auf PKH in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes weitergehende Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen als in dem einstweiligen Rechtschutzverfahren selbst (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung BR Drs 152/10 S 23). Damit wird auf (fiktive) Möglichkeiten des Rechtsschutzes abgestellt. Mögliche Folgen der Beschränkungen des im Beschwerdeverfahren noch verfolgten Begehrens im einstweiligen Anordnungsverfahren auf die Statthaftigkeit der PKH- Beschwerde werden in den Materialien nicht thematisiert. Auch aus der im Gesetzgebungsverfahren nicht weiter aufgegriffenen Empfehlung des Bundesrates (BR Drs 152/10), die Wörter "in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre" durch die Wörter "der Streitwert in der Hauptsache den in § 144 genannten Betrag nicht übersteigt" zu ersetzen und im anzufügenden Halbsatz die Wörter "im Rahmen dieser Verfahren" zu streichen, folgt nichts anderes. Der Bundesrat hat in seinem Beschluss zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung ua Bezug genommen auf die in der Rechtsprechung umstrittene Frage, ob die PKH- Beschwerde ausgeschlossen ist, wenn im Klageverfahren der Schwellenwert nicht erreicht ist und eine Änderung in Anlehnung an § 127 Absatz 2 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) angeregt. Dieser Anregung ist die Bundesregierung in ihrem Entwurf an den Bundestag (BT Drs 17/1684 S 16) indes nicht gefolgt; im weiteren Gesetzgebungsverfahren war davon auch nicht mehr die Rede. Da diese vom Bundesrat angeregte Anpassung nicht durch eine Gesetzesänderung aufgenommen worden ist, hat der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 172 Abs 3 Nr 1 SGG inhaltlich klargestellt, dass der Beschwerdeausschluss wegen Nichtüberschreitens der Beschwerdewertgrenze nur für Entscheidungen über PKH- Anträge gilt, bei denen gegen die Entscheidung im einstweiligen Anordnungsverfahren keine Rechtschutzmöglichkeit gegeben ist (vgl zur Frage eines Beschwerdeausschlusses in Klageverfahren bei fehlender Überschreitung des Schwellenwerts nach der Neufassung des § 172 Abs 3 Nr 1 SGG: Landessozialgerichts Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Januar 2011 – L 7 AS 4623/10 B, juris).

Auch Sinn und Zweck des hier in Rede stehenden Beschwerdeausschlusses gebieten vorliegend keinen Ausschluss der Beschwerdemöglichkeit. Die Erhebung einer Beschwerde im einstweiligen Anordnungsverfahren hinweggedacht, wäre die PKH- Beschwerde im vorliegenden Fall nach allen in der Rechtsprechung vertretenen Auffassungen zu der Frage des Beschwerdeausschlusses in PKH- Verfahren statthaft. Der Senat hat bislang die Auffassung vertreten, dass im PKH- Verfahren unabhängig vom Wert der Beschwer in der Hauptsache die Beschwer zulässig ist (vgl Beschluss des Senats vom 14. Juni 2010 – L 10 AS 664/19 B PKH – juris RdNr 4 mwN). Daran hält er fest, soweit nicht nach § 172 Abs 3 Nr 1 SGG ein Beschwerdeausschluss für PKH- Verfahren im einstweiligen Rechtschutzverfahren neu formuliert wurde. Zur Statthaftigkeit einer (isolierten) PKH- Beschwerde im vorliegenden Fall käme aber auch diejenige Meinung, die einen Beschwerdeausschluss im PKH- Verfahren an § 127 Abs 2 S 2 ZPO ausrichtet und auf den Schwellenwert abstellt (vgl zur Anwendung des § 127 Abs 2 S 2 ZPO iVm § 73a Abs 1 S 1 SGG: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Dezember 2010 – L 34 AS 2182/10 B PKH). Ein vernünftiger Grund, warum eine im Grundsatz statthafte PKH- Beschwerde unstatthaft werden soll, sofern sie mit einer unzulässigen Beschwerde im einstweiligen Anordnungsverfahren verbunden ist, ist nicht zu finden. Einen strikt akzessorischen Ausschluss der PKH- Beschwerde für alle Fälle der im Hinblick auf die Beschränkung des erhobenen Anspruchs unstatthaften Beschwerden anzunehmen, erscheint auch deshalb zweifelhaft, weil damit ein Anreiz gesetzt würde, sachgemäße Beschränkungen des Anspruchs (etwa im Hinblick auf teilweise Erledigung, überzeugende Erwägungen der Vorinstanz) zu unterlassen, um die inhaltliche Prüfung einer PKH ablehnenden Entscheidung durch das Beschwerdegericht nicht zu gefährden.

Die Beschwerde ist aber unbegründet. Dass das einstweilige Rechtschutzverfahren vor dem SG, für das die Bewilligung von PKH unter Beiordnung der Verfahrensbevollmächtigten begehrt wird, durch den Beschluss vom 15. November 2010 beendet ist, mithin eine Erfolgsaussicht aktuell nicht mehr besteht, steht der Begründetheit der Beschwerde nicht entgegen. Denn eine (rückwirkende) Bewilligung kommt in Betracht, sofern – wie hier – in dem beendeten Verfahren bereits ein Rechtsanwalt tätig geworden (denn in dessen Beiordnung und der damit verbundenen Freistellung des Unbemittelten von dessen Vergütungsansprüchen liegt in einem gerichtskostenfreien und ohne Anwaltszwang ausgestalteten sozialgerichtlichen Verfahren – wie dem vorliegenden – die praktische Bedeutung der Bewilligung von PKH (vgl BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2001 - 1 BvR 391/01, NZS 2002, 420, 420)) und eine bereits getroffene Kostenregelung nicht in vollem Umfang zugunsten des Unbemittelten erfolgt ist. Voraussetzung ist, dass ein formgerechter und damit bewilligungsreifer Antrag auf PKH (dh ein Antrag in der in § 117 Abs 1 ZPO vorgegebenen Form nebst der gemäß § 117 Abs 2 ZPO erforderlichen Erklärung samt der nötigen Belege) vorgelegen hat und im Zeitpunkt der Entscheidungsreife eine hinreichende Erfolgsaussicht für die ehemals beabsichtigte Rechtsverfolgung bestand. Dem erstinstanzlich verfolgten Begehren hat das SG zu Recht keine Erfolgsaussicht beigemessen. Soweit der Antragsteller mit seinem am 22. September 2010 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung Leistungen seit Beginn des Monats September geltend gemacht hat, handelte es sich dabei um Leistungen für die Vergangenheit, die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur bei der Darlegung eines besonderen Nachholbedürfnisses zuerkannt werden können, woran es vorliegend fehlte. Auch für die Zeit ab 22. September 2010 hatte die Rechtsverfolgung des Antragstellers keine Aussicht auf Erfolg. Ein Rechtschutzbedürfnis für einen gegen eine Behörde gerichteten Anordnungsantrag ist erst dann gegeben, wenn der Antragsteller seinen Antrag im Verwaltungsverfahren geltend gemacht hat und damit erfolglos geblieben ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl, § 86b RdNr 26b, Finkelnburg/Dombert/Külmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren, 5. Aufl, § 12 RdNr 95). Ein solcher Sachverhalt ist gegenüber dem SG nicht glaubhaft gemacht oder zumindest so detailliert behauptet worden, dass sich das SG zu weiteren Nachfragen hätte gedrängt fühlen müssen. Der Antragsteller hat sich nicht authentisch zu Zeitpunkt und Umständen einer Antragstellung geäußert und auch seine Bevollmächtigte hat keine konkrete (Zeit, Ort und auf Seiten des Antragsgegners handelnde Personen eingrenzende) Darstellung abgegeben, die Ausgangspunkt einer erfolgreichen Glaubhaftmachung hätte sein können.

Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich. Gerichtskosten werden nicht erhoben und außergerichtliche Kosten werden nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs 4 ZPO nicht erstattet.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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