S 13 KR 181/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 181/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 246/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 19.03. und 25.03.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2010 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 28.02. bis 31.05.2010 Krankengeld zu gewähren. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Krankengeld für die Zeit vom 28.02. bis 31.05.2010.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger war zuletzt bis 28.02.2010 in einem Autohaus angestellt. Die Tätigkeit als Verkäufer im Kundenbereich beinhaltete Verkaufsgespräche sowie das Präsentieren der Fahrzeuge; dabei wurden teilweise Tätigkeiten in Zwangshaltungen, insbesondere mit vornübergebeugtem Oberkörper durchgeführt. Der Kläger leidet an einer seelischen Störung, einer Sehminderung, Herz- und Kreislaufbeschwerden und insbesondere – seit 2003 – an einem inzwischen chronischen Schmerzsyndrom bei Wirbelsäulenverschleiß. Seit Anfang 2009 wurde er deshalb u.a. mit Morphin behandelt; 2006 erfolgte eine Bandscheibenoperation, im April 2009 eine Lendenwirbelstabilisierungsoperation. Wegen der Wirbelsäulenbeschwerden und Rückschmerzen bescheinigten die behandelnden Ärzte vom 15.08. bis 24.08.2007 und vom 05.01.2009 bis 04.01.2010 Arbeitsunfähigkeit. Aufgrund der ab 05.01.2009 bestehenden Arbeitsunfähigkeit erhielt der Kläger nach dem Ende der sechswöchigen Entgeltfortzahlung vom 17.02. bis 12.05.2009 Krankengeld, vom 13.05. bis 03.06.2009 Übergangsgeld während einer von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund durchgeführten stationären Rehabilitationsmaßnahme, anschließend vom 04.06.2009 bis 04.01.2010 wieder Krankengeld. Während dieser Zeit wurde er laufend durch den Orthopäden Dr. C. behandelt. Dieser hielt ab 05.01.2010 wieder eine Arbeitsbelastung für möglich. Der Kläger wurde – auch wegen der chronischen Rückenschmerzen – mit- und weiterbehandelt von der Internistin Dr. H ... Im Hinblick auf das anstehende Ende des Arbeitsverhältnisses am 28.02.2010 meldete sich der Kläger am 05.02. zum 01.03.2010 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Durch Bescheid vom 23.02.2010 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld ab 01.03.2010. Am 22.02.2010 berichtete der Kläger anlässlich eines Kontrolltermins bei Dr. C. über eine Zunahme der Beschwerden seit der Wiederaufnahme der Arbeit; Dr. C. verordnete Morphin 30 mg. Anlässlich einer Krebsvorsorgeuntersuchung am 25.02.2010 bei Dr. H. berichtete der Kläger auch dort über weiter anhaltende Schmerzen auch unter der Einnahme von Morphin. Am Montag, 01.03.2010, sprach er erneut wegen der anhaltenden Wirbelsäulenbeschwerden und einer eventuellen Steigerung der Morphintherapie bei Dr. H. vor. Diese bescheinigte am 01.03.2010 wegen des LWS-Bandscheidenschadens Arbeitsunfähigkeit vom 27.02.2010 (Samstag) bis 20.03.2010. Noch am selben Tag legte der Kläger diese Bescheinigung bei der Beklagten und bei der Agentur für Arbeit vor. Er wies die Beklagte daraufhin, dass er aufgrund seiner "Vorgeschichte" am Samstag, 27.02.2010, den Notarzt nicht aufgesucht habe; er nehme täglich Morphin ein. Durch Bescheid vom 02.03.2010 nahm die Bundesagentur für Arbeit die Entscheidung über die Bewilligung des Arbeitslosengeldes ab 01.03.2010 zurück mit der Begründung, er habe "ab 01.03.2010 Anspruch auf Krankengeld".

Durch Bescheide vom 19.03. und 25.03.2010 lehnte die Beklagte die Zahlung von Krankengeld ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei zwar ab 27.02.2010 arbeitsunfähig krank; die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei jedoch erst am 01.03.2010 ausgestellt worden. Danach würde ein Krankengeldanspruch ab 02.03.2010 bestehen; zu dieser Zeit sei er jedoch nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen.

Dagegen legte der Kläger am 23.03. und 09.04.2010 Widerspruch ein. Er legte eine ärztliche Bescheinigung von Dr. H. vom 11.05.2010 vor. Darin erklärte die Ärztin, der Kläger habe sich am 25.02.2010 wegen seiner Beschwerden in der Praxis vorgestellt; er sei zwar zu diesem Zeitpunkt nicht arbeitsunfähig geschrieben worden, habe aber am nächsten Tag erkennbar nicht arbeiten gehen können; aus terminlichen Gründen habe er den frühesten Termin in der Praxis am 01.03.2010 bekommen; es sei dann eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung rückwirkend vom 27.02.2010 bis 20.03.2010 ausgestellt worden; eine zeitgleiche Krankschreibung am 26.02.2010 habe aus praxisinternen Gründen nicht ausgestellt werden können.

Durch Widerspruchsbescheid vom 10.06.2010 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Dagegen hat der Kläger am 08.07.2010 Klage erhoben. Er macht geltend, er sei bereits am 25.02.2010 arbeitsunfähig gewesen und nur aus praxisorganisatorischen Gründen erst am 01.03.2010 bei Dr. H. vorstellig geworden. Der Kläger hat Arbeitsunfähigkeitsfolgebescheinigungen vorgelegt von Dr. H. (vom 19.03. bis 10.04.2010) und von Dr. C. (vom 12.04. bis 27.08.2010).

Die DRV Bund hat volle Erwerbsminderung des Klägers seit dem 05.01.2009 festgestellt und ab 01.06.2010 eine entsprechende Rente bewilligt (Bescheid vom 12.04.2011).

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 19.03 und 25.03.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.06.2010 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 28.02. bis 31.05.2010 Krankengeld zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält den Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 02.03.2010 über die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 01.03.2010 für unzutreffend, soweit darin ein Anspruch auf Krankengeld bestätigt werde; weder sei die Bundesagentur berechtigt, über Krankengeldansprüche zu entscheiden, noch sei ihre Entscheidung richtig. Es komme nicht darauf an, ob die Rückdatierung des Beginns der Arbeitsunfähigkeit auf den 27.02.2010 zulässig gewesen sei; entscheidend sei – dies folge aus § 46 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) -, dass der Anspruch auf Krankengeld stets ab dem Tag nach der ärztlichen Feststellung entstehe; aus welchen Gründen die Feststellung erst an diesem Tag (hier: 01.03.2010) erfolgt sei, sei unerheblich, da eine Differenzierung vom Gesetzgeber nicht vorgesehen sei. Auch sei unerheblich, dass die Arbeitsunfähigkeit an einem arbeitsfreien Samstag begonnen habe; weder der Kläger noch die Beklagte habe darauf Einfluss gehabt. Der Umstand, dass es dem Kläger nicht möglich gewesen sei, am Samstag einen Arzt zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit aufzusuchen, setze § 46 SGB V nicht außer Kraft. Abweichend von der eigenen Feststellung in den Bescheiden vom 19.03. und 25.03.2010 ("Sie sind seit dem 27.02.2010 arbeitsunfähig erkrankt.") hat die Beklagte im Schriftsatz vom 15.02.2011 erstmals die Auffassung vertreten, es sei nicht unzweifelhaft gewesen, dass der Kläger bereits am 27.02.2010 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei; den behandelnden Ärzten sei es rein faktisch nicht möglich gewesen, am 01.03.2010 unzweifelhaft festzustellen, ob der Kläger bereits am 27.02.2010 arbeitsunfähig erkrankt war. Die Beklagte hält die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von Dr. H. vom 01.03.2010 günstigstenfalls für ein Gefälligkeitsattest, welches für die Krankenkasse nicht verbindlich sei.

Seit 01.06.2010 erhält der Kläger aufgrund eines am 05.01.2009 eingetretenen Versicherungsfalls Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bescheid der DRV Bund vom 12.04.2011).

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts und der medizinischen Verhältnisse des Klägers hat das Gericht die Verwaltungsakte der Arbeitsagentur Aachen und die Gerichtsakte S 12 SB 249/09 in einem Verfahren nach dem Schwerbehindertenrecht mit einem Gutachten von Dr. K. vom 08.04.2010 beigezogen. Desweiteren sind Auskünfte eingeholt worden von Dr. H. und Dr. C., die auch ärztliche Unterlagen über den Kläger vorgelegt haben. Von der DRV Bund sind ärztliche Unterlagen und Berichte aus dem Rentenverfahren beigezogen worden.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da sie rechtswidrig sind. Er hat Anspruch auf Krankengeld für den geltend gemachten Zeitraum vom 28.02. bis 31.05.2010, weil er (zumindest) vom 27.02. bis 31.05.2010 arbeitsunfähig war und dies auch – zutreffend – vertragsärztlich festgestellt worden ist.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Arbeitsunfähigkeit ist die auf Krankheit beruhende Unfähigkeit, die zuletzt verrichtete oder eine ähnliche Beschäftigung oder Tätigkeit fortzusetzen (BSG, Urteil vom 30.05.1967 - 3 RK 15/65 = BSGE 26,288 = SozR Nr. 25 zu § 182 RVO). Der Versicherte ist zur Aus¬übung der bisherigen Erwerbstätigkeit nicht nur dann unfähig, wenn sie ihm überhaupt nicht mehr möglich ist, sondern auch dann, wenn er sie nur noch auf die Gefahr hin ver¬richten kann, den Leidenszustand zu verschlimmern (BSG a.a.O. und Urteil vom 19.06.1963 - 3 RK 37/59 = BSGE 19,179 = SozR Nr. 8 zu § 182 RVO; Urteil vom 24.05.1978 - 4 RJ 69/77 = BSGE 46,190 = SozR 2200 § 182 Nr. 34). Demnach ist die Fortsetzung oder Aufnahme einer Arbeit für sich allein kein Vorgang, der den durch eine Krankheit verursachten Zu¬stand der Arbeitsunfähigkeit unmittelbar verändert

Aufgrund aller ihr bekannt gewordenen Umstände und Daten ist die Kammer nach Auswertung der medizinischen Unterlagen, Berichte und Gutachten der Überzeugung, dass der Kläger seit dem 05.01.2009 ununterbrochen auch über den 04.01.2010 hinaus und insbesondere auch in der Zeit vom 27.02. bis 31.05.2010 arbeitsunfähig war. Dies ergibt sich aus Folgendem: Beim Kläger sind seit 2003 Wirbelsäulenbeschwerden bekannt; 2006 erfolgte eine Bandscheidenoperation, 2009 eine Lendenwirbelstabilisierungsoperation. Für die Zeit vom 05.01.2009 bis 04.01.2010 ist die Arbeitsunfähigkeit vertragsärztlich bescheinigt. In dieser Zeit fanden umfangreiche Behandlungen statt. Gleichwohl entwickelte sich ein chronisches Schmerzsyndrom und konnten die Beschwerden nur noch durch massive Medikation, zuletzt Morphin "erträglich" gehalten werden. Soweit ab 05.01.2010 der Orthopäde Dr. C. eine Arbeitsbelastung wieder möglich hielt und der Kläger einen Arbeitsversuch unternahm, kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, der Kläger sei ab 05.01.2010 im krankenversicherungsrechtlichen Sinne arbeitsfähig gewesen. Wie bereits dargelegt, liegt Arbeitsunfähigkeit auch vor, wenn durch die Wiederaufnahme der Arbeit die Gefahr einer Verschlimmerung des davor bestehenden, Arbeitsunfähigkeit begründenden Krankheitsbildes besteht. Angesichts der gravierenden krankhaften Befunde im Wirbelsäulenbereich und der erheblichen nur mit Medikamenten erträglichen Beschwerden war die Gefahr einer Verschlimmerung bei Wiederaufnahme der Arbeit durch damit verbundene Belastungen nicht unwahrscheinlich. Und sie hat sich – in den Patientenaufzeichnungen der Ärzte dokumentiert – auch tatsächlich realisiert. Schon am 22.02.2010 wies der Kläger beim Orthopäden Dr. C. auf die Zunahme der Beschwerden seit Wiederaufnahme der Arbeit hin, ebenfalls am 25.02.2010 bei Dr. H ... Dass die Ärzte gleichwohl nicht unverzüglich wieder Arbeitsunfähigkeit attestierten, beruht nach Überzeugung der Kammer zum einen darauf, dass die Ärzte den Begriff der Arbeitsunfähigkeit verkannt haben, zu anderen darauf, dass der Kläger arbeiten wollte. Er hatte die Tätigkeit eines Automobilverkäufers seit 2001 verrichtet, nach seinen in der Reha-Klinik im Mai 2009 gemachten Angaben fühlte er sich am Arbeitsplatz wohl, jedoch aktuell den Anforderungen nicht gewachsen. Schon der Orthopäde Dr. I. kam in einer Stellungnahme vom 23.10.2009 für die DKV Krankenversicherungs AG zum Ergebnis, der Kläger sei aufgrund der Schmerzsymptomatik, die auch mit einem Morphinpräparat nicht ausreichend therapiert werden könne, dauerhaft nicht in der Lage, seine berufliche Tätigkeit als Automobilkaufmann auszuüben; es bestehe weiterhin eine Arbeitsunfähigkeit; sowohl längere sitzende Tätigkeiten, ebenfalls auch Zwangshaltungen mit vornübergebeugten Oberkörpern, wie sie bei längeren Kundengesprächen oder z. B. bei der Demonstration des Motorraums vorkämen, seien ihm nicht zumutbar. Dr. I. stellte abschließend fest, eine Verbesserung der Beschwerdesymptomatik sei nicht absehbar, weshalb beim Kläger in dem zuletzt ausgeübten Beruf als Automobilkaufmann auf nicht absehbare Zeit eine mehr als 50%ige Erwerbsunfähigkeit bestehe. Der Orthopäde Dr. L. hat schließlich in dem für die DRV Bund erstellten Rentengutachten vom 18.08.2010 festgestellt, dass das chronifizierte Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule zwar intensiv medikamentös behandelt werde, eine Änderung dieses Zustandes jedoch kurzfristig nicht zu erwarten sei; auch leichte Tätigkeiten ohne schweres Heben und Tragen, ohne längeres ununterbrochenes Sitzen und Stehen und ohne Zwangshaltungen der Wirbelsäule seien dem Kläger nur weniger als drei Stunden täglich zumutbar. Im Hinblick darauf hat die DRV Bund volle Erwerbsminderung, d. h. die Unfähigkeit, auch nur leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden arbeitstäglich verrichten zu können (vgl. § 43 Abs. 2Satz 2 SGB VI), ab 05.01.2009, also ab dem Beginn der langwährenden Arbeitsunfähigkeit anerkannt.

Bestand somit Arbeitsunfähigkeit des Klägers auch über den 04.01.2010 hinaus und durchgehend (zumindest) bis 31.05.2010 so bestand nach dem 04.01.2010 der Anspruch auf Krankengeld jedoch erst wieder ab 28.02.2010, da die Arbeitsunfähigkeit vertragsärztlich erst wieder ab 27.02.2010 bescheinigt worden ist.

Entgegen der Auffassung der Beklagten steht die Tatsache, dass Dr. H. die Arbeitsunfähigkeit zwar ab 27.02.2010 (Samstag) bescheinigt, diese Feststellung aber erst am 01.03.2010 (Montag) getroffen hat, dem Krankengeldanspruch des Klägers ab 28.02.2010 nicht entgegen. Es handelt sich nicht um eine die Arbeitsunfähigkeit rückdatierende Gefälligkeitsbescheinigung, sondern um eine wirklichkeitsgetreue Feststellung der tatsächlichen gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers. Wie oben ausgeführt, hätte die Arbeitsunfähigkeit – rein medizinisch betrachtet – auch für schon vor dem 27.02.2010 liegende Zeiträume bescheinigt werden können; darauf kommt es vorliegend jedoch nicht an. Maßgeblich ist, dass Dr. H. Arbeitsunfähigkeit ab 27.02.2010 bescheinigt hat und diese Feststellung nach dem damals bestehenden Krankheitsbild des Klägers richtig ist.

Allerdings ist im Regelfall für den Krankengeldanspruch weder auf den Beginn der Krankheit noch auf den "wirklichen" Beginn der Arbeitsunfähigkeit, sondern grundsätzlich auf die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit abzustellen. Denn für die Fortsetzung des Mitgliedschaftsverhältnisses setzt § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nicht Arbeitsunfähigkeit, sondern einen Anspruch auf Krankengeld voraus, der seinerseits nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V grundsätzlich nur aufgrund ärztlicher Feststellung entsteht. Zudem ruht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V der Anspruch auf Krankengeld, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird, wenn nicht die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt (BSG, Urteil vom 08.11.2005 – B 1 KR 30/04 R). Den Regelungen des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V und des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V liegen gemeinsame Zwecke zugrunde, welche eine grundsätzlich strikte Handhabung gebieten. Mit dem Erfordernis vorgeschalteter ärztlich festzustellender Arbeitsunfähigkeit sollen beim Krankengeld Missbrauch und praktische Schwierigkeiten vermieden werden, zu denen die nachträgliche Behauptung der Arbeitsunfähigkeit und deren rückwirkende Bescheinigung beitragen könnten. Dementsprechend ist grundsätzlich für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit der versicherungsrechtliche Status des Betroffenen im Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung maßgebend. Als Regelfall geht das Gesetz davon aus, dass der in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigte Versicherte selbst die notwendigen Schritte unternimmt, um die mögliche Arbeitsunfähigkeit feststellen zu lassen und seine Ansprüche zu wahren (BSG a.a.O.). Ausgehend vom Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers am 01.03.2010 hätte hiernach ein Krankengeldanspruch erst ab 02.03.2010 entstehen, jedoch nicht mehr realisiert werden können, weil ab 01.03.2010 ein Krankenversicherungsschutz mit Anspruch auf Krankengeld nicht mehr bestanden hätte.

Trotz der grundsätzlich strikten Anwendung der Regelungen des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V und des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V hat die Rechtsprechung Ausnahmen anerkannt, wenn die ärztliche Feststellung oder die Meldung der Arbeitsunfähigkeit durch Umstände verhindert oder verzögert worden sind, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse und nicht dem des Versicherten zuzurechnen sind. Hat der Versicherte alles in seiner Macht stehende und ihm zumutbare getan, um seine Ansprüche zu wahren, wurde er daran aber durch eine von der Krankenkasse vertretene Fehlentscheidung gehindert (z. B. durch die Fehlbeurteilung der Arbeitsunfähigkeit des Vertragsarztes) und macht er seine Rechte bei der Krankenkasse unverzüglich (spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V) nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend, kann er sich auf den Mangel auch zu einem späteren Zeitpunkt berufen. Unter diesen engen Voraussetzungen kann der Versicherte ausnahmsweise auch rückwirkend Krankengeld beanspruchen (BSG, a.a.O.).Der Versicherte erfüllt die ihm mit § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V übertragende Obliegenheit, für eine zeitgerechte ärztliche Feststellung der von ihm geltend gemachten Arbeitsunfähigkeit zu sorgen, wenn er alles in seiner Macht stehende tut, um die ärztliche Feststellung zu erhalten. Er hat vor allem den Arzt aufzusuchen und ihm seine Beschwerden vorzutragen. Unterbleibt die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit allein aus Gründen, die dem Verantwortungsbereich des Vertragsarztes zuzuordnen ist, so darf sich das nicht zum Nachteil des Versicherten auswirken (so bereits zu § 182 Abs. 3 RVO: BSG, Urteil vom 17.08.1982 – 3 RK 28/81 – unter Hinweis auf das Urteil des Senats vom 28.10.1981 – 3 RK 59/80). Ein weiterer – hier nicht in Betracht kommender – Ausnahmefall, indem die unterbliebene ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ausnahmsweise rückwirkend nachgeholt werden kann, kommt in Betracht , wenn den Versicherten nach den Umständen des Falles Handlungs- oder Geschäftsunfähigkeit hinderten, seine Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig feststellen zu lassen (vgl. BSG, Urteil vom 26.06.2007 – B 1 KR 37/06 R – unter Hinweis auf BSGE 25, 76, 77 f.). Im Fall des Klägers liegt ein Ausnahmefall vor, der es im Hinblick auf die vom BSG aufgestellten Kriterien rechtfertigt, dass die vor dem 01.03.2010 unterbliebene ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ausnahmsweise rückwirkend nachgeholt werden konnte und dies krankenversicherungsrechtlich anzuerkennen ist. Bereits am 22.02.2010 bei der Untersuchung durch den langjährig behandelnden Orthopäden Dr. C., als der Kläger über die Zunahme der Beschwerden seit der Wiederaufnahme der Arbeit klagte und Dr. C. Morphin verschrieb, hätte der Arzt erkennen können und müssen, dass der Kläger arbeitsunfähig war. Zu demselben Ergebnis hätte Dr. H. bei der Untersuchung des Klägers am 25.02.2010 kommen können und müssen, denn auch dort klagte der Kläger über die Wirbelsäulenbeschwerden. Warum eine Arbeitsunfähigkeitsfeststellung an diesem Tage unterblieb, ist nicht mehr feststellbar. Wenn dann aber die Beschwerden/Schmerzen noch weiter zunahmen, kann dem Kläger nicht im Nachhinein entgegengehalten werden, es sei ihm zumutbar gewesen am 27.02.2010, einem Samstag, einen Notarzt aufzusuchen allein zu dem Zweck, seine Arbeitsunfähigkeit an diesem Tag feststellen zu lassen im Hinblick auf den Umstand, dass am folgenden Tag das Beschäftigungsverhältnis und das daraus resultierende Mitgliedschaftsverhältnis bei der Krankenkasse endete, zumal bereits für den 01.03.2010 wieder ein Termin bei Dr. H. vereinbart war. Nicht zuletzt die geringe Zeitspanne von drei Tagen zwischen bescheinigter Arbeitsunfähigkeit und Feststellung der Arbeitsunfähigkeit lassen die Befürchtung von Beweisschwierigkeiten zurücktreten. Solche bestanden und bestehen hier nicht. Da Dr. C. und Dr. H. nicht bereits am 22.02. bzw. 25.02.2010 trotz erkennbarer Beschwerden bei einem ihnen bekannten Krankheitsbefund Arbeitsunfähigkeit festgestellt haben und der Kläger durch diese Fehlbeurteilung an der Wahrung seiner Ansprüche gehindert war, er aber danach alles zumutbare getan hat, seine Rechte spätestens innerhalb der Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V geltend zu machen, muss sich die Beklagte die erst am 01.03.2010 getroffene ärztliche Feststellung zurechnen lassen mit der Maßgabe, dass die Feststellung der ab 27.02.2010 bescheinigten Arbeitsunfähigkeit auch bereits als am 27.02.2010 festgestellt gilt. Dies begründet gem. §§ 46 Satz 1 Nr. 2, 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V den geltend gemachten Anspruch des Klägers auf Krankengeld für die Zeit vom 28.02. bis 31.05.2010.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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