S 2 KR 71/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KR 71/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung ihres Bescheides vom 12.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2010 verurteilt, dem Kläger für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit ab dem 11.09.2008 einen den gesetzli-chen Vorgaben der §§ 47 ff. SGB V entsprechendes kalendertägliches Brut-tokrankengeld in Höhe von 59,81 EUR zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe des dem Kläger zustehenden Krankengeldes.

Der am 00.00.00 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten. Der Kläger arbeitete bei die J ... In der Zeit vom 29.07.2008 bis zum 01.11.2009 sowie erneut ab dem 13.02.2010 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Mit Bescheid vom 09.04.2010 wurde festgestellt, dass der Kläger mit dem 08.05.2010 ausgesteuert ist. Die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides war Gegenstand des Verfahrens S 2 KR 191/10 und wurde dort vom erkennenden Gericht mit Urteil vom 14.04.2011 bestätigt.

Ausweislich der Bescheinigung des Arbeitgebers betrug das Bruttoarbeitsentgelt im Monat vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit, also im Juni 2008, 3.680,16 EUR, erzielt in 219,75 Stunden, bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden. Hierin enthalten war auch eine monatliche Entgeltumwandlung des Klägers in Höhe von 180,00 EUR. Darüber hinaus bestätigte der Arbeitgeber eine Einmalzahlung in Höhe von 3.329,22 EUR innerhalb der letzten 12 Monate vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit.

Ab dem 11.09.2008 erhielt der Kläger von der Beklagten Krankengeld in Höhe von kalen-dertäglich 48,71 EUR. In der Zeit vom 26.11.2008 bis 17.12.2008 erhielt der Kläger Über-gangsgeld vom Rentenversicherungsträger, der Deutschen Rentenversicherung Rhein-land, in Höhe von kalendertäglich 61,23 EUR. Ausweislich des Bescheides der Deutschen Rentenversicherung Rheinland vom 22.12.2008, ging diese dabei von einem Bruttoar-beitsentgelt im Bemessungszeitraum Juni 2008 von 3.5000,16 EUR aus. Im Anschluss erhielt der Kläger erneut Krankengeld von der Beklagten, welches ab dem 01.01.2009 auf kalendertäglich 48,85 EUR erhöht wurde.

Mit Schreiben vom 09.03.2009 wandte sich der Kläger daraufhin an die Beklagte und bat um Überprüfung der Höhe der Krankengeldzahlungen. Am 23.03.2009 übersandte der Arbeitgeber des Klägers der Beklagten erneut eine Verdienstbescheinigung über den Monat Juni 2008. Hieraus ergab sich wiederum, dass der Kläger im Monat Juni 2008 63,75 Stunden bezahlte Mehrarbeit verrichtet hatte und das das Bruttoarbeitsentgelt 3.680,16 EUR betrug. Nach erneuter Berechnung bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 12.11.2009 nunmehr ein Brutto-Krankengeld in Höhe von 58,51 EUR, welches einen kalendertäglichen Zahlbetrag in Höhe von 50,96 EUR ergab.

Hiergegen legte der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten Widerspruch mit der Begründung ein, die Beklagte sei von einem falschen Nettoarbeitsentgelt ausgegangen. Das gesetzliche Nettoentgelt habe 3.340,39 EUR betragen, dass bereinigt einen Betrag von 2.595,60 EUR ergebe. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.02.2010 als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, mit der am 22.03.2010 erhobenen Klage. Er vertritt die Auffassung, ihm stehe ein kalender-tägliches Brutto-Krankengeld in Höhe von 59,81 EUR statt der von der Beklagten berechne-ten 58,51 EUR zu.

Er beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 12.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2010 zu verpflichten, dem Kläger für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit ab dem 11.09.2008 ein den gesetzlichen Vorgaben der §§ 47 ff. SGB V entsprechendes kalendertägliches Bruttokrankengeld in Höhe von 59,81 EUR zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide gemäß § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz beschwert, da die Bescheide rechtswidrig sind. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung eines kalendertäglichen Bruttokrankengeldes in Höhe von 59,81 EUR.

Maßgeblich für die Höhe des Krankengeldes ist § 47 des Fünften Buches des Sozialge-setzbuches (SGB V). Diese – für den Juristen schwer – für den juristischen Laien wohl kaum noch verständliche Regelung stellt in Absatz 1 Satz 1 den – vermeintlich einfachen – Grundsatz auf, dass das Krankengeld 70% des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens – soweit dieses der Beitragsberechnung unterliegt – beträgt (Regelentgelt). Die Berechnung der Regelentgelts beschreibt § 47 Abs. 2 SGB V. Nach Satz 1 ist für die Berechnung des Regelentgelts das vom Versicherten im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Entgeltabrechnungszeitraum, mindestens das während der letzten abgerechneten vier Wochen (Bemessungszeitraum) erzielte und um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt verminderte Arbeitsentgelt durch die Zahl der Stunden zu teilen, für die es gezahlt wurde. Die Terminologie des § 47 SGB V folgt dabei den Begriffsbestimmungen nach § 14 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV). Im vorliegenden Fall ist damit – dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig – die Entgelt-abrechnung für Juni 2008 maßgeblich. Aus dieser ergab sich ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 3.680,16 EUR, welches in 219,75 Stunden erwirtschaftet wurde. Nach Auffassung der Kammer ist in diesem Betrag zu Unrecht noch die Entgeltumwand-lung in Höhe von 180,00 EUR berücksichtigt. Wie bereits ausgeführt hat der Gesetzgeber in § 47 SGB V die Terminologie "Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen" verwendet. Diese Begriffe sind in den gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung, konkret in § 14 ff. SGB IV, legal definiert. Nun führt zwar § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IV ausdrücklich auch die Entgeltumwandlungen als Arbeitsentgelt auf, allerdings gilt hierfür die Ausnahmevorschrift des § 115 SGB IV, wonach unter den dort genannten Voraussetzungen diese nicht als Arbeitsentgelt zu bewerten sind.

Zwischen den Beteiligten ist auch unstreitig, dass die für die Entgeltumwandlung aufge-wendeten Beträge nicht zur Ermittlung des Regelentgelts herangezogen werden können. Es besteht insoweit aber Uneinigkeit, wie dies zu geschehen hat.

Nach Auffassung der Kammer ist dem dadurch Rechnung zu tragen, dass es eben nicht als Arbeitsentgelt aufgefasst wird und damit auch nicht in die Berechnung einfließt (vgl. dazu auch Sozialgericht Lübeck, Urteil vom 27.05.2010, S14 KR 696/08).

Auszugehen ist damit im vorliegenden Fall von 3.500,16 EUR.

Entsprechend § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB V ist dieser Wert durch die tatsächliche Stunden-zahl zu dividieren und der sich dabei ergebende Wert gemäß § 47 Abs. 2 Satz 2 SGB V mit dem sich aus dem Inhalt des Arbeitsverhältnisses ergebenden regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden zu multiplizieren und anschließend durch sieben zu dividieren. Da der Kläger laut Arbeitsvertrag eine wöchentliche Arbeitszeit von 39 Stunden hat ergibt sich hieraus folgende Rechnung:

3.500,16 EUR: 219,75 h x 39 h: 7 d = 88,74 EUR/d

Das Bruttoregelentgelt beträgt damit 88,74 EUR pro Kalendertag. Hiervon 70 % entsprechen 62,12 EUR.

Allerdings darf das aus dem Arbeitsentgelt berechnete Krankengeld 90% des nach § 47 Abs. 2 SGB V berechneten Nettoarbeitsentgelts nicht übersteigen.

Auszugehen ist bei der Berechnung des Nettoregelentgelts nunmehr von einem Bruttoarbeitsentgelt von 3.500,16 EUR. Abzüglich Steuern und Sozialabgaben verbleiben 2.373,55 EUR. Auch dieser Betrag ist den Berechnungen nach § 47 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB V zu unterziehen. Hierbei ergibt sich folgende Rechnung:

2.373,55 EUR: 219,75 h x 39 h: 7 d = 60,15 EUR/d

Das Nettoregelentgelt beträgt damit 60,15 EUR pro Kalendertag.

Bislang unberücksichtigt geblieben ist freilich die Einmalzahlung in Höhe von 3.329,22 EUR. Hiervon ist gemäß § 47 Abs. 2 Satz 6 SGB der sogenannte kalendertägliche Hinzurechnungsbetrag zu ermitteln. Hierzu ist der Betrag durch 360 zu teilen. Der kalendertägliche Hinzurechnungsbetrag beläuft sich somit auf 3.329,22 EUR: 360 d = 9,25 EUR/d, also auf 9,25 EUR pro Tag. Dieser Betrag ist dem Nettoregelentgelt entsprechend der Maßgabe des § 47 Abs. 1 Satz 3 SGB V hinzuzurechnen. Danach gilt, dass der Hinzurechnungsbetrag nur in dem Maße hinzuzuaddieren ist, wie es dem Verhältnis von Bruttoregelentgelt zu Nettoregelentgelt entspricht. Der entsprechende Dreisatz stellt sich wie folgt dar:

Anteiliger Hinzurechnungsbetrag Nettoregelentgelt - = - Hinzurechnungsbetrag Bruttoregelentgelt

Für den vorliegenden Fall ergibt sich hieraus folgende Rechnung:

60,18 EUR/d x 9,25 EUR/d: 88,74 EUR/d = 6,27 EUR/d

Addiert man nun diese 6,27 EUR/d zu den 60,18 EUR/d hinzu so erhält man den nach § 47 Abs. 1 Satz 2 SGB V maßgeblichen Wert, vorliegend 66,45 EUR/d. Hiervon 90% entsprechen 59,81 EUR/d.

Nach alledem hat der Kläger einen Anspruch auf Gewährung eines kalendertäglichen Bruttokrankengeldes in Höhe von 59,81 EUR, weswegen die Beklagte entsprechend zu verurteilen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Die Rechtssache hat nach Auffassung der Kammer grundsätzliche Bedeutung. Es geht vorliegend um die Frage, ob und vor allem wie die Entgeltumwandlung zu berücksichtigen ist. Die Beklagte hat tatsächlich auch eine Berücksichtigung der Entgeltumwandlung vorgenommen, allerdings anders als die Kammer nicht bereits im Rahmen der Ermittlung des Arbeitsentgelts durch direkten Abzug vom Bruttoeinkommen, sondern in entsprechender Anwendung des § 47 Abs. 2 Satz 6 und § 47 Abs. 1 Satz 3 SGB V auch hinsichtlich der Entgeltumwandlung. Hierbei bezog sie sich auf ein Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen. An ein solches ist die Kammer freilich nicht gebunden und sieht für eine solche Analogie entsprechend den obigen Ausführungen auch keinen Raum.

Nach alledem hat die Kammer die – wegen des Nichterreichens des Beschwerdewertes – zulassungsbedürftige Berufung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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