Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 3 AS 1438/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 187/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 30. Oktober 2008 aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen einen von der Arbeitsgemeinschaft SGB II Halle GmbH (im Folgenden: Arge) erlassenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid. Der Beklagte ist seit dem 1. Januar 2011 Rechtsnachfolger der Arge.
Der am ... 1965 geborene Kläger ist allein stehend. Er lebt in einer Wohnung mit einer Gesamtwohnfläche von 56,98 qm zusammen mit seiner Mutter, die Altersrentnerin ist. Er bezog bis zum 16. Januar 2006 Arbeitslosengeld von der Bundesagentur für Arbeit in einer Höhe von 522,30 EUR monatlich. Der Kläger war Halter eines Pkw, für den im Jahre 2006 eine Haftpflichtversicherung in Höhe von 81,42 EUR in Quartal zu entrichten war.
Für die Zeit von Januar 2006 bis Juni 2006 bewilligte die Arge dem Kläger mit Bescheid vom 27. Dezember 2005 Arbeitslosengeld II (Alg II) als Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dabei betrug die Leistungshöhe in den Monaten Februar bis April 2006 gleichbleibend 523,16 EUR. Davon entfielen 331,00 EUR auf die Regelleistung für alleinstehende Personen in den neuen Bundesländern, 11,00 EUR auf den befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld und 181,16 EUR auf die hälftigen monatlichen Kosten für Unterkunft und Heizung. Die Berechnung der Unterkunftskosten erfolgte auf der Grundlage der vom Kläger mitgeteilten Kosten, die die Arge als angemessen anerkannte. Gegen diesen Bewilligungsbescheid erhob der Kläger keinen Widerspruch. Für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2006 bewilligte die Arge dem Kläger monatliche Leistungen in Höhe von monatlich 537,16 EUR, wobei sie den ab dem 1. Juli 2006 im gesamten Bundesgebiet einheitlichen monatlichen Regelsatz für allein stehende Personen von 345,00 EUR berücksichtigte. Auch gegen diese Leistungsbewilligung erhob der Kläger keinen Widerspruch.
Mit einer Veränderungsmitteilung vom 25. März 2006 zeigte der Kläger der Arge an, dass er am 17. März 2006 auf seinem Konto einen Überweisungsbetrag in einer Gesamthöhe von 3.291,40 EUR von der L.-T GmbH Sachsen-Anhalt wegen eines Lottogewinns gutgeschrieben bekommen habe. Mit Bescheid vom 8. Dezember 2006 hob die Arge zunächst die Bewilligung von Alg II für die Zeit vom 1. April 2006 bis zum 30. September 2006 in einer Gesamthöhe von 3.111,40 EUR auf und forderte die Erstattung dieses Betrages. Hiergegen erhob der Kläger am 15. Dezember 2006 Widerspruch mit der Begründung, es hätte nur die Leistungsbewilligung für einen Monat aufgehoben werden dürfen. Die Arge änderte mit Bescheid vom 23. April 2007 den angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ab und hob die Leistungsbewilligung nur noch für die Zeit vom 1. April 2006 bis zum 30. Juni 2006 in einer Gesamthöhe von 1536,45 EUR auf und forderte die Erstattung dieses Betrages. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. April 2007 wies die Arge den Widerspruch des Klägers im Übrigen zurück und führte aus: Der Lottogewinn des Klägers sei ab dem Monat, der auf den Zufluss folge, als Einkommen zu berücksichtigen. Dabei solle die Anrechnung so erfolgen, dass ein restlicher Zahlbetrag verbleibe, damit der Krankenversicherungsschutz als Leistungsbezieher erhalten bleibe. Die Anrechnung sei so vorgenommen worden, das die Hilfebedürftigkeit in den Monaten April bis Juli 2006 jeweils in Höhe von monatlich 512,15 EUR entfallen sei. Deshalb sei eine wesentliche Änderung im Verhältnis zu den Voraussetzungen der Leistungsbewilligung eingetreten. Die Leistungsbewilligung sei von Zeitpunkt der Änderung an aufzuheben gewesen. Daraus folge die Pflicht des Klägers zu Erstattung im festgesetzten Umfang.
Der Kläger hat am 26. April 2007 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, der Lottogewinn könne nur im Monat des Zuflusses als Einkommen angerechnet werden und stelle in der Folgezeit Vermögen dar, dass verwertungsgeschützt sei, weil es unter die Freibetragsregelung falle.
Das SG hat der Klage mit Urteil vom 30. Oktober 2006 stattgegeben und die angefochtenen Bescheide der Arge aufgehoben "soweit der Rückforderungsbetrag einen Betrag von 523,16 EUR übersteigt". Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Der erzielte Lottogewinn könne nur im Monat März 2006 als Einkommen zugerechnet werden und lasse für diesen einen Monat die Hilfebedürftigkeit entfallen. Eine darüber hinausgehende Anrechnung lasse sich aus dem Gesetz nicht herleiten. Die entsprechende Regelung in der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) sei nicht von der gesetzlichen Ermächtigung gedeckt.
Gegen das ihr am 1. Dezember 2008 zugestellte Urteil hat die Arge am 22. Dezember 2008 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Die von ihr vorgenommene Einkommensanrechnung stehe im Einklang mit der Alg II-V, die nicht gegen höherrangiges Recht verstoße.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 30. Oktober 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des SG für richtig und meint, nach der Anrechnung als Einkommen im Zuflussmonat "mutiere" der darüber hinausgehende Lottogewinn zum Vermögen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Zulässigkeit der frist- und formgerecht erhobenen Berufung ergibt sich § 144 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil die Beschwer des Beklagten infolge des angefochtenen Urteil den erforderlichen Beschwerdewert von 750,00 EUR übersteigt.
Die Berufung ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Klage.
Gegenstand der zulässigen Anfechtungsklage ist der (den ursprünglichen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 8. Dezember 2006 teilweise aufhebende und teilweise ersetzende) Bescheid vom 23. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2007. Dieser Bescheid ist rechtmäßig.
In formeller Hinsicht ist die Nichtdurchführung einer Anhörung im Sinne von § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) unschädlich. Es dürfte hier ein Fall des § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X vorliegen, wonach von der Anhörung abgesehen werden kann, wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Die Arge hat beim Erlass des angefochtenen Bescheides in der Veränderungsmitteilung vom 25. März 2006 zugrunde gelegt und auf dieser Grundlage eine gebundene Entscheidung getroffen. Sofern kein Fall des § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X angenommen wird, ist der Mangel einer unterbliebenen Anhörung jedenfalls als geheilt im Sinne des § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X anzusehen. Nach Erlass des ursprünglichen Bescheides vom 8. Dezember 2006 hatte der Kläger die Möglichkeit, sich auf diesen Bescheid hin im Widerspruchsverfahren zu äußern. Für den neuen Bescheid vom 23. April 2007 hat die Arge keine neuen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte zugrunde gelegt.
Materiell-rechtlich findet der Bescheid vom 23. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 24. April 2007 seine Rechtsgrundlage in § 40 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) i. V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III).
Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vom Zeitpunkt der Verhältnisse an aufzuheben, soweit nach Erlass des Verwaltungsakts Einkommen erzielt worden ist, das zur Minderung des Anspruchs geführt habe würde.
Den Leistungsanspruch für den von der Aufhebung betroffenen Zeitraum vom 1. April 2006 bis zum 30. Juni 2006 hat die Beklagte mit dem Leistungsbescheid vom 27. Dezember 2006 sachlich richtig festgesetzt. Der Senat kann deshalb die Leistungshöhe von monatlich 523,16 EUR zugrunde legen. Eine wesentliche Änderung der für den Anspruch des Klägers wesentlichen Verhältnisse, die sich ansonsten seit der Bewilligung mit Bescheid vom 27. Dezember 2006 nicht verändert hatten, ist in dem Zufluss des Lottogewinns im Monat März 2006 zu sehen.
Bei dem zugeflossenen Betrag handelte es sich um anzurechnendes Einkommen. Dem SGB II und der Alg II-V sind keine Kriterien für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen zu entnehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gilt im Anschluss an die von der Rechtsprechung des BVerwG zum Sozialhilferecht entwickelte "modifizierte Zuflusstheorie" der Grundsatz: Einkommen im Sinne des SGB II ist grundsätzlich alles das, was der Hilfebedürftige wertmäßig im Bedarfszeitraum in Geld oder Geldeswert dazu erhält, und Vermögen das, was er im Bedarfszeitraum (bzw. zu dessen Beginn) bereits hat. Abzustellen ist somit für die Unterscheidung zwischen Einkommen und Vermögen auf den Zeitpunkt des Erhalts bzw. des Zuflusses. Hier ist dem Kläger der ausgezahlte Gewinn im März 2006 und somit während des Bewilligungszeitraums als Einkommen zugeflossen. Dabei ist es auch nicht zu beanstanden, dass die Arge eine anteilige Anrechnung als Einkommen in den Monaten April, Mai und Juni 2006 vorgenommen hat. Bei dem Lottogewinn handelt es sich um eine sogenannte einmalige Einnahme. Einmalige Einnahmen sind solche, die nicht regelmäßig wiederkehrend, sondern lediglich einmal gewährt werden (z.B. ein Abfindungsbetrag, eine Jubiläumszuwendung, ein Lotteriegewinn oder auch Lohnnachzahlungen und Nachzahlungen von Sozialleistungen wie Rente oder Leistungen nach dem SGB III für zurückliegende Zeiträume).
Einmalige Einnahmen sind nach § 2 Abs. 3 S. 1 Alg II-V in der hier maßgeblichen Fassung vom 22. August 2005 (BGBl. I 2499, gültig ab 1. Oktober 2005) von dem Monat an zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Abweichend von Satz 1 ist nach Satz 2 der Vorschrift eine Berücksichtigung der Einnahmen ab dem Monat, der auf den Monat des Zuflusses folgt, zulässig, wenn Leistungen für den Monat des Zuflusses bereits erbracht worden sind. Einmalige Einnahmen sind, soweit nicht im Einzelfall eine andere Regelung angezeigt ist, auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 3 S. 3 Alg II-V). Zwar gilt § 2 Alg II-V unmittelbar nur für Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit. Die Vorschrift findet aber nach § 2b Alg II-V auch Anwendung für die Berechnung des Einkommens in sonstigen Fällen. Die Aufteilung nach § 2 Abs. 3 Satz 3 Alg II-V auf mehrere Monate bewirkt den Erhalt der Kranken- und Pflegeversicherung in den Fällen, in denen anderenfalls wegen des zu berücksichtigenden Einkommens für einen bestimmten Zeitraum der Leistungsanspruch ansonsten vollständig entfallen würde mit der Folge, dass die Einbeziehung in die gesetzliche Krankenversicherung (und als Annex dazu in die soziale Pflegeversicherung) als Leistungsbezieher entfällt.
Der Senat hat an der Rechtmäßigkeit der Regelung in § 2 Abs. 3 Alg-V keine Zweifel. Die verfassungsmäßige Verordnungsermächtigung im § 13 SGB II ermächtigt unter anderem dazu, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, "wie das Einkommen im einzelnen zu berechnen ist". Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist dabei der Begriff der Einkommensberechnung so zu verstehen, dass dies auch die zeitliche Verteilung des Einkommens mit umfasst. Ohne die zeitliche Komponente bliebe ansonsten offen, in welchem Umfang Einkommen der Hilfebedürftigkeit entgegensteht (BSG, Urteil vom 30. September 2008 – B 4 AS 29/07 R, Rdnr. 30 – zitiert nach juris). Dem stimmt der erkennende Senat zu. Es gibt und gab keinen feststehenden Rechtsgrundsatz, wonach Einkommen, das in einem Bewilligungszeitraum von mehreren Monaten einmalig zufließt, nur im Zuflussmonat als Einkommen zu berücksichtigen ist. Unter der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) fand praktisch eine Anrechnung des Einkommens nur im Zuflussmonat statt, weil Sozialhilfe meist nur für einen Monat und nicht als Dauerleistung bewilligt wurde. Dies hat für die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II keine Bedeutung mehr, weil diese als Dauerleistung gemäß § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II jeweils für sechs Monate bewilligt werden sollen. Also bestand ein Bedürfnis zu bestimmen, wie die zeitliche Verteilung des innerhalb des Sechsmonatszeitraums zufließenden Einkommens vorzunehmen ist. Dabei handelt es sich im weiteren Sinne um eine Festlegung zur Berechnung des sich auf die Bedürftigkeit auswirkenden Einkommens. Neben der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit der Aufteilung der Einkommensanrechnung ist hier auch die Festsetzung des Anrechnungsbetrags von jeweils 512,15 EUR im Monat für die Monate April, Mai und Juni 2005 im Bescheid vom 23. April 2004 nicht zu beanstanden. Die jeweiligen Teilbeträge sind so bemessen, dass der Kläger im Leistungsbezug mit der Absicherung als pflichtversicherter Leistungsempfänger verblieb. Dass damit nur ein Teil des insgesamt zugeflossenen Betrages zu Anrechnung gekommen ist, beschwert den Kläger nicht. Durch die bezogen auf den zugeflossenen Gesamtbetrag von 3.291,40 EUR nur teilweise erfolgte Anrechnung findet materiell-rechtlich auch Berücksichtigung, dass in jedem Monat von dem anzurechnenden Einkommen der Pauschbetrag von 30,00 EUR für private Versicherungen und der monatsanteilige Prämienbetrag für die Kfz-Haftpflichtversicherung (hier bei einem Betrag im Quartal von 81,42 EUR im Monat 27,14 EUR) abzusetzen sind. Wenn in dem angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ausgeführt wird, in den drei Anrechnungsmonaten sei die Hilfebedürftigkeit jeweils in Höhe 512,15 EUR entfallen, bedeutet dies materiell-rechtlich, dass jeweils ein "Bruttobetrag" von 569,29 EUR monatlich aus dem Einmaleinkommen zur Anrechnung gekommen ist, von dem dann der Pauschbetrag von 30 EUR im Monat für private Versicherung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V und weiter der anteilig auf den Monat entfallende Betrag für die gesetzlich vorgeschriebene Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung nach § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II abgesetzt wird. Somit ist von einem zugeflossen Einmaleinkommen in Höhe von 3.291,40 EUR immer noch nur ein Teilbetrag von 1.707,87 EUR (569,29 EUR mal 3) zur Anrechnung gekommen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzung des § 160 SGG nicht vorliegen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, die keine grundsätzlichen, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht schon geklärten Fragen aufwirft.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen einen von der Arbeitsgemeinschaft SGB II Halle GmbH (im Folgenden: Arge) erlassenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid. Der Beklagte ist seit dem 1. Januar 2011 Rechtsnachfolger der Arge.
Der am ... 1965 geborene Kläger ist allein stehend. Er lebt in einer Wohnung mit einer Gesamtwohnfläche von 56,98 qm zusammen mit seiner Mutter, die Altersrentnerin ist. Er bezog bis zum 16. Januar 2006 Arbeitslosengeld von der Bundesagentur für Arbeit in einer Höhe von 522,30 EUR monatlich. Der Kläger war Halter eines Pkw, für den im Jahre 2006 eine Haftpflichtversicherung in Höhe von 81,42 EUR in Quartal zu entrichten war.
Für die Zeit von Januar 2006 bis Juni 2006 bewilligte die Arge dem Kläger mit Bescheid vom 27. Dezember 2005 Arbeitslosengeld II (Alg II) als Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dabei betrug die Leistungshöhe in den Monaten Februar bis April 2006 gleichbleibend 523,16 EUR. Davon entfielen 331,00 EUR auf die Regelleistung für alleinstehende Personen in den neuen Bundesländern, 11,00 EUR auf den befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld und 181,16 EUR auf die hälftigen monatlichen Kosten für Unterkunft und Heizung. Die Berechnung der Unterkunftskosten erfolgte auf der Grundlage der vom Kläger mitgeteilten Kosten, die die Arge als angemessen anerkannte. Gegen diesen Bewilligungsbescheid erhob der Kläger keinen Widerspruch. Für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2006 bewilligte die Arge dem Kläger monatliche Leistungen in Höhe von monatlich 537,16 EUR, wobei sie den ab dem 1. Juli 2006 im gesamten Bundesgebiet einheitlichen monatlichen Regelsatz für allein stehende Personen von 345,00 EUR berücksichtigte. Auch gegen diese Leistungsbewilligung erhob der Kläger keinen Widerspruch.
Mit einer Veränderungsmitteilung vom 25. März 2006 zeigte der Kläger der Arge an, dass er am 17. März 2006 auf seinem Konto einen Überweisungsbetrag in einer Gesamthöhe von 3.291,40 EUR von der L.-T GmbH Sachsen-Anhalt wegen eines Lottogewinns gutgeschrieben bekommen habe. Mit Bescheid vom 8. Dezember 2006 hob die Arge zunächst die Bewilligung von Alg II für die Zeit vom 1. April 2006 bis zum 30. September 2006 in einer Gesamthöhe von 3.111,40 EUR auf und forderte die Erstattung dieses Betrages. Hiergegen erhob der Kläger am 15. Dezember 2006 Widerspruch mit der Begründung, es hätte nur die Leistungsbewilligung für einen Monat aufgehoben werden dürfen. Die Arge änderte mit Bescheid vom 23. April 2007 den angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ab und hob die Leistungsbewilligung nur noch für die Zeit vom 1. April 2006 bis zum 30. Juni 2006 in einer Gesamthöhe von 1536,45 EUR auf und forderte die Erstattung dieses Betrages. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. April 2007 wies die Arge den Widerspruch des Klägers im Übrigen zurück und führte aus: Der Lottogewinn des Klägers sei ab dem Monat, der auf den Zufluss folge, als Einkommen zu berücksichtigen. Dabei solle die Anrechnung so erfolgen, dass ein restlicher Zahlbetrag verbleibe, damit der Krankenversicherungsschutz als Leistungsbezieher erhalten bleibe. Die Anrechnung sei so vorgenommen worden, das die Hilfebedürftigkeit in den Monaten April bis Juli 2006 jeweils in Höhe von monatlich 512,15 EUR entfallen sei. Deshalb sei eine wesentliche Änderung im Verhältnis zu den Voraussetzungen der Leistungsbewilligung eingetreten. Die Leistungsbewilligung sei von Zeitpunkt der Änderung an aufzuheben gewesen. Daraus folge die Pflicht des Klägers zu Erstattung im festgesetzten Umfang.
Der Kläger hat am 26. April 2007 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, der Lottogewinn könne nur im Monat des Zuflusses als Einkommen angerechnet werden und stelle in der Folgezeit Vermögen dar, dass verwertungsgeschützt sei, weil es unter die Freibetragsregelung falle.
Das SG hat der Klage mit Urteil vom 30. Oktober 2006 stattgegeben und die angefochtenen Bescheide der Arge aufgehoben "soweit der Rückforderungsbetrag einen Betrag von 523,16 EUR übersteigt". Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Der erzielte Lottogewinn könne nur im Monat März 2006 als Einkommen zugerechnet werden und lasse für diesen einen Monat die Hilfebedürftigkeit entfallen. Eine darüber hinausgehende Anrechnung lasse sich aus dem Gesetz nicht herleiten. Die entsprechende Regelung in der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) sei nicht von der gesetzlichen Ermächtigung gedeckt.
Gegen das ihr am 1. Dezember 2008 zugestellte Urteil hat die Arge am 22. Dezember 2008 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Die von ihr vorgenommene Einkommensanrechnung stehe im Einklang mit der Alg II-V, die nicht gegen höherrangiges Recht verstoße.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 30. Oktober 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des SG für richtig und meint, nach der Anrechnung als Einkommen im Zuflussmonat "mutiere" der darüber hinausgehende Lottogewinn zum Vermögen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Zulässigkeit der frist- und formgerecht erhobenen Berufung ergibt sich § 144 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil die Beschwer des Beklagten infolge des angefochtenen Urteil den erforderlichen Beschwerdewert von 750,00 EUR übersteigt.
Die Berufung ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Klage.
Gegenstand der zulässigen Anfechtungsklage ist der (den ursprünglichen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 8. Dezember 2006 teilweise aufhebende und teilweise ersetzende) Bescheid vom 23. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2007. Dieser Bescheid ist rechtmäßig.
In formeller Hinsicht ist die Nichtdurchführung einer Anhörung im Sinne von § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) unschädlich. Es dürfte hier ein Fall des § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X vorliegen, wonach von der Anhörung abgesehen werden kann, wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Die Arge hat beim Erlass des angefochtenen Bescheides in der Veränderungsmitteilung vom 25. März 2006 zugrunde gelegt und auf dieser Grundlage eine gebundene Entscheidung getroffen. Sofern kein Fall des § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X angenommen wird, ist der Mangel einer unterbliebenen Anhörung jedenfalls als geheilt im Sinne des § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X anzusehen. Nach Erlass des ursprünglichen Bescheides vom 8. Dezember 2006 hatte der Kläger die Möglichkeit, sich auf diesen Bescheid hin im Widerspruchsverfahren zu äußern. Für den neuen Bescheid vom 23. April 2007 hat die Arge keine neuen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte zugrunde gelegt.
Materiell-rechtlich findet der Bescheid vom 23. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 24. April 2007 seine Rechtsgrundlage in § 40 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) i. V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III).
Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vom Zeitpunkt der Verhältnisse an aufzuheben, soweit nach Erlass des Verwaltungsakts Einkommen erzielt worden ist, das zur Minderung des Anspruchs geführt habe würde.
Den Leistungsanspruch für den von der Aufhebung betroffenen Zeitraum vom 1. April 2006 bis zum 30. Juni 2006 hat die Beklagte mit dem Leistungsbescheid vom 27. Dezember 2006 sachlich richtig festgesetzt. Der Senat kann deshalb die Leistungshöhe von monatlich 523,16 EUR zugrunde legen. Eine wesentliche Änderung der für den Anspruch des Klägers wesentlichen Verhältnisse, die sich ansonsten seit der Bewilligung mit Bescheid vom 27. Dezember 2006 nicht verändert hatten, ist in dem Zufluss des Lottogewinns im Monat März 2006 zu sehen.
Bei dem zugeflossenen Betrag handelte es sich um anzurechnendes Einkommen. Dem SGB II und der Alg II-V sind keine Kriterien für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen zu entnehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gilt im Anschluss an die von der Rechtsprechung des BVerwG zum Sozialhilferecht entwickelte "modifizierte Zuflusstheorie" der Grundsatz: Einkommen im Sinne des SGB II ist grundsätzlich alles das, was der Hilfebedürftige wertmäßig im Bedarfszeitraum in Geld oder Geldeswert dazu erhält, und Vermögen das, was er im Bedarfszeitraum (bzw. zu dessen Beginn) bereits hat. Abzustellen ist somit für die Unterscheidung zwischen Einkommen und Vermögen auf den Zeitpunkt des Erhalts bzw. des Zuflusses. Hier ist dem Kläger der ausgezahlte Gewinn im März 2006 und somit während des Bewilligungszeitraums als Einkommen zugeflossen. Dabei ist es auch nicht zu beanstanden, dass die Arge eine anteilige Anrechnung als Einkommen in den Monaten April, Mai und Juni 2006 vorgenommen hat. Bei dem Lottogewinn handelt es sich um eine sogenannte einmalige Einnahme. Einmalige Einnahmen sind solche, die nicht regelmäßig wiederkehrend, sondern lediglich einmal gewährt werden (z.B. ein Abfindungsbetrag, eine Jubiläumszuwendung, ein Lotteriegewinn oder auch Lohnnachzahlungen und Nachzahlungen von Sozialleistungen wie Rente oder Leistungen nach dem SGB III für zurückliegende Zeiträume).
Einmalige Einnahmen sind nach § 2 Abs. 3 S. 1 Alg II-V in der hier maßgeblichen Fassung vom 22. August 2005 (BGBl. I 2499, gültig ab 1. Oktober 2005) von dem Monat an zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Abweichend von Satz 1 ist nach Satz 2 der Vorschrift eine Berücksichtigung der Einnahmen ab dem Monat, der auf den Monat des Zuflusses folgt, zulässig, wenn Leistungen für den Monat des Zuflusses bereits erbracht worden sind. Einmalige Einnahmen sind, soweit nicht im Einzelfall eine andere Regelung angezeigt ist, auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 3 S. 3 Alg II-V). Zwar gilt § 2 Alg II-V unmittelbar nur für Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit. Die Vorschrift findet aber nach § 2b Alg II-V auch Anwendung für die Berechnung des Einkommens in sonstigen Fällen. Die Aufteilung nach § 2 Abs. 3 Satz 3 Alg II-V auf mehrere Monate bewirkt den Erhalt der Kranken- und Pflegeversicherung in den Fällen, in denen anderenfalls wegen des zu berücksichtigenden Einkommens für einen bestimmten Zeitraum der Leistungsanspruch ansonsten vollständig entfallen würde mit der Folge, dass die Einbeziehung in die gesetzliche Krankenversicherung (und als Annex dazu in die soziale Pflegeversicherung) als Leistungsbezieher entfällt.
Der Senat hat an der Rechtmäßigkeit der Regelung in § 2 Abs. 3 Alg-V keine Zweifel. Die verfassungsmäßige Verordnungsermächtigung im § 13 SGB II ermächtigt unter anderem dazu, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, "wie das Einkommen im einzelnen zu berechnen ist". Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist dabei der Begriff der Einkommensberechnung so zu verstehen, dass dies auch die zeitliche Verteilung des Einkommens mit umfasst. Ohne die zeitliche Komponente bliebe ansonsten offen, in welchem Umfang Einkommen der Hilfebedürftigkeit entgegensteht (BSG, Urteil vom 30. September 2008 – B 4 AS 29/07 R, Rdnr. 30 – zitiert nach juris). Dem stimmt der erkennende Senat zu. Es gibt und gab keinen feststehenden Rechtsgrundsatz, wonach Einkommen, das in einem Bewilligungszeitraum von mehreren Monaten einmalig zufließt, nur im Zuflussmonat als Einkommen zu berücksichtigen ist. Unter der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) fand praktisch eine Anrechnung des Einkommens nur im Zuflussmonat statt, weil Sozialhilfe meist nur für einen Monat und nicht als Dauerleistung bewilligt wurde. Dies hat für die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II keine Bedeutung mehr, weil diese als Dauerleistung gemäß § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II jeweils für sechs Monate bewilligt werden sollen. Also bestand ein Bedürfnis zu bestimmen, wie die zeitliche Verteilung des innerhalb des Sechsmonatszeitraums zufließenden Einkommens vorzunehmen ist. Dabei handelt es sich im weiteren Sinne um eine Festlegung zur Berechnung des sich auf die Bedürftigkeit auswirkenden Einkommens. Neben der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit der Aufteilung der Einkommensanrechnung ist hier auch die Festsetzung des Anrechnungsbetrags von jeweils 512,15 EUR im Monat für die Monate April, Mai und Juni 2005 im Bescheid vom 23. April 2004 nicht zu beanstanden. Die jeweiligen Teilbeträge sind so bemessen, dass der Kläger im Leistungsbezug mit der Absicherung als pflichtversicherter Leistungsempfänger verblieb. Dass damit nur ein Teil des insgesamt zugeflossenen Betrages zu Anrechnung gekommen ist, beschwert den Kläger nicht. Durch die bezogen auf den zugeflossenen Gesamtbetrag von 3.291,40 EUR nur teilweise erfolgte Anrechnung findet materiell-rechtlich auch Berücksichtigung, dass in jedem Monat von dem anzurechnenden Einkommen der Pauschbetrag von 30,00 EUR für private Versicherungen und der monatsanteilige Prämienbetrag für die Kfz-Haftpflichtversicherung (hier bei einem Betrag im Quartal von 81,42 EUR im Monat 27,14 EUR) abzusetzen sind. Wenn in dem angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ausgeführt wird, in den drei Anrechnungsmonaten sei die Hilfebedürftigkeit jeweils in Höhe 512,15 EUR entfallen, bedeutet dies materiell-rechtlich, dass jeweils ein "Bruttobetrag" von 569,29 EUR monatlich aus dem Einmaleinkommen zur Anrechnung gekommen ist, von dem dann der Pauschbetrag von 30 EUR im Monat für private Versicherung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V und weiter der anteilig auf den Monat entfallende Betrag für die gesetzlich vorgeschriebene Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung nach § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II abgesetzt wird. Somit ist von einem zugeflossen Einmaleinkommen in Höhe von 3.291,40 EUR immer noch nur ein Teilbetrag von 1.707,87 EUR (569,29 EUR mal 3) zur Anrechnung gekommen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzung des § 160 SGG nicht vorliegen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, die keine grundsätzlichen, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht schon geklärten Fragen aufwirft.
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