L 9 U 3119/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 1484/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3119/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 01. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen eines Unfalles vom 3.2.2008.

Der 1962 geborene Kläger war bei der Firma B. Großhandel für Naturkost GmbH Ü. als Kraftfahrer beschäftigt. Am 3.2.2008 war er beim Abladen von Waren von der Hebebühne gestürzt und mit dem rechten Ellenbogen aufgeschlagen. Nach dem Durchgangsarztbericht von Dr. K. vom 4.2.2008 zog er sich dabei eine traumatische Schulterluxation rechts zu. Es erfolgte eine Reposition in Kurznarkose und eine stationäre Aufnahme in der Helios Spital Ü. GmbH, aus der der Kläger am 6.2.2008 nach Reposition und Ruhigstellung mittels eines Gilchrist-Verbandes entlassen wurde. Die am 15.2.2008 durchgeführte MRT-Untersuchung (vgl. Bericht Dres. S./U./Z./G. v. 20.2.2008) ergab eine Hill-Sachs-Läsion mit kleiner knöcherner Absprengung, einen Gelenkerguss und den hochgradigen Verdacht auf eine kleine knöcherne Absprengung an der unteren ventralen Berandung des Capitas glenoidalis, hier sei das Labrum disloziert. Die Weiterbehandlung erfolgte in der Orthopädischen Klinik des Schwarzwald-Baar-Klinikums V.-S. GmbH. Dort wurde nach einer Narkosemobilisation am 4.4.2008 während des stationären Aufenthaltes vom 28.4.2008 bis 3.5.2008 eine arthroskopische Abklärung und eine offene subacromiale Dekompression und Bursektomie durchgeführt. Im Nachschaubericht von PD Dr. L. vom 21.7.2008 wurde mitgeteilt, dass sich ein vollständig beschwerdefreier Patient mit jetzt auch rückläufigen Nachtschmerzen im Liegen im Bereich der rechten Schulter vorgestellt habe. Die Beweglichkeit sei im Vergleich zum Vorbefund mit einer Anteversion von 170° und einer Abduktion von mehr als 90° nahezu frei beweglich. Die zuletzt noch leicht eingeschränkte Außenrotation sei bis 25° möglich, die Innenrotation frei. Der Nackengriff sei weiterhin unauffällig und frei, der Schürzengriff habe sich im Verlauf deutlich verbessert, sei jedoch noch endgradig eingeschränkt. Im Nachbeschaubericht vom 11.8.2008 teilte PD Dr. L. mit, der Kläger klage über Schmerzen im Bereich des rechten Schultergelenkes bei Belastung. Es werde weiter Krankengymnastik durchgeführt. Es zeige sich eine passiv freie Anteversion, die Rotation zeige sich endgradig schmerzhaft (ARO/IRO von 60/0/40). Im Zwischenbericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Tübingen vom 1.9.2008 wurde ausgeführt, man habe keine Impingementsymptomatik feststellen können, die Abduktion gelinge bis 160°, die Elevation bis 170°, die Retroversion bis 30°, die Adduktion bis 45°. Es bestehe keine AC-Gelenkdruckschmerzhaftigkeit, die Durchblutung, Motorik und Sensibilität peripher sei ohne pathologischen Befund. An weitergehenden Beschwerden seien noch Schmerzen im Bereich des proximalen Oberarmes ventral/lateral angegeben worden. Das Heben auch schwerer Lasten bereite keine Probleme. Ab sofort bestünde Arbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und zukünftig auch für eine Tätigkeit als Lkw-Fahrer mit Be- und Entladetätigkeiten. Aufgrund der Folgen des Unfalles resultiere keine MdE von wenigstens 20 vH.

Der behandelnde Orthopäde Dr. R. teilte unter dem 6.11.2008 mit, dass weiterhin eine schmerzhafte Rotationseinschränkung bei Einschränkung des Nacken-/Schürzengriffs bestünde. Der Kläger sei Mitte Oktober nochmalig in der Orthopädischen Klinik D. vorgestellt worden. Dort habe man posttraumatische Folgeschäden bestätigt.

PD Dr. L. teilte im seinem Durchgangsarztbericht vom 16.10.2008 mit, dass lokal vollständig reizlose Weichteilverhältnisse und passiv eine vollständig freie Beweglichkeit der Schulter festgestellt worden seien. Die aktive Beweglichkeit sei bei noch leicht eingeschränkter Innenrotation und nicht vollständig möglichem Schürzengriff sonst frei gewesen. Der Kläger habe bei Bewegungen, insbesondere der Abduktion, ziehende Schmerzen im Bereich des dorso-lateralen Humeruskopfes angegeben, die auch durch die intensive Physiotherapie nicht rückläufig seien. Impingementzeichen hätten nicht festgestellt werden können, jedoch klage der Kläger über Schmerzen bei Überkopftätigkeiten.

Die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik T. berichtete über die klinische Untersuchung vom 1.12.2008, wonach dem Kläger das Entkleiden des Oberkörpers selbständig möglich gewesen sei und der Nackengriff problemlos habe ausgeführt werden können. Beim Schürzengriff bestehe rechts eine endgradige Bewegungseinschränkung, die Beweglichkeit der rechten Schulter betrage bezüglich Abduktion/Adduktion 150-0-40°, Flexion/Extension 150-0-40°, Außenrotation/Innenrotation 25-0-80°. Ellenbogen und Handgelenk seien frei beweglich. Ein lokaler Druckschmerz über der Schulter habe nicht ausgelöst werden können. Lediglich bei der endgradigen Elevation seien Schmerzen im Schultergelenk angegeben worden. Zur weiteren Abklärung der noch bestehenden Unfallfolgen habe man eine kernspintomographische Verlaufskontrolle veranlasst. Diese habe ergeben (Bericht vom 10.12.2008), dass unfallbedingt, abgesehen von einer Supraspinatussehnenausdünnung um ca. 50%, keine Folgen zurückgeblieben seien. Sämtliche Gelenkanteile seien intakt, eine Labrum-Läsion und Bankart-Läsion seien nicht ersichtlich. Der Knorpel erscheine regelrecht.

Mit Bescheid vom 19.2.2009 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalles ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Erwerbsfähigkeit über die 26. Woche nach Eintritt des Arbeitsunfalles bzw. nach dem Ende des Verletztengeldanspruches nicht um wenigstens 20% gemindert sei. Bei der Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) habe man eine endgradige Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk nach verheilter Ausrenkung der Schulter mit Teilriss der Supraspinatussehne berücksichtigt. Die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe mit Ablauf des 1.9.2008 geendet.

Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, seine Erwerbsfähigkeit sei um wenigstens 20% gemindert. Er verwies auf die vorliegenden ärztlichen Berichte, wonach Folgeschäden vorhanden seien. Zudem müsse er befürchten, dass seine Sehne in der rechten Schulter, die ohnehin nur zu 50% vorhanden sei, vollständig reißen könnte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.4.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Gegen den dem Bevollmächtigten am 27.4.2009 zugegangenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 27.5.2009 Klage zum Sozialgericht (SG) Konstanz erhoben.

Unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vortrages hat er daran festgehalten, seine Erwerbsfähigkeit sei über die 26. Woche nach Eintritt des Arbeitsunfalles bzw. nach dem Ende des Verletztengeldanspruches um wenigsten 20 vH gemindert. Zur weiteren Begründung hat er auf das bereits vorliegende ärztliche Attest der behandelnden Orthopäden Drs. M., R., P. vom 21.4.2009 ("bei Herrn Lahutta ist eine Invalidität eingetreten") bzw. auf das Attest des Dr. R. vom 11.8.2009 (Diagnose: Schmerzhafte Schultersteife nach traumatischer Schulterluxation rechts) verwiesen. Außerdem hat er das Gutachten des Dr. B. für die Agentur für Arbeit Konstanz vom 23.10.2008 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, dass nach einem arthroskopischen Eingriff und ambulanten Reha-Maßnahmen der Kläger inzwischen weitgehend beschwerdefrei und leistungsfähig sei. Von besonderer Relevanz sei ein zumindest episodenhafter schädlicher Konsum von Alkohol. Im Rahmen der bei der jetzigen Begutachtung ergänzend durchgeführten Laboruntersuchung hätten sich auffallend hohe Alkoholmarker gezeigt. Unter Berücksichtigung der genannten Einschränkungen bestehe für körperlich leichte und mittelschwere Tätigkeiten ein vollschichtiges Leistungsbild.

Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen einer sachverständigen Zeugenaussage beim behandelnden Orthopäden Dr. R ... Er hat unter dem 18.9.2009 ausgeführt, eine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand des Klägers sei nicht festzustellen gewesen. Es bestünden Dauerschmerzen bei Überkopfarbeit mit Funktionsstörungen der Schulter. Diese Beschwerden seien uneingeschränkt auf den Unfall zurückzuführen, weil der Patient vor diesem Unfall absolut beschwerdefrei gewesen sei, die MdE betrage 20%.

Der Kläger hat ergänzend auf Untersuchungen der Leberwerte beim Internisten Dr. A. hingewiesen, welche ergeben hätten, dass keine Alkoholproblematik vorliege. Die Leberwerte seien völlig in Ordnung.

Das SG hat weiter Beweis erhoben durch das Einholen eines fachorthopädischen Gutachtens bei Dr. B., Stockach. Im Rahmen dieses Gutachten hat der Kläger angegeben, dass bis auf die Einnahme von Diclofenac, welches er nicht regelmäßig, sondern nur bei Bedarf einnehme, sonst keine Bedarfs- oder Dauermedikation bestünde. Der Sachverständige hat eine traumatische Schulterluxation rechts mit knöcherner Hill-Sachs-Impression am Humeruskopf, eine Bankart-Läsion (Labrumläsion) und eine partielle Läsion der Supraspinatussehne festgestellt. Es bestünden eine endgradige Funktionseinschränkung des rechten Schultergelenkes, eine verbliebene Ausdünnung der Supraspinatussehne nach Teilriss, verbliebene radiologische Veränderungen am Oberarmkopf (Hill-Sachs-Delle) und am Pfannenrand (Bankart-Läsion), reizlose postoperative Narben und glaubhafte belastungsabhängige Schmerzen. Die Unfallfolgen seien mit einem verbliebenen Defektzustand abgeheilt. Dieser Defektzustand umfasse die verbliebene partielle Läsion der Supraspinatussehne sowie die verbliebenen radiologischen Veränderungen und die hiermit zusammenhängende endgradige Funktionseinschränkung. Unter Berücksichtigung der Rentenliteratur und der verbliebenen reinen Funktionseinschränkung ergebe sich nicht einmal eine MdE von 10 vH. Es liege lediglich eine geringfügige und keinesfalls eine starke Funktionseinschränkung des rechten Schultergelenkes vor. Die Bewegungsausschläge seien mit Ausnahme der etwas stärker beeinträchtigenden Innenrotation in abgehobener Position durchweg nur marginal bzw. endgradig eingeschränkt. Die klinische Untersuchung habe auch keine Anhaltspunkte für ein wesentliches posttraumatisches Impingementsyndrom oder für eine verbliebene wesentliche Instabilität des Schultergelenkes ergeben. Dies stehe im Einklang mit den anamnestischen Angaben, nach denen keine Reluxationsereignisse oder Subluxationen zu eruieren gewesen seien. Insgesamt ist der Sachverständige von einer unfallbedingten MdE um 10 vH ab dem Tag des Wegfalls der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit ausgegangen. Der Kläger hat hierauf ein ärztliches Attest des Dr. M. vom 5.3.2010 vorgelegt, der die Auffassung vertreten hat, der Unfall habe sicherlich eine MdE von 20 vH hinterlassen. Der Kläger leide weiterhin an starken Schmerzen und an einer Bewegungseinschränkung der rechten Schulter. Er sei im Berufsleben stark eingeschränkt, desweiteren sollten keine schweren Lasten gehoben werden. Es bestehe die Gefahr, auf Dauer an einer Arthrose des rechten Schultergelenkes zu erkranken und das genaue Ausmaß der Schädigung sollte in einem freien Gutachten bei einem chirurgisch-orthopädischen Facharzt geklärt werden.

Mit Gerichtsbescheid vom 1.6.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat sich der Beurteilung von Dr. B. angeschlossen, dass die Unfallfolgen lediglich eine MdE von 10 vH rechtfertigten.

Gegen den dem Kläger am 7.6.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser am 6.7.2010 Berufung eingelegt.

Er weist darauf hin, dass er nach wie vor unter starken Schmerzen leide. Die Sehne in der rechten Schulter sei nur noch zu 50% vorhanden und drohe zu reißen. Des Weiteren liege eine Arthrose vor und eine eingeschränkte Bewegungsfähigkeit der Schulter. Er sei nicht im Stande, mit seinem rechten Arm Gegenstände, die schwerer als 10 kg sind, zu tragen, weil er danach unter sehr starken Schmerzen leide und sich ein Entzündungszustand in der Schulter bilde. Er habe bereits eine Umschulung wahrgenommen. Darüber hinaus schlage Dr. R. eine MdE von 20 vH vor und auch Dr. M. habe die MdE mit 20 vH eingeschätzt. Einzig und allein das orthopädische Gutachten von Dr. B. gehe von einer MdE in Höhe von lediglich 10 vH aus. Das Sozialgericht sei zu Unrecht ausschließlich dem Gutachten des Dr. B. gefolgt und habe die ärztlichen Stellungnahmen des Dr. R. und des Dr. M. nicht zur Genüge berücksichtigt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 1. Juni 2010 aufzuheben und unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 19. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2009 die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 2. September 2008 eine Rente nach einer MdE von wenigsten 20 vH der Vollrente zu bezahlen. Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Berufung entgegengetreten und weist darauf hin, dass die vorgelegten ärztlichen Atteste eine andere Beurteilung nicht rechtfertigten.

Der Kläger legt ein weiteres Attest der behandelnden Orthopäden Drs. M. und R. vom 24.2.2011 vor, wonach der Kläger weiterhin über Schmerzen in der rechten Schulter, besonders bei Belastung und Überkopfarbeiten, klage.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 3.2.2008 hat.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls (Arbeitsunfall, der hier am 3.2.2008 eingetreten ist) über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vH mindern.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.6.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Grundsätzlich werden Renten an Versicherte von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem erstens der Anspruch auf Verletztengeld endet oder zweitens der Versicherungsfall eingetreten ist, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist (§ 72 Abs. 1 SGB VII). Nach § 74 Abs. 2 SGB VII dürfen Renten nicht für die Zeit neu festgestellt werden, in der Verletztengeld zu zahlen ist oder ein Anspruch auf Verletztengeld wegen des Bezugs von Einkommen oder des Erhalts von Betriebs- und Haushaltshilfe oder wegen der Erfüllung der Voraussetzungen für den Erhalt von Betriebs- und Haushaltshilfe nicht besteht (§ 74 Abs. 2 SGB VII).

Gemessen daran hat der Kläger, der nach den nicht angefochtenen Feststellungen der Beklagten bis 1.9.2008 arbeitsunfähig war und Anspruch auf Verletztengeld hatte, keinen Anspruch auf eine Verletztenrente. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat aufgrund des im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachtens von Dr. B. vom 4.12.2009. Der hiervon abweichenden Beurteilung der behandelnden Orthopäden Dr. R. und Dr. M. vermochte sich der Senat - ebenso wie das SG - nicht anzuschließen.

Nach den schlüssigen und überzeugenden Feststellungen des gehörten Sachverständigen Dr. B. liegen nach der durch den Unfall verursachten traumatischen Schulterluxation rechts mit einer knöchernen Hill-Sachs-Impression am Humeruskopf, einer Bankart-Läsion und einer partiellen Läsion der Supraspinatussehne eine endgradige Funktionseinschränkung des rechten Schultergelenkes und glaubhafte belastungsabhängige Schmerzen bei einer verbliebenen Ausdünnung der Supraspinatussehne nach Teilriss und verbliebenen Veränderungen am Oberarmkopf und Pfannenrand sowie reizlose postoperative Narben vor.

Unter Berücksichtigung oben genannter Maßstäbe und der Vorgaben der Rentenliteratur rechtfertigen die verbliebenen Unfallfolgen nach Ende der Verletztengeldzahlung und über die 26. Woche nach dem Unfall hinaus keine MdE von wenigstens 20 vH der Vollrente. Zu Recht weist Dr. B. darauf hin, dass sich die funktionellen Einschränkungen der rechten Schulter im Verlauf der Behandlung und bis zur gutachterlichen Untersuchung im November 2009 stetig verbessert haben. So wurde im Bericht von PD L. im Juli 2008 nur noch eine mäßige Einschränkung der Anteversion (Anheben vorwärts) auf 150° sowie der aktiven Abduktion (Anheben seitwärts) auf über 90° bei einer weiterhin eingeschränkten Außen- und Innenrotation angegeben. Der Nackengriff war damals schon als frei, der Schürzengriff als noch deutlich eingeschränkt beschrieben worden. Bereits im Zwischenbericht der BGU Tübingen vom 01.09.2008 wurden die Abduktion mit 160°, die Elevation (Anheben des Armes) mit 170°, die Retroversion (Armbewegung rückenwärts) mit 30° und die Adduktion (Bewegung körperwärts) mit 45° angegeben. Eine Impingementsymptomatik fand sich nicht, es wurden noch Schmerzen im Bereich des proximalen Oberarmes ventral/lateral angegeben und ausgeführt, der Kläger habe angegeben, auch das Heben schwerer Lasten bereite keine Probleme. Bei der Untersuchung im November 2009 zeigte sich schließlich ein weitgehend unverändertes Bewegungsausmaß: Das Anheben des rechten Armes seitwärts gelang bis 150° (links 170°), die Adduktion rechts bis 60° (links 70°); die Armbeweglichkeit vorwärts war rechts mit 160° (links 170°) und rückwärts mit 20° (links 40°) angegeben worden. Auch das Auswärts-, Einwärtsdrehen des (anliegenden) Armes mit 60-0-60° und (bei 90°seitwärts abgehobenem Oberarm) mit 80-0-30° war im Seitenvergleich mit der linken Extremität, abgesehen von der etwas deutlicheren Beeinträchtigung der Innenrotation in abgehobener Position, nicht wesentlich eingeschränkt (80-0-70° bzw. 80-0-60°). Dabei waren sowohl der Cross-Body-Griff und Nackengriff seitengleich durchführbar und nur der Schürzengriff war rechts im Seitenvergleich etwas eingeschränkt. Keine der drei genannten Untersuchungen und der dabei erhobenen Befunde rechtfertigt jedoch die Annahme einer MdE in rentenberechtigendem Grade. Wie Dr. B. in seinem Gutachten ausführlich unter Darlegung der Vergleichswerte in der Rentenliteratur (vgl. hierzu nur Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 523; Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung 12. Aufl., S. 159; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Anhang 12, J028; sowie die weiteren von Dr. B. genannten Fundstellen) erfordert die Annahme einer MdE von wenigstens 20 vH der Vollrente eine Bewegungseinschränkung für das Anheben vorwärts und seitwärts bei freier Rotation auf 90°, wobei die Schultervorhebung als Hauptkriterium zu berücksichtigen ist. Eine damit vergleichbare Funktionseinschränkung liegt beim Kläger nicht vor und lässt sich auch nicht mit den von ihm behaupteten Schmerzen begründen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bislang weder eine kontinuierliche ambulante noch eine stationäre Schmerztherapie durchgeführt wurde und auch nicht von den behandelnden Orthopäden als notwendig erachtet wurde. Eine Schmerzmedikation nach Bedarf in Form eines nichtstereoidalen Antirheumatikums Diclofenac vermag eine zusätzliche Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zu begründen. Entsprechendes ist auch weder vom Kläger noch von den behandelnden Orthopäden substantiiert vorgetragen und geltend gemacht worden und für den Senat auch nicht ersichtlich. Schmerzen, die bei Überkopfarbeiten auftreten mögen, sind angesichts der dokumentierten und vergleichsweise geringen Einschränkungen sowie der erfolgten Behandlung nicht als gleichbedeutend mit einer dauernden Unmöglichkeit, den Arm über die Horizontale anheben zu können, anzusehen. Nur letzteres rechtfertigt jedoch die Annahme einer wesentlichen und damit rentenberechtigenden MdE.

Darüber hinaus ist auch weder der vom Kläger geltend gemachte drohende Riss der Sehne noch die angeblich zwischenzeitlich festgestellte Arthrose geeignet, eine abweichende Beurteilung zu begründen. Nur mögliche, zukünftige Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit sind - worauf Dr. B. zu Recht hinweist - bei der Bemessung der MdE als rein hypothetische Geschehensabläufe nicht zu berücksichtigen, zumal sich die MdE-Bemessung an der aktuellen Befähigung, einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können, zu orientieren hat. Gleiches gilt für die nunmehr geltend gemachte Arthrose, die im Übrigen gerade nicht durch das vom Kläger vorgelegte Attest der Berufsausübungsgemeinschaft Dres. M. und R. vom 05.03.2010 bestätigt wird. Vielmehr wird auch dort "nur" von einer Gefahr gesprochen, an einer Arthrose der rechten Schulter zu erkranken. Soweit in diesem Attest empfohlen wird, das Ausmaß der Schädigung in einem freien Gutachten bei einem chirurgisch orthopädischen Facharzt klären zu lassen, liegt ein solches mit dem Gutachten von Dr. B. bereits vor. Der Senat kann daraus nur schließen, dass den behandelnden Orthopäden dieses nicht vorgelegen hat. Die von diesen vertretene Auffassung, die MdE sei mit 20 vH zu bewerten, vermag nicht zu überzeugen, da konkrete und vom vorliegenden Gutachten abweichende Befunde nicht genannt werden. Zu den Fragen der verbliebenen Bewegungseinschränkung und der Beurteilung der verbliebenen Schmerzen liegt ein sorgfältig begründetes Gutachten des Dr. B. vor, welches durch die vorgelegten Atteste, die sich im Wesentlichen auf nicht näher definierte Bewegungseinschränkungen und Schmerzen zur Begründung der MdE-Einschätzung stützen, nicht entkräftet wird. Dies wird darüber hinaus auch durch den im Termin vorgelegten Bericht der Radiologischen Gemeinschaftspraxis Singen vom 21.12.2010 bestätigt, der in Auswertung der MRT vom 20.12.2010 und im Vergleich zum Vorbefund vom 15.02.2008 von einer deutlichen Besserung spricht. Weitere Ermittlungen von Amts wegen waren angesichts dessen nicht erforderlich.

Der Senat brauchte im Übrigen nicht zu entscheiden, ob die Unfallfolgen derzeit eine MdE von 10 vH rechtfertigen, da ein sog. Stützrententatbestand iSd. § 56 Abs. 1 S. 2 und 3 SGB VII nicht vorliegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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