L 3 AS 5894/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 5894/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit L 3 AS 5694/09 durch den Vergleich vom 15. Dezember 2010 erledigt ist.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Rechtsstreit L 3 AS 5694/09 durch den gerichtlichen Vergleich vom 15.12.2010 beendet worden ist.

In jenem Verfahren war zwischen den Beteiligten streitig, ob der Kläger Anspruch auf höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit von März bis Mai 2007 und Juli bis September 2007 hat und ob ihm für den Monat Juni 2007 ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zusteht.

Der 1954 geborene Kläger übt eine selbständige Tätigkeit als Elektroinstallateur aus und bezieht seit Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II von der Beklagten. Zuletzt wurden ihm für die Monate Januar bis März 2007 Leistungen in Höhe von monatlich 628,96 EUR (Regelleistung 345 EUR, Kosten der Unterkunft 248,17 EUR, ernährungsbedingter Mehrbedarf 35,79 EUR) bewilligt.

Nachdem der Kläger die Unterlagen über seine Einkünfte und Ausgaben vorgelegt hatte, auf die Bezug genommen wird, bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 13.09.2007 (Bl. 957B) Leistungen für den Monat Mai in Höhe von 782,58 EUR. Für den Monat Juni lehnte sie die Bewilligung von Leistungen ab mit der Begründung, der Kläger habe aus seinem Gewerbe Einkommen erzielt. Auch nach Abzug der Benzin- und Materialkosten sowie der Freibeträge übersteige das dann noch anrechenbare Einkommen seinen Bedarf für den Monat Juni 2007.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.05.2008 (Bl. 1499B) zurück mit der Begründung, das anzurechnende Einkommen im Monat Juni 2007 übersteige den für diesen Monat anzusetzenden Bedarf in Höhe von 784,58 EUR. Darüber hinaus lege der Umstand, dass die vom Kläger getätigten Ausgaben für Wareneinkauf bei weitem seine Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit überstiegen, den Verdacht nahe, dass er nicht alle seine Einkünfte offenlege.

Mit weiteren Bescheiden vom 13.09.2007 (Bl. 953B und 963B) bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen für die Zeit vom 01.04. bis 30.04.2007 in Höhe von 782,58 EUR und vom 01.07.2007 bis 30.09.2007 in Höhe von monatlich 784,58 EUR.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.05.2008 (Bl. 1509B) wies die Beklagte den hiergegen eingelegten Widerspruch zurück mit der Begründung, dem Kläger sei am 15.03.2007 die Eigenheimzulage in Höhe von 2.697,06 EUR zugeflossen. Nach Abzug eines Betrages von 1.580,- EUR, die der Kläger an seine Tante L. Martel zur Rückführung eines Darlehens gezahlt habe, sei diese in Höhe von 1.117,06 EUR auf einen Zeitraum von 12 Monaten aufgeteilt worden (monatlich 93,09 EUR). Unter Berücksichtigung der Versicherungspauschale von 30 EUR seien monatlich 63,09 EUR anzurechnen.

Gegen beide Widerspruchsbescheide hat der Kläger am 20.06.2008 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben mit der Begründung, die Anrechnung der Eigenheimzulage als Einkommen sei nicht zulässig, da diese vollständig zur Darlehenstilgung verwendet worden sei. Auch die Ablehnung der Bewilligung von Leistungen für den Monat Juni 2007 sei rechtswidrig. Nach § 2a Arbeitslosengeld II-Verordnung (Alg II-V) seien bei der Berechnung des Einkommens aus selbständiger Tätigkeit die Betriebseinnahmen abzüglich der notwendigen Ausgaben in Ansatz zu bringen. Ausweislich des Steuerbescheides für das Jahr 2007 habe er keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt, sondern einen Verlust, so dass auch kein Einkommen abzusetzen sei. Der Kläger hat den Bescheid für 2007 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vorgelegt. Danach hatte er 2007 negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 2.623,- EUR.

Mit Bescheid vom 23.10.2007 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen für die Zeit vom 01.10.2007 bis 30.11.2007 unter anteiliger Anrechnung der Eigenheimzulage als Einkommen. Mit Bescheid vom 08.05.2008 (Bl. 1317B) hob sie die Bewilligung für die Zeit vom 01.11.2007 bis 30.11.2007 teilweise auf und setzte einen Leistungsbetrag von 442,73 EUR fest. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 28.08.2008 (Bl. 1723B) zurück. In der Rechtsbehelfsbelehrung wird ausgeführt, gegen die Entscheidung könne Klage zum Sozialgericht Mannheim erhoben werden. Eine Klageerhebung ist nicht erfolgt.

Mit Bescheiden vom 18.12.2007 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen für die Zeit vom 01.12.2007 bis 31.01.2008, wobei sie im Januar 2008 die Eigenheimzulage nicht mehr als Einkommen anrechnete. Mit Bescheid vom 11.03.2008 bewilligte sie Leistungen vom 01.12.2007 bis 29.02.2008, wobei sie gleichfalls ab Januar 2008 die Eigenheimzulage nicht mehr als Einkommen anrechnete.

Mit Verfügung vom 14.04.2009 hat das SG die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es zugunsten des Klägers davon ausgehe, dass auch die Bewilligungsbescheide vom 23.10.2007 bzw. vom 08.05.2008 und vom 18.12.2007 gem. §§ 86 und 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden seien, soweit sie die Anrechnung der Eigenheimzulage beträfen. Da dem Kläger ab 01.01.2008 Leistungen ohne Anrechnung der Eigenheimzulage bewilligt worden seien, betreffe der Streit um die Eigenheimzulage nur den Zeitraum von April 2007 bis Dezember 2007.

Der Kläger hat weiter seine Kontoauszüge für den Monat Juni 2007 vorgelegt. Danach sind Gutschriften des Finanzamtes Mosbach am 14.06.2007 i.H.v. 426,82 EUR mit der Zweckbestimmung (UMS.ST 1VJ.07) und am 15.06.2007 i.H.v. 707,- EUR mit der Zweckbestimmung (STEUERERSTATT.46168/26805) erfolgt.

Mit Urteil vom 27.10.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage gegen die Bescheide vom 18.12.2007 und 11.03.2008 sei insoweit unzulässig, als höhere Leistungen für die Monate Januar und Februar 2008 geltend gemacht würden, da in diesen Monaten eine Anrechnung der Eigenheimzulage nicht erfolgt sei. Im Übrigen sei die Klage nicht begründet. Einem Anspruch des Klägers für den Monat Juni 2007 stehe entgegen, dass dieser im Monat Juni 2007 eine Umsatzsteuererstattung in Höhe von 462,82 EUR sowie eine Lohn- bzw. Einkommenssteuererstattung in Höhe von 707,- EUR erhalten habe. Diese Steuererstattungen überstiegen den Bedarf des Klägers für den Monat Juni 2007, der höchstens mit 782,58 EUR zu beziffern sei. Der Kläger habe auch in den Monaten März bis Mai 2007 und Juli bis Dezember 2007 keinen Anspruch auf höhere Leistungen. § 1 Abs. 1 Nr. 7 Alg II-V sehe ausdrücklich vor, dass die Eigenheimzulage von der Einkommensanrechnung nur dann ausgenommen werde, wenn sie nachweislich zur Finanzierung einer geschützten Immobilie verwendet werde (BSG, Urteile vom 30.09.2008 - B 4 AS 19/07 R - und vom 03.03.2009 - B 4 AS 38/08 R). Es erscheine bereits zweifelhaft, ob dieser Nachweis vorliegend angenommen werden könne, denn die Eigenheimzulage sei dem Kläger erst am 15.03.2007 zugeflossen, die Überweisung auf das Baukreditkonto über 1.000,00 EUR sei bereits am Tag zuvor (14.03.2007) erfolgt. Die nächste Überweisung über 1.000,00 EUR sei erst drei Wochen später am 10.04.2007 erfolgt. Darüber hinaus sei bereits zweifelhaft, ob der Kläger hinsichtlich des monatlichen Fehlbetrags von 63,09 EUR überhaupt bedürftig sei, da der Kläger keine plausible Erklärung dafür habe geben können, wie er seine ständigen Verluste aus Betriebstätigkeit finanziere.

Gegen das am 04.11.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 04.12.2009 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er vorgetragen, im Monat Juli 2007 keine Lohnsteuererstattung erhalten zu haben. Die Steuererstattung in Höhe von 707,- EUR sei zwar als "Lohnsteuererstattung" bezeichnet worden. Tatsächlich habe es sich jedoch um die Rückerstattung zu viel bezahlter Umsatzsteuer gehandelt. Auch die Anrechnung der Eigenheimzulage als Einkommen sei nicht zulässig, da er diese zweckgebunden verwendet habe.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 15.12.2010 schlossen die Beteiligten folgenden

V e r g l e i c h

1. Die Beklagte macht gegenüber dem Kläger keine Erstattung für im Jahr 2007 gewährte Leistungen geltend. 2. Im Übrigen erklären die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt. 3. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Dieser Vergleich ist ausweislich der Sitzungsniederschrift den Beteiligten vorgelesen und von diesen genehmigt worden.

Am 16.12.2010 hat der Kläger telefonisch mitgeteilt, er wolle seine "Entscheidung" von gestern widerrufen. Mit Schreiben vom 15.12.2010, am 17.12.2010 beim LSG eingegangen, hat er ausgeführt, er habe im Verhandlungstermin beim LSG eine falsche Entscheidung getroffen und wolle deshalb den Vergleich anfechten. Zum einen habe er nicht alles verstanden, weil er schlecht höre. Zudem sei die Eigenheimzulage kein Einkommen, sondern eine Spende vom Staat. Die von seiner Tante gewährten Kredite müsse er zurückzahlen. Er habe die Kredite nur deshalb bei seiner Tante aufgenommen, weil er an diese einen geringeren Zinssatz als an die Sparkasse zahlen müsse. Die Zahlungen des Finanzamtes im Juni 2007 seien lediglich die Erstattung einer falschen Abbuchung und die Erstattung der Mehrwertsteuer gewesen.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass der Rechtsstreit L 3 AS 5694/09 nicht durch den Vergleich vom 15. Dezember 2010 erledigt ist und das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 27. Oktober 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Abänderung des Bescheids vom 13. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Mai 2008 sowie der Bescheide vom 23. Oktober 2007 und 08. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. August 2008 sowie vom 18. Dezember 2007 und 11. März 2008 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ohne Anrechnung der Eigenheimzulage zu gewähren sowie die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 13. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. August 2008 zu verurteilten, ihm für den Monat Juni 2007 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

festzustellen, dass der Rechtsstreit L 3 AS 5694/09 durch den Vergleich vom 15. Dezember 2010 beendet ist.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Fortsetzung des Berufungsverfahrens L 3 AS 5694/09, denn dieses ist durch den gerichtlichen Vergleich vom 15.12.2010 beendet.

Nach § 101 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) können die Beteiligten, um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen, zur Niederschrift des Gerichts oder des Vorsitzenden oder des beauftragten oder ersuchten Richters einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen könnten.

Der Prozessvergleich hat nach herrschender Meinung eine Doppelnatur, er ist einerseits materiell-rechtlicher Vertrag und andererseits eine Prozesshandlung, die den Rechtsstreit unmittelbar beendet und dessen Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des Prozessrechts richtet (BSG, Urteil vom 24.01.1991 - 2 RU 51/90 - in Juris; HK-SGG/Roller, § 101 Rn 2).

1. Es sind keine prozessrechtlichen Gründe für eine Unwirksamkeit des Prozessvergleichs ersichtlich. Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 15.12.2010, die eine öffentliche Urkunde darstellt, ist dem Kläger seine Erklärung zum Abschluss des Vergleiches vorgelesen und von ihm genehmigt worden. Der Kläger bestreitet auch nicht, diese Erklärung abgegeben zu haben.

Prozesshandlungen - wie die Zustimmung zu einem gerichtlichen Vergleich - können nur unter engen Voraussetzungen wie z.B. beim Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes nach § 179 SGG, §§ 578 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) widerrufen werden oder dann, wenn der Grundsatz von Treu und Glauben ein Festhalten an der Prozesshandlung verbietet (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, vor § 60 Rn 12 a).

Derartige Gründe für den Widerruf des Vergleichs und die Fortsetzung des Verfahrens, zu denen auch arglistige Täuschungen bzw. Drohungen bei Vergleichsabschluss gehören, hat der Kläger nicht geltend gemacht. Insbesondere die Ankündigung der Beklagten, weitere Rückforderungen bezüglich der im Jahr 2007 an den Kläger erbrachten Leistungen geltend zu machen, und damit die bloße Verdeutlichung von Prozessrisiken stellt keine Drohung in diesem Sinne dar (vgl. BAG, Urteil v. 12.05.2010 - 2 AZR 544/08 - in juris Rn.36) und berechtigt deshalb nicht zur Anfechtung gem. § 123 BGB. Denn aus Sicht der Beklagten lagen Gründe für eine Prüfung vor, ob eine weitergehende Rückforderung einzuleiten sei. Gerade um diese drohenden Rückforderungen außer Streit zu stellen hat der Kläger dem Vergleich zugestimmt.

2. Es liegen auch keine Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des gerichtlichen Vergleichs nach den §§ 116 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) oder seiner Unwirksamkeit nach § 779 Abs. 1 BGB vor. Soweit der Kläger der Auffassung ist, er habe den Vergleich irrtümlich abgeschlossen, da dieser für ihn wirtschaftlich ungünstig sei, handelt es sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum.

Auch der Vortrag des Klägers, er höre schlecht und habe deshalb nicht alles - akustisch - verstanden, verfängt nicht. Denn er war ausweislich seines am 15.12.2010 verfassten Antrags auf Fortsetzung des Verfahrens in der Lage, noch am Tage der mündlichen Verhandlung den Inhalt des Vergleichs mit seinem Berater zu besprechen und hat an diesem Tag auch detaillierte Einwände gegen die im Vergleich getroffenen Regelungen vorgebracht. Ihm war damit der Inhalt des Vergleichs bei dessen Abschluss bekannt, zumal die Niederschrift über die mündliche Verhandlung erst am 16.12.2010 zur Post gegeben worden ist.

Es liegen deshalb keine Gründe für eine Unwirksamkeit des Vergleichs vor. Deshalb ist eine Fortsetzung des früheren Berufungsverfahrens mit einer Sachentscheidung über das Berufungsbegehren des Klägers nicht möglich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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