L 10 R 1639/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 1796/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1639/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 05.03.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die im Jahr 1953 geborene Klägerin besuchte für ein Jahr eine Haushaltungsschule und im Anschluss daran von Oktober 1969 bis März 1970 eine Schwesternvorschule. Im Juni 1971 bestand sie die Prüfung zur Krankenpflegehelferin (Bl. 12, 13, 15 Vorheftung Verwaltungsakte). Als solche war sie zuletzt über Jahre hinweg ausschließlich im Nachtdienst tätig.

Die Klägerin leidet an einer Osteoporose, die im Mai 2005 zu einer Deckplattenimpressionsfraktur am Brustwirbelkörper 12 führte. Seither ist die Klägerin arbeitsunfähig bzw. arbeitslos. Neben der Osteoporose liegen bei der Klägerin auf dem orthopädischen Fachgebiet ein Hohlrundrücken, eine Spondylose der Brustwirbelsäule mit teilfixierter Brustkyphose, eine Chondrose L5/S1, Bandscheibenprotrusionen L3-S1, eine beginnende Arthrose im Schultereckgelenk rechts, eine Chondropathia patellae beidseits sowie Senk-Spreizfüße beidseits vor (Gutachten des Orthopäden Dr. L. Bl. 69 Verwaltungsakte). Auf dem internistischen Fachgebiet leidet die Klägerin an einem Asthma bronchiale und einer pernizösen Anämie bei chronischer atrophischer Gastritis (Gutachten Dr. J. Bl. 81 Verwaltungsakte). Wegen psychischer Beschwerden nimmt die Klägerin schon seit dem plötzlichen Tod ihres Ehemanns im Jahr 1991 in unterschiedlichem Umfang psychiatrische Behandlungen in Anspruch. Seit dem Jahr 2008 erfolgt auch eine schmerztherapeutische Behandlung.

Im September 2007 lehnte die Beklagte gegenüber der Klägerin die Übernahme von Kosten einer betrieblichen Anpassungsmaßnahme ab, da die Tätigkeit einer Krankenpflegehelferin nicht mehr leidensgerecht sei (Bl. 9 SG-Akte).

Im November 2007 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte Gutachten des Orthopäden Dr. L. , des Facharztes für Innere Medizin Dr. J. und des Neurologen und Psychiaters Dr. S. ein. Dr. L. gelangte zu der Einschätzung, die Klägerin könne trotz der auf dem orthopädischen Fachgebiet liegenden Erkrankungen leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten ohne - wie allerdings in ihrer letzten Tätigkeit im Nachtdienst gefordert - regelmäßiges Heben und Tragen sowie ohne gehäufte Zwangshaltungen verrichten. Dr. J. sah auf Grund der Erkrankungen auf dem internistischen Gebiet keine wesentlichen Einschränkungen. Schwerpunkt des Leidens der Klägerin seien die Beschwerden durch die Osteoporose. Dr. S. diagnostizierte eine Dysthymia mit Somatisierungstendenzen in weitestgehender Remission, einen Verdacht auf eine beginnende Neuropathie bei bekannter perniziöser Anämie sowie degenerative Wirbelsäulenveränderungen ohne neurologische Ausfälle. Die Klägerin, die insgesamt sehr aufgeschlossen und vielseitig interessiert gewirkt habe, weise keine sozialen Rückzugstendenzen auf und sei in ihrer Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit nicht eingeschränkt. Für leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts, generell auch für eine Tätigkeit als Krankenpflegehelferin, sahen alle Gutachter ein zeitliches Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich. Gestützt darauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2009 den Antrag der Klägerin ab.

Deswegen hat die Klägerin am 03.06.2009 beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben. Das SG hat den behandelnden Internisten Dr. K. , den Facharzt für Neurologie Dr. P. , den Orthopäden Dr. Z. und die Ärztin für Anästhesie Dr. Ri. schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Dr. K. hat die Klägerin insbesondere wegen einer seit zwei Jahren schlechter werdenden psychischen Verfassung nicht mehr in der Lage erachtet, als Krankenpflegehelferin zu arbeiten. Dr. P. , bei dem die Klägerin bislang nur zwei Termine wahrgenommen hat, ist auf Grund einer chronifizierten Depression mit deutlichen Angstanteilen sowie einem chronischen Schmerzsyndrom von einem Leistungsvermögen als Krankenpflegehelferin von unter drei Stunden ausgegangen. Dr. Z. hat die Klägerin für in der Lage erachtet, leichte körperliche Tätigkeiten, die sich auch im Krankenpflegeberuf fänden, zu verrichten. Dr. Ri. hat von zwei- bis viermal pro Monat erfolgenden Behandlungen, die zu einer deutlichen Reduzierung der Schmerzsituation geführt hätten, berichtet und die Klägerin wegen der durch die Opiattherapie bedingten Müdigkeit sowie der degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule nicht in der Lage erachtet, stehende bzw. körperlich anstrengende Tätigkeiten im Pflegebereich durchzuführen.

Sodann hat das SG die Fachärztin für Psychiatrie Dr. Schm. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Im Rahmen der Begutachtung hat die Klägerin, befragt nach ihrem Tagesablauf, u.a. mitgeteilt, sie besuche regelmäßig alte Leute im Altersheim, lese vor, stricke, spiele und gehe mit ihnen spazieren. In einem kleinen Stück Garten habe sie sich ein Blumenbeet angelegt, sie würde sich einen größeren Garten mit Bäumen und Sträuchern wünschen. Dr. Schm. hat auf Grund des von ihr erhobenen unauffälligen psychopathologischen Befunds aktuell kein depressives Störungsbild gesehen, auch im körperlich-neurologischen Befund hätten sich keine schmerzbedingten Einschränkungen im Bewegungsablauf gezeigt. Sie hat eine Dysthymia, die jedoch vollschichtige Tätigkeiten unter den bereits von Dr. L. geschilderten qualitativen Einschränkungen und ohne Schichtarbeit, Zeitdruck und erhöhter Verantwortung nicht ausschließen würde, diagnostiziert.

Mit Urteil vom 05.03.2010 hat das SG, gestützt auf das Gutachten von Dr. Schm. , die Klage abgewiesen. Die Klägerin könne leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Arbeiten unter Vermeidung von regelmäßigem Heben und Tragen und in körperlicher Zwangshaltung ohne quantitative Einschränkung verrichten. Dr. Schm. habe angesichts des von ihr erhobenen psychopathologischen Befundes (keine Merkfähigkeitsstörung, geordneter Gedankengang, keine Störung im affektiven Bereich, kein Erleben von Versagen) nachvollziehbar abgeleitet, dass aktuell lediglich eine Dysthymia vorliege. Die Kriterien einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung seien nicht gegeben. Die von Dr. P. angegebene Diagnose sei durch das Gutachten nicht verifiziert worden. Seine Aussage, die lediglich auf zwei Behandlungen basiere, enthalte keine nähere Beschreibung auf Grund welcher Erscheinungsformen die Diagnose gestellt worden sei. Dr. K. habe seine Einschätzung auf die schlechte psychische Verfassung gestützt, ohne hierfür fundierte Diagnosen liefern zu können. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit komme nicht in Betracht, da die Klägerin angesichts einer regelmäßig nur einjährigen Ausbildung zur Krankenpflegehelferin als Angelernte auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden könne.

Gegen das ihr am 11.03.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 08.04.2010 Berufung eingelegt. Sie hat einen handschriftlichen Tagesablauf vorgelegt, in dem im Wesentlichen die Einnahme von Schmerzmedikamenten dokumentiert ist. Dazu hat sie vorgetragen, wegen ständig starker Schmerzen und einem reduzierten Leistungsvermögen in psychischer Hinsicht nicht mehr fähig zu sein, einer Erwerbstätigkeit von wirtschaftlichem Wert nachzugehen.

Die Klägerin beantragt sachdienlich gefasst,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 05.03.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.05.2009 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, ab dem 01.11.2007 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Der Senat hat Dr. P. , Dr. Z. und Dr. Ri. nochmals schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Die Ärzte haben mitgeteilt, seit ihren erstinstanzlichen Zeugenaussagen seien keine wesentlichen Änderungen eingetreten.

Ferner hat der Senat den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens beauftragt. Auf Grundlage der Untersuchung am 10.02.2011, bei der die Klägerin u.a. angegeben hat, keine Besuche mehr im Altersheim vorzunehmen und maximal 20 Minuten gehen zu können, hat Dr. H. die von Dr. Schm. gestellte Diagnose einer Dysthymie bestätigt. Dr. H. hat eine Simulation und Aggravation der Klägerin ausgeschlossen. Allerdings hat er angesichts unauffälliger körperlicher Befunde sowie dem Bewegungs- und Verhaltensmuster während der mehrstündigen Exploration den Eindruck eines nicht recht plausibel und authentisch erscheinenden Beschwerdevorbringens gewonnen. Die Klägerin habe bei der Begutachtung einen alles andere als körperlich oder seelisch hinfälligen Eindruck hinterlassen. Eine Tätigkeit im Nachtschichtdienst hat Dr. H. allein unter Berücksichtigung des Alters der Klägerin für unrealistisch erachtet, jedoch im Übrigen eine leichte körperliche Tätigkeit auch auf Stations- bzw. Ambulanzebene oder in einem Alten- bzw. Pflegeheim mindestens sechs Stunden täglich für möglich gehalten.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen (§§ 43, 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI) für die hier von der Klägerin beanspruchten Renten dargelegt und ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin die Voraussetzungen für keine dieser Renten erfüllt, weil sie trotz der bei ihr vorliegenden Dysthymie - bei gleichzeitigem Ausschluss einer somatoformen Schmerzstörung - sowie der weiteren Erkrankungen auf dem orthopädischen (zu nennen sind hier insbesondere die Osteoporose und die Bandscheiben-/Wirbelsäulenschäden) und internistischen Fachgebiet leichte bis gelegentlich mittelschwere körperlichen Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen (kein regelmäßiges Heben und Tragen, keine gehäuften Zwangshaltungen) noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann und auch keinen besonderen Berufsschutz genießt. Darüber hinaus kann die Klägerin nach den überzeugenden Ausführungen des sachverständigen Zeugen Dr. Z. , bestätigt durch den Sachverständigen Dr. H. , angesichts der bei ihr vorliegenden qualitativen Leistungseinschränkungen zwar nicht mehr ihre letzte Krankenpflegetätigkeit im Nachtdienst, insbesondere das Lagern und Anheben von Patienten, bewältigen. Sie kann jedoch andere im Krankenpflege(helfer)beruf sich anbietende Tätigkeiten (z.B. Stationssekretärin, Koordination von Aufnahmen, Entlassungen, etc., Richten von Medikamenten, Austeilen und Abräumen von Essen; Tätigkeiten auf einer Station im Altenheim) mindestens sechs Stunden täglich verrichten und damit sogar auf ihr bisheriges Berufsbild verwiesen werden. Insoweit teilt der Senat die von der Beklagten bei der - hier nicht streitgegenständlichen - Ablehnung betrieblicher Anpassungsmaßnahmen vertretene Auffassung, der Beruf der Krankenpflegehelferin sei nicht mehr leidensgerecht, nicht. Im Übrigen - hinsichtlich der Bewertung der weiteren erstinstanzlich eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen und des Gutachtens von Dr. Schm. - schließt sich der Senat den Ausführungen des SG an und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.

Das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten von Dr. H. hat die Entscheidung des SG und das Gutachten von Dr. Schm. in vollem Umfang bestätigt. Zwar hat die Klägerin ihren Tagesablauf und ihre Funktionsbeeinträchtigungen im Vergleich zu der Begutachtung durch Dr. Schm. wesentlich schlechter dargestellt. In diesem Zusammenhang sieht der Senat auch den von der Klägerin vorgelegten Tagesablauf, der, da im Wesentlichen aus der Darstellung von Medikamenteneinnahmen und erfolglosen Arbeitsversuchen im Haushalt bestehend, auf ein aufgehobenes Leistungsvermögen schließen lassen könnte. Davon kann sich der Senat jedoch nicht überzeugen. Er stützt sich dabei auf die Beobachtungen von Dr. H. bei der gutachtlichen Untersuchung. Dort hinterließ die Klägerin einen alles andere als körperlich oder seelisch hinfälligen Eindruck. Im Gegenteil wirkte sie durchaus belastbar, durchsetzungsfähig und präsent. Im Rahmen der mehrstündigen Beobachtung erwies sich das Bewegungs- und Verhaltensmuster unauffällig. Es ergaben sich keine objektiven Befunde - auch auf körperlichem Gebiet - die die von der Klägerin angegebenen Einschränkungen im Tagesablauf erklären können. Der psychopathologische Befund hat allenfalls subdepressive, eher in der Persönlichkeit der Klägerin verankerte Zeichen von Resignation und Erschöpfung ergeben. Daneben hat Dr. H. eine durchaus positive Ausstrahlung und "natürliche Autorität" der Klägerin beschrieben.

Da sämtliche sachverständige Zeugen im Berufungsverfahren angegeben haben, dass keine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand der Klägerin eingetreten ist, sind für den Senat nach wie vor auch die Angaben der Klägerin gegenüber Dr. Schm. von Bedeutung. Nach diesen Angaben ist von einem durchaus ausgefüllten Alltag der Klägerin mit Besuchsdiensten im Altersheim, der Pflege eines kleinen Gartenanteils mit dem Wunsch, einen größeren Garten zu besitzen, Hobbys wie Lesen und Stricken und einem großen Interesse für Heilungsenergien, Meditation und mystische Dinge auszugehen. Soweit die Klägerin Dr. H. auf Nachfrage mitgeteilt hat, sie gehe nicht mehr in das Altersheim, da "die Frau, zu der sie immer gegangen sei," verstorben sei, kann dies der Senat angesichts der Äußerung der Klägerin bei Dr. Schm. , "den alten Leuten" vorzulesen, sich mit "ihnen" in verschiedener Weise zu beschäftigen, nicht nachvollziehen.

Der Senat stellt nicht in Abrede, dass die Klägerin unter Schmerzen leidet. Angesichts des Umstands, dass hier auf dem orthopädischen Fachgebiet beachtliche Gesundheitsstörungen vorliegen (u.a. die Osteoporose und eine Spondylose der Brustwirbelsäule mit teilfixierter Brustkyphose), die diese Schmerzen hinreichend erklären, ist überzeugend, dass Dr. Schm. und Dr. H. keine eigenständige somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert haben. Auch die Durchführung der schmerztherapeutischen Behandlung, hinsichtlich derer Dr. H. nach Laboruntersuchungen eine gute medikamentöse Compliance bestätigt hat, wird nicht in Frage gestellt. Allerdings - hierauf hat bereits das SG hingewiesen - ist nach der erstinstanzlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. Ri. von einem jedenfalls teilweisen Erfolg dieser Behandlung, d.h. einer deutlichen Schmerzreduktion auszugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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