Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 398/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 3376/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 25. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Umschulung.
Der 1957 geborene Kläger ist gelernter Zerspanungstechniker. Bis 1985 arbeitete er als Schweißer, von 1986 bis 1989 studierte er an der Pädagogischen Hochschule H. ohne Abschluss; in dieser Zeit erkrankte er an Morbus Crohn. In der Folgezeit geriet der Kläger in Drogenabhängigkeit und wurde wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und Waffengesetz verurteilt. Von 2003 bis Juni 2007 lebte er in Thailand und gab dort Deutsch- und Englisch- sowie Computerkurse. Seither lebt er wieder in Deutschland und bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Bei dem Kläger ist ein Grad der Behinderung von 30 v.H. anerkannt seit 29. September 2008 wegen Funktionsbehinderung und degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschäden, Morbus Crohn und einer seelischen Störung.
Im März 2009 beantragte der Kläger erstmals bei der Beklagten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Mit Bescheid vom 18. März 2009 wurde der Antrag abgelehnt.
Am 29. September 2009 stellte der Kläger einen neuen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe und fügte diesem ein Gutachten des ärztlichen Dienstes vom 28. August 2009 bei, in welchem ein vollschichtiges Leistungsvermögen attestiert wird, sofern es sich nicht um schwere körperliche Arbeiten handelt und eine Toilette am Arbeitsplatz in erreichbarer Nähe vorhanden ist. Zusätzlich legte der Kläger ein Attest seiner Hausärzte Dres. J. vom 26. Juni 2009 vor, aus welchem sich ergab, dass der Kläger auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung eine Tätigkeit suche und gerne in den Heimatbereich seiner Frau (Fernost) gehen wolle, um dort tätig zu sein. Eine gezielte Berufsfindungsanalyse sei sinnvoll.
Mit Bescheid vom 12. Oktober 2009 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da die festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen nicht so wesentlich seien, dass zur beruflichen Eingliederung Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben i.S.v. § 97 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) benötigt würden.
Dem hiergegen gerichteten Widerspruch fügte der Kläger ein Attest des Nervenarztes Dr. M. vom 9. November 2009 bei, in welchem eine Persönlichkeitsstörung, Dysthymia, ADHS sowie Zustand nach Drogensucht bescheinigt wurden. Eine berufliche Wiedereingliederung trüge nach den Ausführungen von Dr. M. erheblich zur psychischen Stabilisierung des Klägers bei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, gestützt auf die arbeitsmedizinischen Feststellungen gehöre der Kläger nicht zum Personenkreis der behinderten Menschen (§ 19 SGB III). Zwar sei die körperliche Belastbarkeit des Klägers auf Dauer reduziert, dies schließe jedoch eine vollschichtige Arbeit nicht aus. Eine Förderung durch Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation setze einen integrationsspezifischen Bedarf voraus, wobei nicht entscheidend sei, welchen Beruf der Kläger ins Auge gefasst habe. Es müssten innere Beeinträchtigungen vorliegen, die durch Maßnahmen der Teilhabe am Arbeitsleiben ihrem inneren Zusammenhang nach allein zu beseitigen seien. Davon, dass lediglich Rehabilitation eine Integration auf dem Arbeitsmarkt ermögliche, sei nach dem aktenkundigen Leistungsbild nicht auszugehen.
Hiergegen richtet sich die am 2. Februar 2010 zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhobene Klage.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 25. Juni 2010 die Klage abgewiesen, da sich unter Berücksichtigung des bestehenden vollschichtigen Leistungsvermögens einerseits sowie der Verweisbarkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt andererseits kein Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ergebe. Der Kläger sei auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verweisbar. Die in den 70er Jahren absolvierte Ausbildung besitze keine Relevanz mehr. Abzustellen sei auf die Tätigkeiten der letzten zehn Jahre. In diesem Zeitraum habe der Kläger u.a. Sprachkurse und Computerkurse gegeben, ohne eine einschlägige Ausbildung zu haben. Nach dem arbeitsamtsärztlichen Gutachten stehe fest, dass der Kläger ein vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt besitze, wenn auch qualitative Einschränkungen zu beachten seien. Aus der vom SG eingeholten Auskunft von Dr. J. vom 23. April 2010 ergebe sich nichts anderes. Dieser habe ausgeführt, der Kläger sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr vollschichtig leistungsfähig. Wenn man die Einschätzung des Dr. J. als gegeben unterstellte, ergäbe sich erst recht kein Anspruch auf Teilhabeleistungen in Form einer Umschulung, denn eine solche sei bei einem vollständig aufgehobenen Leistungsvermögen nicht zielführend. Allein durch eine Umschulung könnte die Teilhabe am Arbeitsleben nicht gesichert werden, wenn diese aus anderen (medizinischen) Gründen aufgehoben sei.
Hiergegen richtet sich die am 19. Juli 2010 eingelegte Berufung des Klägers. Er macht geltend, dass die Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß §§ 97 ff. SGB III vorlägen. Wie das SG zur Einschätzung eines vollschichtigen Leistungsvermögens komme, erschließe sich nicht. Allein aufgrund der regelmäßigen Morbus Crohn Schübe dürfte dies schwerlich möglich sein. Der Gutachterin seien allem Anschein nach die orthopädischen und psychiatrischen Befunde nicht bekannt gewesen. Allein wegen der Morbus Crohn Erkrankung habe der Kläger sein Studium nicht zu Ende bringen können. Diese behinderungsbedingte Leistungseinbuße solle mit dem gestellten Antrag kompensiert werden. Dem SG könne auch nicht darin gefolgt werden, dass der Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei und hierfür ein entsprechendes Leistungsvermögen bestehe. Der Kläger habe in seinem Berufsleben nur Hilfsarbeitertätigkeiten ausgeübt. In Thailand habe er jahrelang als Lehrer gearbeitet, es dürfe ihm nicht zum Nachteil gereichen, dass er wegen seiner Erkrankung keinen Studienabschluss nachweisen könne. Es sei nicht damit getan, den Kläger durch Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung an den ersten Arbeitsmarkt heranzuführen. Der Kläger sei auch für die Teilhabeleistungen geeignet. Ergänzend werde ausgeführt, dass ggf. auch eine Förderung nach §§ 16 SGB II, 235c SGB III in Betracht komme. Die Voraussetzungen von § 77 Abs. 2 SGB III lägen beim Kläger ebenso vor.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 25. Juni 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Gestalt einer Umschulung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass ein Anspruch auf Teilhabeleistungen nicht bestehe. Entscheidend sei, ob eine behinderungsbedingt erhebliche Leistungseinbuße im Tätigkeitsbereich des bisherigen Berufs vorliege. Aufgrund des beruflichen Werdegangs komme der Kläger nicht für eine Lehrertätigkeit in Frage, weil er keine Qualifikation hierfür besitze. Aufgrund des beruflichen Werdegangs sei zu Recht eine breite Verweisbarkeit für Anlern- bzw. Helfertätigkeiten angenommen worden. Der Kläger gehöre damit nicht zum Kreis derjenigen behinderten Menschen, deren Aussichten am Arbeitsleben teilzuhaben wegen der Art und Schwere der Behinderung nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert seien. Unabhängig davon sei die begehrte Maßnahme auch nicht erforderlich, um der Leistungsminderung zu begegnen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie S.-K. hat unter dem 13. Dezember 2010 mitgeteilt, dass bei dem Kläger eine schwere Persönlichkeitsstörung bestehe. Die berufliche Leistungsfähigkeit sei erheblich beeinträchtigt. Einfache, anspruchslose Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien mindestens sechs Stunden täglich möglich; eine Tätigkeit als Leiter von Sprachkursen sei ausgeschlossen. Der Orthopäde Dr. L. hat geäußert (Schreiben vom 15. Dezember 2010), dass der Kläger nur einmalig wegen einer Verschreibung vorstellig geworden sei, eine Vorstellung in der Sprechstunde sei nicht erfolgt. Nach dem beigefügten Befundbericht von Prof. Dr. G. vom 23. April 2010 besteht bei dem Kläger Lumbago, degenerative WS-Veränderungen, Bandscheibenvorfall, Gonalgie links, Beinlängendifferenz, Senk-Spreizfuß, Gonarthrose links, Impingement-Syndrom der Schulter links, Kniedistorsion links.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers, über die der Senat nach erteiltem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 143 SGG) und damit zulässig, da Berufungsausschließungsgründe i.S.v. § 144 Abs. 1 SGG nicht vorliegen. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Beklagte hat zu Recht abgelehnt, dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §§ 16 Abs. 1 Satz 3 SGB II, 97 SGB III zu gewähren.
Streitgegenstand sind allein die Leistungen zur Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben, nicht jedoch die in der Berufungsbegründung zuletzt angesprochenen Leistungen zur Förderung der beruflichen Weiterbildung nach §§ 16 Abs. 1 Satz 2, 77 ff. SGB III bzw. § 235c SGB III. Leistungen der beruflichen Weiterbildung waren zu keiner Zeit Gegenstand des Verwaltungsverfahrens, auch das SG hat hierüber nicht entschieden. Die Beklagte wäre für diese Leistungen auch nicht zuständig, sondern der Träger der Grundsicherungsleistungen, hier also das Jobcenter H. bzw. nach dem Umzug des Klägers in das Saarland ab 1. April 2011 das Jobcenter M.-W ... Ganz davon abgesehen betrifft § 235c SGB III Leistungen an der Arbeitgeber in Form von Zuschüssen zum Arbeitsentgelt, nicht die hier begehrte direkte Förderung des Klägers.
Nach §§ 16 Abs. 1 Satz 3 SGB II, 97 SGB III können behinderten Menschen Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsmarkt erbracht werden, die wegen Art und Schwere der Behinderung erforderlich sind, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern. Behindert sind Menschen, deren Aussichten am Arbeitsleben teilzuhaben oder weiter teilzuhaben wegen der Art oder Schwere ihrer Behinderung i.S.v. § 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert sind und die deshalb Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben benötigen (§ 19 Abs. 1 SGB III). Behinderten Menschen stehen Menschen gleich, denen eine Behinderung mit den in Absatz 1 genannten Folgen droht (§ 19 Abs. 2 SGB III). Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist. Zuständiger Rehabilitationsträger für die Leistungen nach §§ 16 Abs. 1 Satz 3 SGB II, 97 ff. SGB III ist die Beklagte nach § 6a Abs. 1 Satz 1 SGB IX.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat zur vollen Überzeugung gelangt, dass der Kläger nicht zum Kreis der Leistungsberechtigten des § 97 Abs. 1 SGB III gehört, denn bei ihm liegt zwar eine Behinderung i.S.v. § 2 Abs. 1 SGB IX vor, aber keine wesentliche Minderung der Aussichten zur Teilhabe am Arbeitsleben i.S.v. § 19 Abs. 1 SGB III. Der Kläger ist in seiner beruflichen Leistungsfähigkeit durchaus eingeschränkt. Wie sich aus dem arbeitsamtsärztlichen Gutachten, das im Wege des Urkundsbeweises verwertet wird sowie den vom SG und vom Senat eingeholten Aussagen behandelnder Ärzte ergibt, liegt bei dem Kläger insbesondere eine entzündliche Darmerkrankung (Morbus Crohn) vor sowie Beeinträchtigungen auf orthopädischem Gebiet mit Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und Z.n. Bandscheibenvorfällen sowie des linken Kniegelenks und der linken Schulter. Zusätzlich besteht eine Persönlichkeitsstörung und Dysthymia. Mit den vorliegenden Einschränkungen kann der Kläger gleichwohl noch vollschichtig tätig sein, sofern es sich um anspruchslose, nicht schwere oder körperlich besonders belastende Arbeiten handelt (z.B. häufiges Bücken, Überkopfarbeiten oder einseitige Körperhaltung ohne Möglichkeit zum Ausgleich). Dies ergibt sich übereinstimmend aus dem arbeitsamtsärztlichen Gutachten wie auch der Auskunft von Frau S.-K ... Soweit die behandelnden Hausärzte von einem aufgehobenen Leistungsvermögen ausgehen, kann dem nicht gefolgt werden. Eine nachvollziehbare Begründung enthält die Einschätzung von Dr. J. nicht, sie ergibt sich auch nicht allein aus den mitgeteilten Befunden. Soweit Dr. J. ausführt, eine vollschichtige Arbeit sei wegen psychischer Destabilisierung nicht möglich, widerspricht dies der Einschätzung aus fachärztlicher Sicht von Frau S.-K ...
Auch die Tatsache, dass der Kläger an Morbus Crohn leidet, spricht nicht gegen ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Insoweit ist lediglich zu beachten, dass eine Toilette in der Nähe des Arbeitsplatzes zu fordern ist. Im Übrigen ist insoweit der Vortrag des Klägers auch nicht konsequent, denn wenn der Morbus Crohn schon per se einer Erwerbstätigkeit entgegen stünde, könnte dies auch durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht beeinflusst werden.
Mit dem festgestellten vollschichtigen Leistungsvermögen kann der Kläger die zuletzt ausgeübten angelernten bzw. Hilfstätigkeiten weiterhin verrichten. Eine Lehrertätigkeit kann nicht zugrunde gelegt werden, denn der Kläger verfügt hierfür nicht über die erforderliche Qualifikation - nach eigenen Angaben hat er deshalb auch in Thailand zuletzt keine Anstellung mehr erhalten. Besondere Leistungen zur Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben sind daher aus behinderungsbedingten Gründen nach alledem auch nicht erforderlich i.S.v. § 97 Abs. 1 SGB III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer Umschulung.
Der 1957 geborene Kläger ist gelernter Zerspanungstechniker. Bis 1985 arbeitete er als Schweißer, von 1986 bis 1989 studierte er an der Pädagogischen Hochschule H. ohne Abschluss; in dieser Zeit erkrankte er an Morbus Crohn. In der Folgezeit geriet der Kläger in Drogenabhängigkeit und wurde wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und Waffengesetz verurteilt. Von 2003 bis Juni 2007 lebte er in Thailand und gab dort Deutsch- und Englisch- sowie Computerkurse. Seither lebt er wieder in Deutschland und bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Bei dem Kläger ist ein Grad der Behinderung von 30 v.H. anerkannt seit 29. September 2008 wegen Funktionsbehinderung und degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschäden, Morbus Crohn und einer seelischen Störung.
Im März 2009 beantragte der Kläger erstmals bei der Beklagten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Mit Bescheid vom 18. März 2009 wurde der Antrag abgelehnt.
Am 29. September 2009 stellte der Kläger einen neuen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe und fügte diesem ein Gutachten des ärztlichen Dienstes vom 28. August 2009 bei, in welchem ein vollschichtiges Leistungsvermögen attestiert wird, sofern es sich nicht um schwere körperliche Arbeiten handelt und eine Toilette am Arbeitsplatz in erreichbarer Nähe vorhanden ist. Zusätzlich legte der Kläger ein Attest seiner Hausärzte Dres. J. vom 26. Juni 2009 vor, aus welchem sich ergab, dass der Kläger auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung eine Tätigkeit suche und gerne in den Heimatbereich seiner Frau (Fernost) gehen wolle, um dort tätig zu sein. Eine gezielte Berufsfindungsanalyse sei sinnvoll.
Mit Bescheid vom 12. Oktober 2009 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da die festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen nicht so wesentlich seien, dass zur beruflichen Eingliederung Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben i.S.v. § 97 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) benötigt würden.
Dem hiergegen gerichteten Widerspruch fügte der Kläger ein Attest des Nervenarztes Dr. M. vom 9. November 2009 bei, in welchem eine Persönlichkeitsstörung, Dysthymia, ADHS sowie Zustand nach Drogensucht bescheinigt wurden. Eine berufliche Wiedereingliederung trüge nach den Ausführungen von Dr. M. erheblich zur psychischen Stabilisierung des Klägers bei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, gestützt auf die arbeitsmedizinischen Feststellungen gehöre der Kläger nicht zum Personenkreis der behinderten Menschen (§ 19 SGB III). Zwar sei die körperliche Belastbarkeit des Klägers auf Dauer reduziert, dies schließe jedoch eine vollschichtige Arbeit nicht aus. Eine Förderung durch Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation setze einen integrationsspezifischen Bedarf voraus, wobei nicht entscheidend sei, welchen Beruf der Kläger ins Auge gefasst habe. Es müssten innere Beeinträchtigungen vorliegen, die durch Maßnahmen der Teilhabe am Arbeitsleiben ihrem inneren Zusammenhang nach allein zu beseitigen seien. Davon, dass lediglich Rehabilitation eine Integration auf dem Arbeitsmarkt ermögliche, sei nach dem aktenkundigen Leistungsbild nicht auszugehen.
Hiergegen richtet sich die am 2. Februar 2010 zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhobene Klage.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 25. Juni 2010 die Klage abgewiesen, da sich unter Berücksichtigung des bestehenden vollschichtigen Leistungsvermögens einerseits sowie der Verweisbarkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt andererseits kein Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ergebe. Der Kläger sei auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verweisbar. Die in den 70er Jahren absolvierte Ausbildung besitze keine Relevanz mehr. Abzustellen sei auf die Tätigkeiten der letzten zehn Jahre. In diesem Zeitraum habe der Kläger u.a. Sprachkurse und Computerkurse gegeben, ohne eine einschlägige Ausbildung zu haben. Nach dem arbeitsamtsärztlichen Gutachten stehe fest, dass der Kläger ein vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt besitze, wenn auch qualitative Einschränkungen zu beachten seien. Aus der vom SG eingeholten Auskunft von Dr. J. vom 23. April 2010 ergebe sich nichts anderes. Dieser habe ausgeführt, der Kläger sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr vollschichtig leistungsfähig. Wenn man die Einschätzung des Dr. J. als gegeben unterstellte, ergäbe sich erst recht kein Anspruch auf Teilhabeleistungen in Form einer Umschulung, denn eine solche sei bei einem vollständig aufgehobenen Leistungsvermögen nicht zielführend. Allein durch eine Umschulung könnte die Teilhabe am Arbeitsleben nicht gesichert werden, wenn diese aus anderen (medizinischen) Gründen aufgehoben sei.
Hiergegen richtet sich die am 19. Juli 2010 eingelegte Berufung des Klägers. Er macht geltend, dass die Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß §§ 97 ff. SGB III vorlägen. Wie das SG zur Einschätzung eines vollschichtigen Leistungsvermögens komme, erschließe sich nicht. Allein aufgrund der regelmäßigen Morbus Crohn Schübe dürfte dies schwerlich möglich sein. Der Gutachterin seien allem Anschein nach die orthopädischen und psychiatrischen Befunde nicht bekannt gewesen. Allein wegen der Morbus Crohn Erkrankung habe der Kläger sein Studium nicht zu Ende bringen können. Diese behinderungsbedingte Leistungseinbuße solle mit dem gestellten Antrag kompensiert werden. Dem SG könne auch nicht darin gefolgt werden, dass der Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei und hierfür ein entsprechendes Leistungsvermögen bestehe. Der Kläger habe in seinem Berufsleben nur Hilfsarbeitertätigkeiten ausgeübt. In Thailand habe er jahrelang als Lehrer gearbeitet, es dürfe ihm nicht zum Nachteil gereichen, dass er wegen seiner Erkrankung keinen Studienabschluss nachweisen könne. Es sei nicht damit getan, den Kläger durch Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung an den ersten Arbeitsmarkt heranzuführen. Der Kläger sei auch für die Teilhabeleistungen geeignet. Ergänzend werde ausgeführt, dass ggf. auch eine Förderung nach §§ 16 SGB II, 235c SGB III in Betracht komme. Die Voraussetzungen von § 77 Abs. 2 SGB III lägen beim Kläger ebenso vor.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 25. Juni 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Gestalt einer Umschulung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass ein Anspruch auf Teilhabeleistungen nicht bestehe. Entscheidend sei, ob eine behinderungsbedingt erhebliche Leistungseinbuße im Tätigkeitsbereich des bisherigen Berufs vorliege. Aufgrund des beruflichen Werdegangs komme der Kläger nicht für eine Lehrertätigkeit in Frage, weil er keine Qualifikation hierfür besitze. Aufgrund des beruflichen Werdegangs sei zu Recht eine breite Verweisbarkeit für Anlern- bzw. Helfertätigkeiten angenommen worden. Der Kläger gehöre damit nicht zum Kreis derjenigen behinderten Menschen, deren Aussichten am Arbeitsleben teilzuhaben wegen der Art und Schwere der Behinderung nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert seien. Unabhängig davon sei die begehrte Maßnahme auch nicht erforderlich, um der Leistungsminderung zu begegnen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie S.-K. hat unter dem 13. Dezember 2010 mitgeteilt, dass bei dem Kläger eine schwere Persönlichkeitsstörung bestehe. Die berufliche Leistungsfähigkeit sei erheblich beeinträchtigt. Einfache, anspruchslose Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien mindestens sechs Stunden täglich möglich; eine Tätigkeit als Leiter von Sprachkursen sei ausgeschlossen. Der Orthopäde Dr. L. hat geäußert (Schreiben vom 15. Dezember 2010), dass der Kläger nur einmalig wegen einer Verschreibung vorstellig geworden sei, eine Vorstellung in der Sprechstunde sei nicht erfolgt. Nach dem beigefügten Befundbericht von Prof. Dr. G. vom 23. April 2010 besteht bei dem Kläger Lumbago, degenerative WS-Veränderungen, Bandscheibenvorfall, Gonalgie links, Beinlängendifferenz, Senk-Spreizfuß, Gonarthrose links, Impingement-Syndrom der Schulter links, Kniedistorsion links.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers, über die der Senat nach erteiltem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 143 SGG) und damit zulässig, da Berufungsausschließungsgründe i.S.v. § 144 Abs. 1 SGG nicht vorliegen. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Beklagte hat zu Recht abgelehnt, dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §§ 16 Abs. 1 Satz 3 SGB II, 97 SGB III zu gewähren.
Streitgegenstand sind allein die Leistungen zur Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben, nicht jedoch die in der Berufungsbegründung zuletzt angesprochenen Leistungen zur Förderung der beruflichen Weiterbildung nach §§ 16 Abs. 1 Satz 2, 77 ff. SGB III bzw. § 235c SGB III. Leistungen der beruflichen Weiterbildung waren zu keiner Zeit Gegenstand des Verwaltungsverfahrens, auch das SG hat hierüber nicht entschieden. Die Beklagte wäre für diese Leistungen auch nicht zuständig, sondern der Träger der Grundsicherungsleistungen, hier also das Jobcenter H. bzw. nach dem Umzug des Klägers in das Saarland ab 1. April 2011 das Jobcenter M.-W ... Ganz davon abgesehen betrifft § 235c SGB III Leistungen an der Arbeitgeber in Form von Zuschüssen zum Arbeitsentgelt, nicht die hier begehrte direkte Förderung des Klägers.
Nach §§ 16 Abs. 1 Satz 3 SGB II, 97 SGB III können behinderten Menschen Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsmarkt erbracht werden, die wegen Art und Schwere der Behinderung erforderlich sind, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern. Behindert sind Menschen, deren Aussichten am Arbeitsleben teilzuhaben oder weiter teilzuhaben wegen der Art oder Schwere ihrer Behinderung i.S.v. § 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert sind und die deshalb Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben benötigen (§ 19 Abs. 1 SGB III). Behinderten Menschen stehen Menschen gleich, denen eine Behinderung mit den in Absatz 1 genannten Folgen droht (§ 19 Abs. 2 SGB III). Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist. Zuständiger Rehabilitationsträger für die Leistungen nach §§ 16 Abs. 1 Satz 3 SGB II, 97 ff. SGB III ist die Beklagte nach § 6a Abs. 1 Satz 1 SGB IX.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat zur vollen Überzeugung gelangt, dass der Kläger nicht zum Kreis der Leistungsberechtigten des § 97 Abs. 1 SGB III gehört, denn bei ihm liegt zwar eine Behinderung i.S.v. § 2 Abs. 1 SGB IX vor, aber keine wesentliche Minderung der Aussichten zur Teilhabe am Arbeitsleben i.S.v. § 19 Abs. 1 SGB III. Der Kläger ist in seiner beruflichen Leistungsfähigkeit durchaus eingeschränkt. Wie sich aus dem arbeitsamtsärztlichen Gutachten, das im Wege des Urkundsbeweises verwertet wird sowie den vom SG und vom Senat eingeholten Aussagen behandelnder Ärzte ergibt, liegt bei dem Kläger insbesondere eine entzündliche Darmerkrankung (Morbus Crohn) vor sowie Beeinträchtigungen auf orthopädischem Gebiet mit Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und Z.n. Bandscheibenvorfällen sowie des linken Kniegelenks und der linken Schulter. Zusätzlich besteht eine Persönlichkeitsstörung und Dysthymia. Mit den vorliegenden Einschränkungen kann der Kläger gleichwohl noch vollschichtig tätig sein, sofern es sich um anspruchslose, nicht schwere oder körperlich besonders belastende Arbeiten handelt (z.B. häufiges Bücken, Überkopfarbeiten oder einseitige Körperhaltung ohne Möglichkeit zum Ausgleich). Dies ergibt sich übereinstimmend aus dem arbeitsamtsärztlichen Gutachten wie auch der Auskunft von Frau S.-K ... Soweit die behandelnden Hausärzte von einem aufgehobenen Leistungsvermögen ausgehen, kann dem nicht gefolgt werden. Eine nachvollziehbare Begründung enthält die Einschätzung von Dr. J. nicht, sie ergibt sich auch nicht allein aus den mitgeteilten Befunden. Soweit Dr. J. ausführt, eine vollschichtige Arbeit sei wegen psychischer Destabilisierung nicht möglich, widerspricht dies der Einschätzung aus fachärztlicher Sicht von Frau S.-K ...
Auch die Tatsache, dass der Kläger an Morbus Crohn leidet, spricht nicht gegen ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Insoweit ist lediglich zu beachten, dass eine Toilette in der Nähe des Arbeitsplatzes zu fordern ist. Im Übrigen ist insoweit der Vortrag des Klägers auch nicht konsequent, denn wenn der Morbus Crohn schon per se einer Erwerbstätigkeit entgegen stünde, könnte dies auch durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht beeinflusst werden.
Mit dem festgestellten vollschichtigen Leistungsvermögen kann der Kläger die zuletzt ausgeübten angelernten bzw. Hilfstätigkeiten weiterhin verrichten. Eine Lehrertätigkeit kann nicht zugrunde gelegt werden, denn der Kläger verfügt hierfür nicht über die erforderliche Qualifikation - nach eigenen Angaben hat er deshalb auch in Thailand zuletzt keine Anstellung mehr erhalten. Besondere Leistungen zur Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben sind daher aus behinderungsbedingten Gründen nach alledem auch nicht erforderlich i.S.v. § 97 Abs. 1 SGB III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
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