L 9 U 3619/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 3084/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3619/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. April 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Verletztenrente wegen der als Berufskrankheit (BK) anerkannten Lärmschwerhörigkeit.

Der 1947 geborene Kläger war von Februar 1962 bis Januar 1971 als Bau- und Möbelschreiner sowie von Februar 1971 bis Juni 2002, der Insolvenz seines Betriebes, als Lkw-Fahrer und Mitarbeiter im Tiefbau (ca. 20 % der Arbeitszeit) beschäftigt. Dipl. Ing. S. (Stellungnahme vom 15.10.1999) errechnete aufgrund der Angaben des Klägers einen Lärmpegel am Arbeitsplatz von 86 dB(A).

Am 14.6.1999 erstattete der HNO-Arzt Dr. B. eine ärztliche Anzeige über eine BK wegen des Verdachts auf Lärmschwerhörigkeit. Er gab an, der Kläger leide unter Schwerhörigkeit mit Tinnitus. Auf Anfrage der Beklagten teilte Dr. B. unter dem 28.7.1999 ergänzend mit, der Kläger habe ihn am 7.7.1995 erstmals aufgesucht, über eine Hörstörung, Ohrgeräusche und rezidivierende Vertigo geklagt. Er habe einen Schwellenabfall in den mittleren und hohen Frequenzen festgestellt. Nach Beiziehung eines Audiogramms von Dr. B. führte der HNO-Arzt Dr. S. in einer Stellungnahme vom 23.12.1999 aus, es finde sich ein Hörverlust rechts von 30 dB bei 4000 und 6000 Hz und links von 40 dB bei 4000 Hz und 50 dB bei 6000 Hz. Der dokumentierte Hörschaden bis 1000 Hz sei seines Erachtens lärmunabhängig. Der Hochtonschaden führe zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) unter 10 v.H.

Die Beklagte ließ den Kläger von dem HNO-Arzt Dr. B. begutachten. Bei der gutachterlichen Untersuchung gab der Kläger an, eine Hörminderung sei ihm erstmals vor fünf Jahren beim Telefonieren unter Einfluss von Nebengeräuschen aufgefallen und eine deutliche Hörminderung mit einem Ohrgeräusch seit ca. drei Jahren. Seitdem sei er zunehmend geräuschempfindlich geworden. Im Gutachten vom 25.4.2001 führte Dr. B. aus, beim Kläger liege ein nahezu normales Hörvermögen vor. Die Innenohrknochenleitungskurve zeige im hohen Frequenzbereich oberhalb 2000 Hz eine geringfügige Einschränkung der Hörschwelle. Rechts bestehe außerdem eine Schallleitungskomponente von ca. 10 - 15 dB im gesamten Frequenzbereich, links eine Schallleitungskomponente von 15 dB in den Frequenzen oberhalb von 3000 Hz. Das subjektiv nicht sehr störende, aber doch bemerkbare Ohrgeräusch werde auf der linken Seite bei 3000 Hz objektiviert; es sei durch Schmalbandrauschen an der Hörschwelle verdeckbar. Nach den Tabellen von Bönnighaus und Röser, gewichtet nach Feldmann, ermittle man aus den Werten des Sprachaudiogramms für das rechte Ohr einen Hörverlust von 10 % und für das linke Ohr von 0 %. Da im Tonschwellenaudiogramm eine nicht unerhebliche Schallleitungskomponente gefunden worden sei, würden für die Berechnung des prozentualen Hörverlustes nach der 3-Frequenz-Tabelle von Röser die Knochenleitungswerte herangezogen. Hiernach ergebe sich ein Hörverlust von 0 % für beide Ohren. Ein berufsbedingter Hörverlust sei wahrscheinlich. Die MdE betrage 0 v.H. Die geringfügige Schallleitungskomponente rechts mehr als links sei von den berufsbedingten Hörverlusten unabhängig.

Mit Bescheid vom 12.6.2001 anerkannte die Beklagte die beim Kläger bestehende Hörstörung als BK (Listen-Nr. 2301 der Anlage der Berufskrankheiten-Verordnung [BKV] - Lärmschwerhörigkeit), lehnte jedoch die Gewährung einer Rente ab. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.1.2002 zurück.

Im anschließenden Klageverfahren (S 8 U 221/02) holte das Sozialgericht Reutlingen (SG) auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein HNO-ärztliches Gutachten bei Prof. Dr. Steinbach ein. Dieser gelangte im Gutachten vom 2.8.2002 zum Ergebnis, beim Kläger bestehe eine sehr gering ausgeprägte Hochtonschwerhörigkeit, links geringfügig stärker als rechts, mit einem geringen Ohrgeräusch links. Die Schwerhörigkeit sei wahrscheinlich auf den jahrelangen Lärm am Arbeitsplatz führen. Die MdE hierfür betrage 0 v.H.

Mit Gerichtsbescheid vom 8.8.2003 wies das SG, gestützt auf die Gutachten von Dr. B. und Prof. Dr. S., die Klage ab. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen. Die hiergegen eingelegte Berufung (L 10 U 3620/03) nahm der Kläger am 19.8.2004 zurück.

Unter dem 14.9.2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie überprüfe seine Erkrankungssache (BK-Nr. 2301) erneut. Unter dem 23.9.2004 gab der Kläger an, er werde von Ohrensurren, Tinnitus schon beidseits, geplagt und verstehe bei Nebengeräuschen fast nichts mehr. Hinzu komme Schwindel. Mit Schreiben vom 26.9.2005 regte der Kläger die Durchführung weiterer Untersuchungen an und begehrte eine Überprüfung seiner Angelegenheit im Wege eines Zugunstenverfahrens gem. § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).

Die Beklagte zog Unterlagen von Dr. B. bei und ließ den Kläger auf HNO- und nervenärztlichem Gebiet begutachten.

Prof. Dr. M. führte im HNO-ärztlichen Gutachten vom 25.7.2006 aus, im Vergleich zur Vor-Audiometrie im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung vom 1.8.2002 zeige sich praktisch ein identischer Befund. Der prozentuale Hörverlust betrage beidseits 0 %; daraus resultiere eine MdE um 0 %. Zum Zeitpunkt der Untersuchung werde ein Tinnitus beidseits angegeben. Am rechten Ohr lasse sich der Tinnitus bei 3 kHz mit 36 dB, d.h. 6 dB über der Hörschwelle, und am linken Ohr bei 3 kHz mit 57 dB, d.h. 7 dB über der Hörschwelle, mit einem Schmalbandrauschen vertäuben. Bis heute sei völlig unklar, welche Schädigungsmechanismen zum Tinnitus führten. Unstrittig sei, dass eine beruflich bedingte Lärmbelastung über die Schädigung der Haarzellen zu einer Tinnitusproblematik führen könne. Andererseits gebe es auch Patienten mit Normalhörigkeit, bei denen ein Tinnitus auftrete, sowie Patienten mit mittel- oder hochgradiger Innenohrschwerhörigkeit, die nicht unter einem Tinnitus litten. Aufgrund der Tatsache, dass der Kläger über Jahrzehnte lärmbelastet tätig gewesen sei und der Tinnitus in zeitlich passender Folge zur Lärmbelastung angegeben werde, sei seines Erachtens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass zwischen dem Tinnitus und der Lärmbelastung ein Kausalzusammenhang bestehe. Im HNO-Bereich führe der Tinnitus zu keiner relevanten Minderung der Erwerbsfähigkeit. Bezüglich der MdE-Einschätzung aufgrund des Tinnitus schlage er die Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens vor.

Im nervenärztlichen Gutachten vom 30.10.2005 führte Dr. L. aus, er habe beim Kläger einen Tinnitus, eine leichte Erschöpfungsdepression sowie ein schmerzhaftes Wirbelsäulensyndrom mit ausstrahlenden Beschwerden diagnostiziert. Der Kläger sei auf sein Leiden an Tinnitus fixiert und mache hieran mannigfaltige Probleme fest. Als Auslösung für die depressive Störung sei die lärmverursachende Tinnitussymptomatik beidseits mit begleitender Sprachverständlichkeitsstörung anzunehmen. In ca. einem Drittel aller Fälle führe das Syndrom bzw. die Diagnose Tinnitus zu einer psychischen Folgeerkrankung. Die reaktive und sich jetzt teilweise selbst unterhaltende leichte depressive Störung sei mit einem Grad der Behinderung von 10 % zu bewerten, da sie die Lebens- und Gestaltungsfähigkeit nicht wesentlich beeinträchtige, eine effektive distanzierende und thymoleptische Therapie möglich wäre und der Tinnitus durch die Wirbelsäulenveränderungen ebenfalls negativ beeinflusst werde. Eine anhaltende messbare MdE bestehe aufgrund der depressiven Störung nicht.

Unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dr. L. gelangte Dr. M. in der abschließenden gutachterlichen Stellungnahme vom 11.1.2008 zum Ergebnis, die MdE betrage unter Berücksichtigung des neurologischen und HNO-ärztlichen Gutachtens 0 %.

Mit Bescheid vom 7.5.2008 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente ab. Zur Begründung führte sie aus, seit dem Bescheid vom 12.6.2001 und dem Widerspruchsbescheid vom 14.1.2002 sei es zu keiner Verschlechterung des Gehörs gekommen. Der beidseitige Tinnitus (Ohrgeräusche) sei Folge der beruflichen Lärmeinwirkung. Insgesamt resultiere daraus aber keine rentenberechtigende MdE. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.8.2008 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 19.8.2008 Klage (S 7 U 3084/08) erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört und danach ein HNO-ärztliches Gutachten eingeholt.

Die Neurologin Dr. U. hat unter dem 20.10.2008 erklärt, der Kläger habe sich im Juli und Dezember 2004, im Juli 2006, im Juli 2007 und im September 2008 in ihrer Behandlung befunden. Im Vordergrund der Beschwerden hätten chronische Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS), rezidivierende Sensibilitätsstörungen und Kraftminderung im Bereich der oberen und unteren Extremitäten sowie belastungsabhängige Beschwerden beim Gehen gestanden. Bei der Vorstellung im Juli 2004 seien als Vorerkrankungen Tinnitus, depressive Symptome sowie eine Schrumpfniere links angegeben worden. Bezüglich des Tinnitus seien durch sie keine Untersuchungen erfolgt.

Prof. Dr. Z., Direktor der HNO-Universitätsklinik T., hat in der Zeugenaussage vom 20.4.2009 angegeben, er habe den Kläger am 5.5.2004 und 14.7.2004 untersucht und bei ihm eine Hochtonschallempfindungsschwerhörigkeit beidseits sowie einen Tinnitus links diagnostiziert.

Dr. B. hat am 3.7.2009 angegeben, er behandle den Kläger seit Juli 1995 und habe beim Kläger eine Schallempfindungsschwerhörigkeit sowie einen Tinnitus diagnostiziert.

Frau Prof. Dr. B. hat im HNO-ärztlichen Gutachten vom 19.1.2010 ausgeführt, beim Kläger liege eine beidseitige, minimal linksbetonte Schallempfindungsschwerhörigkeit beider Ohren vor, wobei die tiefen und mittleren Frequenzen nicht maßgeblich in die Hörstörung einbezogen seien. Ab 2 kHz falle die Hörverlustkurve steil zu den höheren Frequenzen hin ab. Zudem bestünden verdeckbare, in der Lautstärke und Frequenz bestimmbare Ohrgeräusche beidseits, die als dekompensiert zu bezeichnen seien. Die Hörprüfung von Prof. Dr. S. am 1.8.2002 sei gegen Ende der beruflichen Lärmarbeit des Klägers durchgeführt worden. Hierbei sei im Vergleich zu früheren Hörprüfungen eine Verschlechterung der Hörfähigkeit von bis zu 35 dB rechts und bis zu 25 dB links feststellbar gewesen. Aber auch ein Vergleich mit der Hörprüfung aus der Universitätsklinik T. vom 5.7.2004 zeige, dass es zu einer weiteren Hörverschlechterung gerade in den für das soziale Sprachverstehen wichtigen Frequenzen zwischen 2 kHz und 4 kHz gekommen sei. Damit habe sich die Hörstörung des Klägers nach dem Ende der beruflichen Lärmarbeit weiter verschlechtert. Diese Verschlechterung seit Mai 2002 sei als Nachschaden zu bewerten. Das Ohrgeräusch links habe sich noch während der beruflichen Lärmarbeit entwickelt. Das Ohrgeräusch rechts werde seit 6 bis 8 Jahren wahrgenommen, wobei sich der Kläger nicht genau festlegen könne und dieses möglicherweise schon zum Ende der beruflichen Lärmarbeit entstanden sei. Da für die Ohrgeräusche kein sicherer lärmunabhängiger Faktor konstatiert werden könne, müsse - ebenso wie für die Lärmschwerhörigkeit - angenommen werden, dass diese mit Wahrscheinlichkeit berufslärmabhängig entstanden sei. Für die Gesamthörstörung des Klägers sei nach den Vorgaben des Königsteiner Merkblatts der Hörverlust beider Ohren unter Verwendung des Tonaudiogramms nach der 3-Frequenz-Tabelle heranzuziehen. Dieser betrage rechts 0 % und links 15 %. Die MdE hierfür sei weiterhin mit 0 % einzuschätzen. Dr. L. schätze den Grad der Behinderung für die depressive Störung auf 10 %, wobei der Tinnitus daran nur anteilig beteiligt sei. Unter Würdigung aller Befunde sei die MdE für die Lärmschwerhörigkeit und die beidseitigen Ohrgeräusche mit 5 % zu bewerten.

Mit Urteil vom 21.4.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig. Den Ausführungen aller Gutachter folgend sei basierend auf der Tabelle zur Ermittlung der Schwerhörigkeitsgrade beider Ohren nach Feldmann die allenfalls geringgradige Schwerhörigkeit mit einer MdE um 0 v.H. zu bewerten. Weiterhin sei der lärmbedingte Tinnitus bei der Bewertung des Gesamtschadens zu berücksichtigen. Den überzeugenden Ausführungen des Dr. L. folgend liege beim Kläger keine wesentliche Beeinträchtigung der Lebens- und Gestaltungsfähigkeit vor. Es bestehe eine leichte depressive Störung ohne nennenswerte psychische Begleiterscheinungen, wobei diese nur teilweise auf den Tinnitus und damit auch auf die beruflichen Einwirkungen zurückzuführen sei. Während Dr. L. zufolge keine anhaltende messbare MdE für die depressive Störung festzustellen sei, bedingten nach Frau Prof. Dr. B. die lärmbedingten Anteile der Schwerhörigkeit und die beidseitigen Ohrgeräusche im günstigsten Fall eine MdE um 5 v.H. Dieser Ansicht von Frau Dr. B. schließe sich das SG ein. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 22.6.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 1.7.2010 Berufung eingelegt und vorgetragen, sein Hörvermögen habe sich in den letzten Jahren wesentlich verschlechtert. Der Tinnitus sei nicht berücksichtigt worden. Hier müsste die Beklagte für die wegen der Behandlungen gefahrenen Kilometer eine Entschädigung zahlen. Auch sei nicht berücksichtigt worden, dass die Lärmpegel wesentlich höher (90 - 120 dB) als 86 dB gewesen seien und die Beklagte über 30 Jahre während seiner Berufstätigkeit keine Untersuchungen durchgeführt habe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. April 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Mai 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der festgestellten Berufskrankheit Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, das angefochtene Urteil gehe weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht von falschen Erwägungen aus, so dass der Berufung der Erfolg zu versagen sei.

Mit Verfügung vom 26.1.2011 hat die Berichterstatterin die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss gem. § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente hat. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei dem Bescheid vom 7.5.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.8.2008 um einen sog. Zweitbescheid handelt oder um einen Bescheid nach § 44 SGB X.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 26.1.2011 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Anspruch auf Rente haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern.

Versicherungsfälle sind gemäß § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (BKen). Diese sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung oder mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, Erkrankungen in der Rechtsverordnung als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz SGB VII). Hierzu zählt nach Nr. 2301 der Anl. 1 zur BKV die Lärmschwerhörigkeit. Diese BK ist sowohl hinsichtlich der Erkrankung als auch der geeigneten Einwirkung durchaus konkret gefasst. Sie meint eine durch einen gewissen Zeitraum andauernde - beruflich bedingte - Lärmbelastung in bestimmter Höhe hervorgerufene Schwerhörigkeit (BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 5). Als gehörschädigend wird eine Lärmeinwirkung von mehr als 85 dB(A) als äquivalenter Dauerschallpegel bei einem 8-Stunden-Tagen über viele Arbeitsjahre angesehen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., Seite 328).

Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und Erkrankungen (die jeweils nachgewiesen sein müssen) im Berufskrankheitenrecht gilt, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung, die das Bundessozialgericht in der Entscheidung vom 6.5.2006 - B 2 U 1/05 R (SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 = BSGE 96, 196-209) zusammengefasst dargestellt hat. Die Theorie der wesentlichen Bedingung hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der Ursache eines Erfolges jedes Ereignis ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der Bedingungstheorie werden im Sozialrecht als rechtserheblich aber nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache sind insbesondere die versicherte Ursache bzw. das Ereignis als solches, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, konkurrierende Ursachen unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens und Befunde und Diagnosen der erstbehandelnden Ärzte sowie die gesamte Krankengeschichte. Trotz dieser Ausrichtung am individuellen Versicherten ist der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs im Einzelfall der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen Einwirkungen und Gesundheitsschäden zugrunde zu legen. Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang nach der Theorie der wesentlichen Bedingung positiv festgestellt werden muss und hierfür hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt, nicht jedoch die bloße Möglichkeit.

Mit Bescheid vom 12.6.2001 hat die Beklagte beim Kläger eine Lärmschwerhörigkeit als BK Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV anerkannt und als Folge dieser BK eine beiderseitige beginnende Hörstörung im Hochtonbereich festgestellt. Im Bescheid vom 7.5.2008 hat sie in der Begründung darüber hinaus ausgeführt, dass der beiderseitige Tinnitus (Ohrgeräusche) Folge der beruflichen Lärmeinwirkung sei. Damit hat sie implizit festgestellt, dass der Tinnitus beidseits Folge der anerkannten BK ist. Die von Dr. L. diagnostizierte leichte Erschöpfungsdepression ist nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit rechtlich wesentlich auf die anerkannte Lärmschwerhörigkeit und den Tinnitus zurückzuführen. Darüber hinaus konnten in den Selbstbeurteilungsbögen zur Frage der Depressivität keine Depressionsmerkmale festgestellt werden, und Dr. L. hat eine anhaltende messbare MdE für die depressive Störung verneint.

Die beim Kläger vorliegende beidseitige, minimal linksbetonte Schallempfindungsschwerhörigkeit und der Tinnitus beidseits führen zu keiner rentenberechtigenden MdE.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Die Schallempfindungsschwerhörigkeit bedingt nach den übereinstimmenden Beurteilungen von Dr. B., Prof. Dr. S., Prof. Dr. M. und Prof. Dr. B. eine MdE um 0 v.H. Durch den Tinnitus beidseits wird eine MdE um 10 v.H. nicht erreicht, wie sich aus den Gutachten von Dr. L., Prof. Dr. M. und Prof. Dr. B. ergibt. Deren Einschätzung überzeugt den Senat, zumal die Lebens- und Gestaltungsfähigkeit des Klägers nicht wesentlich eingeschränkt ist und der Kläger bisher eine distanzierende und thymoleptische Therapie, die der Störungsbild positiv beeinflussen könnte, nicht in Anspruch nimmt. Da beim Kläger eine MdE um 20 v.H. nicht erreicht wird und auch keine MdE um 10 v.H., die bei einem Stützrententatbestand ausreichen würde, steht ihm keine Verletztenrente wegen der anerkannten BK Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV zu.

Nach alledem war das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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