L 3 AS 4907/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 454/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 4907/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 09. September 2010 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) die Übernahme seiner Aufwendungen für die Kfz-Haftpflichtversicherung und Kfz-Steuer und der Kosten für die Instandhaltung und Reparatur seines Kraftfahrzeuges zum Zwecke der Durchführung der Hauptuntersuchung.

Der am 04.11.1954 geborene, alleinstehende Kläger bezog von der Beklagten dem 01.10.2005, mit einer Unterbrechung von März 2007 bis einschließlich Januar 2008, in der er erwerbstätig war, Leistungen nach SGB II.

Auf einen Fortzahlungsantrag vom 30.09.2009 bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 30.09.2009 zunächst vorläufig, sodann mit Bescheid vom 05.11.2009 endgültig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.10.2009 bis 31.03.2010 i.H.v. 359,- EUR monatlich. Den hiergegen eingelegten Widerspruch, zu dessen Begründung der Kläger vorbrachte, er wende sich wegen vorsätzlichen Betruges und Nichtberücksichtigung der bei der Beklagten befindlichen Unterlagen und Schriftstücke (Kfz-Steuerbescheid, Kfz-Haftpflichtversicherung, Stromabschlagsrechnungen, Telefongebühren einschließlich Internet) gegen den Bewilligungsbescheid, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2009 als unbegründet zurück.

Am 01. und am 22.02.2010 kontaktierte der Kläger per E- Mail das Landratsamt Ravensburg. Er wandte sich hierbei gegen die Stilllegung seines Kraftfahrzeuges und gegen eine Anhörung in einem Bußgeldverfahren. Der Kläger brachte die E-Mail auch der Beklagten zur Kenntnis.

Im Rahmen eines Fortzahlungsantrags vom 12.03.2010 legte der Kläger eine Mehrfertigung eines Anhörungsschreibens des Landratsamts Ravensburg vom 11.01.2010, einen Kostenvoranschlag der A. Kfz Service GmbH & Co KG vom 21.09.2009, das Protokoll der Hauptuntersuchung vom 01.02.2010 nach § 29 der Straßenverkehrszulassungsordnung sowie den Bescheid des Finanzamts Wangen vom 04.02.2010 über die Festsetzung der Kfz-Steuer i.H.v. 405,- EUR vor.

Am 02.03.2010 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Er reiche, so die Begründung des Klägers, Klage ein und beantrage die Zahlung und Übernahme der staatlich vorgeschriebenen Aufwendungen für Kraftfahrzeuge - Haftpflichtversicherung und Kraftfahrzeugsteuer - sowie der laufenden Kfz-Instandhaltungs- und Reparaturkosten zum Zwecke der vom Landratsamt Ravensburg geforderten TÜV-Hauptuntersuchung. Er sei ohne die Zahlung nicht mehr in der Lage, sein Kraftfahrzeug zu unterhalten. Er sei nicht an den öffentlichen Nahverkehr angebunden und könne, da in seiner räumlichen Umgebung kein Lebensmittelgeschäft ansässig sei, die lebensnotwendigen Grundbedürfnisse nicht mehr abdecken.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat hierzu vorgebracht, es bestehe kein Rechtsanspruch auf Übernahme der Kosten, die durch das Halten eines Kraftfahrzeuges entstehen würden.

Mit Gerichtsbescheid vom 09.09.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es angeführt, die Klage sei unzulässig. Der Kläger habe es unterlassen, vor Anrufung des Gerichts bei der Behörde einen entsprechenden Antrag zu stellen. In den Schreiben, die neben weiteren Adressaten auch an die Direktorin des Arbeitsamts gerichtet seien, habe der Kläger selbst konstatiert, dass nach dem Sozialgesetzbuch keine Verpflichtung zur Übernahme der Kfz-Steuern oder der Kfz-Versicherung bestehe, weswegen er gegenüber der Beklagten keinen derartigen Anspruch geltend mache. Da die Antragstellung eine nicht nachholbare Klagevoraussetzung sei, verhelfe auch der später gestellte Antrag oder eine Umdeutung der Klage in einen solchen nicht zu deren Zulässigkeit.

Am 21.10.2010 hat der Kläger gegen den am 20.09.2010 zugestellten Gerichtsbescheid Berufung eingelegt. Zuvor hatte er am 19.10.2010 "Berufung und Beschwerde gegen" den "Gerichtsbescheid S 3 AS 391/09" eingelegt. Zur Begründung seines Rechtsmittels trägt er u.a. vor, er habe im Rahmen der von ihm gestellten Verlängerungsanträge regelmäßig einen Antrag auf die begehrten Leistungen gestellt. Er habe in regelmäßigen Abständen die Änderung der Bezeichnung der Leistungen in Wort, Form und Höhe in Lohnersatzzahlung beantragt.

Der Kläger beantragt (zweckdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 09. September 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die staatlich vorgeschriebenen Aufwendungen für die Kfz-Haftpflichtversicherung und Kfz-Steuer ab März 2010 sowie die gesamten laufenden Kfz-Instandhaltungs- und Reparaturkosten zum Zwecke der vom Landratsamt Ravensburg geforderten Hauptuntersuchung zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrages verweist die Beklagte auf die aus ihrer Sicht zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid sowie ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die bei der Beklagten für den Kläger geführten Leistungsakten, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 11.05.2011 wurden, sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 11.05.2011 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist als unzulässig zu verwerfen (§ 158 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), da sie nicht innerhalb der gesetzlichen Frist eingelegt worden ist. Gemäß § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist gemäß § 152 Abs. 2 Satz 1 SGG auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG wurde dem Kläger, wie in der Postzustellungsurkunde vermerkt, am 20.09.2010 zugestellt. Der Gerichtsbescheid enthält eine zutreffende Rechtsmittelbelehrung. Die Frist begann hiernach gemäß § 64 Abs. 1 SGG am 21.09.2010 zu laufen. Sie endete gemäß § 64 Abs. 2 SGG mit Ablauf des 20.10.2010 (Dienstag). Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG ging jedoch erst am 21.10.2010 beim Landessozialgericht (LSG) ein. Auch kann nicht bereits im Schreiben vom 19.10.2010, beim LSG am gleichen Tag eingegangen, eine Berufung gegen den Gerichtsbescheid im Verfahren - S 3 AS 454/10 - erblickt werden, da der Kläger in diesem Schreiben ausschließlich Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG im Verfahren S 3 AS 391/09 eingelegt hat.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 Abs. 1 SGG ist nicht zu gewähren. Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nachdem der Kläger jedoch auf den gerichtlichen Hinweis vom 04.05.2010 hin in seinem Schriftsatz vom 11.05.2011 weder Wiedereinsetzung beantragt noch Wiedereinsetzungsgründe vorgebracht hat, ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren.

Mithin ist die Berufung des Klägers als unzulässig zu verwerfen.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Berufung des Klägers auch unbegründet ist. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens wird durch den prozessualen Anspruch bestimmt, durch das vom Kläger aufgrund eines konkreten Sachverhalts an das Gericht gerichtete und im Klageantrag zum Ausdruck kommende Begehren sowie dem Klagegrund, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll. Mit seinem Begehren, die Beklagte zu verurteilen, die staatlich vorgeschriebenen Aufwendungen für die Kfz-Haftpflichtversicherung und Kfz-Steuer sowie die gesamten laufenden Kfz-Instandhaltungskosten und Reparaturkosten zum Zwecke der vom Landratsamt Ravensburg geforderten Hauptuntersuchung zu übernehmen, macht der Kläger (höhere) Leistungen nach dem SGB II geltend. Im Klagesystem des SGG ist diesem Begehren im Wege einer Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG zur Durchsetzung zu verhelfen. Deren Zulässigkeit setzt voraus, dass der Leistungsträger zuvor über einen Antrag auf die Gewährung der begehrten Leistung entschieden hat und ein Widerspruchsverfahren (§ 78 SGG) durchgeführt worden ist. Dies ist vorliegend nicht erfolgt. Die Beklagte hat weder im Wege eines Verwaltungsaktes die Übernahme der begehrten Leistungen abgelehnt, noch wurde über einen Widerspruch des Klägers entschieden. Mithin war die Klage bereits unzulässig.

Auch der Umstand, dass die Beklagte (zuletzt) mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2009 den Widerspruch des Klägers gegen die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.10.2009 bis 31.03.2010 im Bescheid vom 30.09.2009 (Änderungsbescheid vom 05.11.2009) zurückgewiesen hat, führt nicht dazu, dass eine zulässige Anfechtungs- und Leistungsklage angenommen werden kann. Denn ungeachtet des Umstandes, dass der Kläger in seinem Klageschriftsatz vom 28.02.2010 weder ausdrücklich noch konkludent zum Ausdruck gebracht hat, um Rechtsschutz gegen den Widerspruchsbescheid vom 10.11.2009 nachzusuchen, wäre die Klage überdies außerhalb der einmonatigen Klagefrist des §§ 87 Abs. 1, Abs. 2 SGG und damit verfristet erhoben worden.

Auch führt eine Auslegung des klägerischen Begehrens i.S. einer Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG nicht dazu, dass eine zulässige Klage angenommen werden kann. Eine Leistungsklage ist nur dann statthaft und zulässig, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Nachdem jedoch über die vom Kläger begehrte Leistung im Wege eines Verwaltungsaktes zu entscheiden gewesen wäre, kann der Antrag nicht als zulässigerweise erhobene Leistungsklage ausgelegt werden.

Schließlich vermag auch eine Auslegung des mit der Klage zum Ausdruck gekommenen Begehrens im Sinne einer Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 1 SGG dem Kläger nicht zum Erfolg zu verhelfen. Gemäß § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes zulässig, wenn ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist. Mithin setzt eine zulässige Untätigkeitsklage voraus, dass sich der Kläger sich mit seinem (konkreten) Begehren zuvor an die Beklagte gewandt hat (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 88, Rn. 3). Dies ist jedoch nicht erfolgt. Gemäß § 37 Abs. 1 SGB II werden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende auf Antrag erbracht. Der Antrag nach dem SGB II ist ein einseitige empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung, auf die - soweit sich nicht auf sozialrechtlichen Bestimmungen anderweitiges ergibt - die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches Anwendung finden (Bundessozialgericht, Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 56/08 R -). Welche Leistungen ein Antrag umfasst, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist der Antrag so auszulegen, dass das Begehren des Antragstellers möglichst weitreichend zum Tragen kommt. Als beantragt sind dementsprechend alle Leistungen anzusehen, die nach Lage des Falles ernsthaft in Betracht kommen. Dies sind bei einem Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts regelmäßig alle im ersten und zweiten Unterabschnitt des zweiten Abschnitts des dritten Kapitels SGB II genannten Leistungen. Das klägerische Vorbringen gegenüber der Beklagten ließ jedoch nicht erkennen, dass dieser von der Beklagten Leistungen im Zusammenhang mit der Stilllegung seines Kfz geltend gemacht hat. Das SG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass, soweit der Vorgang überhaupt der Beklagten zur Kenntnis gebracht wurde, der Kläger selbst eingeräumt hat, dass kein gesetzlicher Anspruch auf die begehrte Leistung besteht. Ein konkretes Begehren, Leistungen erstattet zu erhalten, wurde zu keinem Zeitpunkt an die Beklagte herangetragen, der (umfangreiche) Schriftverkehr des Klägers mit der Beklagten beinhaltet keinerlei Hinweise auf eine entsprechende Geltendmachung. Selbst im Rahmen des Fortzahlungsantrags vom 12.03.2010 hat der Kläger zwar Unterlagen vorgelegt, jedoch nicht zum Ausdruck gebracht, dass er diesbezüglich die Übernahme von Kosten geltend mache. In Ermangelung eines entsprechenden Antrages ist daher das Klagebegehren auch in einer Auslegung als Untätigkeitsklage, unzulässig.

Das SG hat ferner zutreffend entschieden, dass die Annahme, die Klageerhebung als Antrag zu werten, für den Kläger gleichfalls nicht zum Erfolg führt, weshalb das Verfahren auch nicht auszusetzen war. Eine Klage, die auf die Verpflichtung einer Behörde zum Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtet ist, ist nur zulässig, wenn vor Klageerhebung ein Antrag hierauf gestellt und abgelehnt oder nicht beschieden ist. Dies folgt bereits aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der gebietet, dass sich zunächst die Verwaltung mit (vermeidlichen) Ansprüchen des einzelnen befasst. Bei der Antragsstellung bei der Behörde handelt es sich nicht lediglich um eine bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung nachholbare Sachurteilsvoraussetzung, sondern um eine grundsätzlich nicht nachholbare Klagevoraussetzung (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 01.12.1993 - 2 B 115/93 -; vgl. auch BSG, Urteil vom 08.02.2007 - B 9b AY 1/06 R jeweils veröffentlicht in juris).

Der Senat weist ergänzend daraufhin, dass die Klage auch unbegründet gewesen wäre. Hierzu wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Der Gerichtsbescheid des SG vom 09.09.2010 ist mithin auch inhaltlich rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved