Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 9 R 633/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 13/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 14. Dezember 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung – SGB VI) streitig.
Die am ... 1960 geborene Klägerin absolvierte nach dem Abschluss der zehnten Schulklasse ihren Angaben nach von September 1976 bis Juli 1978 erfolgreich eine Lehre zur Molkereifacharbeiterin. Sie war anschließend bis Dezember 1980 in ihrem erlernten Beruf tätig. Von Januar 1981 bis September 1989 arbeitete sie als Produktionsarbeiterin und von Oktober 1989 bis September 1991 als Verkäuferin. Sie war dann von Oktober 1991 bis März 1993 arbeitslos und anschließend bis März 1996 als Kassiererin und Tankwart und von April 1996 bis September 1999 als Reinigungskraft, Montage-, Produktions- und Lagerarbeiterin beschäftigt. Von November 1999 bis Dezember 2000 arbeitete die Klägerin als Tankwart/Aushilfe und zuletzt von Januar 2001 bis Juli 2004 – mit Unterbrechungen wegen Arbeitslosigkeit – als Montagearbeiterin im Akkord in einem Automobilzulieferbetrieb. Die Klägerin war anschließend arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld bis zum 18. August 2005. Seit dem 19. August 2005 erhält sie keine Sozialleistungen mehr.
Sie beantragte am 16. September 2005 bei der Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt (LVA), deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung und machte geltend, wegen Erkrankungen des Rückens, der Kniegelenke und der Hüfte nur noch leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel der Haltungsarten maximal sechs Stunden täglich ausüben zu können.
Die Beklagte zog zunächst den Entlassungsbericht der Rehaklinik B. S. vom 20. Juli 2005 über die dort von der Klägerin vom 23. Juni bis zum 14. Juli 2005 durchlaufene stationäre Rehabilitationsmaßnahme bei. Dort sind als Diagnosen ein regredientes pseudoradikuläres Lumbalsyndrom bei kleinem NPP (Nucleusproplaps) L 5/S 1, Fehlstatik und muskulären Dysbalancen, eine Protrusionskoxarthrose rechts mehr als links mit Funktionseinschränkungen und eine Chondropathia patellae angeführt. Zumutbar sei eine leichte körperliche Arbeit in wechselnder Körperhaltung, überwiegend im Sitzen unter Berücksichtigung zusätzlicher Leistungseinschränkungen sechs Stunden und mehr täglich.
Mit Bescheid vom 17. November 2005 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Im Widerspruchsverfahren zog die Beklagte u.a. den Entlassungsbericht der M. Klinik K. vom 31. Mai 2006 über die Anschlussheilbehandlung der Klägerin vom 9. bis zum 30. Mai 2006 bei. Dort wurden als Diagnosen u.a. chronische Iliosacralgelenk (ISG)-Beschwerden links bei leichter Skoliose, einer Beinverkürzung links und muskulären Dysbalancen, ein Zustand nach Bandscheibenoperation L 5/S 1 links Februar 2006, eine Protrusion beider Hüften mit beginnender Koxarthrose sowie eine multiple Medikamentenallergie angeführt. Nach Abwarten der Kurreaktion dürfte die Arbeitsfähigkeit der Klägerin für den allgemeinen Arbeitsmarkt in ca. zwei Wochen wiederhergestellt sein. Die Klägerin sei in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte körperliche Tätigkeiten unter Berücksichtigung zusätzlicher Leistungseinschränkungen sechs Stunden und mehr zu verrichten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26. September 2006 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Sie verfüge über ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr täglich für leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, aber überwiegend im Sitzen, ohne häufiges Bücken, Hocken, Knien, häufige Zwangshaltungen, häufiges Klettern und Steigen sowie ohne erhöhte Unfallgefahr (z.B. Absturzgefahr) unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes. Ferner liege auch keine Berufsunfähigkeit vor. Nach dem beruflichen Werdegang der Klägerin sei von einem Hauptberuf als Montagearbeiterin auszugehen. Sie sei in die Gruppe der Ungelernten einzuordnen. Einen Berufsschutz könne sie daher nicht in Anspruch nehmen.
Hiergegen hat sich die Klägerin mit der am 16. Oktober 2006 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage gewandt und auf eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes, insbesondere der Schmerzzustände, verwiesen. Sie hat mehrere medizinische Unterlagen übersandt, u.a. einen Magnetresonanztomographie (MRT)-Befund der Lendenwirbelsäule (LWS) vom 30. Juni 2006.
Das Sozialgericht hat Befund- und Behandlungsberichte von dem Facharzt für Orthopädie Privatdozent (PD) Dr. M. vom 6. September 2007, den Fachärzten für Neurochirurgie Dres. M. und P. vom 25. September 2007 und dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. W. vom 25. Oktober 2007 eingeholt und dann den Facharzt für Chirurgie und Orthopädie Dr. T. das fachorthopädische/fachchirurgische Gutachten vom 27. August 2008 aufgrund einer Untersuchung der Klägerin am 19. August 2008 erstatten lassen. Dr. T. hat als Diagnosen benannt:
Leichte bis mäßige Funktionsstörungen der Lendenwirbelsäule (LWS) bei Zustand nach Bandscheibenvorfalloperation am 16. Februar 2006 in der L 5/S 1-Etage links.
Leichte Funktionsstörungen der Hüftgelenke beidseits bei radiologisch nachgewiesener Koxarthrose.
Initiale Gonarthrose beidseits mit leichten Funktionsstörungen.
Schmerzchronifizierung Stadium III nach Gerbershagen mit Verdacht auf somatoforme Schmerzstörung.
Zustand nach Operation der Nasenscheidewand am 19. September 2007 ohne nennenswerte Funktionsstörungen.
Die Klägerin könne noch körperlich leichte Tätigkeiten wechselweise im Gehen, Stehen und Sitzen verrichten, wobei Arbeiten überwiegend im Sitzen bis 70 Prozent der Gesamtarbeitszeit zuzumuten seien. Sie könne in geschlossenen Räumen, in Früh- und Wechselschicht und mit häufigem Publikumsverkehr acht Stunden täglich arbeiten. Arbeiten mit häufigem Bücken, häufigem Heben und Tragen von Lasten aus der Vorbeuge heraus, ständigen Rumpfzwangshaltungen, Stauchungen und Rüttelungen der Wirbelsäule, häufigem Ersteigen von Treppen, auf Gerüsten und Leitern, mit häufig knienden Tätigkeiten und mit besonderen Anforderungen an die Stressbelastbarkeit sei die Klägerin nicht gewachsen. Arbeiten, die die volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände erforderten, seien möglich. Arbeiten im Freien bzw. im Freien unter Witterungsschutz könnte die Klägerin bis zu 20 bis 30 Prozent der Gesamtarbeitszeit bewältigen. Anhaltender/überwiegender Einfluss von Nässe, Kälte, Zugluft und Feuchtigkeit sowie besonderer Zeitdruck wie Akkord und Fließbandarbeit seien zu meiden. Arbeiten mit geringen bis durchschnittlichen Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen, mit einfachen bis mittelschwierigen Anforderungen an die geistige Leistungsfähigkeit und mit geringen bis durchschnittlichen Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit seien zumutbar. Die Gehfähigkeit der Klägerin sei allenfalls minimal eingeschränkt; ihren eigenen Angaben nach könne sie am Stück annähernd 1.000 Meter gehen. Sie sei in der Lage, einen Weg von etwas mehr als 500 Metern viermal arbeitstäglich in jeweils weniger als 20 Minuten ohne unzumutbare Schmerzen zurückzulegen. Ferner könne sie auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen.
Die Beklagte hat dem Senat ferner den Entlassungsbericht der M. Klinik K. vom 4. November 2008 über die von der Klägerin vom 8. bis zum 29. Oktober 2008 durchlaufene Anschlussheilbehandlung vorgelegt. Als Diagnosen sind dort angeführt:
Zustand nach Implantation einer zementfreien Hüft-TEP links vom 10. September 2008 bei Koxarthrose.
Vorhandensein von orthopädischen Gelenkimplantaten.
Koxarthrose rechts.
Zustand nach Bandscheiben-Operation L 5/S 1 links Februar 2006.
Degenerative Wirbelsäulenveränderungen.
Als Rehabilitationsergebnis werden ein guter Vierpunktgang an zwei Unterarmgehstützen in aufrechter Körperhaltung sowie eine Verbesserung der Beweglichkeit im linken Hüftgelenk beschrieben. Die Klägerin sei arbeitsunfähig entlassen worden. Bei einem weiteren komplikationslosen Verlauf sei mit der Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit in ca. drei bis vier Monaten zu rechnen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könnten leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen ohne Zwangshaltungen, Bücken, Hocken, Knien, Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, Klettern oder Steigen, Wegebelastung innerhalb der beruflichen Tätigkeit, Arbeiten auf Gerüsten oder Leitern, Rutschgefahr, ständige Kälte oder Nässe sowie Ganzkörpervibrationen sechs Stunden und mehr täglich verrichtet werden. Perspektivisch sei mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Hüft-TEP-Implantation rechts notwendig.
Die Klägerin hat unter dem 4. Februar 2009 mitgeteilt, nach der Implantation des künstlichen Hüftgelenkes habe sich als Komplikation eine Entzündung entwickelt; ferner sei eine erneute stationäre Einweisung wegen einer Verschlechterung ihres Wirbelsäulenleidens erforderlich geworden. Im Nachgang hat sie einen MRT-Befund der LWS vom 13. Februar 2009, ausgewertet an demselben Tag von dem Facharzt für diagnostische Radiologie und Kinderradiologie Dr. H., übersandt. Die in Höhe LWK 5/S 1 bestehende allgemeine Bandscheibenprotrusion habe im Vergleich zu der Voruntersuchung vom 16. April 2008 noch etwas zugenommen. Neu zeige sich eine deutliche Verdickung der linken Nervenwurzel S 1 reaktiver Genese. Ansonsten bestehe keine wesentliche Befundänderung. Zudem hat die Klägerin die Epikrise des A. Klinikums H. vom 18. Februar 2009 über ihren stationären Aufenthalt vom 10. bis zum 18. Februar 2009 vorgelegt.
In dem auf Veranlassung des Sozialgerichts erstellten Befundbericht vom 26. März 2009 haben Dres. M. und P. von einer Beschwerdezunahme seit Juli 2007 berichtet. Die Klägerin könne körperlich leichte Arbeiten nicht über drei Stunden hinaus bei der derzeit bestehenden Beschwerdesymptomatik verrichten.
Das Sozialgericht hat sodann mit Beweisanordnung vom 22. April 2009 Dr. T. mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens beauftragt. Mit Schreiben vom 30. April 2009 hat die Klägerin um Benennung eines Sachverständigen in Wohnortnähe gebeten, da sie nicht in der Lage sei, die Reise nach B. aufgrund des chronischen Schmerzsyndroms, der Funktionseinschränkungen beider Hüftgelenke und der Lymphödeme in den Beinen zu bewältigen. In der nachgereichten "Ärztlichen Empfehlung zur Vorlage beim Sozialgericht" vom 5. Mai 2009 haben Dres. M. und P. mitgeteilt, aufgrund der derzeit vorliegenden, durch die lumbale Bandscheibenerkrankung hervorgerufene Beschwerdesymptomatik, zu der erschwerend eine Koxarthrose beidseits hinzugekommen sei, sei der Klägerin zurzeit eine Reise bis nach B. nicht zu empfehlen. Darüber hinaus hat die Klägerin dem Senat eine Epikrise des S. O.-Klinikums vom 8. Mai 2009 über ihre stationäre Behandlung vom 3. bis zum 8. Mai 2009 vorgelegt. Danach sei unter konservativer Therapie und Schmerztherapie eine Verbesserung der Beschwerden erzielt worden.
Mit Schreiben vom 29. Mai 2009 hat das Sozialgericht für den Fall, dass die Klägerin nicht bis zum 19. Juni 2009 mitteile, dass sie zur Begutachtung zum beauftragten Sachverständigen fahre, eine Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid angekündigt. Mit Schreiben vom 10. Juni 2009, eingegangen am 11. Juni 2009 beim Sozialgericht, hat die Klägerin ihren Antrag auf Benennung eines anderen Sachverständigen unter Hinwies auf die ihr aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbare Anreise zu Dr. T. aufrecht erhalten und ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt, sich im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht ärztlich untersuchen zu lassen mit der Einschränkung, dass zur Begutachtung keine mehrstündige Anreise erforderlich sei. Das Sozialgericht hat unter dem 17. Juni 2009 Dr. T. davon in Kenntnis gesetzt, dass die Beweisanordnung aufgehoben sei.
Mit Schreiben vom 31. Juli 2009 hat die Klägerin das Sozialgericht von ihrer stationären Aufnahme am 30. Juni 2009 in die Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums M. zur Durchführung einer weiteren LWS-Operation in Kenntnis gesetzt. Unter dem 28. Oktober 2009 hat sie einen MRT-Befund des Beckens vom 2. Oktober 2009 übersandt mit der Anregung, von der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums M. ein Gutachten erstatten zu lassen. Ferner hat sie unter dem 23. November 2009 einen MRT-Befund der LWS vom 11. November 2009, ausgewertet von Dr. H. unter 17. November 2009, vorgelegt, wonach postoperative deutliche narbige Veränderungen in Höhe L 5/S 1 epidural unter partieller Einbeziehung der linksseitigen S1-Wurzel bei einer unverändert in diesem Segment bestehenden Bandscheibenprotrusion bestünden.
Mit Gerichtsbescheid gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 14. Dezember 2009 hat das Sozialgericht Magdeburg die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Sie sei noch in der Lage, eine Tätigkeit zumindest sechs Stunden täglich auszuüben unter Bezugnahme auf die Ausführungen und Einschätzungen in den Reha-Abschlussberichten von Juli 2005, von Mai 2006 und von Oktober 2008 sowie im orthopädisch/schmerztherapeutischen Gutachten von August 2008. Zwar sei nicht auszuschließen, dass nach Oktober 2008 eine Verschlechterung des Leistungsvermögens der Klägerin eingetreten sei. Da diese sich weigere, zur erneuten Begutachtung nach B. zu fahren, habe der entsprechende Nachweis jedenfalls nicht erbracht werden können. Die Weigerung der Klägerin unter Berufung auf gesundheitliche Gründe sei für das Gericht nicht nachvollziehbar. Viel wahrscheinlicher sei die Annahme, dass die Klägerin – mangels wesentlicher Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes – erwarte, dass der Sachverständige, der ihr bereits 2008 ein vollschichtiges Leistungsvermögen attestiert habe, nach erneuter Begutachtung zu keinem wesentlich anderen Ergebnis käme. Insoweit sei der Wunsch der Klägerin nach einem anderen Sachverständigen zwar verständlich, jedoch habe sie darauf – jedenfalls im Rahmen der Amtsermittlung – keinen Anspruch. Eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid habe nach vorheriger Anhörung der Beteiligten ergehen dürfen, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher Art aufweise und der Sachverhalt geklärt sei, soweit die Sachverhaltsermittlung im Hinblick auf die Weigerung der Klägerin, zur erneuten Begutachtung nach B. zu reisen, möglich gewesen sei.
Gegen den ihr am 18. Dezember 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 13. Januar 2010 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und geltend gemacht, der Gerichtsbescheid sei rechtsfehlerhaft. Entscheidungserhebliche tatsächliche Umstände seien offen geblieben. Das Gericht habe zum einen durch den Erlass der Beweisanordnung vom 22. April 2009 dokumentiert, dass der Sachverhalt in medizinischer Hinsicht nicht geklärt sei. Dies sei in den Entscheidungsgründen des Gerichtsbescheides auch bestätigt worden. Ein Verstoß gegen ihre Mitwirkungspflichten sei zu verneinen. Es bestand und bestehe ihre Bereitschaft, sich ärztlich untersuchen zu lassen. Zu der Einschränkung der Mitwirkungspflicht, sich in Wohnortnähe aus gesundheitlichen Gründen begutachten zu lassen, sei sie berechtigt gewesen. Dies habe sie durch eine ärztliche Bescheinigung des behandelnden Neurochirurgen glaubhaft gemacht. Die Nichtbeachtung dieser Bescheinigung stelle eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar. Sofern das Gericht Zweifel an der Richtigkeit dieser Bescheinigung gehabt habe, wäre es zu weiteren Ermittlungen verpflichtet gewesen. Stattdessen habe es ohne ihre persönliche Anhörung und in Augenscheinnahme den Rechtsstreit mit Gerichtsbescheid entschieden. § 105 SGG sehe jedoch nicht vor, dass ein Gerichtsbescheid als Sanktion für eine fehlende Mitwirkung einer Partei zulässig sei. Ferner sei nicht nachvollziehbar, warum ausschließlich der vom Gericht beauftragte Sachverständige in der Lage gewesen sein sollte, ihren Gesundheitszustand zu beurteilen. Ferner werde auch die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt. Sie habe sieben Monate nach dem gerichtlichen Hinweis, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid beabsichtigt sei, nicht mehr mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung rechnen müssen; insoweit handele es sich um eine verbotene Überraschungsentscheidung.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 14. Dezember 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 17. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1. Oktober 2005 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, weiter hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und ihren Bescheid für zutreffend.
Die Klägerin hat dem Senat diverse medizinische Befunde der neurochirurgischen Klinik des Universitätsklinikums M. vorgelegt – eine Epikrise vom 1. April 2010 über die stationäre Behandlung vom 26. März bis zum 2. April 2010, Kurzbefunde vom 29. Juni 2010 und vom 18. Mai 2010, Berichte vom 15. Juni und 9. Juli 2010 über die ambulanten Untersuchungen am 18. Mai bzw. 8. Juli 2010 – sowie einen MRT-Befund der LWS vom 5. Juli 2010.
Mit Schreiben vom 6. Mai 2010 hat die Berichterstatterin darauf verwiesen, dass der Senat eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht Magdeburg beabsichtige. Mit Schreiben vom 10. und 15. November 2010 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat vorgelegen haben, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den Rechtsstreit entscheiden, ohne eine mündliche Verhandlung durchzuführen, da sich die Beteiligten übereinstimmend hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Berufung ist im Sinne einer Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und einer Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht begründet.
Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet.
Ein Verfahrensmangel ist im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG gegeben, wenn ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift vorliegt. Wesentlich ist dieser Verfahrensmangel, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts darauf beruhen kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 159 Rdnr. 3, 3a mit weiteren Nachweisen).
Die Entscheidung des Sozialgerichts leidet an wesentlichen Verfahrensmängeln. Zum einen hat das Gericht durch Gerichtsbescheid entschieden, obwohl die dafür im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt gewesen sind. Dadurch hat das Gericht der Klägerin ihre gesetzlichen Richter vorenthalten (dazu 1.). Zum anderen stellt die Entscheidung des Sozialgerichts einen Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs und gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (dazu 2.) dar. Der Senat übt das von ihm von § 159 Abs. 1 SGG eingeräumte Ermessen im Sinne einer Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht aus (dazu 3.).
1.
Das Sozialgericht hätte nicht durch Gerichtsbescheid des Kammervorsitzenden entscheiden dürfen. Es hat damit verfahrensfehlerhaft durch den Kammervorsitzenden als Einzelrichter ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Regelung 2 SGG) entschieden, obwohl die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht vorgelegen haben. Dadurch hat es die Klägerin ihrem gesetzlichen Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) entzogen, nämlich der Kammer in voller Besetzung (§ 12 Abs. 1 Satz 1 iVm § 125 SGG). Die vom Gesetz bestimmte Mitwirkung ehrenamtlicher Richter ist ein tragender Grundsatz des sozialgerichtlichen Verfahrens, der in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten ist (so schon Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 19. Juni 1958 – 11/8 RV 1061/56 –, BSGE 7, 230, 234; auch Urteil vom 16. März 2006 – B 4 RA 59/04 R –, NZS 2007, 51). Diese Kompetenz, allein zu entscheiden, setzt allerdings voraus, dass die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG erfüllt sind, also die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Beide Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Angelegenheit weist besondere Schwierigkeiten tatsächlicher Art auf, weil das Gericht nicht aufklären konnte, ob – wie von der Klägerin vorgetragen – im Februar 2009 eine Verschlechterung der Wirbelsäulenerkrankung eingetreten ist. Vielmehr hat das Gericht dies als nicht nachgewiesen angesehen und im Hinblick auf den Einwand der Klägerin, sich wegen der mehrstündigen Anreise aus gesundheitlichen Gründen nicht in B. bei Dr. T. begutachten zu lassen, von weiteren medizinischen Ermittlungen in Bezug auf das vorliegende Leistungsvermögen bzw. in Bezug auf die Verhinderung der Klägerin, sich zur erneuten Begutachtung nach B. zu begeben, abgesehen.
Aus diesem Grund hat auch die weitere Voraussetzung für den Erlass des Gerichtsbescheides nicht vorgelegen, denn das Sozialgericht konnte den Eintritt einer rentenrelevanten Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin nicht feststellen. Damit war der Sachverhalt gerade nicht geklärt, was das Sozialgericht auch selbst in seiner Entscheidung vom 14. Dezember 2009 eingeräumt hat. Die Begründung des Sozialgerichts, die Klägerin sei ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen, indem sie eine erneute Begutachtung in B. verweigert habe, vermag jedoch die Ablehnung weiterer medizinischer Ermittlungen nicht zu stützen. Vielmehr ist das Sozialgericht seiner ihm gemäß § 103 SGG obliegenden Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nicht nachgekommen. Wenn Zweifel hinsichtlich der Zumutbarkeit einer Begutachtung der Klägerin in B. angesichts der Bescheinigung der Dres. P. und M. vom 5. Mai 2009 bestanden hätten, hätte das Sozialgericht dies weiter aufklären müssen. Die Unterstellung des Sozialgerichts, mangels wesentlicher Verschlechterung ihres Gesundheitszustande lehne die Klägerin eine weitere Begutachtung durch Dr. T. ab, da sie befürchte, erneut von ihm für vollschichtig einsatzfähig erachtet zu werden, stellt zumindest eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar. Keinesfalls durfte sich das Sozialgericht in Anbetracht der im Nachgang der – lediglich gegenüber Dr. T. – als aufgehoben erklärten Beweisanordnung eingetretenen veränderten gesundheitlichen Situation der Klägerin darauf stützen, die Tatsache der nicht vollständigen medizinischen Sachverhaltsaufklärung habe die Klägerin zu vertreten. Vielmehr hätte sich das Sozialgericht zumindest im Hinblick auf die weitere Bandscheibenoperation im Bereich L 5/S 1 links am 6. August 2009 und den MRT-Befund der LWS vom 11. November 2009, wonach postoperativ noch deutliche narbige Veränderungen in Höhe L 5/S 1 nachweisbar waren, zu einer weiteren Beweiserhebung gedrängt fühlen müssen. Der weiterhin nicht geklärte Sachverhalt konnte damit nicht Grundlage einer Entscheidung mit Gerichtsbescheid sein. Dieser Verfahrensmangel ist auch wesentlich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Kammer in der gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
2.
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts verstößt gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs. Gemäß § 62 Halbsatz 1 SGG, der das schon durch Art. 103 Abs. 1 GG garantierte prozessuale Grundrecht wiederholt, ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung des Gerichts rechtliches Gehör zu gewähren; dies gilt insbesondere für eine Instanz abschließende Entscheidung (BSG, Urteil vom 11. Dezember 2002 – B 6 KA 8/02 R –, USK 2002-149). Zur Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör hat der Gesetzgeber den in § 124 Abs. 1 SGG geregelten Grundsatz der mündlichen Verhandlung als eine der Prozessmaximen des sozialgerichtlichen Verfahrens ausgestaltet (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 62 Rdnr. 6a).
Die Klägerin hat in Anbetracht des Zeitablaufs von fast sieben Monaten seit dem Schreiben des Sozialgerichts vom 29. Mai 2009 mit der Ankündigung des Gerichtsbescheides und der Zustellung desselben am 18. November 2008 nicht mit einer Entscheidung des Sozialgerichts ohne eine weitere Anhörung, z.B. ohne mündliche Verhandlung, rechnen müssen. Darüber hinaus hat die Klägerin angesichts der von ihr in diesem Zeitraum vorgelegten medizinischen Befunde und des sich daraus ergebenden neuen medizinischen Sachverhalts in Form eines Rezidivbandscheibenvorfalls L 5/S 1 links nicht von einer Beendigung der Ermittlungen des Sozialgerichts ausgehen können und müssen. Zudem hatte es das Sozialgericht nicht für erforderlich erachtet, die Klägerin – wie auch die Beklagte – von der als aufgehoben erklärten Beweisanordnung vom 22. April 2009 in Kenntnis zu setzen. Die Beteiligten haben jedoch einen Anspruch auf Unterrichtung von den wesentlichen oder auch nur möglicherweise erheblichen Tatsachen aus Prozessvorgängen; dies gilt insbesondere für Beweisaufnahmen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 62 Rdnr. 9). Die Klägerin kann ihr rechtliches Gehör zu Tatsachen nur in Anspruch nehmen, wenn sie diese kennt. Auch dieser Verfahrensmangel des gerichtlichen Verfahrens ist wesentlich im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Der Klägerin wurde – in Unkenntnis der Ablehnung weiterer Ermittlungen durch das Gericht – die Möglichkeit genommen, ein Gutachten nach § 109 SGG erstatten zu lassen, welches möglicherweise zu einer anderen Entscheidung der Kammer geführt hätte. Dieses Vorgehen des Sozialgerichts widerspricht zugleich einer am Rechtsstaatsprinzip orientierten Verfahrensführung und stellt aus diesem Grund einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens dar.
3.
Vor diesem Hintergrund überwiegt im Rahmen der Ermessensausübung des Senats das Interesse der Klägerin an einer Wiedereröffnung einer zweiten Tatsacheninstanz nach ordnungsgemäßer Entscheidung über den von ihm verfolgten Anspruch durch das Sozialgericht.
Eine Zurückverweisung an das Sozialgericht soll durch das Landessozialgericht, dem selbst die Möglichkeiten zur Erforschung des Sachverhaltes offen stehen, nur im Ausnahmefall erfolgen. Ein solcher Ausnahmefall liegt vor, wenn das erstinstanzliche Verfahren auf Grund eines wesentlichen Verfahrensmangels nicht zur Grundlage einer Entscheidung gemacht werden kann (vgl. Fichte, SGb 1987, 271, 277). Im Rahmen seines nach § 159 SGG auszuübenden Ermessens hat der Senat das Interesse der Klägerin an einer möglichst zeitnahen Erledigung ihres Rechtsstreits einerseits mit den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz andererseits miteinander abgewogen. Angesichts der ganz erheblichen Mängel des sozialgerichtlichen Verfahrens und der Tatsache, dass das Berufungsverfahren erst seit einem Jahr beim Landessozialgericht anhängig ist, hat sich der Senat zu einer Zurückverweisung entschieden, zumal sich die Klägerin mit dieser Vorgehensweise konkludent einverstanden erklärt hat. Vor dem Sozialgericht stehen der Klägerin alle prozessualen Rechte offen und letztlich wird ermöglicht, dass der vom Gesetzgeber vorgesehene Spruchkörper entscheiden kann.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
Gründe, für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 1 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung – SGB VI) streitig.
Die am ... 1960 geborene Klägerin absolvierte nach dem Abschluss der zehnten Schulklasse ihren Angaben nach von September 1976 bis Juli 1978 erfolgreich eine Lehre zur Molkereifacharbeiterin. Sie war anschließend bis Dezember 1980 in ihrem erlernten Beruf tätig. Von Januar 1981 bis September 1989 arbeitete sie als Produktionsarbeiterin und von Oktober 1989 bis September 1991 als Verkäuferin. Sie war dann von Oktober 1991 bis März 1993 arbeitslos und anschließend bis März 1996 als Kassiererin und Tankwart und von April 1996 bis September 1999 als Reinigungskraft, Montage-, Produktions- und Lagerarbeiterin beschäftigt. Von November 1999 bis Dezember 2000 arbeitete die Klägerin als Tankwart/Aushilfe und zuletzt von Januar 2001 bis Juli 2004 – mit Unterbrechungen wegen Arbeitslosigkeit – als Montagearbeiterin im Akkord in einem Automobilzulieferbetrieb. Die Klägerin war anschließend arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld bis zum 18. August 2005. Seit dem 19. August 2005 erhält sie keine Sozialleistungen mehr.
Sie beantragte am 16. September 2005 bei der Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt (LVA), deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung und machte geltend, wegen Erkrankungen des Rückens, der Kniegelenke und der Hüfte nur noch leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel der Haltungsarten maximal sechs Stunden täglich ausüben zu können.
Die Beklagte zog zunächst den Entlassungsbericht der Rehaklinik B. S. vom 20. Juli 2005 über die dort von der Klägerin vom 23. Juni bis zum 14. Juli 2005 durchlaufene stationäre Rehabilitationsmaßnahme bei. Dort sind als Diagnosen ein regredientes pseudoradikuläres Lumbalsyndrom bei kleinem NPP (Nucleusproplaps) L 5/S 1, Fehlstatik und muskulären Dysbalancen, eine Protrusionskoxarthrose rechts mehr als links mit Funktionseinschränkungen und eine Chondropathia patellae angeführt. Zumutbar sei eine leichte körperliche Arbeit in wechselnder Körperhaltung, überwiegend im Sitzen unter Berücksichtigung zusätzlicher Leistungseinschränkungen sechs Stunden und mehr täglich.
Mit Bescheid vom 17. November 2005 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Im Widerspruchsverfahren zog die Beklagte u.a. den Entlassungsbericht der M. Klinik K. vom 31. Mai 2006 über die Anschlussheilbehandlung der Klägerin vom 9. bis zum 30. Mai 2006 bei. Dort wurden als Diagnosen u.a. chronische Iliosacralgelenk (ISG)-Beschwerden links bei leichter Skoliose, einer Beinverkürzung links und muskulären Dysbalancen, ein Zustand nach Bandscheibenoperation L 5/S 1 links Februar 2006, eine Protrusion beider Hüften mit beginnender Koxarthrose sowie eine multiple Medikamentenallergie angeführt. Nach Abwarten der Kurreaktion dürfte die Arbeitsfähigkeit der Klägerin für den allgemeinen Arbeitsmarkt in ca. zwei Wochen wiederhergestellt sein. Die Klägerin sei in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte körperliche Tätigkeiten unter Berücksichtigung zusätzlicher Leistungseinschränkungen sechs Stunden und mehr zu verrichten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26. September 2006 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Sie verfüge über ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr täglich für leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, aber überwiegend im Sitzen, ohne häufiges Bücken, Hocken, Knien, häufige Zwangshaltungen, häufiges Klettern und Steigen sowie ohne erhöhte Unfallgefahr (z.B. Absturzgefahr) unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes. Ferner liege auch keine Berufsunfähigkeit vor. Nach dem beruflichen Werdegang der Klägerin sei von einem Hauptberuf als Montagearbeiterin auszugehen. Sie sei in die Gruppe der Ungelernten einzuordnen. Einen Berufsschutz könne sie daher nicht in Anspruch nehmen.
Hiergegen hat sich die Klägerin mit der am 16. Oktober 2006 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage gewandt und auf eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes, insbesondere der Schmerzzustände, verwiesen. Sie hat mehrere medizinische Unterlagen übersandt, u.a. einen Magnetresonanztomographie (MRT)-Befund der Lendenwirbelsäule (LWS) vom 30. Juni 2006.
Das Sozialgericht hat Befund- und Behandlungsberichte von dem Facharzt für Orthopädie Privatdozent (PD) Dr. M. vom 6. September 2007, den Fachärzten für Neurochirurgie Dres. M. und P. vom 25. September 2007 und dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. W. vom 25. Oktober 2007 eingeholt und dann den Facharzt für Chirurgie und Orthopädie Dr. T. das fachorthopädische/fachchirurgische Gutachten vom 27. August 2008 aufgrund einer Untersuchung der Klägerin am 19. August 2008 erstatten lassen. Dr. T. hat als Diagnosen benannt:
Leichte bis mäßige Funktionsstörungen der Lendenwirbelsäule (LWS) bei Zustand nach Bandscheibenvorfalloperation am 16. Februar 2006 in der L 5/S 1-Etage links.
Leichte Funktionsstörungen der Hüftgelenke beidseits bei radiologisch nachgewiesener Koxarthrose.
Initiale Gonarthrose beidseits mit leichten Funktionsstörungen.
Schmerzchronifizierung Stadium III nach Gerbershagen mit Verdacht auf somatoforme Schmerzstörung.
Zustand nach Operation der Nasenscheidewand am 19. September 2007 ohne nennenswerte Funktionsstörungen.
Die Klägerin könne noch körperlich leichte Tätigkeiten wechselweise im Gehen, Stehen und Sitzen verrichten, wobei Arbeiten überwiegend im Sitzen bis 70 Prozent der Gesamtarbeitszeit zuzumuten seien. Sie könne in geschlossenen Räumen, in Früh- und Wechselschicht und mit häufigem Publikumsverkehr acht Stunden täglich arbeiten. Arbeiten mit häufigem Bücken, häufigem Heben und Tragen von Lasten aus der Vorbeuge heraus, ständigen Rumpfzwangshaltungen, Stauchungen und Rüttelungen der Wirbelsäule, häufigem Ersteigen von Treppen, auf Gerüsten und Leitern, mit häufig knienden Tätigkeiten und mit besonderen Anforderungen an die Stressbelastbarkeit sei die Klägerin nicht gewachsen. Arbeiten, die die volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände erforderten, seien möglich. Arbeiten im Freien bzw. im Freien unter Witterungsschutz könnte die Klägerin bis zu 20 bis 30 Prozent der Gesamtarbeitszeit bewältigen. Anhaltender/überwiegender Einfluss von Nässe, Kälte, Zugluft und Feuchtigkeit sowie besonderer Zeitdruck wie Akkord und Fließbandarbeit seien zu meiden. Arbeiten mit geringen bis durchschnittlichen Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen, mit einfachen bis mittelschwierigen Anforderungen an die geistige Leistungsfähigkeit und mit geringen bis durchschnittlichen Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit seien zumutbar. Die Gehfähigkeit der Klägerin sei allenfalls minimal eingeschränkt; ihren eigenen Angaben nach könne sie am Stück annähernd 1.000 Meter gehen. Sie sei in der Lage, einen Weg von etwas mehr als 500 Metern viermal arbeitstäglich in jeweils weniger als 20 Minuten ohne unzumutbare Schmerzen zurückzulegen. Ferner könne sie auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen.
Die Beklagte hat dem Senat ferner den Entlassungsbericht der M. Klinik K. vom 4. November 2008 über die von der Klägerin vom 8. bis zum 29. Oktober 2008 durchlaufene Anschlussheilbehandlung vorgelegt. Als Diagnosen sind dort angeführt:
Zustand nach Implantation einer zementfreien Hüft-TEP links vom 10. September 2008 bei Koxarthrose.
Vorhandensein von orthopädischen Gelenkimplantaten.
Koxarthrose rechts.
Zustand nach Bandscheiben-Operation L 5/S 1 links Februar 2006.
Degenerative Wirbelsäulenveränderungen.
Als Rehabilitationsergebnis werden ein guter Vierpunktgang an zwei Unterarmgehstützen in aufrechter Körperhaltung sowie eine Verbesserung der Beweglichkeit im linken Hüftgelenk beschrieben. Die Klägerin sei arbeitsunfähig entlassen worden. Bei einem weiteren komplikationslosen Verlauf sei mit der Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit in ca. drei bis vier Monaten zu rechnen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könnten leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen ohne Zwangshaltungen, Bücken, Hocken, Knien, Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, Klettern oder Steigen, Wegebelastung innerhalb der beruflichen Tätigkeit, Arbeiten auf Gerüsten oder Leitern, Rutschgefahr, ständige Kälte oder Nässe sowie Ganzkörpervibrationen sechs Stunden und mehr täglich verrichtet werden. Perspektivisch sei mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Hüft-TEP-Implantation rechts notwendig.
Die Klägerin hat unter dem 4. Februar 2009 mitgeteilt, nach der Implantation des künstlichen Hüftgelenkes habe sich als Komplikation eine Entzündung entwickelt; ferner sei eine erneute stationäre Einweisung wegen einer Verschlechterung ihres Wirbelsäulenleidens erforderlich geworden. Im Nachgang hat sie einen MRT-Befund der LWS vom 13. Februar 2009, ausgewertet an demselben Tag von dem Facharzt für diagnostische Radiologie und Kinderradiologie Dr. H., übersandt. Die in Höhe LWK 5/S 1 bestehende allgemeine Bandscheibenprotrusion habe im Vergleich zu der Voruntersuchung vom 16. April 2008 noch etwas zugenommen. Neu zeige sich eine deutliche Verdickung der linken Nervenwurzel S 1 reaktiver Genese. Ansonsten bestehe keine wesentliche Befundänderung. Zudem hat die Klägerin die Epikrise des A. Klinikums H. vom 18. Februar 2009 über ihren stationären Aufenthalt vom 10. bis zum 18. Februar 2009 vorgelegt.
In dem auf Veranlassung des Sozialgerichts erstellten Befundbericht vom 26. März 2009 haben Dres. M. und P. von einer Beschwerdezunahme seit Juli 2007 berichtet. Die Klägerin könne körperlich leichte Arbeiten nicht über drei Stunden hinaus bei der derzeit bestehenden Beschwerdesymptomatik verrichten.
Das Sozialgericht hat sodann mit Beweisanordnung vom 22. April 2009 Dr. T. mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens beauftragt. Mit Schreiben vom 30. April 2009 hat die Klägerin um Benennung eines Sachverständigen in Wohnortnähe gebeten, da sie nicht in der Lage sei, die Reise nach B. aufgrund des chronischen Schmerzsyndroms, der Funktionseinschränkungen beider Hüftgelenke und der Lymphödeme in den Beinen zu bewältigen. In der nachgereichten "Ärztlichen Empfehlung zur Vorlage beim Sozialgericht" vom 5. Mai 2009 haben Dres. M. und P. mitgeteilt, aufgrund der derzeit vorliegenden, durch die lumbale Bandscheibenerkrankung hervorgerufene Beschwerdesymptomatik, zu der erschwerend eine Koxarthrose beidseits hinzugekommen sei, sei der Klägerin zurzeit eine Reise bis nach B. nicht zu empfehlen. Darüber hinaus hat die Klägerin dem Senat eine Epikrise des S. O.-Klinikums vom 8. Mai 2009 über ihre stationäre Behandlung vom 3. bis zum 8. Mai 2009 vorgelegt. Danach sei unter konservativer Therapie und Schmerztherapie eine Verbesserung der Beschwerden erzielt worden.
Mit Schreiben vom 29. Mai 2009 hat das Sozialgericht für den Fall, dass die Klägerin nicht bis zum 19. Juni 2009 mitteile, dass sie zur Begutachtung zum beauftragten Sachverständigen fahre, eine Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid angekündigt. Mit Schreiben vom 10. Juni 2009, eingegangen am 11. Juni 2009 beim Sozialgericht, hat die Klägerin ihren Antrag auf Benennung eines anderen Sachverständigen unter Hinwies auf die ihr aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbare Anreise zu Dr. T. aufrecht erhalten und ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt, sich im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht ärztlich untersuchen zu lassen mit der Einschränkung, dass zur Begutachtung keine mehrstündige Anreise erforderlich sei. Das Sozialgericht hat unter dem 17. Juni 2009 Dr. T. davon in Kenntnis gesetzt, dass die Beweisanordnung aufgehoben sei.
Mit Schreiben vom 31. Juli 2009 hat die Klägerin das Sozialgericht von ihrer stationären Aufnahme am 30. Juni 2009 in die Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums M. zur Durchführung einer weiteren LWS-Operation in Kenntnis gesetzt. Unter dem 28. Oktober 2009 hat sie einen MRT-Befund des Beckens vom 2. Oktober 2009 übersandt mit der Anregung, von der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums M. ein Gutachten erstatten zu lassen. Ferner hat sie unter dem 23. November 2009 einen MRT-Befund der LWS vom 11. November 2009, ausgewertet von Dr. H. unter 17. November 2009, vorgelegt, wonach postoperative deutliche narbige Veränderungen in Höhe L 5/S 1 epidural unter partieller Einbeziehung der linksseitigen S1-Wurzel bei einer unverändert in diesem Segment bestehenden Bandscheibenprotrusion bestünden.
Mit Gerichtsbescheid gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 14. Dezember 2009 hat das Sozialgericht Magdeburg die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Sie sei noch in der Lage, eine Tätigkeit zumindest sechs Stunden täglich auszuüben unter Bezugnahme auf die Ausführungen und Einschätzungen in den Reha-Abschlussberichten von Juli 2005, von Mai 2006 und von Oktober 2008 sowie im orthopädisch/schmerztherapeutischen Gutachten von August 2008. Zwar sei nicht auszuschließen, dass nach Oktober 2008 eine Verschlechterung des Leistungsvermögens der Klägerin eingetreten sei. Da diese sich weigere, zur erneuten Begutachtung nach B. zu fahren, habe der entsprechende Nachweis jedenfalls nicht erbracht werden können. Die Weigerung der Klägerin unter Berufung auf gesundheitliche Gründe sei für das Gericht nicht nachvollziehbar. Viel wahrscheinlicher sei die Annahme, dass die Klägerin – mangels wesentlicher Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes – erwarte, dass der Sachverständige, der ihr bereits 2008 ein vollschichtiges Leistungsvermögen attestiert habe, nach erneuter Begutachtung zu keinem wesentlich anderen Ergebnis käme. Insoweit sei der Wunsch der Klägerin nach einem anderen Sachverständigen zwar verständlich, jedoch habe sie darauf – jedenfalls im Rahmen der Amtsermittlung – keinen Anspruch. Eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid habe nach vorheriger Anhörung der Beteiligten ergehen dürfen, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher Art aufweise und der Sachverhalt geklärt sei, soweit die Sachverhaltsermittlung im Hinblick auf die Weigerung der Klägerin, zur erneuten Begutachtung nach B. zu reisen, möglich gewesen sei.
Gegen den ihr am 18. Dezember 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 13. Januar 2010 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und geltend gemacht, der Gerichtsbescheid sei rechtsfehlerhaft. Entscheidungserhebliche tatsächliche Umstände seien offen geblieben. Das Gericht habe zum einen durch den Erlass der Beweisanordnung vom 22. April 2009 dokumentiert, dass der Sachverhalt in medizinischer Hinsicht nicht geklärt sei. Dies sei in den Entscheidungsgründen des Gerichtsbescheides auch bestätigt worden. Ein Verstoß gegen ihre Mitwirkungspflichten sei zu verneinen. Es bestand und bestehe ihre Bereitschaft, sich ärztlich untersuchen zu lassen. Zu der Einschränkung der Mitwirkungspflicht, sich in Wohnortnähe aus gesundheitlichen Gründen begutachten zu lassen, sei sie berechtigt gewesen. Dies habe sie durch eine ärztliche Bescheinigung des behandelnden Neurochirurgen glaubhaft gemacht. Die Nichtbeachtung dieser Bescheinigung stelle eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar. Sofern das Gericht Zweifel an der Richtigkeit dieser Bescheinigung gehabt habe, wäre es zu weiteren Ermittlungen verpflichtet gewesen. Stattdessen habe es ohne ihre persönliche Anhörung und in Augenscheinnahme den Rechtsstreit mit Gerichtsbescheid entschieden. § 105 SGG sehe jedoch nicht vor, dass ein Gerichtsbescheid als Sanktion für eine fehlende Mitwirkung einer Partei zulässig sei. Ferner sei nicht nachvollziehbar, warum ausschließlich der vom Gericht beauftragte Sachverständige in der Lage gewesen sein sollte, ihren Gesundheitszustand zu beurteilen. Ferner werde auch die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt. Sie habe sieben Monate nach dem gerichtlichen Hinweis, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid beabsichtigt sei, nicht mehr mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung rechnen müssen; insoweit handele es sich um eine verbotene Überraschungsentscheidung.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 14. Dezember 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 17. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1. Oktober 2005 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, weiter hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und ihren Bescheid für zutreffend.
Die Klägerin hat dem Senat diverse medizinische Befunde der neurochirurgischen Klinik des Universitätsklinikums M. vorgelegt – eine Epikrise vom 1. April 2010 über die stationäre Behandlung vom 26. März bis zum 2. April 2010, Kurzbefunde vom 29. Juni 2010 und vom 18. Mai 2010, Berichte vom 15. Juni und 9. Juli 2010 über die ambulanten Untersuchungen am 18. Mai bzw. 8. Juli 2010 – sowie einen MRT-Befund der LWS vom 5. Juli 2010.
Mit Schreiben vom 6. Mai 2010 hat die Berichterstatterin darauf verwiesen, dass der Senat eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht Magdeburg beabsichtige. Mit Schreiben vom 10. und 15. November 2010 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat vorgelegen haben, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den Rechtsstreit entscheiden, ohne eine mündliche Verhandlung durchzuführen, da sich die Beteiligten übereinstimmend hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Berufung ist im Sinne einer Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und einer Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht begründet.
Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet.
Ein Verfahrensmangel ist im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG gegeben, wenn ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift vorliegt. Wesentlich ist dieser Verfahrensmangel, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts darauf beruhen kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 159 Rdnr. 3, 3a mit weiteren Nachweisen).
Die Entscheidung des Sozialgerichts leidet an wesentlichen Verfahrensmängeln. Zum einen hat das Gericht durch Gerichtsbescheid entschieden, obwohl die dafür im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt gewesen sind. Dadurch hat das Gericht der Klägerin ihre gesetzlichen Richter vorenthalten (dazu 1.). Zum anderen stellt die Entscheidung des Sozialgerichts einen Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs und gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (dazu 2.) dar. Der Senat übt das von ihm von § 159 Abs. 1 SGG eingeräumte Ermessen im Sinne einer Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht aus (dazu 3.).
1.
Das Sozialgericht hätte nicht durch Gerichtsbescheid des Kammervorsitzenden entscheiden dürfen. Es hat damit verfahrensfehlerhaft durch den Kammervorsitzenden als Einzelrichter ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Regelung 2 SGG) entschieden, obwohl die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht vorgelegen haben. Dadurch hat es die Klägerin ihrem gesetzlichen Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) entzogen, nämlich der Kammer in voller Besetzung (§ 12 Abs. 1 Satz 1 iVm § 125 SGG). Die vom Gesetz bestimmte Mitwirkung ehrenamtlicher Richter ist ein tragender Grundsatz des sozialgerichtlichen Verfahrens, der in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten ist (so schon Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 19. Juni 1958 – 11/8 RV 1061/56 –, BSGE 7, 230, 234; auch Urteil vom 16. März 2006 – B 4 RA 59/04 R –, NZS 2007, 51). Diese Kompetenz, allein zu entscheiden, setzt allerdings voraus, dass die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG erfüllt sind, also die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Beide Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Angelegenheit weist besondere Schwierigkeiten tatsächlicher Art auf, weil das Gericht nicht aufklären konnte, ob – wie von der Klägerin vorgetragen – im Februar 2009 eine Verschlechterung der Wirbelsäulenerkrankung eingetreten ist. Vielmehr hat das Gericht dies als nicht nachgewiesen angesehen und im Hinblick auf den Einwand der Klägerin, sich wegen der mehrstündigen Anreise aus gesundheitlichen Gründen nicht in B. bei Dr. T. begutachten zu lassen, von weiteren medizinischen Ermittlungen in Bezug auf das vorliegende Leistungsvermögen bzw. in Bezug auf die Verhinderung der Klägerin, sich zur erneuten Begutachtung nach B. zu begeben, abgesehen.
Aus diesem Grund hat auch die weitere Voraussetzung für den Erlass des Gerichtsbescheides nicht vorgelegen, denn das Sozialgericht konnte den Eintritt einer rentenrelevanten Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin nicht feststellen. Damit war der Sachverhalt gerade nicht geklärt, was das Sozialgericht auch selbst in seiner Entscheidung vom 14. Dezember 2009 eingeräumt hat. Die Begründung des Sozialgerichts, die Klägerin sei ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen, indem sie eine erneute Begutachtung in B. verweigert habe, vermag jedoch die Ablehnung weiterer medizinischer Ermittlungen nicht zu stützen. Vielmehr ist das Sozialgericht seiner ihm gemäß § 103 SGG obliegenden Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nicht nachgekommen. Wenn Zweifel hinsichtlich der Zumutbarkeit einer Begutachtung der Klägerin in B. angesichts der Bescheinigung der Dres. P. und M. vom 5. Mai 2009 bestanden hätten, hätte das Sozialgericht dies weiter aufklären müssen. Die Unterstellung des Sozialgerichts, mangels wesentlicher Verschlechterung ihres Gesundheitszustande lehne die Klägerin eine weitere Begutachtung durch Dr. T. ab, da sie befürchte, erneut von ihm für vollschichtig einsatzfähig erachtet zu werden, stellt zumindest eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar. Keinesfalls durfte sich das Sozialgericht in Anbetracht der im Nachgang der – lediglich gegenüber Dr. T. – als aufgehoben erklärten Beweisanordnung eingetretenen veränderten gesundheitlichen Situation der Klägerin darauf stützen, die Tatsache der nicht vollständigen medizinischen Sachverhaltsaufklärung habe die Klägerin zu vertreten. Vielmehr hätte sich das Sozialgericht zumindest im Hinblick auf die weitere Bandscheibenoperation im Bereich L 5/S 1 links am 6. August 2009 und den MRT-Befund der LWS vom 11. November 2009, wonach postoperativ noch deutliche narbige Veränderungen in Höhe L 5/S 1 nachweisbar waren, zu einer weiteren Beweiserhebung gedrängt fühlen müssen. Der weiterhin nicht geklärte Sachverhalt konnte damit nicht Grundlage einer Entscheidung mit Gerichtsbescheid sein. Dieser Verfahrensmangel ist auch wesentlich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Kammer in der gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
2.
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts verstößt gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs. Gemäß § 62 Halbsatz 1 SGG, der das schon durch Art. 103 Abs. 1 GG garantierte prozessuale Grundrecht wiederholt, ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung des Gerichts rechtliches Gehör zu gewähren; dies gilt insbesondere für eine Instanz abschließende Entscheidung (BSG, Urteil vom 11. Dezember 2002 – B 6 KA 8/02 R –, USK 2002-149). Zur Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör hat der Gesetzgeber den in § 124 Abs. 1 SGG geregelten Grundsatz der mündlichen Verhandlung als eine der Prozessmaximen des sozialgerichtlichen Verfahrens ausgestaltet (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 62 Rdnr. 6a).
Die Klägerin hat in Anbetracht des Zeitablaufs von fast sieben Monaten seit dem Schreiben des Sozialgerichts vom 29. Mai 2009 mit der Ankündigung des Gerichtsbescheides und der Zustellung desselben am 18. November 2008 nicht mit einer Entscheidung des Sozialgerichts ohne eine weitere Anhörung, z.B. ohne mündliche Verhandlung, rechnen müssen. Darüber hinaus hat die Klägerin angesichts der von ihr in diesem Zeitraum vorgelegten medizinischen Befunde und des sich daraus ergebenden neuen medizinischen Sachverhalts in Form eines Rezidivbandscheibenvorfalls L 5/S 1 links nicht von einer Beendigung der Ermittlungen des Sozialgerichts ausgehen können und müssen. Zudem hatte es das Sozialgericht nicht für erforderlich erachtet, die Klägerin – wie auch die Beklagte – von der als aufgehoben erklärten Beweisanordnung vom 22. April 2009 in Kenntnis zu setzen. Die Beteiligten haben jedoch einen Anspruch auf Unterrichtung von den wesentlichen oder auch nur möglicherweise erheblichen Tatsachen aus Prozessvorgängen; dies gilt insbesondere für Beweisaufnahmen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 62 Rdnr. 9). Die Klägerin kann ihr rechtliches Gehör zu Tatsachen nur in Anspruch nehmen, wenn sie diese kennt. Auch dieser Verfahrensmangel des gerichtlichen Verfahrens ist wesentlich im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Der Klägerin wurde – in Unkenntnis der Ablehnung weiterer Ermittlungen durch das Gericht – die Möglichkeit genommen, ein Gutachten nach § 109 SGG erstatten zu lassen, welches möglicherweise zu einer anderen Entscheidung der Kammer geführt hätte. Dieses Vorgehen des Sozialgerichts widerspricht zugleich einer am Rechtsstaatsprinzip orientierten Verfahrensführung und stellt aus diesem Grund einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens dar.
3.
Vor diesem Hintergrund überwiegt im Rahmen der Ermessensausübung des Senats das Interesse der Klägerin an einer Wiedereröffnung einer zweiten Tatsacheninstanz nach ordnungsgemäßer Entscheidung über den von ihm verfolgten Anspruch durch das Sozialgericht.
Eine Zurückverweisung an das Sozialgericht soll durch das Landessozialgericht, dem selbst die Möglichkeiten zur Erforschung des Sachverhaltes offen stehen, nur im Ausnahmefall erfolgen. Ein solcher Ausnahmefall liegt vor, wenn das erstinstanzliche Verfahren auf Grund eines wesentlichen Verfahrensmangels nicht zur Grundlage einer Entscheidung gemacht werden kann (vgl. Fichte, SGb 1987, 271, 277). Im Rahmen seines nach § 159 SGG auszuübenden Ermessens hat der Senat das Interesse der Klägerin an einer möglichst zeitnahen Erledigung ihres Rechtsstreits einerseits mit den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz andererseits miteinander abgewogen. Angesichts der ganz erheblichen Mängel des sozialgerichtlichen Verfahrens und der Tatsache, dass das Berufungsverfahren erst seit einem Jahr beim Landessozialgericht anhängig ist, hat sich der Senat zu einer Zurückverweisung entschieden, zumal sich die Klägerin mit dieser Vorgehensweise konkludent einverstanden erklärt hat. Vor dem Sozialgericht stehen der Klägerin alle prozessualen Rechte offen und letztlich wird ermöglicht, dass der vom Gesetzgeber vorgesehene Spruchkörper entscheiden kann.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
Gründe, für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 1 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
Login
SAN
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